• Keine Ergebnisse gefunden

BEMERKUNGEN ZUR KONZEPTIONELLEN ENTWICKLUNG DER MEERESGEOGRAPHIE NACH 1945 UND IHRER ALLGEMEINEN

Im Dokument Geographie Meeres (Seite 192-200)

Atlantischen Ozeans

3.1. BEMERKUNGEN ZUR KONZEPTIONELLEN ENTWICKLUNG DER MEERESGEOGRAPHIE NACH 1945 UND IHRER ALLGEMEINEN

W!SSEN-SCHAFTSSYSTEMA TISCHEN STELLUNG

Wer in GIERLOFF-EMDENs "Geographie des Meeres" ( 1980) eine präzise Definition, Standortbestimmung und Aufgabenstellung für die ''Geographie des Meeres" sucht, sieht sich enttäuscht, es sei denn, er gibt sich mit den folgenden, einem Lehrbuch in keiner Weise angemessenen Sätzen des Vor-wortes (1980; V) zufrieden: "Die Geographie des Meeres befaßt sich mit dem Weltmeer, d.h. mit den Ozeanen und Küsten als Umwelt. Es werden

die allgemeinen Erscheinungen und Prozesse im Raum und die Eigenart besonderer Räume, wie die Küsten, behandelt ..• Die Geographie des Mee-res ist eine Darstellung eigener Art, die neben den Lehrbüchern der All-gemeinen Meereskunde zu nutzen ist11 Auch das 1. Kapitel über die 11 Wis-senschaft vom Meer" bringt unter der Überschrift "Definition und Gliede-rung der Meereskunde11 nur eine \Viederholung des Vorwortes und den Hin-weis auf PAFFEN 1964. Umso vordringlicher, ja unerläßlich erscheint es, hier dem Untertitel des genannten Aufsatzes in den folgenden Kapiteln ausführlich und in erweiterter Form Raum und Gehalt zu geben.

Zunächst ist, um der offensichtlichen begrifflichen Verwirrung zu entrin-nen, der auch GIERLOFF -EMDEN nicht entgangen ist, eine terminologi-sche Klärung und Trennung dringend notwendig. Die moderne Geographie sollte das Begriffspaar "Ozeanographie" (deutsch und international) und '~Meereskunde11 (ausschließlich deutsch) weder aus Tradition noch aus Anhänglichkeit an eine in Deutschland von ihr entwickelte und lange ge-pflegte Teildisziplin, noch für einen von ihr mit neuem Gehalt zu erfüllen-den Zweig meeresgeographischen Inhaltes weiter verwenerfüllen-den, zumal die Termini "Ozeanographie" wie 11Meereskunde'' ihre ursprüngliche Eindeutig-keit längst verloren haben und heute mindestens von einer, wenn nicht meh-reren selbständigen Wissenschaftsdisziplinen benutzt werden. International gesehen existiert 110zeanographie" heute mindestens in drei verschiedenen Verständnisumfängen:

Die weiteste Fassung ist zweifellos das von BIGELOW (1931) artikulierte und vor allem in den USA verbreitete Konzept von "Ozeanography" als einer allumfassenden "Mutterwissenschaft", die sich "mit den Eigenschaften des Meeresgrundes und seiner Grenzzonen, mit dem Meerwasser und des-sen Bewohnern" sowie mit der" Berührungszone zwischen Meer und Atmo-sphäre" befaßt. "Alle diese Bereiche, deren Probleme notwendigerweise · von unterschiedlichen Disziplinen her angegangen werden, sind unterein-ander viel zu sehr verflochten, als daß man sie auseinunterein-anderreißen könnte"

(Lit. Verz. A, SCHLEE1974; 9f.). Die innere Differenzierung einer solchen ozeanegraphischen Einheitswissenschaft oder ''maritimen Allwissenschaft'' wird dann durch die Zusätze "physikalische, geologische, biologische, me-dizinische, theoretische, regionale etc, Ozeanographie" gekennzeichnet.

