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Die Konstitution von Fachkulturen

3.3 Studien(fach)wahlen aus Perspektiven der

3.3.2 Studien(fach)wahlen aus Habitusperspektive:

3.3.2.4 Die Konstitution von Fachkulturen

Die dargestellten Erkenntnisse zur habitusspezifischen Studien(fach)wahl zeigen auf, dass Studierende mit bestimmten Dispositionen zu bestimmten Fachwahlen neigen. Daran schließen die Grundannahmen der Fachkulturforschung an (etwa Liebau/Huber 1985). Fachkulturen sind demnach „unterscheidbare, in sich sys-tematisch verbundene Zusammenhänge von Wahrnehmungs-, Denk-, Wertungs-und Handlungsmustern“ (ebd.: 315). In dieser Perspektive sind keine der in den Studiengängen beobachtbaren Praxen, Codes und Rituale beliebig oder völlig frei gewählt, sondern systematisch miteinander verknüpft und Teil der gesamten Fach-kultur. Selbst Äußerlichkeiten wie die Kleidung von Studierenden und Lehrenden sind weder „zufällig“ noch „belanglos“ (ebd.: 316), denn sie drücken Haltungen aus und festigen ebendiese zugleich47. Im Rahmen dieser Forschungsperspek-tive widmen sich Untersuchungen der sozialisatorischen bzw. habitusformenden Wirkung des Studiums eines bestimmten Fachs auf die Studierenden und auch auf deren mitgebrachten Herkunftshabitus. Die Erkenntnisse der Fachkulturfor-schung ermöglichen damit auch Aussagen über den vorangegangenen Prozess der Studien(fach)wahl.

Mit Anne Schlüter und anderen lassen sich Fachkulturen in direkte Verbindung zum Bourdieuschen Verständnis des sozialen Raums bringen:

„Die Nähe oder Ferne zur wirtschaftlichen, politischen oder kulturellen Macht, die die einzelnen universitären Fächer besitzen, bestimmen ihr Prestige, ihr organisatori-sches wie epistemologiorganisatori-sches Gesicht und den Rekrutierungsmodus der Studierenden wie des akademischen Personals. Diese Eigenheiten eines universitären Fachs wer-den als ‚Fachkultur‘ auf wer-den Begriff gebracht. Die Handlungs-, Wahrnehmungs-und Wertungsschemata, die einer solchen Fachkultur entsprechen, können als Fachhabitus bezeichnet werden“ (Schlüter et al. 2009: 4).

46Zum Zusammendenken von Geschlecht und Habitus siehe weiterführend Abschnitt4.1.

47Liebau/Huber (1985) entfalten ihr Konzept und ihre Analysen zu Fachkulturen – die als ein Grundstein dieses Forschungszweigs gelten – anhand von sieben Dimensionen, die neben den erwähnten „Äußerlichkeiten“ noch die Dimensionen von „Arbeit und Freizeit, Arbeitsplatz und Wohnung“, „Kommunikation“, „pädagogischer Code“, „Studienstrate-gien und Lernstile“, „Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsmuster“ und „politische und soziale Einstellungen“ umfassen.

Fachkulturen sind damit Bestandteil des „symbolischen Felds der Universität“

(bzw. der Hochschule) und nehmen dort je nach Zusammensetzung und Volumen ihres Kapitals eine spezifische Position ein (Alheit 2016) (Abbildung3.5):

Abbildung 3.5 Symbolisches Feld der Universität nach Alheit. (Quelle: Alheit 2016: 30)

Eine Verbindung von Fachkultur und Studienfachwahl nimmt Paul Windolf (1992) mit seiner Fragebogenuntersuchung unter Studierenden verschiedener Fachkulturen vor, durch die er zentrale Determinanten für die Studienfachwahl bestimmen will. Nach Windolf zeichnet eine Fachkultur ein spezifisches Wissen, spezifische Methoden und der bestimmte Verhaltenscode eines Faches aus – sie ist demnach ein „kulturelles Erbe“, das in die nächste Studierendengeneration übergeht und als „Spezialfall kultureller Ausdifferenzierung“ (ebd.: 77) gefasst werden kann. Fachkulturen dienen zugleich der Selbstidentifizierung und der Profilbildung nach innen und außen. Dabei geht Windolf – wie etwa Lange-Vester/Teiwes-Kügler (2004) – davon aus, dass die Einstellungen und Werte von Erstsemesterstudierenden eines Fachs bereits vor Beginn des Studiums rela-tiv homogen sind. Allerdings führt er das nicht auf den Habitus, sondern eine

