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Polymere, Glas- und Phasen¨ ubergang

Die Transportkoeffizienten der in dieser Arbeit untersuchten Systeme werden mehr oder weniger stark von Variablen wie Temperatur, Konzentration oder Molekulargewicht beeinflusst. Diese drei Variablen wirken in bestimmten physikalischen Ph¨anomenen zusammen. Deshalb wurde f¨ur dieses Kapitel die Aufteilung in Eigenschaften vorgenommen, die vom Vorhandensein von Makromolek¨ulen in L¨osungen, vom Glas¨ubergang und von einem Phasen¨uber-gang zweiter Ordnung herr¨uhren. Der erste Teil reißt einige grundlegende Eigenschaften von Polymeren in L¨osungen an. Hierzu z¨ahlen die Konzentrati-onsbereiche, Skaleneigenschaften und das Blob-Modell. Im zweiten Abschnitt geht es um den Glas¨ubergang im allgemeinen und welche Rolle dieser f¨ur die Thermodiffusion im Besonderen spielt. Dabei tritt vor allem der Aspekt des Fallens aus dem thermodynamischen Gleichgewicht und die extreme Verlangsamung der Dynamik in den Vordergrund. Der letzte Abschnitt gibt eine kurze ¨Ubersicht ¨uber Phasen¨uberg¨ange. Es werden deren spezifische Eigenschaften wie Ordnungsparameter, kritische Exponenten und die Univer-salit¨atshypothese dargestellt. Die Verbindung zwischen dem Streuexperiment und der Theorie der kritischen Ph¨anomen wird gekn¨upft, um danach auf die Flory-Huggins-Theorie und auf den Fall kritischer Polymerl¨osungen einzugehen.

4.1 Polymere, Polymerl¨ osungen, gute L¨ osungsmittel und Diffusion

Dieser Abschnitt soll wesentliche Eigenschaften von Polymer und Polymerl¨osungen reka-pitulieren, wie sie hinsichtlich der dynamischer Eigenschaften von Bedeutung sind. Stan-dardwerke der Polymerphysik sind [7, 42, 50, 51, 52, 53].

Die Dynamik von Polymeren und Polymerl¨osungen ist außerordentliche facettenreich. Je nach Temperatur und Deformationsgeschwindigkeit (Scherrate) k¨onnen Polymerl¨osung ge-nauso wie Polymere glas-, gummi- oder fl¨ussigkeitsartiges Verhalten zeigen. Die Polymere, die an dieser Stelle betrachtet werden, sollen dabei in ihren L¨osungsmitteln gut l¨oslich sein. Einfl¨usse der Qualit¨at des L¨osungsmittels werden im Abschnitt 4.3 diskutiert. Außer-dem soll die Auswirkungen eines nahen (konzentrations- ebenso wie temperaturabh¨angig) Glas¨ubergangs der Polymerl¨osungen ausgeblendet werden. Die Polymerl¨osungen sollen auf der L¨angenskala der Segmente eine Viskosit¨at in etwa gleich der des reinen L¨osungsmittels besitzen.

In der vorliegenden Arbeiten werden Polymere und Oligomere mit einem linearen R¨uckgrat in L¨osungen untersucht. Die Anzahl der Monomereinheiten betr¨agt ein paar wenige bis hin zu einigen zehntausend. Die Ausdehnung einer Kette ist nicht proportional ihrer Anzahl an Monomerbausteinen N. Im einfachsten Modell folgt die Aneinanderreihung der Monomere entlang einer Polymerkette einem random walk und ist somit statistischer Natur. Diese Verteilung der Monomere ist gaußartig und wird als ideale Kette bezeichnet. Daraus ergibt sich f¨ur typische Kenngr¨oßen, wie den End-zu-End Abstand Re oder den Gyrationsradius Rg eines Polymers,

Re ∝Nν ∝N1/2. (4.1)

Das besondere an dieser Relation ist, dass sie ihre G¨ultigkeit beibeh¨alt, wenn die Ketten-modelle verfeinert werden. Geht man in der Modellierung einer Polymerkette von der frei verbundenen Kette zu einem Kettenmodell ¨uber, das eine gewisse Steifigkeit beinhaltet, so

¨andert sich die Proportionalit¨atskonstante in Gl. 4.1. Die generelle Abh¨angigkeit von Re

in Form eines Potenzgesetzes bleibt erhalten.