Diese pragmatische, integrierende Auffassung der Ozeanographie im Sinn von 110cean ScienceS11 umfaßt teilweise auch Aspekte der Meeresnutzung und neuerdings der anthropogenen marinen Verschmutzung.

Dieser allumfassende Sinngehalt von Ozeanographie, der dem vor allem in den Ostblockländern verbreiteten He griff "Ozeanologie" gegenübersteht (vgl. SCIIARNOW 1978) und teilweise auch mit der deutschen 11 Meeres-kunde" im weiteren Sinne korrespondiert, liegt auch den drei bisherigen internationalen Kongressen zur Geschichte der Ozeanographie zugrunde.

Während im Kieler Institut für Meereskunde mit Ausnahme der Meeres-geologie und -geographie alle Zweige der physischen Meeresforschung von der Regionalen und Theoretischen Ozeanographie über die Meeresphysik und -chemie sowie Maritime Meteorologie bis zu den fünf marinen Teil-disziplinen der Biologie noch unter ein und demselben Begriffsdach vereint

sind# nennt sich die entsprechende britische Institution in WormleyfSur-vey wohl nicht ohne Absicht und eindeutiger "Institute of Oceanographic Sciences".

Die vor allem in Europa verbreitete eingeengte Fassung von "Ozeanogra-phie" oder "Meereskunde im engeren Sinn". die auch der ehemaligen geo-graphischen Teildisziplin zugrunde lag, ist in ihrem Verständnis aus-schließlich physikalische Ozeanographie oder Meereskunde (vgl. das Lehr-buch von G, DIETRICH 1957 u. 1 975). Als "Physik des Meeres" ist heute demnach "Ozeanographie ein Zweig der Geophysik und wird als selbstän-dige Wissenschaft anerkannt, vergleichbar mit der Meteorologie (Physik der Atmosphäre} und der Geophysik im engeren Sinn (Physik der Erde)"

(nach A. DEFANT 1961). Dennoch bricht DEFANT als Vorreiter der neuen Richtung nicht alle Brücken zur Geographie ab. Ozeanographie ist nach DEFA NT (1961, XIII) der Wissenschaftszweig, der sich mit den Ozeanen und den darin auftretenden Phänomenen befaßt. Sie ist Teil der Erdwissen-schaften und gehört, soweit sie qualitative Beschreibungen von Phänomenen gibt. zu den geographischen Wissenschaften. Sie (die Ozeanographie) ver-wendet Methoden. die denen der anderen geographischen Wissenschaften im wesentlichen ähnlich sind# und ihr Ziel ist das gleiche wie das der Allgemeinen Geographie: die Klassifikation der verschiedenen Stoff- und Energieeigenschaften des Phänomens in verschiedenen Kategorien und ihre systematischen Wechselbeziehungen mit Hilfe präziser Definitionen. Die Regionale Geographie gruppiert alle räumlich zusammen existierenden und zusammenwirkenden Erscheinungen auf der Basis eines gemeinsamen Verbreitungsgebietes. das größer oder kleiner sein kann. Vom geogra-phischen Standpunkt gibt es daher eine Allgemeine und eine Regionale Ozeanographie# die beide grundsätzlich statistische und beschreibende Methoden anwenden.

Der schnelle Fortschritt der exakten Naturwissenschaften in jüngster Zeit hat zu einem immer schnelleren Wandel von der geographischen zur geo-physikalischen Behandlung der ozeanegraphischen Probleme geführt. Das gab Anlaß zu einer quantitativen Konzeption ozeanegraphischer Phänomene.

Den zweifellos unüblichsten und engsten Sinngehalt hat E, BRUNS (1 958) - im Rahmen seines und des sowjetischen Ozeanologie- oder Meereskunde-Verständnisses als Hydrologie der Ozeane oder Lehre von den Gesetzes-mäßigkeiten der Vorgänge in der ozeanischen Sphäre - der Ozeanographie oder Hydrographie des Meeres zugewiesen. Für ihn ist "Ozeanographie11 nur noch die Seevermessung und -kartographie sowie die hydrographische Beschreibung einzelner Meere und Ozeane nach Umriß und Ausmaßen, Tiefe und Relief. Sie ist demgemäß als Spezialzweig der Geodäsie zu ver-stehen (1958; 8).