„Wahlverwandtschaft“ zwischen den internalisierten Orientierungen der Studien-anfänger*innen und den Normen und Werten der Fachkultur zurück. Hier stützt sich Windolf auf die Grundannahme, die Studienfachwahl käme aufgrund eines

bewussten Wahlverhaltens und damit einer bewussten Selbstselektion zustande, die auf kognitiven Orientierungen und den daraus resultierenden, der individuel-len Reflexion zugänglichen Lebensentwürfen beruhe (Windolf 1992: 78 ff.). So schlussfolgert Windolf aus seinen Ergebnissen, dass die Studienfachwahl weniger von der sozialen Herkunft als eher von individuellen Wertorientierungen abhängt (ebd.: 91 f.). Werner Georg (2005: 80) bezeichnet Windolf deshalb als „Vertreter des Individualisierungsschubes“, laut dem sich Individuen nicht durch milieuspe-zifische Reproduktionsstrategien für ein Studienfach entscheiden – wie es dem Bourdieuschen Verständnis entspricht – sondern wegen subjektiver Neigungen, die aus der Sozialisation entstehen. Lojewski formuliert diesen Punkt berechtigt als Kritik an Windolfs Untersuchung: Laut Lojewski sieht er in der Studien-fachwahl das Resultat einer „angenommenen Nähe zur Fachkultur“ (2012: 286), die auf individuellen internalisierten Wertorientierungen fußt, bezieht aber dabei nicht ein, dass diese Wertorientierungen sehr wohl habitus- und milieuspezifisch geprägt sein können.

„Wer Karriere, Erfolg und hohes Einkommen als ein wichtiges Lebensziel betrach-tet, wird wahrscheinlich weder Sprach- noch Sozialwissenschaften studieren und sich auch nicht in Physik einschreiben. Betriebswirtschaft, Jura und die Inge-nieurwissenschaften sind in diesem Fall die bevorzugten Wahlobjekte – und dies unabhängig von der Schulnote, der sozialen Herkunft oder dem Schultyp, deren Einfluß bei einer multivariaten Analyse kontrolliert wird“ (Windolf 1992: 94).

Während Windolf „Lebensziele“ wie „Karriere, Erfolg und hohes Einkommen“

als individuelle Wertorientierungen begreift und der sozialen Herkunft deshalb ihre Wirkmächtigkeit abspricht, lassen sich ebenjene Wertorientierungen auch als Ausdruck und Teil eines spezifischen Habitus deuten. Interpretiert man Windolfs Ergebnisse also nach Bourdieu, sind nicht die individuellen Wertorientierungen, sondern die habitusspezifischen Dispositionen die primären Determinanten für die Studienfachwahl. An zweiter Stelle stehe das Geschlecht, das insbesondere bei den Kultur- und Sprachwissenschaften und den Natur- und Ingenieurwissenschaf-ten selektierend wirkt (Windolf 1992: 91 ff.).

