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2. Untersuchungsmethoden und experimenteller Aufbau

2.2. Beugung langsamer Elektronen (LEED)

2.2.1. Physikalisches Prinzip

Die experimentelle Bestätigung der von de Broglie 1924 gefundenen Beziehung, in welcher die Wellenlänge λ eines Materieteilchens über die Planck'sche Konstante h mit seinem Impuls p verknüpft wird (λ = h⋅p-1), gelang Davisson und Germer im Jahr 1927 anhand der Beugung von Elektronen an Nickeloberflächen. Nutzt man zur Beugung langsame Elektronen (Beschleunigungsspannung U < 500 V), so liegt deren Wellenlänge in der Größenordnung von Gitterkonstanten kristalliner Materialien. Die Elektronen werden an den Atomkernen der untersuchten Materialien gebeugt; aufgrund dessen besitzen sie eine gewisse Eindringtiefe ins Volumen des Festkörpers. Nach Seah et al. folgt diese als Funktion der Energie für zahlreiche Materialien der sogenannten "Universalkurve". Bei Energien zwischen 10 und 500 eV beträgt

2.2. Beugung langsamer Elektronen (LEED) 19 sie 5 bis 30 Å [76], ein Minimum von einigen Å wird zwischen 50 und 100 eV gefunden, so daß der ganze Vorgang als sehr oberflächenempfindlich anzusehen ist.

Das Muster der an einem periodischen 2D-Gitter gebeugten Elektronen läßt sich als Über-lagerung der von den Streuzentren ausgehenden Kugelwellen verstehen. Nur in bestimmten Richtungen kann eine Beugungsintensität beobachtet werden (konstruktive Interferenz von einfallendem und reflektiertem Strahl); aufgrund der Periodizität in zwei Richtungen müssen zwei Lauebedingungen erfüllt werden. Bei festgelegtem Wellenvektor mit dem Betrag k0 der einfallenden Strahlung, d.h. bei monochromatischer Strahlung mit der Wellenlänge λ0 und k0 = 2π/λ0, sind die beiden Streuwinkel festgelegt. Es wird ein Punktmuster als Beugungsbild erhalten; jeder Punkt erhält zwei Indizes (h k) gemäß den Indizes der zugehörigen Beugungskegel.

Die Oberflächenstrukturen kristalliner Festkörper lassen aufgrund ihrer Symmetrie-eigenschaften nur fünf verschiedene zweidimensionale Bravais-Netze zu: schiefwinklig, rechteckig, zentriert rechteckig, quadratisch und hexagonal. Die Kombination der fünf Bravais-Gitter mit den zehn möglichen Punktgruppen führt zu insgesamt siebzehn zweidimensionalen Raumgruppen. Die periodische Anordnung eines Adsorbats mit den Gittervektoren

b1 und

b2 der Überstruktur kann relativ zum Substrat mit den Gittervektoren a1 und

a2 mittels der Matrixmethode von Park und Madden [77] beschrieben werden:

b m a m a

wobei die vier Koeffizienten mij die Matrix M bilden. Da

a1×a2 die Fläche der Substratelementarzelle ist, entspricht die Determinante det(M) dem Verhältnis der Flächen der beiden Gitter; man erhält eine einfache Einordnungsmöglichkeit des Adsorbatgitters:

⇒ det(M) ist eine ganze Zahl (ebenso wie alle Matrixelemente). Es liegt ein kommensurables Gitter vor, in dem das Adsorbat die gleiche Translationssymmetrie wie die Substrat-oberfläche hat.

⇒ det(M) ist rational (mindestens ein mij rational). Die Struktur ist zwar kommensurabel, aber mindestens einer der Gittervektoren endet nicht auf einem dem Ursprung äquivalenten Substratatom. Nach einem ganzzahligen Vielfachen dieses Gittervektors sind Substratgitter und Überstruktur wieder koinzident (Koinzidenzgitter).

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⇒ det(M) ist irrational. Substrat- und Adsorbatgitter weisen keine gemeinsamen Periodizitäten auf. Es liegt eine inkommensurable Überstruktur vor.

Entsprechend den Gln. 2.2-1 und 2.2-2 gelten analoge Beziehungen für das Beugungsbild im reziproken Raum:

mit den reziproken Gittervektoren des Substrates

a1 und

a2 sowie den des Adsorbats b1 und b2. Berücksichtigt man, daß die Matrix M die Transponierte von M ist, kann durch Ausmessen der Koeffizienten mij im Beugungsbild die mij des realen Gitters und somit die Überstruktur ermittelt werden.

