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Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg von Berlin hat am 10. Juli 2018 die Auf-stellung einer Rechtsverordnung zur Erhaltung der städtebaulichen Eigenart auf Grund der städtebaulichen Gestalt gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 BauGB für das Gebiet Karl-Marx-Allee/ Frankfurter Allee (ehemals Stalinallee) und deren flankierende Bereiche im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, Ortsteil Friedrichshain, beschlossen. Die Bekanntmachung erfolgte im Amtsblatt für Berlin Nr. 32/2018 vom 10. August 2018.

Die städtebauliche Bedeutung des nach dem Zweiten Weltkrieg geplanten und von 1951 bis 1956 realisierten sowie 1957 bis 1973 ergänzten Stadtraumes besteht in der Neu-Definition des überlieferten, aber zerstörten Stadtraumes, und damit der baulich-räumlichen sowie funktionellen Aneignung des Raumes in Überwindung der städtebaulichen Prinzipien des 19. Jahrhunderts.

Die Bebauung „Stalinallee“ als städtebauliches Ensemble, im Kontext mit den an-grenzenden Wohnanlagen der heutigen Karl-Marx-Allee, und die damit verbunde-ne Fortsetzung der Wohnbebauung in Richtung Norden und Süden sind von her-ausragender stadthistorischer Bedeutung und sollen deshalb vor wesentlichen, verändernden Eingriffen geschützt werden. Die ehemalige Stalinallee mit der Be-bauung Wohnzelle Friedrichshain, Weberwiese und der BeBe-bauung am Weiden-weg/ Auerstraße ist das größte und bedeutendste Denkmalensemble des Bezirks.

„Städtebaulich bedeutsam ist auch eine Anlage, die als Beispiel für die Weiterent-wicklung des Städtebaus z.B. nach Art, Maß der baulichen Nutzung oder nach der Bauweise dient.“1

Das Ende des Zweiten Weltkrieges war eine radikale Zäsur in der deutschen Ge-schichte in jeder Hinsicht: politisch, wirtschaftlich, kulturell und sozial. Folglich war auch die bauliche Entwicklung der Stadt vor neue und grundlegende Herausforde-rungen und Aufgaben gestellt. Die Zerstörung der Städte, ihrer Gebäude, Freiflä-chen, Straßen und Versorgungsanlagen hatte nach diesem Krieg ein noch nie da-gewesenes Ausmaß angenommen. Das Stadtgebiet vom Alexanderplatz bis zur Proskauer Straße und vom Volkspark Friedrichshain bis zur Spree war am Ende des Zeiten Weltkrieges zu zwei Dritteln vollständig zerstört.

Der Wiederaufbau erforderte einerseits Planungskonzepte, die grundsätzliche Ori-entierungen für die bauliche und funktionelle Entwicklung der Stadt postulierten und andererseits eine zügige Schaffung von Wohnraum sicherte. Diese Aufgabe war an die Frage geknüpft, welche Ansatzpunkte in der Stadtentwicklung gesell-schaftlich gewollt und tragfähig waren.

Die ersten Planungen waren angesichts der dringenden Probleme aus heutiger Sicht Utopien, aber gleichzeitig aus dem Kontext des Überwindungswillens sozia-ler und wirtschaftlicher Katastrophen zu begreifen.

1Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger „BauGB Kommentar“ § 172 Rd.Nr. 162

Die politischen Bedingungen in Deutschland nach dem Ende des 2. Weltkrieges führten zur Hoheit und Besatzung durch die Alliierten Siegermächte und in Folge zur Teilung des Landes. Unter jeweils konträren Systemen entstanden zwei deut-sche Staaten mit einer geteilten Stadt Berlin, die unterschiedliche Zielsetzungen für das politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Leben als Grundlage defi-nierten. Somit war auch der Wiederaufbau daran geknüpft.

Der Beginn des Wiederaufbaus im Ostteil der Stadt fand dort statt, wo die Zerstö-rungen den größten Umfang angenommen hatten: im Bezirk Friedrichshain ent-lang der damaligen Frankfurter Allee. Gleichzeitig war dies auch der Ort, an dem die verschiedenen in den ersten Nachkriegsjahren entwickelten Ideen zur Neuglie-derung der Stadt tatsächlich Gestalt annahmen.

