• Keine Ergebnisse gefunden

Pflegebeiträge für hilflose Minderjährige

Im Dokument Jahrgang 1989 (Seite 173-181)

AHV. Festsetzung der Beiträge im ausserordentlichen Verfahren

IV. Pflegebeiträge für hilflose Minderjährige

Urteil des EVG vom 25. Oktober 1988 i.Sa. C.H.

Art. 20 und 41 IVG. Beginn des Anspruchs auf Pflegebeiträge (Erw. 2c und 3c, Bestätigung der Rechtsprechung).

Bei Dauerleistungen hat die Verwaltung die Anspruchsvoraussetzun-gen periodisch zu überprüfen und gegebenenfalls eine Erhöhung, Her-absetzung oder Aufhebung der Leistung im Rahmen eines Revisions-verfahrens vorzunehmen. Abgesehen von einzelnen Ausnahmefällen, in welchen sich eine Befristung von der Sache her rechtfertigen kann und als gesetzeskonform erweist—wie z.B. bei schulischen und beruf- 170

lichen Massnahmen oder bei einer Physiotherapie nach ärztlichem Therapieplan - ist es grundsätzlich nicht angängig, zukünftige Dauer-leistungen für eine begrenzte Zeitspanne zuzusprechen (Erw. 3a).

Die am 8. Oktober 1984 geborene C.H. weist bei einer seit ihrer Geburt vorlie-genden spastischen Tetraparese mit Rumpfhypotomie eine schwere Hirnschä-digung, einen psychomotorischen Entwicklungsrückstand sowie eine Zere-brale Bewegungsstörung auf. Zudem leidet sie an Epilepsie.

Die IV erbrachte Leistungen für die Überwachung und Behandlung der Ge-burtsgebrechen sowie für die Hospitalisation, Medikamente, Therapien und Transporte; ferner erteilte sie Kostengutsprache für die heilpädagogische Früh-beratung und einen Spezialkinderwagen. Am 13. November 1986 stellte die Mutter der Versicherten ein Gesuch um Ausrichtung eines Pflegebeitrages.

Aufgrund einer Abklärung der Verhältnisse an Ort und Stelle (Bericht vom 23. April 1987) gelangte die 1V-Kommission mit Beschluss vom 11. Mai 1987 zur Auffassung, C.H. sei in mittlerem Grade hilflos. Am 15. Mai 1987 gewährte die kantonale Ausgleichskasse deshalb für die Zeit vom 1. November 1986 bis zum 31. Oktober 1988 verfügungsweise einen Pflegebeitrag wegen Hilflosig-keit mittleren Grades.

Beschwerdeweise liess der Vater der Versicherten das Vorliegen einer schweren Hilflosigkeit geltend machen und die Ausrichtung eines diesem Grad entspre-chenden Pflegebeitrages beantragen. Die kantonale AHV- Rekurskommission vertrat die Auffassung, die Hilfsbedürftigkeit im Bereich der Notdurftverrich-tung erfordere im Vergleich zu gleichaltrigen Kindern ohne Gesundheitsscha-den keinen wesentlichen Mehraufwand und könne deshalb nicht berücksich-tigt werden. Da der Nachweis einer Hilflosigkeit in allen sechs massgeblichen

Lebensbereichen somit nicht erbracht sei, wies sie die Beschwerde mit Ent-scheid vom 18. Januar 1988 ab.

Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird das im vorinstanzlichen Verfahren gestellte Begehren unter Einreichung zusätzlicher Beweismittel erneuert.

Das EVG heisst die Verwaltungsgerichtsbeschwerde aus folgenden Erwägun-gen gut:

1.