„Historisch gewordene“ (Zinnecker 2004: 532) Erkenntnisse über Fachkul-turen

Was den Vergleich von ingenieuralen und (sozial)pädagogischen Fachkulturen betrifft, liegen umfangreiche Erkenntnisse vor48: Jürgen Zinnecker vergleicht die Sozialpädagogik49 mit dem Maschinenbau, der Elektrotechnik und Jura (Zinnecker 2004)50. Zwischen ingenieuraler und pädagogischer Fachkultur stellt spezifische Unterschiede fest, was etwa die Gestaltung eines Erstsemesterfrüh-stücks angeht, das in beiden Studiengängen zur Initiierung der studentischen Fachkultur dient. Während in der Sozialpädagogik das Frühstück in einem eige-nen und selbst errungeeige-nen studentischen Café stattfindet, dafür Couchgruppen genutzt werden und Vollkornbrötchen sowie nachhaltig hergestellte Lebensmittel verwendet werden, findet das Frühstück in der Elektrotechnik in einem großen und öffentlichen Raum der Hochschule statt, es werden geordnete Tischreihen genutzt und ‚Fast Food‘ gereicht. Außerdem beansprucht das Ritual deutlich weniger Zeit als in der Sozialpädagogik51. Der Umgang mit Zeit allgemein spiegelt die Fachkulturen par excellence wieder, was Zinnecker anhand der (päd-agogischen) „Zeitverschwendung“ und der (elektrotechnischen) „korrekten und rationalen Zeitverwendung“ kontrastiert (ebd.: 536). Zudem investieren Studie-rende der Sozialpädagogik allgemein weniger Zeit pro Woche in ihr Studium als die Ingenieurstudierenden, sie besuchen weniger Veranstaltungen und arbei-ten selarbei-tener allein von zu Hause aus. Stattdessen gehen sie deutlich häufiger einem Nebenberuf nach, weshalb Zinnecker den sozialpädagogischen studenti-schen Raum als „dualen Bildungsraum“ beschreibt (ebd.: 543 f.). Liebau/Huber (1985: 317) machen im Vergleich der sozial- bzw. geisteswissenschaftlichen und der natur- bzw. ingenieurwissenschaftlichen Fachkultur ähnliche Feststellungen

48Diese Erkenntnisse sind überwiegend im Rahmen des DFG-Forschungsprojekts „Stu-dium & Biographie. Eine sozialökologische Feldstudie in den Fachkulturen Erziehungs-wissenschaften, Rechtswissenschaften und Ingenieurwissenschaften“ entstanden. Laufzeit:

1988–1991, Projektleitung: Prof. Dr. Jürgen Zinnecker.

49Mittlerweile werden sozialpädagogische Studiengänge – zumindest an Fachhochschu-len – unter dem übergeordneten Begriff der „SoziaFachhochschu-len Arbeit“ geführt. Zinnecker benutzt beide Begriffe synonym.

50Zur Sozialpädagogik gehören in diesem Fall die Studiengänge Diplom-Pädagogik (mit hohem sozialpädagogischem Anteil) und außerschulisches Erziehungs- und Sozialwesen (Zinnecker 2004: 532).

51Dass die Erstsemesterrituale auch in einer zahlenmäßig weiblich-dominierten Fachkul-tur wie der Erziehungswissenschaft von der Dominanz männlicher Studenten gezeichnet sind, zeigen eindrucksvoll Engler/Friebertshäuser (1992). Auch diese Erkenntnisse beru-hen auf dem Projekt „Studium und Biographie“, das eine zentrale Rolle für die Fachkulturforschung einnimmt.

und kontrastieren das Studienverständnis anhand der Pole von „Muße und Per-sönlichkeitsentwicklung“ und der Reduktion des Studiums auf „Arbeit“. Und auch der fachkulturelle Umgang mit Lernschwierigkeiten zeigt einige Unterschiede auf.

