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GRUNDSÄTZLICHE VORBEMERKUNGEN

Im Dokument Geographie Meeres (Seite 23-27)

II. DAS WISSENSCHAFTLICHE VERHÄLTNIS DER GEOGRAPHIE ZUM MEER IN DIZIPLINGESCHICHTLICHER RÜCKSCHAU

1. Zur Frage einer Diziplingesdl.idl.te der Meereskunde

1.1. GRUNDSÄTZLICHE VORBEMERKUNGEN

Es kann und soll in diesem Kapitel nicht um eine Universalgeschichte der Erforschung des Meeres gehen - ein Unterfangen, an dem jüngst erst wie-der wie-der Versuch GIERLOFF-EMDENs (1980) gescheitert ist, ja scheitern mußte. Denn so wie es keine Geschichte der wissenschaftlichen Erfor-schung des festen Landes schlechthin gibt, kann es eine solche als einheit-liche Disziplingeschichte auch für den mit Meerwasser bedeckten viel größeren Teil der Erde nicht geben. Das zeigte sich ganz eklatant beim ersten internationalen Kongreß für Geschichte der Ozeanographie, der 1966 in dem 1910 vom Prinzen von Monaco, ALBERT I., gegründeten Ozeanegraphischen Museum in Monte Carlo unter Beteiligung von 185 Wis-senschaftlern stattfand, darunter neben führenden O?eanographen und Meeresbiologen, Geologen und Meteorologen, Fischereifachleuten und Ma-rinevertretern sowie Wissenschaftshistorikern und -journalisten nur ein einziger Geograph: der US-Amerikaner J. LEIGHLY (Inst. Oceanogr.

de Monaco 1968). Die deutsche Delegation war zahlenmäßig sehr schwach und bestand aus Georg WÜST als einzigem Vertreter der deutschen Ozeano-graphie, zwei Wissenschaftshistorikern und einem Marinekorrespondenten, während die beiden DDR-Vertreter, M. MATTHÄUS und G. SAGER vom Institut für Meereskunde in Warnemünde, ihre Beiträge in absentia ver-lesen lassen mußten. Insgesamt wurden hier in den Verhandlungen der sieben Abteilungen für Allgemeine, Regionale, Physikalische, Biologische und Medizinische Ozeanographie sowie für Nautische Kartographie und Große Expeditionen erstmalig in sehr konzentrierter Form außerordent-lich reiche und vielfältige Materialien zur Geschichte der Meeresforschung von der Antike bis zur jüngsten Vergangenheit zusammengetragen. Aber auch der Schlußbeitrag des amerikanischen Historikers H. L. BURSTYN über "The Historian of Science and Oceanography" machte im Grunde unaus-gesprochen deutlich, daß es keine einheitliche Disziplingeschichte der Ozeanographie gibt. Gleichwohl hat sich inzwischen aus dem Beginn in Monaco im Rahmen der Union Internationale d1 Histoire et de Philosophie des Seiences (UJHPS) ein Centre International d• Histoire de 1' Oceano-graphie entwickelt. 1972 fand in Edinburgh zur hundertjährigen Erinne-rung an die "CHALLENGER" -Expedition der zweite Kongreß für Geschich-te der Ozeanographie statt (Royal Society of Edinburgh 1972) und 1980 schließlich in Woods Hole /USA der dritte (SEARS and MERRIMAN 198 O).

Die deutsche Beteiligung an beiden Kongressen war im krassen Gegen-satz zum internationalen Rang und Anteil der deutschen Meeresforschung jedesmal minimal. Man überläßt es hier offensichtlich lieber Amerikanern und Briten, historische Reflexionen über die Zoologische Station Neapel,

die deutsche Plankton-Expedition 1889 und die Copepoden-Studien F. und M. DAHLs, über die Theorien August PÜTTERs oder die deutsche "Me-teor'' -Expedition 192 5-2 7 anzustellen.