2a. Wie die Rekurskommission zutreffend darlegte, wird hilflosen Minderjäh-rigen, die das zweite Altersjahr zurückgelegt haben und sich nicht zur Durch-führung von Massnahmen gemäss den Artikeln 12, 13, 16, 19 oder 21 in einer Anstalt aufhalten, nach Art. 20 Abs. 1 IVG ein Pflegebeitrag gewährt. Art. 13 IVV setzt die Höhe der Beiträge fest. Gemäss der bis Ende 1987 gültig gewese-nen Fassung beläuft sich der Pflegebeitrag bei Hilflosigkeit schweren Grades auf 18 Franken, bei Hilflosigkeit mittleren Grades auf 11 Franken und bei Hilf-losigkeit leichteren Grades auf 4 Franken im Tag. Seit dem 1. Januar 1988 be-trägt der Tagesansatz 20 Franken bei Hilflosigkeit schweren Grades, 12.50

Franken bei Hilflosigkeit mittleren Grades und 5 Franken bei Hilflosigkeit leichten Grades.

171

Der Begriff der Hilflosigkeit Minderjähriger gemäss Art. 20 Abs. 1 IVG rich-tet sich nach den für hilflose Erwachsene massgebenden Art. 42 Abs. 2 IVG und 36 IVV (BGE 111 V 206 Erw. la mit Hinweis, ZAK 1986 S. 477). Danach gilt als hilflos, wer wegen Invalidität für die alltäglichen Lebensverrichtungen dauernd der Hilfe Dritter oder der persönlichen Überwachung bedarf (Art. 42 Abs. 2 IVG). Bezüglich der praxisgemäss massgebenden sechs alltäglichen Le-bensverrichtungen (BGE 113 V 19 mit Hinweisen, ZAK 1988 S. 392) und der Voraussetzungen für die Annahme einer Hilflosigkeit schweren (Art. 36 Abs. 1 IVV), mittleren (Art. 36 Abs. 2 IVV) oder leichten (Art. 36 Abs. 3 IVV) Grades kann auf die zutreffenden Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden.

Nach der Rechtsprechung schliesst die sinngemässe Anwendung von Art. 42 Abs. 2 IVG und Art. 36 IVV bei der Bemessung der Hilflosigkeit Minderjähriger die Berücksichtigung besonderer Umstände, wie sie bei Kindern und Jugend-lichen vorliegen können, nicht aus. Namentlich ist zu beachten, dass bei Klein-kindern eine gewisse Hufs- und Uberwachungsbedürftigkeit auch bei voller Gesundheit besteht. Massgebend für die Bemessung der Hilflosigkeit ist daher der Mehraufwand an Hilfeleistung und persönlicher Überwachung im Ver-gleich zu einem nicht invaliden Minderjährigen Ver-gleichen Alters. Es ist zu be-achten, dass der Grad der Hilflosigkeit nicht nur rein quantitativ nach dem not-wendigen Zeitaufwand der Pflege und Überwachung zu ermitteln ist, sondern dass auch die Art der Betreuung sowie der Umfang der Mehrkosten gebührend zu würdigen sind. Weil die Bemessung der Hilflosigkeit somit von einer Reihe von Gesichtspunkten abhängt, ist es nicht möglich, in abstrakter Weise zu sa-gen, einem gegebenen Leiden entspreche notwendigerweise ein bestimmter Grad der Hilflosigkeit (ZAK 1986 S. 479f. mit Hinweisen).

Bezüglich des Beginns der Anspruchsberechtigung schreibt das Gesetz weder bei Erwachsenen nach Art. 42 Abs. 1 IVG noch bei Minderjährigen nach Art. 20 Abs. 1 eine Wartezeit vor. Nach Art. 42 Abs. 2 IVG gilt jedoch nur als hilflos, wer «dauernd» der Hilfe Dritter oder der persönlichen Überwachung bedarf. Dieses Erfordernis ist nach ständiger Rechtsprechung und Verwal-tungspraxis erfüllt, wenn der die Hilflosigkeit begründende Zustand weitge-hend stabilisiert und im wesentlichen irreversibel ist, wenn also analoge Ver-hältnisse wie bei der ersten Variante von Art. 29 Abs. 1 IVG - in der vorliegend massgebenden, bis Ende 1987 gültig gewesenen Fassung - gegeben sind (Va-riante 1). Ferner ist das Erfordernis der Dauer als erfüllt zu betrachten, wenn die Hilflosigkeit wahrend 360 Tagen ohne wesentlichen Unterbruch gedauert hat und voraussichtlich weiterhin andauern wird (Variante 2) (BGE 111 V 227, ZAK 1986 S. 414). Diese Wartezeit kann dabei schon vor dem vollendeten zweiten Altersjahr beginnen - vergleichbar mit der hinsichtlich des Beginns des Rentenanspruchs zu beachtenden Wartezeit im Sinne von Art. 29 Abs. 1 Variante 2 IVG, welche durch entsprechende Arbeitsunfähigkeit schon vor dem 1. Tag des der Vollendung des 18. Altesjahres folgenden Monats, dem frühesten Beginn rentenbegründender Erwerbsunfähigkeit, ausgelöst werden kann (ZAK 1986 S. 478). Im Fall der Variante 1 entsteht der Anspruch auf Hilf- 172

