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2 Wissenschaftliche Publikationen

2.1 Paper 1

S. Allkämper, M. Kietzmann und L. Kreienbrock (2015):

Ein aktuelles Bild der für Haustiere relevanten Toxine

– Literaturübersicht und Auswertung toxikologischer Institutseinsendungen.

Prakt. Tierarzt 96: 896-905. Schlütersche Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, Hannover. DOI: svg.to/haustiertoxine

Zusammenfassung

Für die Literaturübersicht wurden deutschsprachige Lehrbücher zu den einzelnen Tierarten, Veröffentlichungen von Vergiftungen in Deutschland (1998-2015), zahlreiche internationale Studien zu Vergiftungsfällen im Patientengut und Daten von Toxikologischen Informationszentren sowie Meldungen von

Pflanzenschutzmittelvergiftungen bei Wirbeltieren an das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) ausgewertet.

Bei Hunden haben Pestiziden (Cholinesterasehemmer, Cumarinderivate, Schneckenkorn) und Arzneimittel, vor allem Avermectine, Schmerzmittel und Humanarzneimittel, derzeit die größte Bedeutung als Ursache von Vergiftungen.

Darüber hinaus geht von einer Vielzahl weiterer Toxine eine Gefahr aus, zu denen neben Lebensmitteln, Rauschmitteln, Chemikalien und biologischen Giften

(Pflanzen, Tiere, bakterielle Toxine), in seltenen Fällen sogar das Strychnin gehört.

Für Katzen haben Arzneimittel, und hier vor allem Permethrin, vor Pestiziden, Pflanzen und Haushaltschemikalien die größte Bedeutung.

Bei Pferden sind Botulinumtoxin und Pflanzen und bei Nutztieren Fehldosierungen von Futterzusätzen und toxische Futterbestandteile die wichtigsten dokumentierten Ursachen von Vergiftungen. Für Ziegen und Heimtiere gibt es nur wenige

Veröffentlichungen zu diesem Thema und für Wildtiere wird vor allem über Insektizidvergiftungen berichtet.

In einer retrospektiven Untersuchung wurden Daten aus Begleitschreiben und Laborblättern von 251 toxikologischen Einsendungen zu Vergiftungsverdachtsfällen an das Institut für Pharmakologie, Toxikologie und Pharmazie der Stiftung

Tierärztliche Hochschule Hannover aus den Jahren 1998-2006 ausgewertet.

Einsender der Proben waren Privatpersonen, Tierärzte, Institute, Labors und öffentliche Stellen. Im Labor wurden allerdings mit wenigen Ausnahmen nur Nachweise auf Cholinesterasehemmer und Cumarinderivate angeboten.

Dabei zeigten die Einsendungen über die Jahre eine abnehmende Frequenz.

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12 Das Probenmaterial von 269 Vergiftungsverdachtsfällen stammte zu 54 % von Tieren (61 % Hund, 11 % Katze, 9 % Pferd, 8 % Nutztiere, 9 % andere, 3 % unbekannt).

Die übrigen Proben stammten aus der Umgebung der Tiere. 63 % der Tiere, bei denen das Begleitschreiben oder das eingesandte Material einen Rückschluss auf den Zustand des Tieres zuließ, war zum Zeitpunkt des Probenversands bereits verstorben. Weitere 12 % zeigten vergiftungstypische Symptome

(Gerinnungsstörungen, ZNS-Störungen, cholinerges Syndrom).

29 % der Proben mit bekannter Tierart waren positiv auf die untersuchten Toxine (76 % Hund, 15 % Katze, 10 % Nutztier / Pferd). Proben aus der Umgebung der Tiere waren dagegen nur zu 19 % positiv.

Durch das eingeschränkte Angebot wurden hauptsächlich Cholinesterasehemmer nachgewiesen (59 %). Diese machen beim Hund sogar 74 % der positiven Proben, und damit 26 % aller Proben vom Hund aus.

Diese Ergebnisse lassen vermuten, dass die Vergiftung in der Kleintierpraxis eine gewisse Rolle spielt, dass deren Ursachen und Auswirkungen sich aber in den toxikologischen Einsendungen nicht widerspiegeln.

Eine systematische und aktuelle Untersuchung in der Praxis soll diese Frage daher klären.