Im Grunde hatte G. SCHOTT bereits vor der letzten Jahrhundertwende (1895) diese semantische Unschärfe der Termini "Ozeanographie'' und "Meeres-kunde11 empfunden, als er unter Hinweis auf die gelegentlich gemachte Un-terscheidung zwischen 11Geographie11 und "Erdkunde" - letztere in umfas-senderem Sinn - für den nach seiner Meinung ähnlich allumfassenden

Be-griff 11Meereskunde" bei Gleichsetzung mit "Ozeanographie" den Zusatz

"Physikalische 1'vieereskunde11 vorschlug. So recht SCHOTT mit dieser klärenden Interpretation hatte, - obwohl selten so gehandhabt -, recht unangemessen erscheint der ohne Erläuterung isoliert für sich stehende Satz bei GIERLOFF-EMDE"' (1980; 3): "Meereskunde gilt als umfassen-derer Begriff, Ozeanographie als enger gefaßt11 - eine Formulierung, die in dieser Allgemeingültigkeit keineswegs zutreffend ist.

Neben 110zeanologie11 ~ 110zeanographie11 und "l\-Ieereskunde11 existiert im deutschen Sprachraum spätestens seit Ende des vorigen Jahrhunderts noch ein übergeordneter neutraler Begriff 11Meeresforschung11 Die unendliche Weite und der Charakter des Weltmeeres als 11Mare liberum11 haben, zu-nächst aus den Bedürfnissen der Seeschiffahrt und Seefischerei heraus, schon früh zu internationalen Vereinbarungen (Brüsseler Konferenz 1853), Zusammenschlüssen (Londoner Konferenz für Maritime Meteorologie 1874) und Organisationen (Zentral-Ausschuß für Internationale Meeresforschung ab 1902 in Kopenhagen) zum Zwecke systematischer Grundlagen - wie angewandter Forschung im maritimen Raum geführt. Daraus hat sich eine weltweite und umfassende 11Meeresforschung11 (Oceanic Research) im wei-testen Sinn entwickelt, an der heute eine Vielfalt von wissenschaftlichen Instituten, hydrographisch-ozeanographischen, nautischen und meteoro-logischen Ämtern und Dienste sowie vor allem ein kompliziertes, ver-flochtenes System internationaler Organisationen beteiligt ist (vgl. die Zusammenstellung bei BÖHNECKE/MEYL 1962; 17 -22). Die entsprechen-den Termini für "Meeresforschung11 im angelsächsischen Sprachraum wie

"maritime science", "marine science", "ocean science" oder "science of the sea" sind weniger präzise in ihrer Singularform als die französische Pluralform "Sciences de la mer11

"Meeresforschung" repräsentiert ebensowenig eine einheitliche Sachwis-senschaft, wie es keine allumfassende 11Festlandsforschung" als ganzheit-liche Einzelwissenschaft gibt. Vielmehr liefert die dingganzheit-liche Erfüllung sowohl des gesamtozeanischen wie auch festländischen Raumes der Erde die Forschungsobjekte zahlreicher Wissenschaftsdisziplinen. Deshalb be-deutet es eine neuerliche, zusätzliche sprachliche Verwirrung, wenn - wie in der DFG-Denkschrift "Meeresforschungn immer wieder gesche-hen - 11Meeresforschung" mit "Ozeanographie!! und 11Meereskunde" ver-wechselt oder gleichgesetzt wird,