Während in der Sozialpädagogik studentische Fragen als Bekräftigung der Bezie-hung zu den Lehrenden wirken, gelten sie im Maschinenbau als Störung und Gefährdung des optimalen didaktischen Ablaufs. In der Sozialpädagogik haben die Dozent*innen dabei eine Funktion als „gute Hirten“ (Zinnecker 2004: 540) und sind dafür verantwortlich, dass auch die Schwächsten und Langsamsten dem Seminar folgen können. Im Maschinenbau dagegen fungieren die Dozent*innen als „Sachverwalter des Lernstoffs und Leistungsniveaus“ (ebd.): Sie orientieren sich an der besseren Hälfte der Studierenden, wobei Lernprobleme individualisiert und eine bewusste Selektion vorgenommen wird. Und während in der Sozialpäd-agogik Lernstörungen grundsätzlich vorgehen und Personen über Zeitressourcen priorisiert werden, bestimmen im Maschinenbau Sachzwänge und Zeitökono-mie den Ablauf. Damit lassen sich die Lehrformen in der Sozialpädagogik als „person- und motivationsorientiert“ auf den Punkt bringen und bildet einen Gegensatz zur ingenieuralen „Stoff- und Leistungsorientierung“ (ebd.) Zugleich deuten sich einige Gemeinsamkeiten der sozialpädagogischen mit der erziehungs-wissenschaftlichen Fachkultur an wie z. B. ihre unterprivilegierte soziale Position im hochschulischen Feld. Darüber hinaus spiegele sich diese bescheidene Posi-tionierung nach Zinnecker in der Sozialen Arbeit auch in anderen Dimensionen wieder, nämlich in der familialen Herkunftskultur der Studierenden, die durch geringe ökonomische und kulturelle Ressourcen geprägt sei, in der studentischen wie in der beruflichen Kultur und in der Kultur der Zweigeschlechtlichkeit, durch die der zahlenmäßig weiblich dominierte Studiengang eine soziale Abwertung erführe (ebd.: 543 f.).

Auf der gleichen empirischen Grundlage fokussiert Steffani Engler den Zusam-menhang von Geschlechts- und Fachzugehörigkeit und versteht ebenso die Welt der Studierenden mit Bourdieu als Ausschnitt des sozialen Raums (Engler 1997). Im Vergleich der Studierenden der Erziehungswissenschaft, der Rechts-wissenschaft, der Elektrotechnik und des Maschinenbaus stellt Engler zum einen recht kontrastive Fachkulturen im Vergleich von erziehungswissenschaftlicher und ingenieurwissenschaftlicher Alltagspraxis fest, etwa was die Wohnform und den Einrichtungsstil angeht. Während sich in der Pädagogik ein stärker „al-ternativer Lebensstil“ zeigt, indem selbstgemache Möbel verwendet werden, dominiert im Ingenieurbereich ein stärker „konventioneller Lebensstil“, was die Einrichtung und Wohnform betrifft. Dabei tritt das Fach als entscheidendes Merkmal allerdings auch in den Hintergrund, vor allem dann, wenn es um kör-pernahe Lebensstilmerkmale wie die Nahrungsaufnahme geht: So konsumieren

Pädagogikstudierende allgemein zwar seltener Fleisch als Ingenieurstudierende, allerdings wirkt sich das Geschlecht hier noch stärker aus, denn die Frauen aller Fachkulturen konsumieren seltener Fleisch als ihre männlichen Kommi-litonen. Engler schlussfolgert, dass das Geschlecht einen entscheidenden und bereichsbezogenen Einfluss auf den Lebensstil hat.52

Schon zum Zeitpunkt seines Beitrags über die ethnographischen Erkennt-nisse aus dem Projekt „Studium und Biographie“ bezeichnet Zinnecker die ihr vorangegangenen Erhebungen als „mittlerweile historisch gewordene Feldstu-die“ (Zinnecker 2004: 532), da sie im Wintersemester 1988/1989 durchgeführt wurde. Gleichzeitig verweist er auf die längere Tradition von Fachkulturen und ihren nur langsamen Wandel, weshalb ihnen auch heute noch eine gewisse Aussagekraft zugemessen werden kann, insbesondere in der Kontrastierung zur Ingenieurkultur. Dafür spricht auch, dass ebenso neuere Erkenntnisse zur sozial-pädagogischen Fachkultur in Einklang mit jenen dieser ‚historisch gewordenen Feldstudie‘ stehen.