„Es ist geradezu eine archäologische Offenbarung, die verschiedenen Planungs-schichten aufzudecken, die sich nach dem Krieg Folie für Folie auf den Grundriss des dicht überbauten Arbeiterbezirks legten, der 1945 zu mehr als 50% total zer-stört war. Ob nun als „Wohnzelle Friedrichshain“ (Scharoun 1949), „1.Wohnstadt Friedrichshain“ (Henselmann 1950), „Nationales Aufbauwerk Stalinallee“ (1952-56), sie verkörperten dissonante, ja konfrontative Konzeptionen von Urbanität.

Eines jedoch hatten alle diese Planungen gemeinsam: die Absage an die Mietska-serne, an die Parzellenstruktur, an die bisherige Siedlungsdichte – sie alle beab-sichtigten einen demonstrativen Maßstabsbruch.“ 2

Der Gegenstand dieses Gutachtens bezieht sich genau auf jenes Gebiet, in dem diese neu geschaffenen Planungsschichten bis heute ablesbar sind.

Das Gebiet der heutigen Karl-Marx-Allee/ Frankfurter Allee zwischen Strausberger Platz und Mainzer Straße in seiner Ausdehnung nach Norden und Süden hat seine frühe stadtstrukturelle Prägung durch die Zugehörigkeit zum mittelalterlichen Stadtkern auf der westlichen Seite und seine ländliche Nutzung bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts auf den eher östlich gelegenen Arealen erfahren. Die Trennung zwischen beiden Gebieten war durch den Verlauf der Akzise- bzw. Zoll-mauer markiert, die 1737 erbaut und um 1867 abgerissen wurde. Sie verlief hier vom ursprünglichen Frankfurter Tor (in Höhe der heutigen Straße der Pariser Kommune) bis zur späteren Warschauer Brücke, geradlinig und diagonal durch das Gebiet.

Die Frankfurter Allee entstand bereits Anfang des 18. Jahrhunderts (1708) als Heerweg in Richtung Frankfurt/Oder. Sie ist damit der älteste nachweisliche Ver-kehrsweg in Friedrichshain. Entlang der Allee etablierten sich bis Mitte des 19.

Jahrhunderts zwischen Feldern und Gärten vorwiegend Gasthöfe, Landsitze, Ver-gnügungsstätten, wie die „Neue Welt“, und weiter in Richtung Osten dörfliche Siedlungen, wie Klein Frankfurt und die Colonie Friedrichsberg.

In der Mitte des 19. Jahrhundert führte das extreme Bevölkerungswachstum der Stadt Berlin zu einer umfassenden Stadterweiterungsplanung rund um den histori-schen Stadtkern. Der 1862 in Kraft gesetzte „Bebauungsplan für die Umgebungen

2Simone Hain: Leitbilder – Berlin-Ost, IRS

Berlins“ (der sog. Hobrecht-Plan) beinhaltete ein Straßenraster mit Fluchtlinien, Baublöcken und Plätzen, das ringartig um die Altstadt gelegt wurde und in das bereits bestehende Bebauungen und Wegeführungen integriert wurden. Der Ver-lauf der Akzisemauer bzw. der bisherigen Stadtgrenze fand sich darin als Straßen-zug ebenso wieder wie die Palisadenstraße, die Auerstraße, die Rigaer Straße, die Boxhagener Straße und natürlich die Frankfurter Allee.

Die bauliche Umsetzung des Fluchtlinienplanes mit Vorderhäusern, Seitenflügeln und Hinterhäusern erfolgte von Westen nach Osten. Aus dieser Zeit sind lediglich noch vereinzelt Gebäude im Gebiet vorzufinden, wie an der Koppenstraße, der Friedenstraße, an der Richard-Sorge-Straße und östlich der Warschauer Straße (ca. zwischen 1880 und 1900). Das älteste Zeugnis der baulichen Entwicklung ist die Anlage des Parochialfriedhofes an der Friedenstraße von Ende des 18. Jahr-hunderts.

Binnen 20 Jahren wurde bis zum Ersten Weltkrieg das Areal und damit auch der Ortsteil Friedrichshain vollständig bebaut. Friedrichshain gehörte mit einer Dichte von über 10.000 Einwohnern/km² zu den stark übervölkerten Stadtteilen Berlins.