11I\leeresforschung11 im weitesten Sinne kann nur als eine Kooperation aller am l\Ieeresraum interessierten Sach- und Raumwissenschaften verstanden werden, die sich in wechselseitiger Befruchtung und gegenseitiger Ergän-zung um die Erforschung des Naturhaushaltes des genannten Meeresberei-ches einschließlich der überlagernden Lufthülle und der Bodenunterlage sowie um die Erforschung der menschlichen Nutzungsmöglichkeiten des Weltmeeres bemühen, Durch die zunehmende Teilnahme der Disziplinen Geologie und Geophysik an der Meeresforschung in der Bundesrepublik sowie der Einbindung anwendungsbezogener Fächer hat sich hier allerdings seit der ersten DFG-Denkschrift (BÖI!NECKE/MEYL 1962) ein

grundlegen-der Wandel vollzogen (vgl. Aufgaben grundlegen-der Meeresforschung in den achtziger Jahren, HEMPEL1979). Heute wird mehr die multidisziplinäre Perspek-tive betont, in der durchaus auch ein Platz für die Geographie sein kann und muß.

Sowohl von der historischen Entwicklung der frühen Meereskunde aus geo-graphischem Ursprung wie von der Sache her ist in keiner Weise einzu-sehen, weshalb die heutige Geographie als Wissenschaftsdisziplin nicht innerhalb einer kooperativen Meeresforschung eine aktive Rolle an rich-tiger Stelle und in dem ihr eigenen Disziplinverständnis spielen soll.

Schließlich ist die sogenannte 11 geographische11 oder nach SCHMITHÜSEN neuerdings "geosphärische11 Substanz in der Vielfältigkeit der 11 geographi-schen Erscheinungen11 nicht an das feste Land gebunden, noch endet sie an den Küsten, sondern setzt sich prinzipiell im maritimen Bereich fort, wenn auch in z. T. anderen Erscheinungsformen und einer gegenüber den Festländern sozusagen umgekehrten vertikalen Schichtung, sieht man vom

11Luftmeer" (HUMBOLDT 1845) ab. Das Relief und der Untergrund der festen Erdkruste liegt dagegen im ozeanischen Raum der Erde unterge-taucht an der Untergrenze eines stellenweise bis über 11 000 m mächtigen Wasserkörpers, der sich im Gegensatz zum festen Land in ständiger

inne-rer wie oberflächennaher Bewegung durch Austauschvorgänge befindet.

Ebenso ist auch die marine Biosphäre, abgesehen von der Vogelwelt, ein-getaucht ins Meer und erfüllt, obwohl bis in größte Meerestiefen existent, in der Masse subaquatisch den Raum der durchleuchteten oberen 2 00 m -Schicht des Weltmeeres, allerdings wie auf den Festländern in räumlich

sehr unterschiedlicher Artenentfaltung und Lebensdichte.

Geht man ferner davon aus, daß das Weltmeer geographisch gesehen nicht ausschließlich nur als Teil der Hydrosphäre betrachtet werden darf, wie berechtigterweise sowohl aus der Sicht der modernen Ozeanographie als auch der Meereskunde alter Prägung als Teil der Physikalischen Geogra-phie, sondern daß das Weltmeer in erster Linie ein wesentlicher Teil der Erdoberfläche ist, dann gehören auch die wie auf dem Lande regional sehr differenzierten Möglichkeiten der Meeresnutzung (als Gegenstück zur Land-nutzung), die über die Ozeane und Meere hinweg die Küsten und Erdteile verbindenden Verkehrs- und Handelswege und -einrichtungen sowie die Völker und Kulturen prägende Kraft des Weltmeeres und ihre Erscheinungs-formen zur 11 maritimen geographischen Substanz11 Sie erfordert von der wissenschaftlichen Geographie eine der festländischen gleichrangige und gleichwertige geographische Behandlung der Meere, Wer das unbestreit-bare Faktum der 11 geosphärischen" Einheit von Weltmeer und Festländern anerkennt, kommt nicht umhin, auch eine "Geographie des Meeres'' zu akzeptieren.

Die vielfältigen Aufgaben der Geographie im maritimen Bereich und die Wiederbelebung und Intensivierung ihrer Bearbeitung ließen sich natürlich im Rahmen des traditionellen Systems und Lehrgebäudes des Faches Geo-graphie durchführen, und zwar durch eine bewußte Ausweitung des Blickes über die Festlandsränder hinaus auf die Meere, was in manchen

geographi-sehen Teildisziplinen ja schon seit längerem, in allerdings sehr unter-schiedlichem Umfang geschieht. Aus mancherlei Gründen erscheint es jedoch nützlich und ratsam, die Aufgabenstellung der Geographie im mari-timen Bereich in einen bewußt der festländischen Geographie gegenüber-zustellenden "Geographie des Meeres11 oder 11Maritimen Geographie" zu konzentrieren.