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13 2.2 Paper 2

Allkämper A, Kösters S, Campe A, Kietzmann M, Kreienbrock L (2018):

Vergiftungsverdachtsfälle in der Kleintierpraxis – eine retrospektive und prospektive Erfassung. Tierärztl. Prax. 46 (K): 145-155. DOI:

dx.doi.org/10.15654/TPK-170475, Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Abstract

Ziel: Systematische Untersuchung der Behandlungsdaten von Patienten, die mit Vergiftungsverdacht in Kleintierpraxen vorgestellt wurden.

Material und Methoden: In 11 exemplarisch ausgewählten Kleintierpraxen erfolgten eine Auswertung der elektronischen Daten von Vergiftungsverdachtsfällen über 2 Jahre (2006 und 2007), eine Evaluierung der von den Tierärzten im Zeitraum eines Jahres (2009/2010) ausgefüllten Erhebungsbögen zu Vergiftungsverdachtsfällen sowie eine Auswertung der „Kontaktgruppe”, d. h. aller Patienten mit mindestens einem Besuch in 2007.

Ergebnisse: Im Jahr 2007 wurde etwa 1 von 200 Hunden bzw. 1 von 500 Katzenpatienten mit einer Vergiftung vorgestellt. Über 70 % der Fälle betrafen Hunde, wobei einige Jagdhunderassen häufiger betroffen waren als ihrem Anteil an der Patientenpopulation entsprechen würde. Der Verdacht war retrospektiv vor allem bei kastrierten Hunden begründet. Neben zahlreichen unspezifischen Symptomen wurden häufig Blutungen beobachtet. Bei ZNS-Symptomen oder kritischem

Allgemeinzustand lag vermehrt ein begründeter Verdacht vor. Bei unbegründetem Vergiftungsverdacht bestand meist eine Entzündung im Magen-Darm-Trakt. Weitere häufige Erkrankungen waren Infektionen, Tumoren und Autoimmunerkrankungen.

Als häufigste Toxine wurden retrospektiv Cumarinderivate (37 %), Arzneimittel (10

%) und Schokolade (7 %) ermittelt. Prospektiv war der Anteil von Arzneimittel- und Pflanzenvergiftungen größer. Die Diagnose wurde meist anhand von Anamnese und klinischem Bild gestellt. Die Behandlung erfolgte überwiegend symptomatisch.

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14 Schlussfolgerungen: Eine Vergiftung mit Cumarinderivaten stellt bei Hunden, aber auch Katzen die häufigste Vergiftung dar. Die Gefahr durch Permethrin für Katzen ist weiterhin aktuell. In der täglichen Praxis wird meist ohne Toxinnachweis

symptomatisch therapiert. Dabei ist das ursächliche Toxin oft nicht bekannt. Gerade deshalb sollten zusätzliche Maßnahmen zur Elimination (Magen- / Rektumspülung, medizinische Kohle, Lipidtherapie) als Therapieoption mit einbezogen werden. Eine erfolgreiche systematische prospektive Erhebung im Praxisalltag erfordert eine gute Zusammenarbeit zwischen Praxis und Untersucher.

Diskussion

15 3 Diskussion

Diese Diskussion setzt sich aus vier Abschnitten zusammen.

Im ersten Teil wird die 2015 erstellte Übersicht für Haustiere relevanter Toxine (Paper 1) mit neuesten Veröffentlichungen zu Daten von Vergiftungen in Deutschland verglichen.

Der zweite Teil stellt Möglichkeiten und Grenzen der retrospektiven und prospektiven Fallerfassung in der Praxisstudie (Paper 2) dar und setzt diese zu ähnlichen Studien in Beziehung.

Teil 3 betrachtet den derzeitigen wissenschaftlichen Stand veterinärmedizinischer Praxisstudien mit Populationsbezug in Europa.

Der abschließende vierte Teil zeigt Möglichkeiten zukünftiger Datenerhebung im tierärztlichen Praxisalltag auf.

