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6. FALLBEISPIEL: DIE MAOHI IN FRANZÖSISCH-POLYNESIEN

6.1 Französisch-Polynesien: geographische, wirtschaftliche, politische und ethnische Rahmenbedingungen

6.1.6 Ethnische Gruppen

Einleitend seien die vier ethnischen Hauptgruppen Französisch-Polynesiens (vgl. Kap. 6.1.4) noch einmal genannt (polynesische Bezeichnung in Klammern):

- die Polynesier (maohi)

- die demis (Mischlinge aus Polynesiern und Europäern, ta’ata afa) - die Europäer (popa’a)

- die Chinesen (tinito)

Initiiert durch den Kontakt mit den Europäern birgt das Resultat der ethnischen Umstrukturierung in Französisch-Polynesien ein großes Konfliktpotential, da die kulturellen Unterschiede auf relativ engem Raum (konzentriert auf Papeete) zusammentreffen. Als Nachfahren der

autochthonen Bevölkerung sind die Maohi zwar der Anzahl nach in der Mehrheit, in Bezug auf die Verteilung gesellschaftlicher Güter (Wohnung, Nahrung, Kleidung) und Privilegien sowie den Zugang zu Bildungseinrichtungen und damit entsprechend gut bezahlten Arbeitsplätzen jedoch marginalisiert, was unter anderem dadurch bedingt ist, dass sie immer noch den größten Anteil der ländlichen Bevölkerung stellen. Als Verlierer eines Wirtschafts- und Gesellschaftssystems, das sich an den euro-amerikanischen Normen der Marktwirtschaft orientiert und traditionelle Strukturen massiv überformte, weisen die Maohi in Papeete zudem den höchsten Prozentsatz an Alkohol- und Drogenabhängigen auf, sowie die höchste Selbstmordrate, wohnen verstärkt in den inner- und außerstädtischen Marginalsiedlungen (vgl. TETIARAHI 1989a, S. 83) und erreichen nur zu ca. 20% einen höheren Schulabschluss (vgl. TETIARAHI 1989a, S. 86). Die

Akkulturation führte die Autochthonen in einen Teufelskreislauf: Durch Imitation europäischen Konsumverhaltens (Kauf von Autos, Hi-Fi- und Videoanlagen etc...) auf Kredit (der von

44 RPR = Rassemblement pour la République

45 FLP = Front de Libération de la Polynésie

europäischen Banken gewährt wird) oder durch den Verkauf landwirtschaftlicher Parzellen tragen sie selbst nicht unerheblich zur Verschlechterung der eigenen Situation bei (vgl.

TETIARAHI 1989a, S. 84), da sie ihre ohnehin schlechte Einkommenssituation (vorwiegend Hilfsarbeitertätigkeiten, Sozialhilfe und Kindergeld, vgl. DELIUS 1990, S. 13, einschließlich Kinderarbeit) mit dem vermeintlichen Wohlstand nur zu übertünchen suchen und dadurch weiterhin ihre finanzielle Situation verschlechtern.

Die Nachkommen der ersten Mischehen zwischen Europäern und Polynesierinnen, die demis, bilden heute als Minderheit eine gesellschaftliche Mittelschicht, die durchaus vom importierten Wohlstand profitiert und zum Teil auch über höhere Posten in der Wirtschaft verfügt. Sie sind - durch ihre Verbundenheit mit beiden Kulturen – besser als die Maohi in der Lage, sich

anzupassen.

Der asiatische Bevölkerungsanteil (vorwiegend Chinesen, die in zwei Einwanderungswellen im 19. Jh. und einer weiteren im 20. Jh. nach Französisch-Polynesien immigrierten (vgl. Kap. 6.3.1) ansonsten Indonesier und Vietnamesen) stieg zwar später, aber dafür umso höher auf der

gesellschaftlichen Leiter auf, da heute entscheidende Schaltstellen der Wirtschaft von Chinesen besetzt sind. Zwischen demis und Chinesen besteht eine gewisse Konkurrenz, die sich

zunehmend zu Gunsten der sowohl im bestehenden Bildungssystem als auch im nachfolgenden Berufsleben (insbesondere Import-Export-Geschäft, sowie Einzelhandel) erfolgreichen Asiaten verschiebt (vgl. DELIUS 1990, S. 15).