Dieser letztgenannte Terminus ist nach seiner frühen Prägung als 11 Mari-time Geography" durch den Engländer J.K. TUCKEY (1815) in Deutsch-land erstmals 1892 von E. GELCICH in einem als 11Beitrag zur Geschichte der Maritimen Geographie11 veröffentlichten Aufsatz über die "Geschichte der oceanischen Schiffahrtsregeln und Segelhandbücher" verwendet wor-den, womit hier - wie auch schon bei TUCKEY - zwar ohne nähere Er-läuterung - eine Art "Seefahrtsgeographie" gemeint war, 1964 hat dann Kll. PAFFEN den Begriff 11Maritime Geographien in Analogie zur "Mari-timen l\1eteorologie11 (damals in Unkenntnis bereits früheren Anwendung), allerdings in einem wesentlich umfassenderen Sinne, wieder in die Dis-kussion eingeführt, nachdem er 1962 (in BÖHNECKE/MEYL, Denkschrift

"1\leeresforschung"; 57ff.) noch von 11

Mariner Geographie11 gesprochen hatte. Zwar ist dieser Terminus im internationalen Sprachgebrauch eben-so verwendbar und in Anwendung - eben-so neuerdings vor allem in der Sowjet-union und auch teilweise in den USA -; für den deutschen Sprachgebrauch scheint er jedoch wegen einer gewissen Mehrdeutigkeit in Form von "Ma-rinegeographie11 im Sinne von 11

Seefahrtsgeographie11 weniger empfehlens-wert zu sein. Gegenüber dem Begriff 11Geographie des Meeres11 besitzt der Terminus "Maritime Geographie11 den Vorteil einer einfacheren ad-jektivischen Verwendung in Form von 11maritim-geographisch". Dasselbe gilt übrigens auch für die terminologisch gleichfalls mögliche Form "Mee-resgeographie" bzw. 11meeresgeographisch", die eine adäquate Begriffs-bildung zur 111\-leereschemie11 und 11Meeresgeologie" darstellt und sicher-lich mindestens die gleiche Existenzberechtigung wie eine 11Almgeographie"

besitzen sollte. PAFFENs Benennungsvorschlag setzte sich eigentlich nur im angelsächsischen Bereich stärker durch (FALICK 1966, COUPER 1978a), da der Begriff "maritim11 dort eine wesentlich breitere Verwendung findet (vgl. BARSTON/BIRNIE 1980: 11The 1'v1aritime Dimension" u.a.). In Deutsch-land setzte sich Ende der 70er Jahre - und dies braucht nicht bedauert zu werden - der Begriff 11Geographie des Meeres11

durch.

~lit der Begriffsbildung "Maritime Geographie11, die 1966 auch in Groß-britannien (FALICK u, a,) wieder in Gebrauch gekommen ist, soll hier keine eigene geographische Teildisziplin für diesen Bereich unseres Pla-neten ins Leben gerufen werden. Vielmehr sollen damit nur der so stark abweichende und andersgeartete Charakter der Erscheinungsformen des Weltmeeres sowie die daraus resultierenden spezifischen Fragestellungen und z. T. auch andersartige Forschungsmethoden herausgestellt und unter-strichen werden. Dieser wird man unter dem Gesamtaspekt einer 11 Geo-graphie des Meeres11 besser, beziehungsreicher und umfassender gerecht werden können, als dies in der Zerstreuung und Aufteilung auf die bisheri-gen, inzwischen vorwiegend festländisch orientierten herkömmlichen

Teil-gebiete der Geographie geschehen würde. Diese zusammenfassende Sicht wird etwa auch in dem sich neuerdings stärker formierenden Arbeitsbe-reich "Geographie der Hochgebirge" sichtbar. Bei der betonten Propa-gicrung einer "Geographie des l\·leeres" oder "Maritimen Geographie'' sollte man auch das psychologische Moment nicht übersehen, das - von der Existenz und zunehmender Verwendung eines solchen Begriffes aus-gehend - in der Aufforderung zur geographisch-wissenschaftlichen Aus-einandersetzung mit dem Meer liegen kann.