3.1 Aktualisierte Literaturübersicht:

Relevante Toxine für Haustiere in Deutschland

Als erster Schritt dieser Untersuchung wurden die verfügbaren Daten zu Vergiftungen bei Haustieren in Deutschland ausgewertet. Die als relevant

dargestellten Toxine in deutschsprachigen Lehrbüchern zu den einzelnen Tierarten sowie Fallberichte aus Deutschland 1998-2015 wurden mit Meldungen an das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL), an

Toxikologische Informationszentren (TIZ) und toxikologische (tox.) Einsendungen an die Stiftung Tierärztliche Hochschule (TiHo) Hannover 1998-2006 verglichen.

Die aus diesem Vergleich als bedeutsam erachteten Giftstoffe wurden den Ergebnissen internationaler Studien gegenübergestellt (Paper 1).

Bei allen hier dargestellten Untersuchungen handelt es sich um die Auswertung retrospektiver Daten. Bei diesen zeigt sich, dass vom Ereignis Vergiftung vor allem Hunde und Katzen betroffen sind, dass aber bei Vergiftungen von Pferden, Nutz- und Wildtieren oft größere Tierzahlen involviert sind. Dabei haben bei Hunden und

Katzen Arzneimittel und Pestizide, bei Hunden zusätzlich Lebens- und Genussmittel,

Diskussion

16 bei Pferden giftige Pflanzen und bei Nutztieren fehlerhafte

Futterzusammensetzungen und -kontaminationen die größte Bedeutung.

Eine breitangelegte Untersuchung retrospektiver Daten von Vergiftungsfällen in Deutschland von McFarland et al. 2017a kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Hier wurden Daten von fünf deutschen TIZ der Jahre 2012-2014, von Vergiftungsfällen bei Hunden, Katzen und Pferden an der Kleintier- bzw. Pferdeklinik der TiHo Hannover in 2013-2015, Meldungen über fehlerhafte Anwendung von

veterinärmedizinischen Produkten an das BVL sowie tox. Einsendungen 2012-2015 an das Institut für Pharmakologie, Toxikologie und Pharmazie der

Veterinärmedizinischen Fakultät der LMU München ausgewertet. Auch hier waren überwiegend Hunde und Katzen betroffen (TIZ 76 / 18 %, TiHo 81 / 14 %, BVL 30 / 70%, tox. Einsendungen LMU 60 / 12 %). Allerdings ist der Anteil der Rassehunde der Fälle an der TiHo (75,6 %) wie in den Meldungen an das BVL (79,3 %) deutlich höher als in der Patientenpopulation der teilnehmenden Praxen in der hier

vorgelegten Studie (64,8 %). Dies spricht für eine höhere Motivation der Besitzer von Rassehunden zu weiterer Abklärung, die zu einem höheren Anteil an Überweisungen bzw. Meldungen an das BVL führt. Auffällig ist der hohe Anteil von 70% Vergiftungen bei Katzen in den Meldungen an das BVL. Dies spiegelt das hohe

Vergiftungspotential permethrinhaltiger Präparate für den Hund wider, die vom Tierbesitzer bei Katzen angewandt werden. Außerdem zeigte sich in den

toxikologischen Einsendungen ein hoher Anteil von Vergiftungen bei Pferden (14%), bei denen zudem der hohe Anteil der Cumarinderivate (48%) auffällt. Während auch in dieser Untersuchung Pestizide und Arzneimittel bei Hunden und Katzen sowie Pflanzen bei Pferden zu den häufigsten Toxinen zählten, wurde an der Tierärztlichen Hochschule zusätzlich ein hoher Anteil an Vergiftungen durch Schokolade bei

Hunden beobachtet. Das Untersuchungsspektrum der toxikologischen Einsendungen an der LMU war breiter angelegt als in unserer Untersuchung, so dass neben

Cumarinderivaten (34%) und Acetylcholinesterasehemmern (Organophosphate 20%, Carbamate 11%) auch häufig Metaldehyd (18%) nachgewiesen wurde.

Zu potenziell in Deutschland aktuell relevanten Toxinen gibt es Fallberichte zu Vergiftungen mit Goldhafer bei Pferden (Bockisch et al. 2015), Kochsalz durch

Diskussion

17 Wassermangel bei Schweinen (Detlefsen et al. 2018), einem Cumarinderivat bei Hühnern (Kümmerfeld / Kummerfeld 2018), Kohlenmonoxid (Kolecka et al. 2017) und einem OPC-Präparat (oligomere Proanthocyanidin) aus Traubenkern (Hofmann 2018) bei Hunden, Haushaltsreiniger (Dörfelt / Richter 2018) und Ethylenglykol (Naglo-Dünner et al. 2018) bei Katzen sowie einer Vergiftung durch Emodepsid-haltiges Profender ® bei einem Hund mit MDR-1-Defekt (Weber 2014).