losenentschädigung bzw. auf Pflegebeiträge im Zeitpunkt, in dem dielei-stungsbegründende Hilflosigkeit als bleibend vorausgesehen werden kann, und im Fall der Variante 2 nach Ablauf der 360 Tage, sofern weiterhin mit einer Hilflosigkeit der vorausgesetzten Art zu rechnen ist (ZAK 1986 S. 487 mit Hin-weisen).

3a. Die Ausgleichskasse sprach der Versicherten für die Zeit ab 1. November 1986 bis zum 30. Oktober 1988 einen Pflegebeitrag wegen Hilflosigkeit mitt-leren Grades zu. Soweit die angefochtene Verfügung vom 15. Mai 1987 die Dauer des Leistungsanspruches für die Zukunft begrenzt, erweist sie sich nach der Rechtsprechung des EVG als unzulässig. Bei Dauerleistungen hat die Ver-waltung die Anspruchsvoraussetzungen zwar periodisch zu überprüfen und im

Rahmen eines Revisionsverfahrens gegebenenfalls eine Erhöhung, Herabset-zung oder Aufhebung der Leistung vorzunehmen. Abgesehen von einzelnen Ausnahmefällen, in welchen sich eine Befristung von der Sache her rechtferti-gen kann und als gesesetzeskonform erweist - wie z.B. bei schulischen und beruflichen Massnahmen oder bei einer Physiotherapie nach ärztlichem Thera- pieplan ist es indessen grundsätzlich nicht angängig, zukünftige Dauerlei- stungen für eine begrenzte Zeitspanne zuzusprechen (BGE 109V 261 Erw. 4, ZAK 1984 S. 130; BGE 97 V 59 Erw.1). Die Voraussetzungen für die Gewäh-rung des beantragten Pflegebeitrages sind deshalb nur aufgrund der Verhält-nisse bis zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Verfügung vom 15. Mai 1987, in welchem die Versicherte rund zweieinhalb Jahre alt war, zu prüfen.

b. Verwaltung und Vorinstanz gingen davon aus, die notwendige Hilfelei-stung im Bereich der Notdurftverrichtung erfordere im Vergleich zu derjenigen bei gleichaltrigen Kindern ohne Gesundheitsschaden keinen erheblichen Mehraufwand. Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden.

Aus den mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereichten Gutachten er-gibt sich, dass C.H. aufgrund ihres Gesundheitszustandes im Bereich der Not-durftverrichtung schon im Alter von zwei Jahren Hilfe benötigte, welche den bei gesunden Kindern erforderlichen Aufwand erheblich übersteigt. So erklärt eine Gutachterin, das Mädchen leide, wie viele epilepsiekranke Kinder mit Mehrfachbehinderung und Spastizität, an chronischer Verstopfung, die gele-gentlich mit zusätzlichen Störungen der Magen-Darm-Passage einhergehe und Krämpfe verursache; damit die Darm-Mobilität gewährleistet bleibe, seien tägliche Massagen der Bauchdecke erforderlich; zusätzlich müssten häufig ausserordentlich zeitaufwendige und nicht ungefährliche Einläufe vorgenom-men werden; wegen häufigen, auf die Einnahme von Antibiotika zurückzufüh-renden Pilzbefalls im Windelbereich sei zudem ein überaus häufiges Wechseln der Windeln unerlässlich, was im Vergleich zu gleichaltrigen Kindern einen er-heblich grösseren Zeitaufwand erfordere; bedingt durch die hohe Spastizität nehme das Kind statt einer Beuge- jeweils eine Streckstellung ein, die ein «ver-nünftiges Wickeln praktisch verunmögliche».

