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5. BEGRÜNDUNG DER SCHUTZWÜRDIGKEIT UND

5.2 Begründung der Schutzwürdigkeit

Das Gebiet „Karl-Marx-Allee/Frankfurter Allee (ehemals Stalinallee) und deren flankierende Bereiche“ nimmt als städtebaulicher Raum in Dimension und stadthis-torischer Bedeutung eine herausragende Stellung ein und soll deshalb vor wesent-lichen, verändernden Eingriffen geschützt werden.

In der öffentlichen und fachlichen Wahrnehmung wird die Karl-Marx-Allee (ehem.

Stalinallee) als das Wiederaufbauprojekt mit Alleinstellungsmerkmal für ein neues Stadtbild und eine neue Gesellschaft konstatiert. Die 1,2 km lange Bebauung ent-lang einer geradlinigen Straßenführung und die planerische Konzeption unterstüt-zen die Position.

Bei der vertiefenden Betrachtung des Untersuchungsgebietes stellt sich die plane-rische und bauliche Leistung differenzierter und umfassender dar.

Das Stadtgebiet vom Alexanderplatz bis zur Proskauer Straße und vom Volkspark Friedrichshain bis zur Spree war am Ende des Zeiten Weltkrieges zu zwei Dritteln vollständig zerstört. Die Ideen zum Wiederaufbau fokussierten sich bereits ab 1946 auf diesen Stadtraum. Bei der Suche nach einem Aufbau-Konzept für die Stadt dominierte die Absicht, nicht die alte Stadt wiederherzustellen, sondern sie in neuer Gliederung und Struktur zu entwickeln. Ohne an dieser Stelle die vollständi-ge Planungsvollständi-geschichte einzelner Abschnitte zu referieren, ist auf die letztlich reali-sierte Gesamtkonzeption zu verweisen, die ihren Anfang in der Wohnzelle Fried-richshain hatte und binnen 10 Jahren den Bezirk FriedFried-richshain entscheidend ver-änderte.

Das Planungskonzept umfasste insgesamt sechs Schwerpunktbereiche und fünf Wohnkomplexe, herausragend natürlich der Schwerpunktbereich I und II, die Stalinallee, und die Wohnanlage Weberwiese. Jedoch belegen die nördlich und südlich anschließenden Schwerpunktbereiche die identischen städtebaulichen Positionen sowie ästhetischen Ansprüche. Die herausragenden Quartiere am Weidenweg, das Auerdreieck, an der Wedekindstraße und an der Strausberger Straße sind hier zu nennen.

Mit dem Übergang zu industriell vorgefertigten Bauweisen veränderten sich die städtebaulichen Planungen. Aber auch mit neuen technologischen Prinzipien fand keine Abkehr vom innerstädtischen Standort statt: die Integration der Wohnbauten in diesen Raum verdeutlichen die Wohnanlagen zwischen Karl-Marx-Allee und Ostbahnhof bzw. im Bezirk Mitte der Wohnkomplex Karl-Marx-Allee II. Bauab-schnitt.

Die Entstehung und der Wandel weiter Teile von Friedrichshain besitzen einen besonderen Stellenwert in der Stadtentwicklung, da sich an diesem Ort eine städ-tebauliche Entwicklung vollzogen hat, die bedingt durch Zerstörung und Neuge-staltung eine grundsätzliche Veränderung städtebaulicher und sozialer Grundsätze sowie des Raumgefüges manifestiert. Die Fläche des gesamten Areals des

Unter-suchungsgebietes wurde in dem Zeitraum von 1950 bis 1973 vollständig beplant und ausgeführt.

Die städtebauliche Struktur der Wohnanlagen mit den in den öffentlichen Raum wirkenden Freiflächen und die bauliche Prägung der Gebäude und Straßen bilden in ihrem Zusammenwirken die Besonderheit und Einzigartigkeit dieses Stadtrau-mes.