Einer solchen Aufgabe wird die Geographie am ehesten und nachdrücklich-sten durch eine systematische Intensivierung der meeresgeographischen Forschung und Konzentration aller sie betreffenden Fragestellungen in einer einheitlich ausgerichteten "Maritimen Geographie'' oder "Geographie des Meeresn gerecht werden können. Nur so dürfte die Geographie in der Lage sein, die Entwicklung der Erdkunde zu einer überwiegenden Fest-landswissenschart zu überwinden und damit die globale Festländer wie Ozeane gleichermaßen umschließende gesamtirdische Einheit für die Geo-graphie zu wahren.

Dank ihrer spezifischen, auf regionale Zusammenschau aller Erscheinun-gen gerichteten, raumgliedernden, raumvergleichenden und neuerdings

"raumwissenschaftlichen" Betrachtungsweise könnte die wissenschaftliche Geographie eine vermittelnde und verbindende Stellung zwischen den an der Meeresforschung beteiligten Wissenschaften einnehmen, zumal bei letzteren die immer stärkere Spezialisierung ganz offensichtlich die ge-nau gegenteilige Tendenz einer zunehmenden sachwissenschaftliehen Zer-splitterung und des Auseinanderstrebeng zur Folge hat. In diesem Zusam-menhang sei nur verwiesen auf die geographisch mißlungene 11 Meeres-kunde der Ostseen von MAGAARD/RHEII\!'1-IEIMER 1974 als auseinander-strebende Sammlung von Einzelbeiträgen, die nur auf eine kurze Einfüh-rung von DIETRICH sowie einen ökologisch-systemtheoretischen Aufsatz von SCHWENKE zusammengehalten werden (vgl. dagegen die geographisch-problemorientierte Schrift von HUPFER 1979). Hier könnte die Geographie als Erdraumwissenschaft in einem wohlverstandenen Sinn - dies sei ohne Anmaßung gesagt - sogar eine integrierende Aufgabe zukommen, sofern sie sich ihrer in gleichem Maße drängenden wie fordernden Aufgaben im maritimen Bereich bewußt wird.

Eine "Geographie des Meeres11 kann trotz des der ganzen Natur nach gegen-über dem festen Land so abweichenden Aggregatzustandes des l\·1eeres wis-senschaftstheoretisch nur dem gleichen geographisch-methodologischen Betrachtungssystem unterliegen wie die 11Geographie des festen Landes".

Der zentrale Forschungsgegenstand der Meeresgeographie ist nicht das Meerwasser als solches in seiner physikalisch-chemischen Beschaffenheit und Dynamik, sind nicht die Meeresorganismen und -ressourcen, sondern vielmehr wie auf den Kontinenten die Landschaften oder geosphärischen Räume. Diese chorologische, später auch geoökologische Grundauffassung der Geographie - nicht im Sinne einer nur beziehungswissenschaftlichen Verknüpfung von Fakten und Faktoren der benachbarten Sachwissenscharten

oder gar bloßer Verbreitungslehre von Erscheinungen der flüssigen und festen Erdoberfläche - hat sich im Prinzip seit VARENIUS (1650). durch F. v. RICHTHOFEN (1883) modernisiert und präzisiert, nicht verändert;

gewandelt haben sich nur die Methoden zum Erkennen, Erfassen und Dar-stellen solcher Raumeinheiten sowie ihre Benennung.

