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Phonologische Fehler als Störung des Ausgangslexikons

3. Sprachdiagnostische Möglichkeiten der PPA

5.5 Phonologische Fehler als Störung des Ausgangslexikons

Phonologische Störungen sind bei SD eigentlich nicht indiziert (Knibb und Hodges 2006), und auch explizit in den Neary-Kriterien zur Diagnose von SD als Ausschlusskriterium aufgeführt (Neary et al. 1998), allerdings werden in der Forschungsliteratur einige Fälle von SD mit phonologischer Störung beschrieben, die die Vermutung nahelegen, dass es eine Verbindung von semantischen und phonologischen Systemen geben muss (Patterson, Graham & Hodges 1994, McCarthy & Warrington 2001, Jefferies, Patterson & Lambon Ralph 2006). Auch zeigt sich ein interessantes Phänomen der unzureichenden Aktivierung von Wortformen im Sinne des „tip-of-the-tongue“-Phänomens. Im Folgenden wird ein Ansatz zur Erklärung dieses Phänomens gegeben.

„Bei dieser Abrufstörung können häufig einige Elemente des Zielwortes aktiviert werden. Meist handelt es sich um das Initial und/oder die Anzahl der Silben. Oft wissen wir auch die Stelle oder den Vokal der betonten Silbe. Trotzdem gelingt es uns nicht, die exakte Lautfolge zu finden.“ (Kotten 1997: 44)

Bei allen untersuchten SD-Patienten sind diese phonematischen Beeinträchtigungen, je nach Schweregrad, in verschiedenen Ausprägungen zu finden. Bei geringer Ausprägung sind häufig nur phonematische Unsicherheiten ähnlich einer leichten Stottersymptomatik merkbar (Beispiel 67-70). Diese fällt jedoch im Vergleich zu den anderen sprachlichen Beeinträchtigungen gerade in der Spontansprache kaum auf. Auffallend ist, dass die Patienten keine deutlichen bzw. schwerwiegenden phonematischen Fehler begehen,

sondern sie scheinen Schwierigkeiten zu haben sich das phonetische Klangbild im Ganzen ins Gedächtnis zu rufen. Diese Unsicherheit im Zugriff auf die phonematische Repräsentation resultiert in einem unsicheren „Herumprobieren“ bzw. „Ausprobieren“

einzelner Phonemabfolgen bis das lückenhafte mentale Klangbild klarer wird.

(67) F.R.: „Und dann natürlich ein bisschen Fleisch oder oder mal..äh z. eben. ei. e. eier eier oder sonst irgendetwas.“

(68) F.R.: „Im Herbst wahrscheinlich ja gut des is fährt meine Frau wahrscheinlich werd’n mer wieder zu der . wenn meine..gsch. Stiefmutter. Geburtstag hat die is zwar auch zwei dreiundneunzig wird die. Da fahrt61 man natürlich hoch des is kein nach.

nach..fill nach..Mitte von Deutschland Frankfurt wohnt die..“

(69) U: „Was würden Sie machen, wenn Sie plötzlich eine Million Euro im Lotto gewinnen würden?“

F.R.: „Ja gut ein Teil davon würd’ ich sicher einige große nonono praktisch äh Fa.

äh net Fa. praktisch. Ferien machen zum Beispiel an.. nach S. nach.. nach . Asien rüber wo ich noch net war zum Beispiel wo wo die..wo die Bergsteiger hingehen zum Beispiel“

(70) L.S.: „Und muss noch auch sagen natürlich. Gerade weil sie hier gerade sitzt äh das ist auch des ist etwas ganz Wichtiges.äh was die..diese Fr. Da. also wie sie [zeigt auf seine Frau] . Die die bringen alle das mit hinein.“ (Zielwörter Frau, Dame62)

Im Verlauf können sich die phonematischen Störungen progredient zeigen, müssen aber nicht. Im Fall von L.S. liegt zwar ein vordergründig semantischer Jargon vor, allerdings werden mitunter auch phonematische Unsicherheiten im Sinne von Schwierigkeiten beim Abruf der Wortformen, insbesondere bei Nomina, deutlich, ähnlich einer conduite d’approche.

(71) L.S.: „Ja. O ja. O ja. Oooh. Wenn ich das mir so anschau was sie was sie dort mit die kleinen K.Kli.Klieseln dort drinne sind oder.“ (wahrscheinliches Zielwort:

Kiesel)

(72) L.S.: „Wenn ich da so nachdenke..wenn man da hineindeng.hin.schaut…also da is ja keiner.keiner der äh Miss.Miss.Missbuch…also? Muss man schon sagen.“ [Zielwort:

Missbrauch]

61 Dialektal

62 L.S. hat im weiteren Verlauf der Unterhaltung seine Ehefrau mit „diese Dame“ benannt.

(73) L.S.: „Ja aber es interessiert mich, dass sie. hier. dass sie so einen. wie wie soll ich’s sagen. so etwas mitbringt weil sie ja so musiz. musikal. lisch da mit. macht mitmacht auf irgendeiner Art.“

(74) L.S.: „Wie sind mulli..mi..mulist wie soll mans schon sagen. Da ist man immer dabei.“