Aus der Zeit von 1920 bis 1940 sind keine baulichen Anlagen vorhanden. Im Be-zirk Friedrichshain wurden lediglich 38 Wohnungen gebaut.

Der Zweite Weltkrieg hinterließ eine großflächige Zerstörung von Friedrichshain, das einer der am stärksten betroffenen Stadtgebiete war. Die Quartiere vom Ale-xanderplatz bis zur Proskauer Straße und vom Volkspark Friedrichshain bis zur Spree waren am Ende des Zweiten Weltkrieges zu zwei Dritteln vollständig zer-stört.

Die ersten Jahre nach 1945 waren geprägt von den unterschiedlichen Planungs-entwürfen für den Wiederaufbau und die Neugestaltung der Stadt Berlin. Die Ideen zum Wiederaufbau fokussierten sich bereits ab 1946 auf diesen Stadtraum. Bei der Suche nach einem Aufbau-Konzept dominierte die Absicht, nicht die alte Stadt wiederherzustellen, sondern sie in neuer Gliederung und Struktur zu entwickeln.

Ihren Anfang fand die Aufbauarbeit in der „Wohnzelle Friedrichshain“ basierend auf dem 1946 entwickelten Kollektivplan von Hans Scharoun.

Die politischen Bedingungen in Deutschland führten 1949 zur Teilung des Landes.

Unter jeweils konträren Systemen bildeten sich zwei deutsche Staaten mit einem geteilten Berlin heraus, die unterschiedliche Zielsetzungen für das politische, wirt-schaftliche, soziale und kulturelle Leben als Grundlage definierten. Somit war auch der weitere Wiederaufbau daran geknüpft. An die seit 1949 realisierten Zeilenbau-ten der Wohnzelle Friedrichshain von Hans Scharoun schloss sich das größte Pro-jekt der Neugestaltung im Ostteil der Stadt an: die Bebauung der Stalinallee mit den angrenzenden Quartieren, die binnen 5 Jahren den Bezirk Friedrichshain ent-scheidend veränderte.

In der heutigen öffentlichen und fachlichen Wahrnehmung wird die Karl-Marx-Allee (ehem. Stalinallee) als das Wiederaufbauprojekt mit Alleinstellungsmerkmal für ein neues Stadtbild und eine neue Gesellschaft konstatiert. Die 1,2 km lange Bebau-ung entlang einer geradlinigen StraßenführBebau-ung und das prägende ErscheinBebau-ungs- Erscheinungs-bild unterstützen diese Position.

Die planerische und bauliche Leistung besteht jedoch in einer umfassenderen und zu Teilen differenzierteren Konzeption. Das Planungskonzept umfasste insgesamt

sieben Schwerpunktbereiche und fünf Wohnkomplexe, herausragend natürlich der Schwerpunktbereich I und II, die Stalinallee, und der Wohnkomplex Weberwiese.

Jedoch belegen die nördlich und südlich anschließenden Schwerpunktbereiche die identischen städtebaulichen Positionen sowie die ästhetischen Ansprüche. Die herausragenden Quartiere am Weidenweg, das sog. Auerdreieck, an der Wede-kindstraße und an der Strausberger Straße sind hier zu nennen.

Der Straßenzug Karl-Marx-Allee/ Frankfurter Allee, vom Alexanderplatz (Bezirk Mitte) bis zur Proskauer Straße, mit den dahinterliegenden Quartieren belegt exemplarisch die städtebauliche Entwicklung in Berlin (Ost) seit Gründung der DDR mit allen Paradigmenwechseln und städtebaulichen Positionen bis in die achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts.

Die Innenstadtlage und der wachsende Verdichtungsanspruch führen heute in diesen Quartieren zu baulichen Absichten, die die Gefahr eines Verlustes der diffe-renzierten städtebaulichen Prägung des Gebietes mit sich bringen können.

Eine Neubebauung mit hohen Dichtewerten kann die Überplanung anderer, aufge-lockerter Elemente des Gebietes zur Folge haben. Das wird deutlich, wenn mit Neubauten höhere Geschosszahlen, Aufbauten, neuartige Dachlandschaften und Eingriffe in Freiräume präsent werden und sich als Referenzbauten anbieten. Zu-sätzlich werden Bestrebungen präsentiert, die die gestalterischen und funktionel-len Merkmale der überlieferten Baustruktur neu interpretieren wolfunktionel-len.