Insgesamt zeigt sich somit, dass auch weiterhin eher unsystematische Fallberichte überwiegen und eine systematische Erfassung von Vergiftungsfällen auch weiterhin eine besondere und nachhaltige Herausforderung darstellt.

3.2 Erkenntnisse der Praxisstudie

Aufbauend auf der Einschätzung, dass das Ereignis Vergiftung überwiegend bei Hund und Katze zu beobachten ist, die Auswertung von Laborproben und Anfragen an TIZ die Art und Bedeutung von Vergiftungen in der täglichen tierärztlichen Praxis aber nur begrenzt widerspiegelt, wurden Vergiftungsverdachtsfälle in exemplarischen Kleintierpraxen erhoben (Paper 2).

Für diese Studie wurden Praxen ausgewählt, die überwiegend Kleintiere behandeln, und ein breites Behandlungsspektrum anbieten, um aus der Auswertung möglichst allgemeingültige Aussagen ableiten zu können. Zum selben Zweck wurden kleine wie große Praxen in unterschiedlich dicht besiedelten Einzugsgebieten einbezogen.

Da für die retrospektive Untersuchung von Vergiftungsverdachtsfällen die elektronischen Behandlungsdaten aus zwei Kalenderjahren analysiert wurden, konnten nur Praxen mit ausschließlicher Verwaltung der Patientenakten über eine Praxissoftware ausgewählt werden. Diese Tatsache führt zwangsläufig zu einer Selektion der teilnehmenden Praxen. Es ist davon auszugehen, dass Eigenschaften der Tierärzte, die das Praxismanagement beeinflussen auch mit Diagnostik,

Behandlungsansätzen sowie Dokumentation assoziiert sind. Von einer ebensolchen Selektion ist auszugehen, da nur motivierte Kollegen zur Teilnahme an einer solchen Studie bereit sind. So sprechen auch Green et al. 1993 von einem grundsätzlichen

Diskussion

18 Zielkonflikt zwischen Teilnahmebereitschaft und Repräsentativität, da nur freiwillige Teilnehmer über ausreichend Idealismus und Motivation für eine Studie verfügen.

Selbst mit diesen Voraussetzungen kommt es zu der auch in dieser Studie

beobachteten Mindererfassung trotz erhöhter Aufmerksamkeit. Grund dafür ist die erhebliche und bedauerliche Diskrepanz zwischen Interesse und dem durch enorme Arbeitsbelastung eingeschränkten Vermögen, dies durch Mitarbeit zu realisieren (Umwelthygiene 1996). Dies ist vermeintlich auch der Grund, warum sich keine Praxis auf einen Aufruf zur Teilnahme im Tierärzteblatt 04/2008 meldete, während sich durch einen direkten telefonischen wie persönlichen Kontakt dann doch einige Praxen fanden.

Neben Zeitmangel war einer der Hauptablehnungsgründe von Tierärzten, deren Praxen für die Studie in Frage kamen, die Tatsache, dass sie einem

Außenstehenden Zugang zu ihren Patientenakten gewähren sollten. Obwohl eine anonymisierte Auswertung in Bezug auf Kunden- wie Praxisdaten zugesagt wurde, konnten einige Kollegen keiner Teilnahme zustimmen. Hier besteht für zukünftige Arbeiten die Möglichkeit mit Hilfe von kurzen Meldebögen zur Datenerfassung zu motivieren, ohne Einsicht in die Patientenakten geben zu müssen.