Zur Konsistenz von Fachkulturen – aktuelle Erkenntnisse

Anne Schlüter und andere (2009) knüpfen etwa mit ihrem Forschungsprojekt an diese Erkenntnisse an und vergleichen ebenfalls die Fachkultur der Elektro-technik mit der der Erziehungswissenschaft: Anhand von Interviews mit den Fachschaften, teilnehmenden Beobachtungen und einer quantitativen sowie quali-tativen Befragung von Studierenden verschiedener Kohorten zielen sie auf einen Vergleich der Studierendenhabitus der frühen 1990er-Jahre (Engler 1997) mit denen im Wintersemester 2008/09 ab. Sie stellen zum einen eine Konsistenz der Fachkulturen dahingehend fest, dass sich die Fachkulturen von Erziehungs-wissenschaften und Elektrotechnik auch heute noch stark unterscheiden. Diese Unterschiede äußern sich vor allem in den Berufszielen der Studierenden, die in der Erziehungswissenschaft einen ideellen Fokus und in der Elektrotechnik einen ökonomischen Fokus haben (Schlüter et al. 2009: 82 f.). Zugleich stellen sie spe-zifische Veränderungen in den studentischen Habitus fest, die sie auch auf die gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen zurückführen. So sei die ehemals „al-ternative“ Wohnform einer Wohngemeinschaft heute studentischer Standard und nicht mehr nur in der pädagogischen Fachkultur, sondern bei den meisten Stu-dierenden zu finden, ebenso wie eine ökologisch bewusste Ernährung. Damit verknüpft habe sich der Studierendenhabitus der Pädagogik ebenfalls verändert und sich einem konventionellen Lebensstil angenähert. Davon abgesehen stellen

52Zur pädagogischen Fachkultur siehe ähnlich auch Bülow-Schramm/Gerlof (2004).

die Autor*innen eine starke Persistenz der fachspezifischen Studierendenhabi-tus fest: So ist die Erziehungswissenschaft nach wie vor eine Fachkultur mit geringem Ansehen in der Universität, die mit geringen Leistungsanforderungen, Berufspositionen und Verdienstmöglichkeiten in Verbindung gebracht wird. Ihre Studierenden durchlaufen vor Studienbeginn längere Orientierungsphasen und sehen die Pädagogik teilweise als „Notlösung“. Die Elektrotechnikstudierenden dagegen studieren zielstrebiger und karriereorientierter. Die „berufliche Verwer-tung“ und das „hierarchische Gefälle der Berufskulturen“ (ebd.) greifen so schon früh in der studentischen Entwicklung.

Dass neben der sozialen Herkunft auch das Geschlecht eine entscheidende Rolle in der Konstitution von Fachkulturen spielt, wie von Engler (1997) gezeigt, bestätigen wiederum Werner Georg, Carsten Sauer und Thomas Wöhler (2009).

Sie fokussieren den studentischen Lebensstil und stellen durch eine Befragung von Studierenden der Soziologie, der Rechtswissenschaften und der Naturwissen-schaften fest, dass neben der sozialen Herkunft und der Fachrichtung vor allem das Geschlecht den Lebensstil von Studierenden maßgeblich prägt (ebd.: 369).

Tino Bargel (2007a) analysiert die Fachkultur des Sozialwesens53anhand der Ergebnisse des Studierendensurveys und stellt bei den Studierenden eine über-wiegend „ideell-intrinsische“ Studienmotivation fest, die sich nach dem Wunsch richtet, mit Menschen zu arbeiten (ebd.: 179). Darüber hinaus seien für Stu-dierende des Sozialwesens materielle Motive nachrangig, sie wollen stattdessen

„aktiv und innovativ“ sein, „eigene Ideen“ entwickeln und „alternative Lebens-weisen erproben“ – kurzum: „Das Gegebene wird von ihnen nicht einfach und passiv hingenommen“ (ebd.: 180). Ihre beruflichen Werte seien davon geprägt, dass sie eigene Entscheidungen treffen wollen und einen gesellschaftlichen Wett-bewerbsgedanken kritisch hinterfragen, was Bargel mit der Formel „Wettbewerb zerstört Solidarität“ (ebd.: 199) auf den Punkt bringt. Und schließlich sei bei Studierenden des Sozialwesens die Studienaufnahme viel häufiger eine „eigen-willige Entscheidung“ als eine Frage familiärer „Fachvererbung“, wie sie in den Ingenieurwissenschaften deutlich häufiger vorkomme (ebd.: 175).

