• Keine Ergebnisse gefunden

6. FALLBEISPIEL: DIE MAOHI IN FRANZÖSISCH-POLYNESIEN

6.1 Französisch-Polynesien: geographische, wirtschaftliche, politische und ethnische Rahmenbedingungen

6.1.2 Physische Geographie Französisch-Polynesiens

In ihrer Funktion als Grundlage des menschlichen Kultur- und Wirtschaftsraums seien im Folgenden einige Aspekte der physischen Geographie Französisch-Polynesiens kurz dargestellt.

6.1.2.1 Inseltypen und Inselgenese

Die in Abb. 14 dargestellte klassische Einteilung der pazifischen Inseln nach BUCHHOLZ (1984, S. 106) in fünf verschiedene Inseltypen kann auch auf Französisch-Polynesien angewendet werden:

Abb. 14

A „Hohe" Insel

B Saumriffbildung beim Absinken des Kegels

C Reliktform einer „Hohen" Insel

D Atoll

E Gehobene Koralleninsel35

Im Folgenden ist die Unterscheidung in high islands (entspricht in etwa A-C, vulkanischer Ursprung noch erkennbar) und low islands (entspricht ungefähr D-E, weder Vulkanruine noch Schlot sind erhalten)

vollkommen ausreichend.

35Eine differenziertere Darstellung insbesondere der verschiedenen Stadien der Riffbildung bei KREISEL 1991, S.

21 ff.

Die Genese dieser Inseltypen ist ein Produkt innerozeanischen Vulkanismus’, der als ozeanischer Intraplattenvulkanismus durch die Theorie der hot spots („thermale Flecken") eine mögliche und inzwischen weitgehend akzeptierte Erklärung findet. Dieser Theorie liegt die Vorstellung zu Grunde, dass „die Wärmeabgabe des Erdmantels auf eine geringe Anzahl schmaler Zonen beschränkt ist" (HOHL 1981, S. 263).

Hot spots als heiße, stationäre, „eng begrenzte Aufschmelzungszonen im Erdmantel" (VINK u. a.

1985, S. 62) verursachen ein Aufschmelzen der Lithosphäre, die in der Folge domartig aufquellt (Plumes oder Wärmebeulen) und deren thermische Aktivität auch über geologisch relevante Zeiträume bestehen bleibt. Nur in diesen Zonen steigt die Schmelze „auf dem oberen Mantel diapirartig36 mit etwa zwei Metern jährlich in die Asthenosphäre bis an die Basis der Litho-sphäreplatten auf" (HOHL 1981, S. 263). Bei entsprechendem Druck reißt die ozeanische Kruste und es entsteht durch die nach oben dringenden Schmelzen ein Vulkan. Da gemäß der Theorie der Plattentektonik die kontinentale Drift der Scholle gegeben ist, die thermalen Zentren jedoch stationär bleiben, kommen durch die Kontinentaldrift „ständig neue Bereiche über den hot spots zu liegen" (HOHL 1981, S. 263). Somit entstehen entlang der Driftrichtung linienartige

Vulkanreihen mit zum Teil noch aktiven Endpunkten (z. B. Hawaii), deren Alter entgegen der Drift sukzessiv zunimmt (vgl. KREISEL 1991, S. 633).

Bezüglich der Entstehung der pazifischen Inseln gilt die Annahme mehrerer hot spots als bestätigt:

„Pour l’essentiel, ils correspondent à des constructions volcaniques hors-axe que l’on tente d’expliquer par la théorie des points chauds en les regroupant en alignements dont l’âge progresse régulièrement à un taux et dans une direction similaire au mouvement absolu de la plaque pacifique. Cependant, cette modélisation pose de nombreux problèmes et peu d’alignements sont en accord avec l’existence d’un seul point chaud.“ (s.