Die retrospektive Auswertung von Patientenakten über einen Zeitraum von zwei Jahren ermöglichte eine, abhängig von der jeweiligen Praxissoftware, fast identische systematische Suche in allen Praxen. Die daraus gewonnenen Daten zu

Vergiftungsverdachtsfällen ergaben ein Abbild der Vergiftungen im Praxisalltag und ermöglichten die Entwicklung der Erhebungsbögen. Vorteil dieser Daten ist, dass sie ohne Beeinflussung durch die Studie und ohne Störung des Praxisalltages zur

Verfügung stehen. Nachteil dieser Sekundärdaten ist, dass sie hauptsächlich zu Abrechnungszwecken erhoben werden, obwohl die Tierärzte bei der Dateneingabe in der Patientenakte auch ihrer Dokumentationspflicht nachkommen müssen. Gerade in größeren Praxen dienen die Einträge zusätzlich der Information mitbehandelnder Kollegen, weshalb diese häufig deutlich ausführlicher sind. Eine weitere

Einschränkung ist hier die nicht standardisierte Eingabe von Freitext, die die Gefahr von Übererfassung durch Fehlklassifikation wie Untererfassung durch nicht erfasste Fälle birgt.

Diskussion

19 Die einjährige prospektive Erhebung von Vergiftungsverdachtsfällen führte durch den geschilderten Zeitmangel im Praxisalltag vor allem zu einer Erhebung von Fällen mit ausgeprägtem Krankheitsbild. Obwohl schriftlich kommuniziert wurde, dass alle Fälle mit Vergiftungsverdacht erfasst werden sollten, wurden hier fast ausschließlich für den behandelnden Tierarzt eindeutige Vergiftungsereignisse notiert. Zudem war eindeutig ein Vergessen über den Verlauf der Studie zu erkennen, so dass für zukünftige Arbeiten die Bedeutung einer engen Kontaktpflege zu betonen ist.

Untersuchungen in der Tiermedizin in Deutschland, an der mehrere Praxen teilnehmen oder die einen Populationsbezug herstellen, sind wenig veröffentlicht.

Eine solche Studie haben Klinger et al. 2016 mit 5 teilnehmenden Kleintierpraxen aus ganz Deutschland durchgeführt. Hier wurden alle behandelten Fälle über einen bestimmten Zeitraum mittels Erhebungsbögen erfasst und analysiert. Diese diente dazu die Bedeutung unterschiedlicher Erkrankungen in der täglichen Kleintierpraxis zu ermitteln, um Empfehlungen für die entsprechende Aus- und Weiterbildung geben zu können. Dabei wurden ebenfalls anhand der Daten aus Erhebungsbögen neben der Diagnose auch Patientendaten, Diagnosefindung und Therapie ausgewertet.

Die beschriebene Patientenpopulation besteht aus rund 5000 Patienten, wobei in 2 Praxen nur die Patienten von je einer Woche pro Monat über insgesamt 6 Monate und in den übrigen 3 Praxen der komplette Zeitraum erfasst wurden. Der Anteil der Hundepatienten liegt mit 57,6% höher, der an Katzen- (30,0%) und Heimtierpatienten (11,2%) entsprechend etwas niedriger als in dieser Studie (Hund 48%, Katze 36%, Heimtier 16%). Auch in dieser Studie liegt der Anteil der Vergiftungen bei ca. 1%, wobei hier keine Diagnosekriterien dargestellt wurden.

Als Patientenpopulation wurde die Kontaktgruppe der teilnehmenden Praxen, das heißt alle Patienten mit mindestens einem Besuch im betrachteten Kalenderjahr betrachtet. Diese diente dazu die Erkrankungen in Relation zur Gesamtheit der Patienten zu setzen. Die Kontaktgruppe dient als Schätzer der Population mit Arztkontakt. Dabei ist jedoch zu bedenken, dass einige Tiere trotz Erkrankung und potenziellem Arztbesuch dieser Erfassung entgehen, da sie vorher sterben, der Besitzer die Erkrankung als nicht behandlungswürdig einstuft, diese selbst versorgt oder sich aus finanziellen Aspekten gegen eine Behandlung entscheidet.

Diskussion

20 Die in beiden Studien jeweils ermittelte Patientenpopulation ist ein guter Schätzer der für Tierärzte interessanten Gruppe an Tieren, deren Wohl und Erkrankungen sie zu betrachten haben, während die zugrundeliegende komplexere Bezugsgröße der Gesamtpopulation an Hunden, Katzen und Heimtieren kaum zu ermitteln und durch die Nullgruppe (Streuner, Tierbesitzer ohne Tierarztkontakt) für Tierärzte auch weniger interessant ist.

