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1. Einführung in das Thema der Arbeit

Vorgänge an Festkörperoberflächen berühren auf vielfältige Art und Weise das alltägliche Leben und spielen im Zeitalter der Miniaturisierung in der Hochtechnologie eine überaus wichtige Rolle: Natürliche Prozesse, wie z.B. die Korrosion, können hohe volks-wirtschaftliche Schäden zur Folge haben. Die industrielle Herstellung der verschiedensten Produkte, aber auch die Begrenzung des Schadstoffausstoßes wäre ohne die heterogene Katalyse kaum denkbar. In der Halbleitertechnologie kommt bei der Produktion von Halbleiterbauelementen z.B. der Passivierung bzw. der Maskierung von Oberflächen ein zentraler Aspekt zu.

Daher ist die Forschung bemüht, ein Verständnis um die aufgezeigten Prozesse zu erhalten und Methoden zur effizienteren Reduzierung der durch sie verursachten Schäden oder auch zur Optimierung großtechnischer Produktionen aufzuzeigen. Daß heutzutage Informationen über Vorgänge an Oberflächen auf bis zu atomarer Ebene erhalten werden können, ist der stetigen Verbesserung experimenteller Techniken, insbesondere der Vakuumtechnik, und der Entwicklung neuer Untersuchungsmethoden zu verdanken. In dem Sonderband Surface Science "The First Thirty Years" [1] ist ein interessanter Rückblick zu finden, in dem die Entwicklung der letzten 30 Jahre sowie eine Übersicht der heute zur Verfügung stehenden Untersuchungsmethoden aufgezeigt werden. Wichtige Methoden sind die Auger-Elektronen-Spektroskopie (AES), die Röntgen- und Ultraviolett-Photoelektronen-Auger-Elektronen-Spektroskopie (XPS und UPS), die Elektronen-Energieverlust-Spektroskopie (EELS) und die Beugung langsamer Elektronen (LEED); die Fourier-Transform-Infrarot-Spektroskopie (FTIR) und die Helium-Atomstrahl-Streuung (HAS) stellen Techniken dar, mit denen Oberflächen auf nicht-destruktive Art geprobt werden können; die aus der Weiterentwicklung der Rastertunnel-Mikroskopie (STM) hervorgegangene Rasterkraft-Rastertunnel-Mikroskopie (AFM) ermöglicht die reale Abbildung auch von Isolatoroberflächen mit bis zu atomarer Auflösung.

Erst in neuerer Zeit ist das Interesse an der Untersuchung photochemischer Prozesse an Ober-flächen aufgekommen und stetig gewachsen. Ausgelöst wurde die Erforschung dieses neuen Feldes insbesondere durch einen von Chuang 1983 veröffentlichten umfassenden Übersichts-artikel zur systematischen Untersuchung grundlegender Mechanismen photoinduzierter Pro-zesse an Oberflächen [2]. Ein wesentlicher Gesichtspunkt wurde in diesem Zusammenhang von Polanyi beleuchtet. Er fand, daß Adsorptionssysteme neue Aspekte beim Studium

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photochemisch induzierter Reaktionen eröffnen. So werden Moleküle unter bestimmten Orientierungen, gegenüber der Gasphase mit eingeschränkten Freiheitsgraden an geeigneten Oberflächen adsorbiert; es ergeben sich im Vergleich zur Photochemie des Gases neue Reaktionskanäle im Adsorbat. Der Ausdruck der "Surface Aligned Photochemistry" (SAP) etablierte sich, um die Photochemie adsorbierter Moleküle zu beschreiben [3]. Ob ein Adsorbatsystem jedoch unter diesem Gesichtspunkt eingeführt und studiert werden kann, hängt maßgeblich von der Ausbildung einer wohlgeordneten Struktur und deren Charakterisierung ab.

