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Poststrukturalistische Erkenntnisse: der Diskurs um

Einen anderen Zugang zur Frage, wie die Vergeschlechtlichung von Stu-dien(fach)wahlen nachzuvollziehen ist, wählen poststrukturalistische und dis-kursanalytische Ansätze im Anschluss an Foucault (etwa 1981) und Butler (insbesondere 1991). Im Butlerschen Sinne ist Geschlecht das Produkt von Diskursen als „geschichtlich spezifische Organisationsformen der Sprache“ und (geschlechtliche) Identität lässt sich als „Bezeichnungspraxis“ fassen (ebd.: 212).

Mit diesem um die Bedeutung von Sprache zentrierten Geschlechterverständ-nis hebt sich dieser theoretische Ansatz von den bisher vorgestellten – etwa sozialpsychologischen und biografietheoretischen Zugängen – ab.

In poststrukturalistischen Untersuchungen zu Studien- und Berufswahlen wird danach gefragt, welche „normativen Orientierungsmuster“ in den Prozessen von Berufswahl und Lebensplanung und in den damit verknüpften „geschlechtlich-beruflichen Identitätskonstruktionen“ der Subjekte bedeutsam sind (Micus-Loos et al. 2016: 1). Zu nennen sind hier insbesondere die Erkenntnisse aus dem Projekt „AN[N]O 2015“ (ebd.; Schmeck 2019), in dem technische Berufswah-len von jungen Frauen beforscht wurden. Dazu wurden 23 Gruppendiskussio-nen mit je 5–9 Gymnasialschüler*inGruppendiskussio-nen zwischen 14 und 16 und zwischen 17 und 19 Jahren geführt und mit der Dokumentarischen Methode (etwa Bohnsack/Nentwig-Gesemann/Nohl 2013) ausgewertet. Die Gruppen waren teil-weise geschlechtshomogen und teilteil-weise geschlechtsheterogen besetzt. Im Gegen-satz zu Untersuchungen mit bspw. biografisch-narrativen Interviews geht es hier also nicht um „unbewusste Strukturen oder individuelle Lebensgeschichten“, son-dern um die „kollektiven Sinn- und Orientierungsmuster“ der Schüler*innen (Micus-Loos et al. 2016: 72). Die Autor*innen interessieren dabei die „Pro-zesse der Hervorbringung von Geschlecht als binär codierte Identitätskategorie, wobei Technik bzw. Technikkompetenz als Moment der Differenzierung in den Fokus gerückt wird“ (Schmeck 2019: 121). Sie fragen danach, wie die „Kategorie Geschlecht“ (ebd.: 122) von den Schüler*innen vor dem Hintergrund der kulturel-len Geschlechterdichotomie22relevant gemacht wird und welche (geschlechtlich codierten) Vorstellungen die Befragten von Technikberufen haben. Dem post-strukturalistischen Verständnis folgend greift etwa Schmeck „geschlechtliche Positionierungen als Ausdruck der Verhandlung anerkennbarer Subjektivitäten im Schnittfeld kultureller Geschlechternormen und hegemonialer Technikbilder, die sich in den alltagsweltlichen Erzählungen und (Selbst-)Darstellungen der beforschten jungen Frauen (und Männer) im Rahmen der Gruppendiskussionen dokumentieren und mit der Produktion von Ein- und Ausschlüssen einhergehen“

(Schmeck 2019: 377).

Allgemein stellt Schmeck so fest, dass die beruflichen Orientierungen der Schüler*innen vor derDeutungsfolie normativer Vorstellungen von Technik und Geschlecht erfolgen: Diese gehen den Entwicklungen beruflicher Interessen und des fachbezogenen Selbstkonzeptes voraus und müssen von jungen Frauen in

22Während sich der Begriff der ‚Geschlechterbinarität‘ ausschließlich auf das zweiteilige Klassifik-ationsverfahren bezieht, verweist der Begriff der ‚Geschlechterdichotomie‘ noch zusätzlich auf dessen polare, gegensätzliche Konstruktion.

ihr Selbstbild integriert bzw. mit diesem in Einklang gebracht werden (Schmeck 2019: 369 ff.).

Dabei gebe es jedoch kein einheitliches Berufsbild von ‚Technik‘ und die Wahrnehmungsweisen der Schüler*innen unterscheiden sich je nach Kontext, Kenntnisständen, Bezugshintergründen usw. von stark vereinfachten bis zu sehr differenzierten Ansichten. Es herrscht bei einigen Befragten erstens ein „re-duktionistisches Berufsverständnis“ (Schmeck 2019: 370) vor, innerhalb dessen technische Berufstätigkeit mit monotoner Computerarbeit gleichgesetzt werde.

In anderen Fällen wiederum finden sich zweitens „diskursive Distinktionsprak-tiken entlang der Differenzmarkierung technischer Kompetenz“, die in dieser Wahrnehmungsweise mit der Konstruktion autodidaktischer (i. d. R. männlicher, weißer) „Technik-Freaks“ und der Abgrenzung von denselben einhergeht (ebd.:

370 f.). Des Weiteren verorten die Schüler*innen drittens Technikberufe jenseits des Sozialen und im Kontrast zu Berufen, die ‚mit Menschen‘ zu tun haben. In dieser Deutung bildet sich außerdem eine Verknüpfung von Technik mit Männ-lichkeit ab sowie eine weibliche Konnotation des Sozialen. Der kulturell geformte Ausschluss des Sozialen aus dem technischen Berufsfeld lässt sich damit als

„implizite Vergeschlechtlichung des Feldes“ (ebd.: 373) fassen. Und schließlich nehmen die Schüler*innen viertens Technikberufe als Symbol von Innovation und Fortschritt wahr, schreiben ihnen Schöpfungskraft zu und schätzen ein technisches Studium als besonders anspruchsvoll ein (ebd.: 370–376).