Friedrichshain ist das prägnanteste Beispiel des Wiederaufbaus nach dem Krieg und der Entwicklung des Städtebaus Mitte des 20. Jahrhunderts. Der historische Wandel des Ortes in einem Zeitraum von nicht einmal zehn Jahren mit dem Er-gebnis einer städtebaulichen Neugliederung des Gebietes verdeutlicht die Einzig-artigkeit dieses Raumes in der Berliner Stadtentwicklung. An keinem anderen Ort sind der Wandel und die Neudefinition des Stadtraumes so exemplarisch bis heute erlebbar.

Der Auftrag im Oktober 1949, die „Wohnzelle Friedrichshain“ zu planen, war der tatsächliche Beginn der Neugestaltung dieses Stadtraumes.

In dieser Zeit wurde die bestehende Teilung Deutschlands und der Stadt Berlin seit der Währungsunion auch politisch mit der Gründung zweier deutscher Staaten vollzogen: am 23. Mai 1949 die Bundesrepublik Deutschland mit West-Berlin so-wie Bonn als Hauptstadt und am 07. Oktober 1949 die Deutsche Demokratische Republik mit Berlin (Ost) als Hauptstadt.

Damit änderten sich auch wesentlich die Bedingungen der Aufbauarbeit in Fried-richshain. Das Grundprinzip einer übergreifenden städtebaulichen Planung, die Inanspruchnahme von Grund und Boden, wurden neu geregelt und bestimmte in Folge alle planerischen Entwicklungen.

Am 27.7.1950 verabschiedete der Ministerrat der DDR die „Sechzehn Grundsätze des Städtebaus“. Die Bedeutung der Grundsätze lag vor allem darin, dass die Stadt in ihrer Ganzheit und historischen Spezifik zum Planungsgegenstand erho-ben wurde. Sie stellten das Bekenntnis zum wirtschaftlichen und sozialen Wert der kompakten Stadt dar. Die Grundsätze waren das Leitbild, das auf eine Berücksich-tigung der historisch entstandenen Struktur der Stadt bei gleichzeitiger BeseiBerücksich-tigung ihrer hygienischen, infrastrukturellen und verkehrstechnischen Mängel abzielte;

letztlich die Relation von Tradition und Moderne herzustellen. Städtebau und Stadtplanung wurden in einen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Kontext gestellt.

Wenige Zeit später und im Zusammenhang mit den Sechzehn Grundsätzen wurde am 6.9.1950 das „Gesetz über den Aufbau der Städte in der DDR und der Haupt-stadt Deutschlands, Berlin“ – kurz Aufbaugesetz - verbschiedet. Mit dem Aufbau-gesetz wurde die Inanspruchnahme von Grundstücken geregelt. Im § 14 des Auf-baugesetzes war festgelegt, dass für Grundstücke, die sich in bestätigten Aufbau-gebieten befinden, für den Neubau oder Wiederaufbau eine dauernde oder zeit-weilige Beschränkung oder Entziehung des Eigentums und anderer Rechte erfol-gen kann.

Beide Dokumente stellten die Grundlage dar, nach der in den folgenden Jahren geplant und realisiert wurde.

Die Fortsetzung der Aufbauplanung und -arbeit in Friedrichshain erfolgte noch während der Bauarbeiten der Wohnzelle mit ersten Entwürfen zur „Wohnstadt Stalinallee“. Die Bebauung der Weberwiese, nach dem Entwurf von Herrmann Henselmann begann am 1.9.1951 und am 1.5.1952 wurde das Hochhaus fertig gestellt. Die Bebauung der Weberwiese ist aufgrund ihrer öffentlichen Resonanz und des neuen Selbstverständnisses von sozialistischer Architektur, Symbol des sozialistischen Wiederaufbaus geworden.