Die Chinesen sind es auch, die internationale Handelsbeziehungen aufrechterhalten und ausbauen und zwar sowohl mit asiatischen Metropolen wie Hongkong, als auch mit EU-Staaten und den USA (vgl. TETIARAHI 1989a, S. 86).

Die Europäer (hauptsächlich Franzosen) sind in der höheren Verwaltung, als Investoren und in den freien Berufen tätig und waren früher insbesondere durch den CEP beschäftigt und stehen somit bezüglich des Einkommens und des Sozialprestiges an höchster Stelle.

Das Wohlstandsgefälle zwischen dem mehrheitlichen autochthonen Bevölkerungsteil und den drei anderen ethnischen Gruppen Französisch-Polynesiens ist die Ursache eines

Konfliktpotentials, das sich entsprechend der Zunahme dieses Gefälles verschärft. Eine der stärksten gewalttätigen Eskalationen in diesem Zusammenhang war die Plünderung und In-Brand-Setzung des Geschäftszentrums von Papeete im Rahmen eines Streiks der Hafenarbeiter am 23.10.1987 (vgl. DELIUS 1990, S. 16).

Auch das Stadt-Land-(Lebensstandard-)Gefälle steht in Zusammenhang mit der ethnischen Zugehörigkeit (dass heißt die relative Armut drückt sich nicht nur räumlich, sondern auch ethnisch aus):

,,Some social inequalities have a rather disturbing, ethnic connotation: indigenous rural populations appear relatively impoverished in comparison to those in urban areas who are mostly non-indigenous settlers or are of mixed race ... In French Polynesia, the mayor imbalance is between the coastal couronnes of the Windward Islands (Tahiti and Moorea) which are almost fully urbanised than the archipelagos on the territorial periphery.

Because of their proximity to Tahiti, the Leeward Islands seem less underprivileged than Tuamotu, Gambier, the Austral Islands and the Marquesas" (DOUMENGE 1988, S. 151).

In Bezug auf die den ethnischen Konflikten zu Grunde liegenden sozialen Unterschiede wird als eine der Hauptursachen immer wieder die Form der westlich-marktwirtschaftlichen

Wirtschaftsstruktur angegeben (vgl. auch Kap. 6.3):

,,For every tradition-respecting pacific islander capitalization, i. e. the capacity to create surplus, is heresy as it creates social inequalities" (DOUMENGE 1988, S. 151).

Es ist eine Gesellschaft der „zwei Geschwindigkeiten“ entstanden:

„Fehlerhafte Verteilungsmechanismen in Frankreichs überseeischem Engagement – der öffentliche Dienst in Übersee wird besser bezahlt als in der Metropole, der gesetzliche Mindestlohn liegt dagegen unter metropolem Niveau – haben die sozialen Polaritäten verstärkt.[...] Das Leben im Mangel, in dem sich die koloniale

Landbevölkerung vormals egalitär vereint sah, ist einer ‚société à deux vitesses’ gewichen. Auf der einen Seite stehen all jene, ob Einheimische oder zugewanderte Métros, ob im öffentlichen Dienst oder in Spitzenpositionen der privaten Wirtschaft, welche die neuen Möglichkeiten integrativer und hochsubventionierter Entwicklung optimal zu nutzen wussten. [...] Scharf davon abgesetzt befinden sich auf der anderen Seite die Marginalisierten und Desaktivierten. Sie haben ihre alten Arbeitsplätze in der Landwirtschaft verloren und sind in die urbanen Zentren gezogen. Arbeitslos oder unterbeschäftigt, nicht selten auch in der Schattenwirtschaft tätig, leben sie von der Sozialhilfe. Der Einzug der Moderne hat ihre alten Werte zerstört, ohne ihnen einen wirklichen Zugriff auf die Neue Welt zu geben. (s. JADIN 1994, S. 210f).

In der neuen, modernen Gesellschaftsstruktur sind es die demi, die sich neben den Europäern am besten zurechtfinden:

„Les Chinois vivent également en communauté relativement fermée, quoique ceci ait tendence à changer avec les nouvelles générations. En revanche, les Demi, qui circulent facilement, grâce à leur qualité poly-ethnique, entre les différents groupes sociaux, semblent constituer un trait d’union entre ces entités culturellement différentes.“ (s. LANGEVIN 1990, S. 13)