Bei dieser rein statistischen Betrachtung wurde das Eigenvolumen der Polymere nicht ber¨ucksichtigt. Die Wechselwirkung des ausgeschlossenen Volumens (”excluded volume in-teraction“) f¨uhrt zu einer Korrelation von entfernten Kettensegmenten. Die Ber¨ucksich-tigung des ausgeschlossenen Volumens f¨uhrt effektiv zu einer Vergr¨oßerung von Re. Die Polymerketten quellen in einem guten L¨osungsmittel. Der Exponentν ¨andert sich dadurch von 1/2 auf den Flory-Exponenten ν = 3/5. Das Ergebnis aus der Renormierungsgrup-pentheorie ist ν = 0.588 [54]. Die Wechselwirkung des ausgeschlossenen Volumens ist aber nicht immer wirksam. In schlechteren L¨osungsmitteln, sogenannten θ-L¨osungsmitteln, wie auch in Polymerschmelzen wird die Wechselwirkung des ausgeschlossenen Volumens durch die Gegenwart der anderen Polymerketten abgeschirmt. Dadurch verh¨alt sich das einzelne Polymer wie eine ideale Kette.

Untersucht man in verd¨unnten L¨osungen die Diffusion einzelner Polymermolek¨ule, dann erh¨alt man (siehe z. B. [55, 56] oder Abb. 6.3, Seite 102) eine Abh¨angigkeit des Diffusions-koeffizienten vom Molekulargewicht in der Form

D∝MW−0.58. (4.2)

KAPITEL 4. PHYSIKALISCHE RANDBEDINGUNGEN 4.1. Polymere, Polymerl¨osungen, gute L¨osungsmittel und Diffusion

~2R

h

a) b) c)

c(x)

x

c(x)

<c> x

c(x)

x

<c>

<c>

Abb. 4.1: Die drei Konzentrationsbereiche in einem guten L¨osungsmittel: (a) verd¨unnt, (b) semiverd¨unnt und (c) konzentriert. hc(x)i gibt das Konzentrationsprofil entlang der gestrichelten Linie wieder und hc(x)i ist die mittlere Konzentration.

(Abbildung entnommen aus Doi und Edwards [42], Seite 141)

Vergleicht man die gefundene Relation f¨ur den Diffusionskoeffizienten mit der Ausdeh-nung (z.B.Re) eines Polymerkn¨auels in einem guten L¨osungsmittel, so ist dies ein Hinweis darauf, dass Polymermolek¨ule in verd¨unnter L¨osung ein Diffusionsverhalten harter un-durchstr¨omter Kugeln besitzen. Ein sehr erstaunliches Resultat, wenn man bedenkt, dass bei großen Molekulargewichten die Monomerdichte in einem Polymerkn¨auel nur wenige Prozent betr¨agt. Eine andere Gr¨oße zur Charakterisierung von Polymeren in verd¨unnten L¨osungsmitteln ist die intrinsische Viskosit¨at. [η] = limc→0(η−ηs)/cηs. ηs ist die Visko-sit¨at des reinen L¨osungsmittels und η die der L¨osung. [η] zeigt ebenfalls ein Potenzgesetz als Funktion des Molekulargewichts (Mark-Houwink-Sakurada-Relation, siehe z.B. [52]).

Meyerhoff und Appelt [57] bestimmten [η] von Polystyrol in den guten L¨osungsmitteln Toluol und THF bei 20 C. Sie fanden f¨ur beide L¨osungsmittel

[η]∝M0.724 (4.3)

Einstein berechnete 1906 die Zusatzviskosit¨at durch kugelf¨ormige Teilchen in einer Sus-pension und erhielt

[η] = 4π 3

R3

M ∝ N

N =N4/5 (4.4)

R ist der Radius der Kugel, M das Molekulargewicht eines Polymers und N sein Poly-merisationsgrad. ¨Ubertr¨agt man dieses Resultat auf Polymere, so l¨asst sich eine Erh¨ohung der intrinsischen Viskosit¨at proportional zu M0.8 erwarten. Die von Meyerhoff und Appelt experimentell gefundenen Werte liegen nahe dem theoretischen Wert und deuten ebenfalls darauf hin, dass sich Polymere in verd¨unnten L¨osungen wie harte Kugeln verhalten. Man spricht vom undurchsp¨ulten Kn¨auel.

Bis zu diesem Zeitpunkt waren die betrachteten L¨osungen verd¨unnt. Die Abst¨ande zwi-schen den einzelnen Kn¨auels waren groß genug, so dass direkte Kontakte zwizwi-schen ihnen nur selten vorkamen. Wird die Polymerkonzentration jedoch gr¨oßer als die ¨ Uberlappkon-zentrationc, dann durchdringen sich die Polymerkn¨aule gegenseitig (siehe Abbildung 4.1).