MUNSCHY, ANTOINE, GUILLE, GUILLOU 1998, S. 11)

Im Zuge der Riffbildung wird aus einem high island ein low island, weshalb oft als

Hauptunterscheidungskriterium zwischen high island und low island der vorwiegend vulkanische Ursprung des Ersteren und der vorwiegend koralline Ursprung des Letzteren betont wird. Als Beispiel für die verschiedenen Stadien einer Vulkaninsel lassen sich für Französisch-Polynesien die Marquesasinseln als vorwiegend „Hohe" Inseln (A s.o.), die Gesellschaftsinseln als

zunehmend erodierte Formen (B s.o.), die „Vulkanruine" von Bora Bora als Reliktform (C s.o.) und die Tuamotuinseln als typische low islands (D bzw. E s.o.) anführen (vgl. BUCHHOLZ

36Unter einem Diapir versteht man einen „geologischen Körper, der auflagernde Schichten durchbricht (Aufbruch)“

(HOHL 1981, S. 587).

1984, S. 98 ff. und WIRTHMANN 1964, S. 185 ff.). Die riffbildenden Korallen wirken einer weiteren Erosion durch das Meer entgegen, wobei sie durch isostatische Hebung und eustatische Schwankung des Meeresspiegels an die Meeresoberfläche geraten können37 (vgl. KELLETAT 1999, S. 79).

Legt man die verallgemeinerte Einteilung in high islands und low islands zu Grunde, so sind die Gesellschafts-, Marquesas-, und Australinseln vorwiegend der ersten Gruppe und die

Tuamotuinseln den low islands zuzuordnen, wobei die Gambierinseln beide Inseltypen aufweisen.

6.1.2.2 Naturräumliches Potential

In Abhängigkeit von dem Wirkungsgefüge Oberflächengestalt, Klima, natürliche Vegetation und Böden weisen high islands und low islands ein grundsätzlich unterschiedliches naturräumliches Potential auf:

Während bei Ersteren prinzipiell die Möglichkeit zur Aufschüttung einer Küstenebene durch Abtragungsmaterial von Flüssen (bei entsprechendem Niederschlag) gegeben ist, bietet der humusarme sandige Kalkboden eines low island zunächst eine schlechtere Grundlage für den menschlichen Kulturraum (vgl. WIRTHMANN 1964, S. 182 ff.)38.

Der tropischen Klimazone zugeordnet, weist Französisch-Polynesien nur in Bezug auf die low islands die typischen Charakteristika dieses Klimatyps in Idealform auf: hohe Luftfeuchtigkeit (bis zu 80%), monatliche Mitteltemperatur über 20°C, ca. 2800 Stunden Sonnenscheindauer im Jahr, eine Periode verstärkten Niederschlags von November bis April, eine durchschnittliche Niederschlagsmenge von 1625 mm im Jahr, ganzjährig wehenden Passat und einen Tidenhub von höchstens 40 cm (im Extremfall, normalerweise annähernd null). Bei den high islands hingegen überlagert das reliefbedingte Mesoklima das Makroklima, da sich Lokalklima und Vegetation auf der Luvseite deutlich von der leewärtigen Situation unterscheiden: die luvwärtige Regenmenge übersteigt den Durchschnittswert der für dieses Makroklima angegebenen Menge bei weitem, während die Leeseite bei relativer Armut in den Trockenzeiten von Dürre bedroht sein kann. Entsprechendes gilt für die natürliche Vegetation: Luvwärts dominiert immergrüner Regenwald, leewärts Trockenwald, wobei diese Differenzierung nicht ausreichend ist, da

37Einzeldarstellungen bezüglich der Korallenriffe in Französisch-Polynesien, sowie der dadurch bedingten (auch

marinen) Fauna und Flora bei DELESALLE, B. u. a. (Hrsg.): French Polynesian coral reefs, reef knowledge and field guides. 5th International Coral Reef Symposium. Tahiti 1985. Paris 1985.

38Eine differenziertere Darstellung zu Klima, Geomorphologie, Bodenbildung, Wasserstress, natürlicher Vegetation

und landwirtschaftlichem Potential der Atolle Französisch-Polynesiens geben die Autoren JAMET und TRICHET 1988, S. 275-293.

zusätzlich die zunehmende Höhe Auswirkungen auf Artenvielfalt und Vegetationsdichte hat.