Angesichts dieser in mehrfacher Hinsicht erschwerten Umstände der Hilfelei-stung und des erheblichen Zeitaufwandes muss im Bereich der Notdurftver-

173

richtung ein erheblicher Mehraufwand angenommen werden. Dies bestätigt auch die Stellungnahme der heilpädagogischen Früherzieherin, deren Anga-ben sich ausdrücklich auf den Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Verfü-gung beziehen. Es besteht kein Anlass, an der Zuverlässigkeit der im vorliegen-den Verfahren beigebrachten Berichte zu zweifeln. Aufgrund der darin darge-legten Verhältnisse ist davon auszugehen, dass C.H. bereits im Alter von zwei Jahren auch im Bereich der Notdurftverrichtung erheblich aufwendigere Hilfe-leistungen benötigte als gleichaltrige gesunde Kinder.

Zu Recht stellten weder die Verwaltung noch die Rekurskommission die Hil fs-bedürftigkeit in den übrigen fünf massgeblichen Lebensverrichtungen in Frage. Zusätzlich wurde die Notwendigkeit dauernder Pflege im Abklärungs-bericht der IV- Kommission vom 23. April 1987 ausdrücklich bestätigt. Da sich C.H. gemäss der Auskunft des heilpädagogischen Frühberatungsdienstes be-dingt durch ihre starke Reflextätigkeit in eine Zwangsstellung manövrieren kann, welche den Schluckvorgang blockiert, was zum Erbrechen und damit zu einer Erstickungsgefahr führen kann, ist auch eine ständige Überwachung un-abdingbar. Damit erweisen sich die Voraussetzungen für die Annahme einer schweren Hilflosigkeit bereits für das zweite Altersjahr als erfüllt.

c. Zu prüfen bleibt die Frage nach dem Beginn der Anspruchsberechtigung.

Weil seit der Geburt stabile und irreversible Verhältnisse vorliegen, war das Er-fordernis der Dauerhaftigkeit bereits im Alter von zwei Jahren erfüllt. Der Versi-cherten stehen deshalb ab dem Monat, in welchem sie das zweite Altersjahr vollendete (Art. 20 Abs. 1 IVG i.Verb. m. Art. 35 Abs. 1 IVV; ZAK 1986 S. 481), d.h. ab 1. Oktober 1986, Pflegebeiträge wegen Hilflosigkeit schweren Grades zu.

IV. Rechtspflege

Urteil des EVG vom 19. Oktober 1988 i.Sa. M.R.

Art. 5 Abs. 1 und Art. 35 Abs. 1 VwVG; Art. 91 Abs. 1 IVV und Art. 128 Abs. 1 AHVV. Auf öffentliches Recht gestützte Anordnungen der Be-hörden über Rechte und Pflichten eines Versicherten im Einzelfall gel-ten als Verfügungen. Sie müssen als solche bezeichnet und mit einer

Rechtsmittelbelehrung versehen sein, auch wenn sie in Form eines Briefes eröffnet werden (Erw. 2a). Erfüllt dieser zwar die formellen Erfordernisse nicht, weist er aber den Gehalt einer Verfügung auf, so ist er als solche anzusehen und durch Beschwerde anfechtbar (Erw.

2b).

Der 1950 geborene M.R. leidet an Rückenschmerzen und musste sich am 7. Mai 1985 einer Diskushernienoperation unterziehen. Vom 14. August 1979 bis Ende Oktober 1983 arbeitete er als Hilfsarbeiter in der Firma B., und am 174

1. November 1983 trat er eine Stelle als Schreiner in der Firma W. B. an, welche er wegen seiner Beschwerden am 9. November 1984 jedoch aufgab.