ξ

Abb. 4.2: Blobkette in einer halbverd¨unnten Polymerl¨osung.

Es bildet sich eine gelartige Struktur, die als tempor¨ares Netzwerk aufgefasst werden kann.

Dies hat einen Wechsel in der L¨angenskala zur Folge. Die relevante Gr¨oße ist nicht mehr durch die Ausdehnung eines einzelnen Polymerkn¨auels charakterisiert, sondern in erster N¨aherungen durch die Maschenweite des Netzwerks. Diese Maschenweite entspricht der Korrelationsl¨ange der Konzentrationsfluktuationen ξ. Diese L¨ange steht in Relation zum Abstandξs, ¨uber den hinaus die ausgeschlossene Volumen-Wechselwirkung der Ketten ab-geschirmt ist.

F¨ur diese Korrelationsl¨angen gelten Potenzgesetze der Form ξ ∝ c−ν/(3ν−1). ξ ist auch ein Maß f¨ur die Gr¨oße eines

”Blobs“ in der L¨osung (Abb. 4.2). Innerhalb eines Blobs liegt eine gequollene Polymerkette vor, w¨ahrend die Statistik der Blobs entlang der Kette gaußartig ist. Das Bild von der Diffusion eines isolierten Polymerkn¨auels in L¨osung wird ersetzt durch die Diffusion von Blobs in den halbverd¨unnten L¨osungsmitteln. Mit zunehmender Polymer-konzentration nimmt die Korrelationsl¨ange der Konzentrationsfluktuationen immer weiter ab. In den konzentrierten L¨osungen wandeln sich die L¨osungen zu Polymerschmelzen in denen noch ein Rest an L¨osungsmittel vorhanden ist.

Dem Blob-Modell liegt das Konzept der abgeschirmten hydrodynamischen Wechselwirkung in einer Polymerl¨osung zugrunde. Schematisch ist das im Abb. 4.3 f¨ur den Fall einer ein-zelnen Kette dargestellt. Die Bewegung eines Monomers ist in einem viskosen Medium mit den Monomeren derselben Kette ¨uber das Str¨omungsfeld gekoppelt. Oberhalb der ¨ Uber-lappkonzentration durchdringen sich die Polymermolek¨ule. Dies f¨uhrt dazu, dass nicht nur die Bewegung der Monomere einer Kette korreliert sind, sondern die von Monomeren ver-schiedener Ketten. Die Reichweite des Str¨omungsfeldes in einer halbverd¨unnten L¨osung wird als Abschirml¨angeξh der hydrodynamischen Wechselwirkung bezeichnet. F¨ur Distan-zen kleiner als ξh sind die Bewegungen der Monomere verschiedener Ketten korreliert und dar¨uber hinaus sind sie voneinander unabh¨angig. Ein halbverd¨unnte L¨osung kann deshalb dargestellt werden als eine Ansammlung raumausf¨ullender Kugeln - den sogenannten Blobs - wie das in Abb. 4.2 dargestellt ist. Die Zeitskala auf der dies geschieht ist immer k¨urzer

KAPITEL 4. PHYSIKALISCHE RANDBEDINGUNGEN 4.1. Polymere, Polymerl¨osungen, gute L¨osungsmittel und Diffusion

2R h

v f

Abb. 4.3: Schematische Darstellung der hydrodynamischen Wechselwirkung einer Einzel-kette. Greift eine Kraft f an einem Monomer an, dann wird eine Str¨omungsfeld (Pfeile) erzeugt, das mit 1/r abf¨allt. Dieses Str¨omungsfeld koppelt die Bewegung zweier Monomere und sorgt somit daf¨ur, dass sich ein anderes Monomer mit der Geschwindigkeit v bewegt.

Effektiv kann dies durch die Kugel mit Radius 2Rh beschrieben werden.

(Text und Darstellung nach Schaefer und Han [11])

als die der Diffusionszeit einer Einzelkette (Reptation).

