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4. TOURISMUS IN ENTWICKLUNGSLÄNDERN

4.2 Der neue Pragmatismus in der aktuellen Diskussion über Tourismus in Entwicklungsländern

Die Diskussion um „Reisen in die Dritte Welt“, die in den 60er Jahren einsetzte, wurde zunächst durch eine Welle der Euphorie auf Grund der ökonomischen Möglichkeiten bestimmt, als deren Vertreter u. a. FENTRUP und MEINKE zu nennen sind. HÄUSLER (1995, S.1 ff.) definiert die Anfänge der 70er Jahre als „Ernüchterungsphase“ (vertreten durch JAFARI, SCHAWINSKI und LEEMANN), in der negative Auswirkungen thematisiert wurden, und eine „Aktionsphase“

Mitte/Ende der 70er, die durch eine verstärkte Bildungs- und Informationspolitik zur

Sensibilisierung in Sachen Entwicklungsländertourismus gekennzeichnet war. Die 80er Jahre bezeichnet HÄUSLER als „Phase der Organisation“ auf Grund der Entstehung von

25 Vgl. zum Thema „Wissenschaftlicher Tourismus“ ausführlich BUCHWALD/DILGER 1989.

26 Vgl. hierzu ausführlich HANEFELD 1997.

Organisationen und Netzwerken (z. B. Tourismus mit Einsicht) und zunehmender Forschung nicht zuletzt auf der Basis der Definition des „Sanften Reisens“ von Robert JUNGK, aber auch als Phase des Widerstandes, des sogenannten „Aufstands der Bereisten“ (z. B. Goa). In den 90er Jahren begann man die Konzepte der 80er umzusetzen und die Tourismusbranche selbst brachte verstärkt das Schlagwort „Ökologie“ in die eigenen Programme ein.

Bis Mitte der 90er Jahre kann die Diskussion über Tourismus in Entwicklungsländern als relativ festgefahren betrachtet werden. Befürworter und Kritiker stehen sich fast unbeweglich

gegenüber. KRIPPENDORF ist als einer der wenigen Vertreter zu nennen, die sich um eine differenzierte Betrachtung bemühen. Auch die staatliche Entwicklungszusammenarbeit stellte 1978 die Förderung von Tourismus in Entwicklungsländern offiziell zurück (vgl. VIELHABER 1998, S. 57).

27 Vgl. hierzu ausführlich TÜTING 1997.

VORLAUFER (1996) setzt Rezeption und zeitliche Einbettung der Entwicklungsländer-Tourismusdebatte in den Kontext der entwicklungstheoretischen Diskussion:

Abb. 10: Entwicklungstheorien und Tourismus

Abb.10 Phasen und Leitthemen der wissenschaftlichen und entwicklungspolitischen Diskussion um den Entwicklungsländer-Tourismus im Rahmen der Rezeption der vorherrschenden entwicklungstheoretischen Paradigmen (Entwurf: Karl Vorlaufer; Zeichnung: U. Beha)

Neben dem Ergebnis, dass es nicht möglich ist, Tourismus in Entwicklungsländern grundsätzlich positiv oder negativ zu bewerten, kommt VORLAUFER zu dem Schluss, dass nach dem

„Scheitern der großen Theorien“ ein neuer Pragmatismus die heutige wissenschaftliche und entwicklungspolitische Diskussion bestimmt:

„Die Bewertung der von Tourismus ausgehenden negativen und positiven Wirkungen wird dadurch erschwert, dass ‚Entwicklung’ infolge unterschiedlicher politischer, ideologischer und wissenschaftstheoretischer Positionen und Interessen nicht wertfrei beurteilt werden kann, die verschiedenen Entwicklungsziele oft inkompatibel sind und die auch im Zeitverlauf der Entfaltung einer Tourismuswirtschaft unterschiedlichen und zudem räumlich sehr differenzierten wirtschaftlichen, soziokulturellen und ökologischen Auswirkungen, die räumlich und zeitlich variablen Vor- und Nachteile des Fremdenverkehrs, quantitativ nicht erfasst und miteinander vergleichend bewertet werden können.“ (VORLAUFER 1996, S. 4.)