High islands können nicht zuletzt auf Grund der Verwitterung des basaltischen Untergrunds eine hohe Bodenfruchtbarkeit aufweisen, während der Kalkuntergrund der low islands auf Grund seiner Nährstoffarmut nur für bestimmte Nutzpflanzen geeignet ist (z. B. Kokospalme). Relativ zu anderen Regionen des tropischen Raumes - in dem ferrallitische Böden vorherrschen (Latosol, Laterit, Roterden) mit weitgehender Nichteignung für großflächige Landwirtschaft - ist die Situation der high island Böden noch als positiv zu werten, da unter anderem der ferrallitische Anteil erst in höheren Lagen von Bedeutung ist (vgl. BUCHHOLZ 1984, S. 100 ff.).

OLIVER (1974, S. 20 ff. stark gekürzt unter besonderer Berücksichtigung der für die Polynesier relevanten Nutzpflanzen) rekonstruiert die heute von Autochthonen und Europäern anthropogen überformte ursprüngliche, charakteristische Vegetation wie folgt:

a) high islands:

- Im Bereich der Küstenebenen: Farne (z. B. Acrostichium), Gräser (z. B. Lepturus, Paspalum), sechs - für die ersten Siedler wirtschaftlich nutzbare - Baumarten: Hibiscus, Thespesia, Barringtonia, Calophyllum, Hernandia, Inocarpus (tahitian chestnut), sowie die Leguminosenarten Mucuna, Sophora und Canavalia. Weitere kleinere Baumarten, Sträucher, Kräuter, Kletter- und Schlingpflanzen dienten der autochthonen Bevölkerung zu medizinischen Zwecken, religiösen Handlungen (vgl. Kap. 3.2.2) oder als Ergänzung zur Hauptnahrung.

- in den höhergelegenen Gebieten (Leelage): die Akazienart Serianthes (deren Holz sich außerordentlich gut zum Bootsbau eignete), zum Teil früchtetragende Sträucher wie Planchonella, Abrus, Buettneria, sowie die heute nicht mehr nachweisbare Baumwollart Gossypium purpurascens.

- in höhergelegenen Gebieten (Luvlage): typische tropische Regenwaldvegetation, allerdings artenarmer und mit einer höheren Anzahl endemischer Arten ausgestattet als die entsprechenden Gebiete auf dem Festland. Von besonderer Bedeutung für die Kultur der Polynesier waren der große Bambus (Schizostachyum glaucifolium), der Bergwege-rich (Musa fehi) und die Kastanie (Inocarpus edulis).

b) low islands:

- Gras- und Strauchvegetation, Alphitonia, Glochidion, Wikstroemia, Timonius, Kokosnuss.

In seltenen Fällen griffen die Polynesier auf marine Vegetation in Form von Algen und Tang als Ergänzungsnahrung zurück.

Ebenfalls als relativ artenarm ist die prähumane Fauna auf den Inseln Französisch-Polynesiens zu bezeichnen. Vermutlich existierte kein einziges Säugetier, wenige Reptilien (z. B. Lygosima cyanurum) und Süßwasserfische (z. B. Kuhlia marginato). In seiner Artenzahl höher lag der Bestand an Vögeln und Meeresfauna, der ebenfalls zur Nahrungsversorgung herangezogen werden konnte. Die Ursache für die relative Artenarmut ist die Besiedlungsrichtung von West nach Ost, die zur Folge hat, dass die Artenvielfalt mit zunehmendem Längengrad abnimmt.

BUCHHOLZ (1984, S. 15) bezeichnet die Möglichkeit, dieses naturräumliche Potential

landwirtschaftlich in Wert zu setzen, als sehr begrenzt, da auf Grund der starken Reliefierung der high islands kaum größere zusammenhängende Flächen landwirtschaftlich genutzt werden können und zudem die korallinen Böden relativ unfruchtbar sind. Dies gilt insbesondere unter heutigen mikro- und makroökonomischen Gesichtspunkten, was nicht ausschließt, dass ein exakt an die oben beschriebenen naturräumlichen Gegebenheiten angepasstes sozioökonomisches System im Rahmen der spezifischen Tragfähigkeit eines insularen Lebensraums bleibt (vgl. auch Kap. 1 und insbesondere 6.2.3).