Während der Planung der Weberwiese geriet bereits das nächste Großprojekt des Wiederaufbaus in den Mittelpunkt. Am 31.1.1951 wurde der öffentliche werb über die Gestaltung der Stalinallee ausgelobt, zu dem insgesamt 46 Wettbe-werbsarbeiten eingereicht wurden. Das Untersuchungsgebiet des Wettbewerbes war weit umfassender als die Neugestaltung der Magistrale. Es umfasste den ge-samten Stadtraum vom Volkspark Friedrichshain bis zur Spree.

Am 27.8.1951 tagte das Preisgericht unter Vorsitz des Oberbürgermeisters Fried-rich Ebert. Den 1. Preis erhielt das Kollektiv von Egon Hartmann aus Weimar. Der 2. bis 5.Preis ging an die Kollektive von Richard Paulick, Hanns Hopp, Karl

Souradny und Kurt W. Leucht. Bereits im September wurden die Entwürfe öffent-lich ausgestellt und lösten ein ungeheures Interesse der Bevölkerung aus.

In Kürze sollte ein konsensfähiger Plan aus den Entwürfen der fünf Preisträger gefunden werden, der zur Umsetzung kommen sollte. Der sogenannte „Kienbaum-Plan“ wurde der Stadt bzw. der Regierung vorgelegt und führte zu der Entschei-dung, dass die Stalinallee in 5 Abschnitte aufgeteilt wurde und jeder der Preisträ-ger einen Abschnitt zur Realisierung bekam. Außerdem wurde der Kreis der Archi-tekten um Herrmann Henselmann, der keinen Preis gewonnen hatte und dem die Gestaltung des Strausberger Platzes übertragen wurde, erweitert. Bereits am 3.2.1952 erfolgte die Grundsteinlegung für die Stalinallee am Block E-Süd, unmit-telbar an der Weberwiese.

Mit dem Nationalen Aufbauprogramm (NAP) vom November 1951 wurde die Idee einer neuen wirtschaftlichen Basis durch die Beteiligung der Bevölkerung z.B. bei der Enttrümmerung, durch Einrichtung von Ausbildungsstätten für Bauhandwerker, durch Verbesserungsvorschläge und Eigeninitiative geschaffen. Mit den geleiste-ten Arbeitsstunden im NAP konnte auch der Anspruch auf eine Wohnung erwor-ben werden.

Parallel zur Planung und Bebauung der Stalinallee wurden weitere Wohnanlagen, vor allem mit Infrastruktureinrichtungen, nördlich und südlich der Allee konzipiert und realisiert. Dabei war geplant, die Führung der Straßen und ihre Dimensionie-rung weitestgehend beizubehalten.

Hanns Hopp veröffentlichte zur dieser Aufgabe einen Artikel in „Deutsche Architek-tur 4/1952“: „Die übrigen Aufgaben des Jahres 1953 beziehen sich auf die hinter der Stalinallee gelegenen Gebiete, die so ausgewählt sind, dass, unter Einbezie-hung noch erhaltenswürdiger Häuser, geschlossene architektonische Ensembles

entstehen. Nordwärts des Blocks E-Nord wird ein ganzes Dreieck unter Einbezie-hung einiger bestehender Häuser errichtet werden. …. In diesem Innenraum wer-den eine Kindertagesstätte und ein zentrales Waschhaus errichtet. …. Weitere Baumöglichkeiten ergeben sich an dem Gelände südlich der Stalinallee, wo in der Wedekindstraße eine geschlossene Zeilenbebauung durchgeführt werden kann.“

Die schrittweise Fertigstellung des Großprojektes Stalinallee mit seinen Schwer-punktbereichen zwischen 1955 und 1957 fiel in einen Zeitabschnitt, in dem die Erfahrungen mit dem Wohnungsbau in all seiner enormen Großzügigkeit zu einem Umdenken für den weiteren Aufbau der Stadt führten, sowohl materiell als auch gestalterisch. Das Thema der Vorfertigung und Typisierung im Wohnungsbau rückte immer mehr in den Fokus. So wie in Friedrichshain der Wiederaufbau im Ostteil der Stadt seinen Anfang genommen hatte, war die Allee wieder der Ort neuer städtebaulicher Prämissen.