Eine Wissenschaftsgeschichte der Ozeanographie kann es, wenn überhaupt, nur in einem ganz bestimmten und eingeschränkten Sinn geben, nicht aber, wenn man - wie auf jenen Kongressen geschehen - Ozeanographie allum-fassend als Meeresforschung versteht. Dafür sind im ozeanischen Bereich - ebenso wie im festländischen Raum - zu viele Einzelwissenschaften an der Lösung der wissenschaftlichen Probleme beteiligt. So ist die physika-lische Ozeanographie zunächst einmal eingebettet in die Disziplingeschich-te der Physik und im weiDisziplingeschich-teren der exakDisziplingeschich-ten NaturwissenschafDisziplingeschich-ten, ebenso aber auch in die Entwicklungsgeschichte der instrumentellen Technologie einschließlich der modernen Computertechnik, während die biologische Ozeanographie, ebenso technologieabhängig, disziplinhistorisch in erster Linie ein Teilaspekt der Wissenschaftsgeschichte der marinen Biologie ist, mit der sich 1963 ein "internationales Colloquium über die Geschichte der marinen Biologie" eingehend beschäftigte (Laboratoire Arago 1965). Ent-sprechendes gilt für eine disziplingeschichtliche Betrachtung der medizi-nischen Ozeanographie oder marinen Medizin, für die maritime Meteoro-logie ebenso wie für die MeeresgeoMeteoro-logie, deren Geschichte M. PFANNEN-STIEL (1970) eine längere Darstellung unter dem Titel "Das Meer in der Geschichte der Geologie" gewidmet hat.

Es erscheint daher nur zu berechtigt, ja sogar dringend notwendig, gleich-falls einmal das Verhältnis der neuzeitlichen wissenschaftlichen Geographie zum Meer zu klären sowie ihre Leistungen und ihren Anteil an der Erfor-schung des Meeres herauszustellen. Nur darum kann und soll es hier in dieser ideengeschichtlichen und methodologischen Betrachtung über die Geographie des Meeres gehen.

Dabei muß tunliehst unterschieden werden zwischen der marinen Entdek-kungsgeschichte und der der Erforschung des ozeanischen Raumes, auch wenn beides nicht immer scharf zu trennen ist, weil erstere vielfach erst die Voraussetzung schuf für eine Meeresforschung und weil Entdeckung und Forschung im ausgehenden Entdeckungszeitalter bisweilen Hand in Hand gingen. Zur Frage "Entdeckungsgeschichte und geographische Disziplin-historie" hat sich H. BECK (1955) ausführlich geäußert. Hier sollen jedoch die marinen Entdeckungsreisen, vor allem des 15. bis 17. Jahrhunderts, die teils unbeabsichtigt, teils mit erklärtem Ziel die Entschleierung unseres Erdbildes besonders hinsichtlich der Verteilung von Land und Wasser so-wie der Küstenkonfiguration gewaltig vorantrieben, trotz der damit ver-bundenen außerordentlichen Erweiterung unseres geographischen Horizon-tes außer Betracht bleiben. Im Vordergrund soll hier vielmehr stehen die disziplingeschichtliche Entwicklung unserer Kenntnisse und Erkenntnisse über die Natur des Geosystems Weltmeer in ihren Wandlungen von

vorwis-senschaftliehen Ideen und Theorien zu den im Laufe der Zeit empirisch überprüften, sei es verworfenen, sei es gesichertem Einsichten. Eine unter solchen Gesichtspunkten betriebene Geschichte der Kunde vom Meer muß als ein legitimer integraler Bestandteil der geographischen

Ideen-und Disziplingeschichte angesehen werden, auch wenn die Ozeanographie sich zu einer heute mehr der Geophysik im weitesten Sinne zugehörigen selbständigen Wissenschaft entwickelt hat. Es kommt hinzu, daß insbe-sondere die deutsche Ozeanographie bei ihrer stürmischen Weiterentwick-lung in den vergangeneo Jahrzehnten und ob der Fülle und Komplexität aktueller Forschungsvorhaben weder Muße zur Selbst- und Rückbesinnung auf ihren Ursprung noch die Zeit zur Verarbeitung der eigenen Disziplin-geschichte im Sinne ideengeschichtlicher Zusammenhänge gefunden zu ha-ben scheint. Auf der anderen Seite darf die wissenschaftliche Geographie,