Am 22. März 1985 meldete sich M.R. bei der IV an und ersuchte um Berufs-beratung sowie um Umschulung. Mit Verfügung vom 25. Februar 1986 bewil-ligte die Ausgleichskasse eine am 6. Januar 1986 beginnende, dreimonatige Einführung in die Tätigkeit eines Möbelschreiners in der Firma K.M.

Für die Dauer dieser beruflichen Massnahme sprach sie ihm am 19. Februar 1986 verfügungsweise ein Taggeld von 117 Franken zu. Mit Verfügung vom 15. Mai 1986 gewährte sie dem Versicherten für die Zeit ab 1. November 1985 bis 30. April 1986 eine halbe 1V-Rente mit entsprechenden Zusatzrenten für die Ehefrau und die beiden 1983 und 1985 geborenen Kinder. In einem Be-gleitschreiben zu dieser Rentenverfügung teilte sie ihm zudem unter Hinweis auf eine separate Taggeldverfügung mit, das am 19. Februar 1986 für die Zeit ab 6. Januar 1986 zugesprochene Taggeld werde im Hinblick auf den zusätz-lichen Rentenanspruch auf Fr. 64.70 gekürzt.

Beschwerdeweise beanstandete M.R. nebst der zugewiesenen Arbeit in der Firma K.M. im wesentlichen die Renten- und die Taggeldhöhe. Mit Entscheid vom 30. Mai 1988 bestätigte die kantonale Rekursbehörde den verfügten Ren-tenanspruch. Gleichzeitig trat sie demgegenüber auf die Rügen der Art der be-ruflichen Massnahme und des Taggeldbetrages nicht ein, da diese nicht Ge-genstand der angefochtenen Verfügung vom 15. Mai 1986 bildeten. Bezüglich der Ermittlung des Taggeldanspruches hielt sie fest, das der Rentenverfügung vom 15. Mai 1986 beigelegte Schreiben erwähne zwar eine Taggeldverfü-gung; eine solche sei dem Versicherten jedoch nie zugestellt worden und eine blosse Abrechnung könne nicht Beschwerdegegenstand bilden.

Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde macht M.R. sinngemäss geltend, die Kürzung des Taggeldanspruches sei nicht gerechtfertigt.

Nachdem die Ausgleichskasse erkannt hatte, dass sie entgegen ihren Ausfüh-rungen im Schreiben vom 15. Mai 1986 noch keine die Verfügung vom 19. Fe-bruar 1986 ersetzende neue Taggeldverfügung erlassen hatte, holte sie dies am 9. August 1988 nach. Unter Einreichung einer Kopie dieser Kürzungsverfü-gung und eines an den Versicherten gerichteten Begleitschreibens verzichtet sie auf eine Stellungnahme zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das BSV enthält sich eines Antrages.

Das EVG heisst die Verwaltungsgerichtsbeschwerde aus folgenden Erwägun-gen gut:

la. Streitgegenstand im System der nachträglichen Verwaltungsrechtspflege ist das Rechtsverhältnis, welches - im Rahmen des durch die Verfügung be-stimmten Anfechtungsgegenstandes - den aufgrund der Beschwerdebegeh-ren effektiv angefochtenen Verfügungsgegenstand bildet. Nach dieser Be-griffsumschreibung sind Anfechtungsgegenstand und Streitgegenstand iden-tisch, wenn die Verwaltungsverfügung insgesamt angefochten wird. Bezieht sich demgegenüber die Beschwerde nur auf einen Teil des durch die Verfü-gung bestimmten Rechtsverhältnisses, gehören die nicht beanstandeten Teil-

175

aspekte des verfügungsweise festgelegten Rechtsverhältnisses zwar wohl zum Anfechtungs-, nicht aber zum Streitgegenstand.

b. Der Beschwerdeführer beanstandet einzig die am 15. Mai 1986 mitgeteilte Herabsetzung des für die Zeit ab 6. Januar 1986 zugesprochenen Taggeldes.