Als ein konkretes Beispiel hierfür steht auch die Diskussion in „blätter des iz3w“, 1996, Nr. 214, S. 13-34:

Nach der pragmatischen Feststellung „Fernreisen gehören so selbstverständlich zu unserem Leben wie Farbfernsehen und Tiefkühlprodukte“ kommt man zu dem Schluss:

„Eine ernst zu nehmende Tourismuskritik muss an verschiedenen Seiten ansetzen. Sie muss dem Bedürfnis der Menschen nach Reisen Rechnung tragen und über verträgliche Tourismusformen nachdenken. Sie muss die Systemfrage stellen und radikale Veränderungen hier bei uns einfordern, damit sinnvolle Reiseformen nicht dem Belieben des Einzelnen überlassen bleiben, sondern sich von selbst aus den gesellschaftlichen Verhältnissen ergeben. ... Eines muss Tourismuskritik jedoch nicht: Verzicht predigen. Reisen an sich ist nichts schlechtes.

Kommt nur darauf an, was wir daraus machen.“ (blätter des iz3w, 1996, S. 13, Editorial)

Das Informationszentrum Dritte Welt spricht sogar von der „Produktivkraftentfaltung im

Tourismussektor“, während Stellen staatlicher Entwicklungszusammenarbeit, beispielsweise die gtz meint: „Der Schutz der biologischen Vielfalt wäre ohne die Einnahmen aus dem

Fremdenverkehr nicht zu finanzieren“ (MIERSCH 1997, S. 82). Die touristische Nachfrage nach

„Tierattraktionen“ bedingt deren Erhalt. Der hiernach bestimmte monetäre Wert der Tiere ist außerdem vielfach größer als deren direkter Verkauf. Von der Positivargumentation für Tiere ist es nicht weit, auch positive Aspekte für Menschen zu finden, die über wirtschaftliche Vorteile hinaus gehen:

„das (wenngleich oberflächliche) Interesse der Touristen an der heimischen Kultur bewirkt bei den Gastgebern oft eine Rückbesinnung auf das kulturelle Erbe; selbst schon weniger beachtete Kulturgüter erfahren oft eine positive Neubewertung und Wiederbelebung.“ (s. VORLAUFER 1996, S. 203)

Zwischen den Polen fortschrittsgläubiger Euphorie und rigoroser Ablehnung in Bezug auf touristische Prozesse finden sich in der entwicklungspolitischen Diskussion neue und immer differenziertere Graustufen der Argumentation. Eine bloße Schwarz-Weiß-Malerei wurde abgelöst durch feinere Abstufungen und neue Blickwinkel. Die Tourismuskritik muss sich auch daran messen lassen, ob sie in der Lage ist, wirkliche Alternativen zu liefern, was sich als Quadratur des Kreises erweisen könnte:

„Hierbei ist zum einen zu fragen, ob die Kritik Alternativen für Massen und nicht zu ihnen entwirft, und zum anderen, ob diese Alternativen auch dann noch Alternativen bleiben, wenn sie massenhaft in Anspruch genommen werden.“ (s. BERTRAM 1997, S. 226)

Auch wird die Tourismuskritik selbst kritisch unter die Lupe genommen:

„Wir waren lange unfähig zu sehen, dass Tourismus nur einer von vielen Faktoren des soziokulturellen Wandels in unseren Gesellschaften ist, und dass dieser Wandel nicht immer von irgend jemandem mit einer bestimmten Absicht initiiert wurde, sondern auf vielfältigen Ursachen beruht. Die Schwäche, dies einzusehen, betraf sowohl das liberale wie auch das linksorientierte Lager in der Tourismusdebatte.“ (s. GONSALVES, 1997, S. 232)