Im weiteren Verlauf kann jedoch die Beeinträchtigung im Bereich der Phonologie deutlicher heraustreten, wie bei L.S. bereits ansatzweise merkbar war (71-74). H.T.’s Spontansprache63 bestand größtenteils aus schwerem semantisch-phonematischem Jargon, so dass eine Transkription nahezu unmöglich war. Dennoch soll ein Teil einer Unterhaltung hier in der Transkription dargestellt werden um die schwere phonematische Störung deutlich zu machen64. Die Unterhaltung hat die starken, immer wiederkehrenden Kopschmerzen des Patienten zum Thema:

(75) H.T.: “Weg also vui g’macht vui..danna bschi da do scho g’macht da ble:n.“

U: „Wie meinen Sie des jetzt?“

H.T.: „Ja, wie so g’macht a scho g’macht scho..woischo..s macht a dortnso g’macht sch vui. wo scho g’macht vui me: und danna“

U: „Wenn sie viel gearbeitet haben..“

H.T.: Ja ja ja und blededet jetzet g’macht be aber scho g’macht vui woasch vui vui und danna kloana bissen scho g’macht gell?

U.: „Als sie früher viel gearbeitet haben..

H.T.: „Ja, ja“

U: „..haben sie da schon ein kleines bisschen Kopfschmerzen gehabt“

H.T.: „kloans. Mei desa desa amo so g’macht a net. woat a wet. woast a wen wuil vuil wui wuasch wuascht mui muach fuach macht vui, woast scho..“

An dieser Stelle sei angemerkt, dass hier die Heterogenität der aphasischen Subtypen, speziell bei Semantischer Demenz, besonders hervortritt. H.T. und L.S. fallen beide in denselben Schweregrad von semantischer Demenz, der sprachliche Abbau verlief jedoch in sehr unterschiedliche Richtungen. H.T. entwickelte eine schwere phonologische Störung wohingegen L.S. eher im semantischen Jargon sprach. Analog dazu schien im Hinblick auf semantische Störungen H.T. im Gegensatz zu L.S. relativ unbeeinträchtigt zu sein (vgl.

BOSU-Testung H.T., Kapitel 3.2.2.3).

63 H.T. spricht in einem bayerischen Dialekt

64 Auch im Nachsprechen (Aachener Aphasie Test) zeigten sich sprechapraxieähnliche phonematische Paraphasien

Über die Ursache der phonematischen Störung lassen sich einige Vermutungen anstellen.

Wie oben bereits erwähnt, ist es auffallend, dass die untersuchten SD-Patienten bei der Wortfindung teilweise ein „Herumprobieren“ bzw. Ausprobieren von Phonem- bzw.

Silbenkonstruktionen zeigen, um die richtige Wortform zu treffen. In schweren Fällen kann sich bis zur Produktion hartnäckiger phonematischer Neologismen, wie im Fall H.T., äußern. Wichtig hierbei ist die Tatsache, dass auch bei allen Patienten Anlauthilfen des Untersuchers weitgehend versagt haben. Dieses Phänomen ist essentiell um die Ursache der Störung im Logogenmodell zu identifizieren. Die Störung liegt im phonologischen Ausgangslexikon direkt, hierbei ist das jeweilige Lexem zwar korrekt identifiziert aber unzureichend aktiviert und wird so schon im Ansatz fehlerhaft geäußert. Die nächste Ebene nach der Lexemaktivierung besteht in der phonologischen Kodierung des Zielwortes, die sich ebenfalls im phonologischen Ausgangslexikon befindet. Läge eine direkte Störung der phonologischen Kodierung vor so hätte das Lexem korrekt aktiviert werden müssen und die Auswahl und Ordnung der Phoneme wären beeinträchtigt. In diesem Fall müsste eine Anlauthilfe jedoch erfolgreich sein, da die geplante Wortform bereits aktiviert wurde. Somit kann man bei SD die lautlichen Fehler auf eine eigentlich lexikalische Störung (Fehlerhafte Aktivierung des Ziellexems) zurückführen, die sich erst in der Konsequenz auf die Phonologische Kodierung des Wortes auswirkt. Die Hypothese wird durch die Beobachtung gestützt, dass nicht nur die hier beschriebenen Patienten Schwierigkeiten mit Anlauthilfen zeigten, sondern die Resistenz gegenüber Anlauthilfen auch in der Literatur bei SD zu finden ist (Jefferies, Patterson & Lambon Ralph 2006).

Abbildung 53. Ablauf der Zielwortproduktion innerhalb des phonologischen Ausgangslexikons (Logogenmodell)

Konzept ’Missbrauch’

1. Aktivierung Wortform/Lexem /’mIsbraux/

2. Phonologische Enkodierung m I s b r au x

Phonologisches Ausgangslexikon Semantisches

System

So konnte gezeigt werden, dass eine phonologische Störung bei SD auf Fehler bei der Aktivierung der Lexeme im phonologischen Ausgangslexikon zurückzuführen ist und nicht die phonologische Enkodierung selbst betrifft. Dieses Phänomen ist also durchaus erklärbar und passend zum restlichen Störungsbild. Da die beiden Ebenen der Wortformaktivierung und der phonologischen Enkodierung im phonologischen Ausgangslexikon zusammengefasst sind ist das Modell zu differenzierten Darstellung der phonologischen Fehler wenig geeignet. Ein Vorschlag hierzu wäre das konnektionistische Modell nach Dell (1986, 1988), das die Ebene der Konzepte, die Ebene der Lexeme und die Ebene der Phoneme jeweils deutlich voneinander unterscheidet.