Die Dynamik der Konzentrationsfluktuationen wird ¨uber den gesamten Konzentrationsbe-reich mit dem Diffusionskoeffizienten Dcharakterisiert. In verd¨unnter L¨osung istD gleich dem Selbstdiffusionskoeffizienten des Polymerkn¨auels in einem viskosen Medium - seinem L¨osungsmittel. In den halbverd¨unnten und konzentrierten L¨osungen steigt dieser Diffusi-onskoeffizient an, wenn eine Verlangsamung der Dynamik durch einen nahen Glas¨ubergang nicht stattfindet. Mikroskopisch findet das Quellen eines Pseudo-Gels statt. Es m¨ussen nicht komplette Polymerketten einen diffusiven Prozess via Reptation ausf¨uhren, sondern es fin-det im tempor¨aren Netzwerk nur eine Umlagerung der Segmente statt. Makroskopisch ist mit einem Anstieg der Polymerkonzentrationen (c > c) eine Zunahme des osmotischen Moduls verkn¨upft. Dieser ist die treibende Kraft der Diffusion und f¨uhrt bei steigender Konzentration zu ihrer Beschleunigung. Im Grenzfall der Schmelze (c→ 1) liefert D den Selbstdiffusionskoeffizienten des L¨osungsmittels in der Schmelze. Am Beispiel des Systems PDMS/Toluol (siehe Abb. A.1, Seite 207) kann dies gezeigt werden.

4.2 Glas¨ ubergang und Thermodiffusion

Die vorliegenden Arbeit untersucht bin¨are Glasbildner. Unter anderem werden Soret-Ko-effizienten ST bestimmt, die ein Maß f¨ur die St¨arke eines Konzentrationsgradienten sind und durch einen Temperaturgradienten hervorgerufen werden. Der Glas¨ubergang bringt die daran beteiligte Materie aus dem thermodynamischen Gleichgewicht. Deshalb werden an dieser Stelle die grundlegenden Eigenschaften der Glasbildner mit Bezug auf die Ther-modiffusion erl¨autert.

Wird eine einfache Fl¨ussigkeit von hohen Temperaturen zu niedrigeren Temperaturen ab-gek¨uhlt, dann kann diese bei der TemperaturTm kristallisieren. Dieser Phasen¨ubergang ist gew¨ohnlich mit einer Abnahme des spezifischen Volumens verbunden. Fl¨ussigkeiten, die un-ter die Schmelztemperatur Tm gek¨uhlte werden ohne zu kristallisieren, werden unterk¨uhlte Fl¨ussigkeiten genannt. Das spezifische Volumen und auch die Entropie folgen Werten, die man durch Extrapolation dieser Eigenschaften von oberhalb Tm in den Bereich der un-terk¨uhlten Fl¨ussigkeit erh¨alt (siehe gestrichelte Linie in Abb. 4.4). Eine weitere Abk¨uhlung

V

sp

Abb. 4.4:Spezifisches VolumenVsp als eine Funktion der Temperatur f¨ur ei-ne Fl¨ussigkeit, die entweder kristallisie-ren oder ein Glas bilden kann (schema-tisch). Dynamische und thermodyna-mische Eigenschaften h¨angen von den Abk¨uhlgeschwindigkeiten ab. Das Glas 1 bildete sich bei schnellerer Abk¨uhlung als Glas 2. Die Glastemperaturen Tg

wurden definiert durch Extrapolation vonVspaus dem Glaszustand zur¨uck zur Linie der unterk¨uhlten Fl¨ussigkeit (ge-strichelt).

(nach Ediger et al. [58])

der Fl¨ussigkeit l¨asst die Viskosit¨at immer weiter ansteigen und die Bewegung der Molek¨ule wird geringer und geringer. Bei einer bestimmten Temperatur ist die Molek¨ulbewegung so langsam, dass keine M¨oglichkeit besteht eine neue Konfiguration der Molek¨ule zu erreichen bevor die Temperatur weiter erniedrigt wird. Das System f¨allt aus dem Gleichgewicht. Da eine Neuanordnung der Molek¨ule zur Anpassung des spezifischen Volumens an der Gleich-gewichtswert der unterk¨uhlten Fl¨ussigkeit nicht mehr m¨oglich ist, unterscheidet sich das experimentell beobachtete spezifische Volumen vom Gleichgewichtswert. Die Zeitskala f¨ur eine neue Anpassung der Molek¨ulpositionen an den Gleichgewichtswert ¨uberschreitet um ein Vielfaches die dem Experiment zug¨angliche Zeitskala. Die Struktur der Fl¨ussigkeit ist eingefroren und das System befindet sich im Glaszustand.

Das spezifische Volumen nimmt mit weiter sinkender Temperatur ab, aber der thermische Ausdehnungskoeffizient α = (d(lnVsp)/dT)p im Glaszustand ist betr¨achtlich geringer als