Für den Fall unendlich ausgedehnter Oberflächen sind die Beugungsreflexe einer monochromatischen, ebenen Elektronenwelle beliebig scharf. Die jedoch tatsächlich beobachtete Breite der Reflexe sind auf Beiträge des Gerätes und der Oberfläche zurück-zuführen [72]. Dabei ist die sogenannte Transferweite tW von großer Bedeutung für das Auflösungsvermögen eines LEED-Systems. Ist tW deutlich geringer als die durchschnittliche Domänengröße des Adsorbats, so wird Interferenz über Domänengrenzen hinweg unbedeutend. Das beobachtete Beugungsbild ist in diesem Fall eine inkohärente Summation über die verschiedenen Beugungsbilder der einzelnen Domänen; die Breite der Reflexe ist unabhängig von der Domänengröße. Ist diese jedoch kleiner als tW, so wird aufgrund der Beugung am endlichen Gitter eine Reflexverbreiterung beobachtet. Zusätzlich kommt es noch zu Interferenzen der an verschiedenen Domänen gebeugten Elektronenwellen. Die Transfer-weite tW kann experimentell abgeschätzt werden, wenn eine "ideale" Oberfläche mit einer Periodizität über Bereiche >> tW vorliegt. Beim konventionellen LEED liegt tW in der Größenordnung von 5 - 20 nm; für das in dieser Arbeit verwendete SPA-LEED werden Transferweiten von um 100 nm angegeben [75,78].

Liegen Oberflächendefekte in Form von zufällig verteilten Stufen vor, so wird bei Variation der Elektronenwellenlänge ein periodisches Alternieren der Halbwertsbreite der Beugungs-reflexe beobachtet; dies ist Folge abwechselnder Inphase- und Gegenphasestreuung: im ersten Fall beträgt der Gangunterschied zwischen zwei an benachbarten, durch eine Stufe getrennten Terrassen gebeugten Elektronenstrahlen ein ganzzahliges Vielfaches der Wellenlänge (n⋅λ), im zweiten ein halbzahliges ((n + ½)⋅λ). Bei der Gegenphasestreuung haben die geordneten

2.2. Beugung langsamer Elektronen (LEED) 21 Bereiche, welche das Beugungsbild verursachen, daher nur Terrassengröße, die Reflexe sind dementsprechend verbreitert. In diesem Zusammenhang soll die Streuphase S eingeführt werden; aus dem Experiment sind die Elektronenenergie E und die Phasenverschiebung ∆ bekannt. Analog dem Ansatz zur Herleitung der Bragg-Bedingungen kann die Phasen-verschiebung, die durch eine Stufe an der Oberfläche hervorgerufen wird, als

∆ = ⋅ ⋅2 d cosθ (2.2-4)

beschrieben werden. Hierbei ist d die Stufenhöhe und θ der Einfallswinkel des Elektronen-strahls. Über die de Broglie-Wellenlänge der Elektronen λE = h⋅(2mE)-1/2 wird die Streuphase definiert:

S≡ ∆/λE. (2.2-5)

S beschreibt die Phasenverschiebung an Stufen in Bruchteilen der Elektronenwellenlänge. Bei ganzzahliger Streuphase tritt konstruktive, bei halbzahliger destruktive Interferenz an der Stufe auf. Mit den Gln. 2.2-4 und 2.2-5 erhält man nach E aufgelöst:

( )

E m d S S

= ⋅ d

⋅ ⋅π = ⋅

θ θ

2

2 2 2

2

2 2

2 37 6

cos ,

cos . (2.2-6)

Mit Hilfe dieser Beziehung lassen sich für das in Abb. 2.2.1 gezeigte SPA-LEED-System und eine Si(111)-Fläche mit einer Stufenhöhe von d =0 543, /3 3 nmgeeignete Elektronen-energien ermitteln; so erhält man für S = 5,5 eine Elektronenenergie von 81 eV und für S = 6 eine von 96 eV.

2.2.2. Experimentelles

LEED an Isolatoren.

In einer Reihe von Arbeiten gelang es, an Isolatoreinkristalloberflächen, wie NaCl(100) und MgO(100), nicht nur die Struktur der Substratoberfläche mittels LEED zu beobachten, sondern auch die Translationssymmetrie einer Reihe von Adsorbaten zu ermitteln [14,20,70,79]. Bei Anwendung dieser Untersuchungsmethode auf nichtleitende Substrate besteht jedoch prinzipiell das Problem der elektrischen Aufladung. Die einfallenden Elektronen können nicht wie bei elektrisch leitenden Substraten abfließen; vielmehr werden sie zum Teil eingefangen oder können Sekundärelektronen erzeugen, was zu einer negativen bzw. positiven Effektivladung an der Oberfläche führen kann. Im ersten Fall, der für NaCl bei Elektronenenergie unterhalb von ca. 50 eV liegt [79], wird das Beugungsbild diffus (der

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Elektronenstrahl wird defokussiert) oder ist von schwacher Intensität (die Elektronen erreichen die Oberfläche nicht mehr). Im Bereich positiver Aufladung, der bei Energien oberhalb von ca. 50 eV bis zu einigen hundert eV vorliegt, wird der eintreffende Elektronenstrahl angezogen und seine Energie erhöht. Im Grenzfall resultiert eine stationäre Aufladung, welche ein stabiles Beugungsbild zur Folge hat [79].