jedenfalls· in Deutschland, für sich das Primat in Anspruch nehmen, diese Aufgabe zumindest für die Frühzeit der Meereskunde zu ihrer eigenen Sa-che zu maSa-chen. Denn noch bis in die 1920er Jahre war hier das Meer wis-senschaftliches Betätigungsfeld der Geographie und Meereskunde wissen-schaftssystematisch als geographische Teildisziplin aufs engste mit ihr verbunden (vgl. später). Hinzu kommt, daß die Geographie, die als Wissen-schaftsdisziplin ihre Ursprünge bis in die Antike zurückverfolgen kann,seit dem ausgehenden Mittelalter zwar immer präsent und durch bedeutende Persönlichkeiten wie Sebastian MÜNSTER, Berhhard VARENIUS, Arnold BÜSCHING, Immanuel KANT und Alexander von HUMBOLDT repräsen-tiert war, sich aber erst im Laufe des 19. Jahrhunderts endgültig als selbständige Universitätswissenschaft etablieren konnte. Vorher wurde sie von einer Vielzahl wissenschaftlich arbeitender Persönlichkeiten von unterschiedlichster akademischer Provenienz betrieben und gelehrt, von Medizinern, Mathematikern und Naturforschern im weitesten Sinn über Juristen und Kameralisten bis hin zu Theologen und Philosophen. Daher ist für die Zeit vor dem 19. Jh., in der die Wissenschaften noch wenig differenziert und spezialisiert und systematisch unscharf abgegrenzt wa-ren, die Zuordnung ideengeschichtlicher Innovationen und Einordnung wis-senschaftlicher Leistungen in disziplinhistorische Zusammenhänge nicht immer einfach und eindeutig. Das gilt auch für den Gesamtbereich der so außerordentlich komplexen Meeresforschung. Insofern nimmt die frühe Meereskunde allgemein teil an der geistesgeschichtlichen Gesamtentwick-lung naturwissenschaftlichen Denkens der Neuzeit, und auch in der Her-ausbildung bestimmter Vorstellungen von der Natur der Ozeane und der in ihnen ablaufenden Vorgänge reicht die Spanne von frühesten, antik beein-flußten Spekulationen über idealistische Theoriensätze zu ersten empirisch fundierten Erkenntnissen im 18. und 19. Jahrhundert.

Noch ein weiteres muß bei der hier anstehenden Betrachtung über die Ideen- und Disziplingeschichte der Meereskunde berücksichtigt werden:

Dies sind die oft sehr verschiedenartigen Ursprünge und Motivationen und die daraus resultierenden unterschiedlichen Entwicklungen der Meeres-forschung bei den an ihr beteiligten Nationen. Das hat bei den bisher vor-liegenden Ansätzen einer ideengeschichtlichen Aufarbeitung der Meeres-forschung in Monographien oder einleitenden Kapiteln der ozeanographi-schen Fachliteratur zu einer teils zu umfassenden, teils aber auch zu ein-seitiger Sichtweise und ganz besonders zur nationalen Herausstellung der jeweils eigenen Pionierleistungen geführt.

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Jüngstes Beispiel hierfür sind die modernen Darstellungen der Geschichte der Meeresforschung durch Margaret DEACON (1971) aus britischer und von Susan SCHLEE (1973, deutsche Ausgabe 1974) aus US-amerikanischer Sicht, wobei unbestritten sein soll, daß gerade die angelsächsischen Län-der auf eine stolze Tradition in Seefahrt und Meeresforschung zurückblicken können. Daß bei ihrer geschichtlichen Behandlung aber leider die deutsch-sprachigen Anteile und Beiträge zur Meeresforschung häufig erheblich zu kurz kommen, hat außer den sprachlichen Gründen noch viel tiefer liegen-de Ursachen, die in einer grundsätzlich unterschiedlichen Einstellung zum Meer und im Umgang mit demselben sowie in der verschieden gelagerten Motivation zur E19forschung des Meeres zu suchen sind.

Das kommt sehr eindringlich in dem kurzen Nachruf L. MECKINGs auf Otto KRÜMMEL (1854-1912), den langjährigen Kieler Ordinarius für Geo-graphie (1883 -191 O) und Begründer der geographischen Meereskunde in Deutschland, sowie John MURRA Y (1841-1914), führendes Mitglied der be-rühmten britischen 11 Challenger" -Expedition (1872 /76) und später Heraus-geber des "Challenger"-Reports, zum Ausdruck: 11 Zwei Heroen unserer Wissenschaft sind inzwischen dahingegangen, 0. KRÜMMEL und J. MURRAY.