Wenn GIERLOFF-EMDEN (1980; V u. 2) nun ähnlich wie schon KING 1962 mit Bezug auf seine 11Geographie des Meeres11 dem Fach Geographie in der Lehre lediglich 11die Aufgabe des Transfers von Sachverhalten der Erdwissenschaften" zuweist, so spricht daraus zumindest eine sehr ein-seitige, verengte und mißverständliche Sicht der Aufgabenstellung einer

"Geographie des Meeres11 und der Geographie überhaupt. Diese kann ein-mal beinhalten, ozeanegraphische Sachverhalte Geographen verständlich zu vermitteln, so wie an Universitäten geologische Lehrveranstaltungen für Landwirte und Geographen, Chemie und Physik für Mediziner u. ä. m.

geboten werden. Es kann aber auch im Sinne einer geographischen Pro-pädeutik bedeuten, 11 nach den Richtlinien der geographischen Methodik die Ergebnisse der Nachbarwissenschaften für die Verwendung in den ver-schiedenen Arbeitsbereichen der Geographie aufzubereiten". Es gibt übri-gens zahlreiche Beispiele dafür, daß dies die Meereskundler selbst oft besser können (DIETRICH 1970 u. a.). t)

In diesem Sinne "Geographie des Meeres" nur als Aufbereitung ozeanegra-phischer Sachverhalte - und sei es auch im umfassenden Verständnis von Meereskunde - für die geographische Anwendbarkeit zu begreifen, er-scheint jedoch, so notwendig eine solche auf der untersten Stufe geogra-phischer Arbeits- und Denkprozesse rangierende "Geofaktorenlehre" auch ist, als erheblich zu wenig. Vielmehr muß, hinaus aufbauend, erst die eigentliche geographisch-choralogische Betrachtungsweise beginnen und sich in fortschreitenden Integrationsstufen von einfachen zu immer kom-plexeren Erdraumeinheiten und -inhalten entfalten1

Ein sehr aktueller wissenschaftstheoretischer Ansatz geographischer Denk-und Arbeitsweise ist das auch von II. UHLIG (1970) in seinem "Organisa-tionsplan und System der Geographie" zugrundegelegte Konzept des Öko-systems Mensch/Erde, das von den führenden amerikanischen Geographen E.A. ACKERMANN und B.J. L. BERRY 1963/64 einmal als "the complex worldwide man - earth ecosystem, of which man is the dominant part"

gewürdigt wurde (UI!LIG 1970; 20).

Diese Konzeption, die im Grunde auch dem während der 70er Jahre ange-laufenen, großen UNESCO-Forschungsprogramm ''l\.-tan and the Biosphere11 zugrundeliegt, kommt dem modernen Umwelt-Gedanken sehr entgegen.

Sie erscheint uns jedoch, wie auch der vieldeutige Umwelt- ('Environment11) Begriff selbst. zu wenig fachspezifisch, weil einerseits zu umfangreich

1}Es folgen bis zum Ende vonAbschnitt 3.1. textlich unverändert die letz-ten zwei Manuskriptseiletz-ten, die KII. PAFFEN wenige Tage vor seinem Tode 1983 in Merzhausen schrieb.

und die Grenzen der Geographie sprengend, andererseits in ihrer aus·

schließlich ökologischen Orientierung zu einseitig für eine ganzheitlich-geographische Raumbetrachtung, vor allem bei der auch im ozeanischen Bereich notwendigen Berücksichtigung sozioökonomischer Kräftefelder die außerhalb des naturwissenschaftlich-ökologischen Komplexes liegen, Leider bleibt in GIERLOFF -EMDENs "Geographie des Meeres", die sich nach ihm "mit den Ozeanen und Küsten als Umwelt" zu befassen hat, (1980; V u. 6) dieser Umwelt-Bezug etwa als Leitgedanke oder metho-disches Grundkonzept der Gesamtdarstellung begrifflich wie konzeptionell ungeklärt und ohne durchgehende Konsequenz. Selbst bei dem hierfür doch geradezu prädestinierten Kapitel über die "Verschmutzung des Meeres"

(S, 740-763) vermißt man im Grunde den eigentlichen geographischen

(S, 740-763) vermißt man im Grunde den eigentlichen geographischen

Im Dokument Geographie Meeres (Seite 192-200)