SPA-LEED.

Der schematische Aufbau des in dieser Arbeit verwendeten SPA-LEED-Systems der Firma Leybold ist in Abb. 2.2.1 gezeigt. Im Unterschied zu konventionellen optischen Systemen, bei denen das Beugungsbild direkt auf einem Fluoreszenzschirm dargestellt wird, werden die gebeugten Elektronen durch zwei Oktopole über ein feststehendes, hochempfindliches Channeltron gescannt, was die quantitative Intensitätsauswertung von z.B. Reflexprofilen erlaubt. Für die Untersuchung an Isolatoren bringt diese Methode den durch die große Verstärkung des Channeltrons bedingten, erheblichen Vorteil kleiner Primärströme an der Isolatoreinkristalloberfläche (< 200 pA).

+

-+ Elektronenkanone

Channeltron

Schirm- Kristall-Oktopol

Kristall

Sichtfenster

Kristallinse

Montageflansch DN 150 CF

Schirm

Gitter

7,5°

Gitter

Abb. 2.2.1: Schematische Darstellung des verwendeten SPA-LEED-Systems [78].

Die aus einem beheizten Wolframfilament emittierten Elektronen werden zunächst durch einen Extraktor in Richtung Anode fokussiert; Extraktor und Anode bilden mit einem weiteren Linsenelement das Linsensystem "Focus 1". Nach Verlassen der Elektronenkanone

2.2. Beugung langsamer Elektronen (LEED) 23 wird der Strahl durch zwei hintereinander geschaltete Oktopolsysteme abgelenkt; durch Variation der Ablenkspannung fällt der Strahl unter verschiedenen Einfallswinkeln auf die Substratoberfläche. Die an der Oberfläche gebeugten Elektronen unterliegen ebenfalls der Ablenkung durch das Feld des Oktopols; nur solche, die einen Winkel von 7,5° mit dem Primärstrahl einschließen, werden auf die Eintrittsöffnung des Channeltrons abgebildet. Der Elektronenstrahl ist auf diese durch das Linsensystem "Focus 1" und die Kristallinse ("Focus 2") fokussiert, um so maximale Auflösung zu erreichen. Ein Repeller vor dem Channeltron verhindert, daß inelastisch gestreute Elektronen detektiert werden.

Gegenüber der vom konventionellen LEED her bekannten Ewald-Konstruktion zweidimensionaler Beugungsbilder muß für das SPA-LEED-System eine entsprechende Modifikation vorgenommen werden, wie in Abb. 2.2.2 für eine (111)-Fläche dargestellt ist.

Die Ewald-Kugel wird bei konstantem Betrag des Streuvektors

K = k1−k0 um einen Punkt auf der (0 0)-Gitterstange rotiert. Der Streuvektor der Elektronen, die das Channeltron erreichen, kreuzt nacheinander die Gitterstangen, gleichbedeutend mit einer Bewegung des Beugungsbildes bzw. des reziproken Raumes über den ortsfesten Detektor.

Das SPA-LEED-Gerät verfügt außerdem über einen Fluoreszenzschirm, mit dem es bei abgeschalteten Spannungen an den Oktopolen und bis in den µA-Bereich erhöhtem Primärstrom auch als optisches LEED betrieben werden kann. Von dieser Möglichkeit wurde in dieser Arbeit jedoch kein Gebrauch gemacht. Der Primärelektronenstrom konnte mit Hilfe eines Testdatenblatts abgeschätzt werden; er liegt bei einem Heizstrom des Filamentes von 2,25 A bei etwa 80 pA [79]. Die Steuerung des SPA-LEED und die Datenerfassung erfolgte über einen Personalcomputer mit Erweiterungskarten für Digital-Analog-Wandlung und Impulszählung. Die Meßsoftware erlaubte die Aufnahme von 2D- und 1D-Scans mit variabler Auflösung, Ausschnittsgröße und Meßzeit. Es wurde typischerweise bei maximal möglicher Auflösung von 350 x 350 Punkten und mit Scanzeiten im 2D-Modus von 20 bis zu 60 min gemessen.

hier für eine (111)-Fläche gezeigt.

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