Dieser und andere Kontraste zwischen der sozialpädagogischen und der ingenieuralen Fachkultur bestätigen sich auch in den Analysen zu den Inge-nieurwissenschaften selbst. Zudem lässt sich auch dort eine Konsistenz feststellen (Sander/Weckerth 2017): So habe sich zwar der ingenieurale Arbeitsmarkt struk-turell gewandelt hin zu mehr Projekt- und Teamarbeit, einer Enthierarchisierung

53Das Sozialwesen umfasst die Fächergruppe Sozialarbeit/Sozialpädagogik/Sozialwesen an Fachhochschulen. Feine Unterschiede in diesen Ergebnissen zur Fachkultur zu jenen aus dem Projekt „Studium und Biographie“ mögen also auch durch den unterschiedlichen Hochschultyp begründet sein.

und Dezentralisierung und er bringe neue Anforderungen an Ingenieur*innen mit sich – die akademische Fachkultur und der Fachhabitus dagegen sind relativ stabil. Sie zeichnen sich aus durch eine starke Fokussierung auf Erwerbsarbeit und Beruf, auf materielle Werte, Arbeitsplatzsicherheit, steigende Ansprüche an Einkommen und Aufstiegsmöglichkeiten sowie einen teils nüchternen Anwen-dungsbezug. Sander und Weckerth betonen außerdem die besondere Bedeutung der Ingenieurfächer als Aufstiegsfächer – insbesondere an Fachhochschulen. Pres-tige ‚nach außen‘ dagegen, die Freude am zwischenmenschlichen Kontakt, kon-troverse Aushandlungs- und Abwägungsprozesse oder konkon-troverse Diskussionen sind keine Charakteristika der ingenieurwissenschaftlichen Fachkultur.

Der Rückgriff auf die Konstitution von Fachkulturen verdeutlicht so die Bedeutung des Habitus für die Wahl eines Studienfachs genauso wie für die (Re-)Produktion einer spezifischen Kultur, die wiederum habitusformend auf die Studierenden wirkt. Ebendiese Analogie zwischen dem persönlichen und dem dis-ziplinären Habitus, die zugleich Raum für Widersprüche und Nicht-Passungen lässt, soll abschließend mit Liebau/Huber (1985: 337) auf den Punkt gebracht werden:

„Vage Vorinformationen über und vage Sympathien zu Fach und Beruf verknüpfen sich, so nehmen wir an, mit den biographisch erworbenen Dispositionen zu einem zunächst noch groben Lebensentwurf, der eine Entsprechung zwischen eigener Persönlichkeit und Fach- und Berufsstrukturen unterstellt. Die hier vorgenom-menen Antizipationen von künftigem Beruf, künftiger Lebensform und Studium führen zu einer Studienwahlentscheidung, in die nicht nur persönliche Fachsym-pathien, sondern auch Statusstrategien eingehen, die im Zusammenhang familialer Reproduktions- und Entwicklungsaufgaben zu interpretieren sind. Daß es hier auch zu Selbsttäuschungen und Fehleinschätzungen kommen kann, die sich dann in späterem Fachwechsel oder im Studienabbruch niederschlagen, ist angesichts der Vagheit der Entscheidungsgrundlagen nicht sehr überraschend.“

Es lässt sich kurz resümieren: Indem die Studien(fach)wahl in dieser Bour-dieuschen Perspektive als Ausdruck einer antizipierten Passung auf Grundlage des Habitus gefasst wird, eröffnet sich ein Blick auf die verborgenen Selekti-onsmechanismen im Hochschulsystem, die bei alleiniger Berücksichtigung der

‚Motivlage‘ von Studierenden verschlossen blieben. Die Studien(fach)wahl ist demnach ein Übergangsmoment, in dem sich soziale Disposition in eine soziale Position zu transformieren beginnen. Bestimmte Habitus häufen sich demnach in bestimmten Fächern oder werden in andere – weniger prestige- und aussichts-reiche – Fächer abgedrängt. Diese Prozesse der (Selbst-)Selektion entlang einer Kompetenzhierarchie umfassen sowohl die Dimension von Klasse wie auch die von Geschlecht.

3.4 Zwischenfazit: Studien(fach)wahlen – strukturiert