Bereits 1956/57 wurde die Bebauung an der Andreasstraße/ Kleine Markusstraße als Wohnkomplex Friedrichshain mit einer typisierten Bebauung fortgesetzt. Die 5-geschossigen Wohnblöcke in vorgefertigten Großblockelementen lassen in ihrem Erscheinungsbild deutlich den neuen ästhetischen Gestaltungswillen erkennen.

Im Bezirk Mitte, in Nachbarschaft zum Gebiet, entstand ab 1959 auf der Grundlage eines Wettbewerbes der Wohnkomplex Karl-Marx-Allee II. Bauabschnitt vom Strausberger Platz zum Alexanderplatz in industrieller Bauweise. Dieses Großvor-haben war einerseits als Fortsetzung der Karl-Marx-Allee in Friedrichshain be-wusst angelegt und gleichzeitig der Beginn des massenhaften industriellen Woh-nungsbaus in Berlin. Der dafür entwickelten Wohnungsbautyp QP 61 mit 8 bis 10 Geschossen fand ab 1963 im Schwerpunktbereich Strausberger Platz Süd An-wendung und stand in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Bauvorhaben in Mitte. Ähnlich wie an den Bauten entlang der ehemaligen Stalinallee wurde bei der QP-Serie eine keramische Oberfläche verwendet. Ab 1965 wurden die Quartiere an der Karl-Marx-Allee zwischen Andreasstraße und Koppenstraße mit diesem Gebäudetyp und mehreren Gemeinbedarfseinrichtungen, die auch typisiert sind, bebaut.

Ab 1970 rückte das Gebiet entlang der Straße der Pariser Kommune als Woh-nungsbaustandort in den Mittelpunkt. 1971-73 wurde das Gelände nördlich des Ostbahnhofes, in dem noch immer die Lücken des Krieges präsent waren, völlig neu gestaltet und in industriell vorgefertigter Großtafelbauweise errichtet. Die städ-tebauliche Grundauffassung repräsentierte eine durch die Technologie der Vorfer-tigung und der Haustypen angelegte Raumfolge. Die Großform mit einer überwie-genden 10-Geschossigkeit dominierte. Die Straße der Pariser Kommune erhielt eine neue stadträumliche Bedeutung, markiert durch drei 21-geschossige Hoch-häuser und eine promenadenartige Verbindung vom ehemaligen Küstriner Platz (jetzt Franz-Mehring-Platz) zum Ostbahnhof. Die Müncheberger Straße (hinter dem ehemaligen Warenhaus am Ostbahnhof) war einige der wenigen, die im Stadtgrundriss durch Überbauung aufgegeben worden sind.

Die letzte kriegsbedingte Freifläche im Gebiet war der Bersarinplatz, der im Be-bauungsplan von 1862 als sternförmiger Platz N ausgewiesen war. 1985 erfolgte die Neubebauung des Platzes mit einem eigens modifizierten Großtafelsystem der

Wohnungsbauserie 70 (WBS 70), mit dem das sternförmige Motiv aufgegriffen wurde.

Mit diesem Vorhaben fand der Stadtraum, in dem der Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg begonnen hatte, seinen städtebaulichen Abschluss.

Das Gebiet „Karl-Marx-Allee/ Frankfurter Allee mit den flankierenden Bereichen“ ist ein Teil der Stadt, in dem eine neue Stadtgestalt mit hohen sozialen Ansprüchen umgesetzt wurde. Der Wandel von Kultur-, Ästhetik- und Gestaltungsauffassungen ist bis heute nachvollziehbar und präsent, wie kaum an einem anderen Ort der Stadt – herausragend und einmalig.

Mit der Erhaltungsverordnung soll dieser historische Kontext ablesbar bewahrt bleiben und vor Eingriffen, die die städtebauliche Eigenart beschädigen, geschützt werden.