In der Arbeitsgruppe Heidberg ist es vor allem mittels der Polarisations-FTIR-Spektroskopie (PIRS) gelungen, Systeme einfacher, an verschiedenen Substraten adsorbierter Moleküle zu charakterisieren. Durch die Verwendung von polarisiertem IR-Licht und Isolatoreinkristall-oberflächen bei Messung in Transmissionsgeometrie können neben der Ermittlung energetischer Zustände auch detaillierte Informationen über die Orientierung der adsorbierten Spezies erhalten werden, da die für Metalloberflächen geltenden Auswahlregeln für Ionenein-kristalle keine Gültigkeit haben [4]. So wurden Adsorptionsgeometrien, 2D-Phasenum-wandlungen und statische und dynamische Wechselwirkungen sowie thermodynamische Daten, wie Adsorptionswärmen, von z.B. CO2-NaCl(100) [5-8], CO-NaCl(100) [9-11], D2 O-NaCl(100) [12], CH4-NaCl(100) [13] sowie CO2-MgO(100) [14-16], CO-MgO(100) [17] und H2O-MgO(100) [18] eingehend untersucht. Auch für das System HN3-NaCl(100) gelang es, eine wohlgeordnete Adsorbatphase zu identifizieren und ein Modell der Adsorbatstruktur vorzuschlagen [19]; auf der Grundlage eines solchen Modells kann eine Untersuchung dieses hochreaktiven Systems im Hinblick auf Polanyis SAP-Konzept erfolgen. Ergänzend zu den PIRS-Messungen wird im Arbeitskreis Heidberg die SPA-LEED-Methode (Spot Profile Anlaysis of LEED) angewandt, die erfolgreich auch bei der Untersuchung an reinen Isolatoreinkristalloberflächen eingesetzt wurde und so Informationen zur Strukturaufklärung lieferte [14,18,20].

Ziel der vorliegenden Arbeit ist es daher, auf Ergebnissen früherer Arbeiten aufbauend [21,22], unter definierten Bedingungen die Translationssymmetrie des Adsorbats HN3 -NaCl(100) mittels SPA-LEED zu bestimmen, wobei sich gerade die mit der SPA-LEED-Methode verbundenen niedrigen Elektronenströme an der Substratoberfläche bei der Untersuchung dieses photo- und thermolabilen Systems vorteilhaft auswirken sollten. Die sich aus früheren Arbeiten abzeichnende HN3-Dimerenbildung im Adsorbat [19,21,22] soll durch systematisches Studium der NH-Moden sowie vergleichende Messungen am matrixisolierten

1. Einführung in das Thema der Arbeit 3 HN3 untersucht werden. Aus den hieraus gewonnenen Informationen sowie aus den Resultaten der LEED-Messungen soll im Zusammenhang mit der Analyse der Polarisations-abhängigkeit der IR-Moden im Adsorbat und in Kombination mit Spektrensimulationen eine genauere Vorstellung von der Adsorbatstruktur erhalten werden. Auf der Basis des entwickelten Adsorbatmodells soll die Reaktivität des Systems untersucht werden. Hierbei ist in Anbetracht der bereits gut erforschten Photochemie von HN3 in der Gasphase [23-26]

zentraler Aspekt, ob die Photochemie von HN3-NaCl(100) im Hinblick auf Polanyis SAP-Konzept verstanden werden kann. Es wird untersucht, ob CO und NO geeignete Reaktionspartner einer möglichen photoinduzierten Reaktion für HN3 darstellen.