In diesem Verhandlungsgeschehen im ‚Diskursfeld Technik‘ werden Mäd-chen verletzende Adressierungen zugemutet, in denen sie – einer dem Feld23 inhärenten androzentrischen Anerkennungslogik folgend – etwa als technisch-defizitär angerufen werden, was beispielsweise vom Schulunterricht berichtet wird. Zudem seien die Mädchen mit unterschiedlichen, sich teils widerspre-chenden Anforderungen an ihre Identitätsentwürfe konfrontiert. Besonders das sozialisatorische Erfahren von Geschlechterwissen im Elternhaus gibt hier einen entscheidenden Rahmen für das implizite Orientierungswissen über ‚legitime Weiblichkeit‘. Allerdings stellt Schmeck auch Möglichkeitsräume für alternative Identitätsentwürfe fest: So beobachtet sie ein „diskursives Ringen um Anerken-nung“, das beispielsweise mit der Aneignung von männlich codierten Symbolen (wie einem Motorrad) oder der Identifikation mit männlichen Bezugspersonen

23Schmeck benutzt den Feld-Begriff erstens im Bourdieuschen Sinne und fasst damit die soziale Dimension von technischen Berufen, die durch spezifische Anerkennungs- und Legitimationsstrukturen geprägt sind. Davon differenziert sie zweitens den Foucaultschen Begriff des Diskursfeldes, der für ihre Arbeit ebenfalls einen Bezugspunkt bildet und der auf die regelhafte Hervorbringung von Subjektivität entlang diskursiver Ordnungen verweist (Schmeck 2019: 19).

einhergehen und so zur Inszenierung einer „exklusiven Weiblichkeit“ führen kann, die den Mädchen „Statusvorteile gegenüber klassischen Weiblichkeitskon-zepten verspricht“ (Schmeck 2019: 377 ff.). In diesem Szenario wird Technik zum Distinktionsmittel gegenüber anderen weiblich-vergeschlechtlichten sozialen Positionen.

Nach Schmeck wird durch diese Analysen zum einen die „Beharrlichkeit der Vergeschlechtlichung von Technik als Effekt diskursiver Performativität versteh-bar“ (ebd.: 376) und gleichzeitig werden Möglichkeitsräume zur Veränderung in diesen diskursiven Aushandlungsprozessen offengelegt. Die Autorin positio-niert sich dahingehend, dass es sich bei den beschriebenen Wahrnehmungsweisen und Subjektpositionierungen nicht um bewusste, frei gewählte Prozesse der Berufswahl handelt, sondern betont die Verstrickung der Orientierungen in die gesellschaftlichen Machtverhältnisse im Diskursfeld Technik und Geschlecht.

Und schließlich weist Schmeck auf die Notwendigkeit einer intersektionalen Per-spektive auf Studien- und Berufswahlen hin und verweist hier explizit auf die Dimensionen von Ethnie und Nationalität (Schmeck 2019: 408). Die soziale Her-kunft wird an dieser Stelle zwar nicht erwähnt, aber spielt in der gesamten Arbeit wiederkehrend eine Rolle, indem Schmeck auf die „Momente der Erzeugung sozialer Differenz (‚doing difference‘) entlang der Trennlinie Geschlecht (‚doing gender‘) und sozialer Klasse (‚doing class‘)“ (ebd.: 360) blickt und etwa her-ausarbeitet, dass die Vorstellung vom Berufsfeld der KfZ-Technik sowohl dem hegemonialen Weiblichkeitsideal wie auch den Erwartungen der Schülerinnen an ihren künftigen Berufsstatus widerspricht.

Dass Schmeck ‚Klasse‘ vorrangig im vertikalen Sinne als soziale Schicht greift (etwa Schmeck 2019: 353) und damit die horizontale Ebene kultureller und klas-senspezifischer Alltagspraxis aus dem Blick gerät, kann als erster Kritikpunkt an dieser Studie festgehalten werden: Offen bleibt, wie Berufsvorstellungen der Schüler*innen jenseits des erwarteten ‚Berufsstatus‘ klassenspezifisch gefärbt und so durch die soziale Herkunft mit-strukturiert sind. Alszweiter Kritikpunkt soll die Frage nach der Bedeutung von Sprache in der Herausbildung von Subjektpo-sitionen hinsichtlich der Berufswahl aufgeworfen werden: So stellt Schmeck zwar im Anschluss an Butler heraus, dass ein diskurstheoretisches Vorgehen nicht jeg-liche Materialität außerhalb von Diskursen negiere (ebd.: 83), zugleich ist die sprachliche Hervorbringung von Sinn und Bedeutung in dieser Perspektive der zentrale Modus der Konstruktion sozialer Ungleichheit. Aus einem eher struktu-ralistischen Blick bzw. einem Blick, der strukturalistische und konstruktivistische

Perspektiven vereint (wie dem von Bourdieu), ist diese herausragende Bedeutung von Sprache in Frage zu stellen24.

3.1.6 Professionssoziologische Erkenntnisse: zur