So verschieden in ihrem Leben und Wirken, dankt ihnen beiden die Wissen-schaft Grundlegendes: MUR RA Y zeitlebens ein frei sich betätigender Pri-vatmann, KR ÜMMEL das Musterbild eines mit seinem Amt als deutscher Universitätslehrer verbundenen, unermüdlichen Forschers; jener bis zum Ende ein Praktiker und Förderer der praktischen Meeresforschung, dieser bei steter Berührung mit der Praxis doch vor allem der große Theoreti-ker, der das Gesamtgebiet meisterhaft geistig zu durchdringen und die Rohmaterialien klar und organisch zu formen vermochte zu einem Lehr-buch, wie es keine andere Sprache aufzuweisen hat, ein wahrer Führer unserer Wissenschaft" (MECKING 1920; 3). Für die Periode der großen astronomischen und physikalischen Erdmessungen zwischen 167 0 und 177 0 wies 0. PESCHEL in seiner "Geschichte der Erdkunde" (1865; XIII) darauf hin: 11 Überall, wo es etwas zu messen gab, haben wir die Franzosen zu-verlässig in erster Reihe gefunden; überall, wo es galt, durch Vergleiche der angehäuften Messungen zu höheren Wahrheiten und Gesetzen sich zu erheben, begegnen wir meistens den Deutschen". - In ähnlicher Weise hat 18 90 der französische Geograph L. GA LLOIS, ein unverfänglicher, außer-halb jeder deutsehrrationalen Verdächtigung stehender Autor, in einem Bei-trag über "Les geographes allemands de la Renaissance" geäußert, daß den Spaniern und Portugiesen während der Renaissance-Zeit zwar viele große Entdeckungen gelangen, es aber die deutschen Geographen dieser Epoche waren, die sich methodisch am stärksten des neuen Wissens be-mächtigten (zit. nach H. BECK 1955; 198). So stößt man in der Neuzeit wie in vielen anderen Bereichen auch in der Meeresforschung allenthalben auf den Gegensatz zwischen kontinental-europäischem wissenschaftlichen Denken mit einem stark spekulativ-theoretisierenden Grundzug und der angelsächsischen Pragmatik mit überwiegend praktisch-empirischen Denk-ansätzen.

Trotz der fruchtbaren Wechselbeziehungen zwischen beiden erscheint es uns aber berechtigt, zusätzlich zu der sachlichen Einschränkung unserer disziplingeschichtlichen Analyse auf den maritim-geographischen Aspekt auch eine räumliche Begrenzung im wesentlichen auf Mitteleuropa vorzu-nehmen, d. h. auf den wissenschaftlichen Anteil an der Meeresforschung aus dem deutschen Sprach- und Kulturraum, der auch die frühere

öster-reichisch-ungarische Monarchie mit ihren bedeutenden Beiträgen zur frü-hen Meeresforschung mit einschließt. Denn leider ist bislang die etwa bis 1870 zu datierende "Frühgeschichte" der Meeresforschung für diesen mit-teleuropäischen Raum nie als ein lohnendes Forschungsfeld im größeren Ideenzusammenhang dargestellt worden, obwohl gerade die Versuche der systematisierenden Gesamtschau des Weltmeeres im Rahmen großer phy-sischer Naturgemäldeentwürfe ein aufgrund der spezifischen geistesge-schichtlichen Entwicklung charakteristischer deutschsprachiger Beitrag sind, der sich besonders in Theorieentwicklung und Systemzusammen-schau sowie in teils großartigen Versuchen der Gesamtdarstellung, physi-schen Weltbeschreibungen und hydrographiphysi-schen Handbücher niederschlug.

Dabei sollen jedoch die internationalen Querverbindungen keineswegs außer acht gelassen werden, zumal gerade die Meeresforschung infolge der Wei-te, Offenheit und Freiheit der Meere von früh an schon immer einen star-ken Zug zur Internationalität besaß, ganz besonders seit dem ersten inter-nationalen Kongreß für meteorologisch-hydrographische Zusammenarbeit auf den Meeren 1853 in Brüssel.

1.2. ENTWICKLUNG UND STAND DER

Im Dokument Geographie Meeres (Seite 23-27)