In der Halbleitertechnologie werden große Anstrengungen unternommen, nach geeigneten N-haltigen Molekülen und experimentellen Bedingungen zur Maskierung von Oberflächen zu suchen. In neuerer Zeit stand insbesondere HN3 im Blickpunkt forscherischen Interesses bei der Untersuchung der Nitridbildung an verschiedenen Halbleiteroberflächen, wie Si [27-30], Ge [31] und GaAs [32]. Im Falle der niedrig indizierten Si-Oberflächen wurde bei der Re-aktion mit HN3 die Bildung eines "Si3N4"-Filmes mit einer für die (111)-Fläche erhaltenen

"8×8"-Überstruktur beschrieben. Die technologische Bedeutung von Si3N4 wird durch einen Blick in den "Gmelin" offenbar; so sind in den Jahren 1991 bis 1997 allein zu Si3N4 fünf Ergänzungsbände herausgegeben worden [33-37]; so kommt der Verwendung von Siliziumnitrid neben der Anwendung als Hochtemperaturkeramik insbesondere in der Mikroelektronik und Halbleitertechnologie sowie in der Sensor- und Solarzellentechnik eine große Bedeutung zu.

Nach ersten Untersuchungen der Siliziumnitridbildung an Si(111) Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre mittels LEED und AES [38] gelang es mit Hilfe von LEED, AES und EELS in den 80er Jahren, ein Modell für die gefundene "8×8"-Überstruktur der in der Reaktion von Si(111) mit NH3, NO oder auch N gebildeten Nitridschicht zu entwickeln (daneben wurde eine sog.

"Quadruplettphase" beobachtet, welche bei Kohlenstoffkontamination der Oberfläche bzw.

höheren Reaktionstemperaturen auftritt) [39-41]. Erst kürzlich veröffentlichte Arbeiten zur Untersuchung der Nitridbildung an Si(111) mittels STM in Kombination mit LEED und LEEM (Low-Energy Electron Microscopy) [42] sowie in Kombination mit XPS [43,44], in denen die reale Abbildung der Adschicht mit atomarer Auflösung gelang, stellten jedoch das zuvor diskutierte Strukturmodell in Frage.

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Um einen Beitrag zur Untersuchung der Adsorption und Reaktion von HN3 an Si(111) zu leisten, soll in der vorliegenden Arbeit mit Hilfe der nicht destruktiven Reflexions-Absorptions-IR-Spektroskopie (RAIRS) in Kombination mit XPS und LEED die zuvor gefundene Adsorbatphase HN3-Si(111) genauer charakterisiert und die Reaktion zwischen den adsorbierten HN3-Molekülen und der Si-Oberfläche während der Thermolyse des Systems verfolgt werden; aus der quantitativen Analyse von XPS-Signalen und LEED-Spots werden Informationen über das Ausmaß der gebildeten Siliziumnitridschicht sowie über die Struktur der Adschicht erwartet; außerdem soll die durch die Reaktion hervorgerufene Änderung der Oberflächenmorphologie mittels AFM untersucht werden.

Abschließend sei noch kurz die Gliederung dieser Arbeit aufgezeigt: So werden in Kapitel 2.

die Untersuchungsmethoden PIRS, LEED, XPS und AFM sowie wesentliche Techniken, wie Druckbestimmung, Temperaturmessung und Probenpräparation und der experimentelle Aufbau, vorgestellt. Es folgt in Kapitel 3. eine Übersicht über die wesentlichen Eigenschaften der verwendeten Adsorptive und Substrate sowie eine Zusammenfassung der in der Literatur beschriebenen Adsorption von HN3 an verschiedenen Einkristalloberflächen. Das Kapitel 4.

ist der Adsorption und Reaktion von HN3 an NaCl(100) gewidmet; auf der Grundlage eines zuvor entwickelten Modells der Adsorbatstruktur soll die Reaktionsfähigkeit des Systems von verschiedenen Gesichtspunkten her beleuchtet und diskutiert werden. In Kapitel 5. werden Ergebnisse zur Adsorption und Reaktion von HN3 an bzw. mit Si(111) vorgestellt;

Schwerpunkte bilden hierbei insbesondere die Charakterisierung der Adsorbatphase und der gebildeten Nitridschicht. Zusammenfassung und Ausblick stellen den Abschluß dieser Arbeit dar.

2.1. Fourier-Transform-Infrarotspektroskopie 5