Die vor dem kantonalen Gericht zusätzlich aufgeworfenen Fragen nach der IV-Rente und nach der beruflichen Eingliederung bilden deshalb nicht Gegen-stand des vorliegenden Verfahrens. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde rich-tet sich somit gegen den von der Vorinstanz bezüglich des Taggeldanspruches getroffenen Nichteintretensentscheid. Obwohl sie sich nur mit der materiellen Seite des Streitfalles befasst, ist darin der Antrag auf Eintreten praxisgemäss als miteingeschlossen zu betrachten. Es ist somit zu prüfen, ob die Vorinstanz hin-sichtlich des Taggeldanspruches zu Recht auf die Beschwerde nicht eingetre-ten ist, wogegen das EVG auf die materiellen Anträge nicht eintreeingetre-ten kann

(BGE 109V 120 Erw. 1, ZAK 1984 S. 38; BGE 105V 94 Erw. 1).

2a. Im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren sind grundsätzlich nur Rechtsverhältnisse zu überprüfen bzw. zu beurteilen, zu denen die zuständige Verwaltungsbehörde vorgängig verbindlich - in Form einer Verfügung - Stel-lung genommen hat. Insoweit bestimmt die Verfügung den beschwerdeweise weiterziehbaren Anfechtungsgegenstand. Umgekehrt fehlt es an einem An-fechtungsgegenstand und somit an einer Sachurteilsvoraussetzung, wenn und insoweit keine Verfügung ergangen ist (BGE 110V 51 Erw. 3b mit Hinweisen, ZAK 1985 S. 55).

Nach Art. 5 Abs. 1 VwVG gelten als Verfügungen Anordnungen der Behörden im Einzelfall, die sich auf öffentliches Recht des Bundes stützen (und im übri-gen noch weitere, nach dem Verfügungsgeübri-genstand näher umschriebene Vor-aussetzungen erfüllen). Gemäss Art. 91 Abs. 1 IVV sind Verwaltungsakte, mit welchen über Rechte und Pflichten eines Versicherten befunden wird, in die Form einer schriftlichen, von der zuständigen Ausgleichskasse zu erlassenden Verfügung zu kleiden. Schriftliche Verfügungen, auch wenn die Behörde sie in Briefform eröffnet, müssen als solche bezeichnet und mit einer Rechtsmittelbe-lehrung versehen werden (vgl. Art. 89 IVV i.Verb.m. Art. 128 Abs. 2 AHVV).

Bei diesen Erfordernissen, die in Art. 35 Abs. 1 VwVG ausdrücklich genannt werden, handelt es sich um einen allgemeinen Grundsatz des Bundesverwal-tungsrechts (BG E1O4V154, ZAK 1979S.81 und ARV1987S. 118).

Aus mangelhafter Eröffnung einer Verfügung darf den Parteien gemäss Art. 38 VwVG indessen kein Nachteil erwachsen. Aus diesem im gesamten Bundes-sozialversicherungsrecht anwendbaren Grundsatz folgt, dass dem beabsich-tigten Rechtsschutz schon dann Genüge getan wird, wenn eine objektiv man-gelhafte Verfügung trotz ihres Mangels ihren Zweck erreicht. Es ist jeweils nach den konkreten Umständen des Einzelfalles zu prüfen, ob die betroffene Partei durch den Eröffnungsmangel tatsächlich irregeführt und dadurch be-nachteiligt worden ist. Richtschnur für die Beurteilung dieser Frage ist der auch in diesem prozessualen Bereich geltende Grundsatz von Treu und Glau-ben, an welchem die Berufung auf Formmängel in jedem Fall ihre Grenze fin- IpL

det (BGE 111 V 150, 106V 97, ZAK 1981 S. 137; BGE 104V 166,98V 278;

ARV 1987 S. 119). Bei den Mängeln der fehlenden Kennzeichnung als Verfü-gung, der fehlenden Rechtsmittelbelehrung und der fehlenden Begründung handelt es sich lediglich um Anfechtungsgründe, weshalb nicht schlechthin jede mangelhafte Eröffnung nichtig ist.