OPASCHOWSKI (1989, S. 47 f.) unterscheidet nach Roman BLEISTEIN vier Phasen der Tourismuskritik, die oben genannten Ausführungen im Wesentlichen bestätigen. Als massiver Kritiker der Tourismuskritik wirft er den Tourismuskritikern vor:

„Tourismuskritik spielt sich nur im Kopf ab, plädiert vehement für ein anderes Bewusstsein und sagt nicht konkret, wie Reiseverhalten massiv verändert werden kann. Der kritische Reisende wird gesucht und am Ende der aufgeklärte Tourist gefunden, der das Gleiche nur mit einem anderen Bewusstsein macht. Tourismus ist ein Spiegelbild unserer Gesellschaft. Wer den Tourismus verändern will, muss auch die Gesellschaft verändern, dass heißt Einfluss auf die Strukturen des Alltags und die Freizeitwünsche und Feriensehnsüchte der Menschen nehmen.“ (OPASCHOWSKI 1989, S. 47)

Ähnlich argumentiert SCHERER (1995, S. 108):

„Die Tourismuskritik ist so alt wie der Tourismus, ihr Prinzip unverändert: Der ‚gute’ Reisende ist man selbst,

‚Touristen’, ‚Neckermänner’, das sind stets die anderen. Nirgends blieb die Tourismuskritik romantischer als in Deutschland. Ihrem Dogma vom unschuldigen Paradies, einer Idee des 18. Jahrhunderts, entsprach die Doktrin vom Urlaub als Wiederherstellungsmaschinerie einer unerträglichen Alltags- und Arbeitswelt.“

Im Rahmen einer sinnvollen Förderung von touristischen Projekten in der

Entwicklungszusammenarbeit (EZ) ist in diesem Fall die staatliche EZ den meisten NGOs voraus28; speziell in Lateinamerika existieren einige Erfolg versprechende Projektansätze (vgl.

Kap. 5.3). Insbesondere den bisherigen Vorreitern der Kritik an Tourismus in

Entwicklungsländern fällt es enorm schwer, die Förderung touristischer Kleinprojekte auf

Wunsch ihrer Partner zu fördern. Speziell bei den kirchlichen Hilfswerken Misereor und Brot für die Welt ist die derzeitige Förderung solcher Projekte zurzeit noch sehr gering. Neue Wege beschreitet allerdings das Programm „Fair Travel“, das auch von diesen Hilfswerken getragen wird und sich zurzeit in der Erprobungsphase befindet (vgl. Kap. 3.1).

Auf der internationalen Ebene hingegen entwickelten kirchliche und nichtkirchliche NGOs schon in den 80er Jahre Konzepte für entwicklungsrelevante Tourismusprojekte. Das Nord-Netzwerk

28 vgl. Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (gtz) GmbH: „Tourismus in der Technischen Zusammenarbeit.“ Eschborn. 1999.

TEN (Third World Tourism European Ecumenical Network) empfahl damals schon zusammen mit der Süd-NGO ECTWT (Ecumenical Coalition on Third World Tourism) Kriterien für förderungswürdige Tourismusprojekte in Entwicklungsländern (vgl. HAMMELEHLE 1995, S.

100 ff.).

Der CSD29-Prozess (vgl. auch Kap. 7) reflektiert unter anderem Zusammenhänge zwischen Tourismus und nachhaltiger Entwicklung auf internationaler Ebene. Die Diskussion in der UN-Kommission für nachhaltige Entwicklung wird auf nationaler Ebene insbesondere von dem Arbeitskreis Tourismus des Forums Umwelt und Entwicklung, einem Zusammenschluss deutscher Nichtregierungsorganisationen zur kritischen Begleitung des Rio-Folgeprozesses, geführt (vgl. hierzu ausführlich KAMP 1998 und ORLOVIUS-WESSELY 1999).