Die Hinwendung zur Verdichtung des Stadtraumes und die Reduzierung der Ab-standsflächen in der Bauordnung Berlin vom 01.02.06 befördern die allgemeine Akzeptanz des Umbaus bestehender Strukturen.

Damit verbunden ist jedoch die Gefahr einer Beeinträchtigung der differenzierten städtebaulichen Prägung, insbesondere dann, wenn sich ein Gebiet aus verschie-denen Bauepochen mit unterschiedlichen städtebaulichen Strukturen zusammen-setzt. Nicht unwesentlich ist in diesem Zusammenhang auch die zunehmende Ge-ringschätzung und Einschränkung der Freiräume; der privaten und der öffentli-chen. Die damit verbundenen Auswirkungen für Ökologie und Stadtklima sind eine der negativen Folgen.

Die Verdichtung geht häufig einher mit der Überplanung städtebaulicher Anlagen, die zusammenhängende Freianlagen besitzen. Insbesondere sind Anlagen der Nachkriegszeit aufgrund ihrer nach heutigen Maßstäben sehr großräumigen Geo-metrie als Gegenstand einer neuen „Komplettierung“ ins Visier geraten.

Die Gefahr einer Korrektur der städtebaulichen Merkmale hat u.a. zu der hier vor-liegenden gutachterlichen Beurteilung des Stadtraumes und der Einschätzung der Schutzwürdigkeit nach § 172 BauGB geführt.

Umso stärker ist die Verantwortung der politischen und fachlichen Gremien der Stadt und des Bezirks zu werten.

Mit den Genehmigungsvorbehalten des § 172 Abs. 1 BauGB hinsichtlich des Rückbaus, der Änderung oder der Nutzungsänderung sowie der Errichtung bauli-cher Anlagen bestehen in einem Erhaltungsgebiet weitreichende Möglichkeiten, Beeinträchtigungen der städtebaulichen Eigenart abzuwenden. Der Erlass einer

Erhaltungsverordnung kann die Zulässigkeit von Vorhaben nach § 34 Abs. 1 BauGB verhindern.

„Bei Anwendung der §§ 34 und 35 können …. Konflikte ebenfalls auftreten. Auch hier folgt aus der Eigenständigkeit des § 172, dass die Zulässigkeit nach einer dieser Vorschriften durch die Satzung überlagert werden kann. Es liegt in der Kon-sequenz dieses Ansatzes, dass damit auch eine ohne die Erhaltungssatzung ge-gebene vollständige Bebaubarkeit eines Grundstücks beseitigt werden darf; § 34 Abs. 1 vermag sich gegenüber einer Erhaltungssatzung nicht durchzusetzen.“3 Insbesondere auch vor dem Hintergrund der seit 01.02.2006 geltenden neuen Bauordnung für Berlin, die einen Großteil von Bauvorhaben verfahrensfrei gestellt hat, kommt dem zusätzlichen Genehmigungsvorbehalt auf der Grundlage des § 173 BauGB eine entscheidende Stellung zu.

Um die Prägung des Stadtraumes in seiner städtebaulichen Eigenart auf Grund seiner städtebaulichen Gestalt und Wirkung für das Orts- und Landschaftsbild zu erhalten und auch künftig die baugeschichtliche Entwicklung nachvollziehen zu können, ist die Festlegung als Erhaltungsgebiet nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB erforderlich.

Für die Festlegung als Erhaltungsgebiet und für eine sachspezifische Beurteilung der Bedeutung und städtebaulichen Eigenart des Gebietes bedarf es der ausführli-chen und vergleiausführli-chenden Analyse der baugeschichtliausführli-chen Entwicklung, ihrer typi-schen städtebaulichen Merkmale und der baulichen Besonderheiten.

Das vorliegende Gutachten beinhaltet die zusammengefasste Darstellung der Stadtentwicklung im Untersuchungsgebiet sowie die Analyse der Entstehungsge-schichte der Wohnbauten. Damit verbunden werden die gestalterischen und städ-tebaulichen Merkmale erläutert und Kriterien für die Zulässigkeit baulicher Verän-derungen vorgeschlagen.

Außerdem werden die Grundsätze zur Festlegung einer Erhaltungsverordnung und ihre rechtliche Wirkung dargelegt.

3Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger § 172 Rdn. 144