Das mit der Rentenverfügung vom 15. Mai 1986 zugestellte Begleitschrei-ben enthält u.a. eine Abrechnung über das dem Beschwerdeführer aufgrund seines Renten- und seines Taggeldanspruches unter Berücksichtigung der be-reits ausgerichteten Leistungen gesamthaft noch zustehende Guthaben. Dar-aus geht hervor, dass das Taggeld wegen der nachträglich für die gleiche Zeit zugesprochenen 1V-Rente entgegen der Verfügung vom 19. Februar 1986 statt 117 Franken lediglich noch Fr. 64.70 betrage. Das Schriftstuck selbst ist weder als Verfügung bezeichnet noch enthält es eine Rechtsmittelbelehrung.

Den einleitenden Bemerkungen ist vielmehr zu entnehmen, dass sich die Ab-rechnung auf eine neue Taggeldverfügung stütze, welche der Beschwerdefüh-rer «anbei» erhalte und welche die Verfügung vom 19. Februar 1986 ersetze.

Unbestrittenermassen hatte die Verwaltung am 15. Mai 1986 jedoch trotz ihrer Ausführungen im fraglichen Begleitschreiben keine neue Taggeldverfügung erlassen.

Das der Rentenverfügung beigelegte Begleitschreiben vom 15. Mai 1986 ge-nügt den formellen Erfordernissen einer Verwaltungsverfügung nicht. Da es eine behördliche Neufestsetzung des Taggeldanspruches enthält, welche durch den Hinweis auf die gleichentags erfolgte Rentenzusprache auch kurz begründet wird, weist es inhaltlich jedoch den Gehalt einer solchen auf. Ob-schon es teilweise in die Form einer Abrechnung gekleidet ist, gegen die - wie die Vorinstanz zutreffend festhielt— in der Regel keine Beschwerdemöglichkeit besteht, ist sie unter diesen Umständen als Verfügung im Sinne von Art. 91 Abs. 1 IVV in Verbindung mit Art. 5 VwVG zu bezeichnen, welche gestutzt auf Art. 69 IVG beschwerdeweise anfechtbar ist.

Der Beschwerdeführer hat im vorinstanzlichen Verfahren trotz der mangel-haften Eröffnung eindeutig den Willen bekundet, sich zumindest vorläufig mit dieser Taggeldverfügung nicht abzufinden. Mangels einer speziellen Beilage erachtete er offenbar die Verfügung als im Begleitschreiben mitenthalten.

Dementsprechend bezeichnet er das Kassenschreiben vom 15. Mai 1986 im Beilagenverzeichnis zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde dennauch als «Brief als Taggeldverfügung 15. Mai 1986» und auf die vorinstanzliche Aufforderung zur Einreichung der angefochtenen Verfügung hin reichte er nebst der Renten-verfügung vom 15. Mai 1986 und der ursprünglichen TaggeldRenten-verfügung vom 19. Februar 1986 das fragliche Begleitschreiben ein. Nachdem sowohl die IV-Kommission als auch die Beschwerdegegnerin ohne jeglichen prozessualen Vorbehalt zum Taggeldanspruch Stellung nahmen, bestand für die kantonale Rekursbhörde kein hinreichender Anlass, den Verfügungscharakter des Be-gleitschreibens vom 15. Mai 1986 zu verneinen. Trotz der mangelhaften Eröff-nung hätte sie deshalb - allenfalls nach einer Abklärung der genauen verfah-

177

rensmässigen Situation durch eine Rückfrage bei der Verwaltung - den bean-standeten Taggeldanspruch materiell prüfen müssen. Der diesbezügliche

Nichteintretensentscheid erweist sich demnach als unbegründet. Daran ver-mag die erst im Laufe des vorliegenden Verfahrens erlassene nachträgliche Taggeldverfügung nichts zu andern, da ihr in Anbetracht des den gleichen Ge-genstand bereits verfügungsweise regelnden Schreibens vom 15. Mai 1986 abgesehen von der etwas ausführlicheren Begründung keine selbständige Be-deutung zukommt.

EL. Anrechenbares Einkommen bei Verzicht auf Einkünfte

Im Dokument Jahrgang 1989 (Seite 173-181)