Außerdem werden in Deutschland derzeit vereinzelt Studien durchgeführt, um einen Bezug zwischen der Gesundheit von Haustieren und den mit ihnen

zusammenlebenden Menschen herzustellen und Risiken für die menschliche Gesundheit abzuschätzen (mehrere Veröffentlichungen zu einer MRSA-Studie bei Hund, Katze & Pferd im Rahmen von OneHealth, unter anderem Vincze et al. 2014).

Dies stellt sich in der Humanmedizin vollkommen anders dar. Hier werden im Rahmen der sogenannten Versorgungsforschung sowohl Daten aus nationalen wie lokalen Registern als auch Daten aus der klinischen und ambulanten Versorgung systematisch zu wissenschaftlichen Zwecken genutzt (Swart et al. 2014). Studien zur Erfassung und Auswertung multizentrischer Patientendaten gibt es in der

Humanmedizin beispielsweise zu definierten Krankheiten wie Asthma / COPD

(Kanniess et al. 2019) und Rheuma (Richter et al. 2019). Ziel ist dort die Entwicklung und Erfolgskontrolle neuerer Behandlungsstrategien bei diesen multifaktoriellen Erkrankungsbildern anhand von digitalen Patientendaten, die im Rahmen der gesetzlich vorgeschriebenen Dokumentation nicht erfasst werden. Darüber hinaus werden verschiedene Studien durchgeführt, die die systematische Erfassung von Symptomen der Patienten großer medizinischer Versorgungszentren zusätzlich zu den Routinedaten testen. Diese sind darauf ausgerichtet häufige Vorstellungsgründe und deren zugrundeliegende Krankheitsbilder zu ermitteln bzw. das Bewusstsein hierfür zu prüfen, um die Versorgung der Patienten zu optimieren. Beispiele dazu sind die Studien zu Vorstellungsgründen in der Notaufnahme (Greiner et al. 2018) Schmerz (Schiek et al. 2016) oder Atemnot (Simon et al. 2017).

Die hier behandelte Fragestellung der Vergiftung lässt sich in diesem Sinn beiden Komplexen, d.h. sowohl der Erkrankung wie auch der Erhebung von Befunden

Diskussion

21 zuordnen, so dass im Studiendesign die Fragestellung nach dem Verdacht der Vergiftung gegen zugrundeliegende Symptomenbilder abzugrenzen ist.

3.3 Europäische Studien mit Populationsbezug

Mit Hilfe der Suchmaschine „VetSearch“ wurden die gängigen Literaturdatenbanken nach europäischen deutsch- und englischsprachigen Artikeln in Fachzeitschriften zu Studien über Vergiftungsverdachtsfälle bei Hund und Katze mit Populationsbezug in den letzten zehn Jahren durchsucht.

Bei dieser Recherche konnten zu Vergiftungen ausschließlich Studien retrospektiver Daten ermittelt werden. Aus Skandinavien fand sich selbst hierzu keine Studie. Aus Osteuropa gibt es eine Studie aus Tschechien von Modra und Svobodova 2009, die Meldungen an das State Veterinary Institute der Faculty of Veterinary and

Pharmaceutical Science Brno, Anfragen an das Toxicological Information Centre (TIS) und Fallberichte aus Tschechien aus den Jahre 1998-2008 ausgewertet haben.

Aus Westeuropa finden sich zahlreiche retrospektive Studien zu Vergiftungen.

Die oben geschriebene Studie von McFarland et al. 2017a wertet in einer breit angelegten Studie Daten von TIZ, Klinikdaten, Meldungen an das BVL und toxikologische Proben aus.

Vandenbroucke et al. 2010 in Belgien und Wang et al. 2007 in Österreich

beschreiben Daten von Einsendungen zur toxikologischen Untersuchung. Aus der Schweiz liegen die Auswertungen der Daten des nationalen TIZ von 1997-2006 (Curti et al. 2009) und 2003-2012 (Schediwy et al. 2015) vor.

Auch aus dem Mittelmeerraum finden sich zahlreiche Studien retrospektiver Daten zu Vergiftungen. Hier handelt es sich hauptsächlich um die Auswertung von

Anfragen an TIZ (Berny et al. 2010a (Frankreich) - Guliano Albo / Nebbia 2004, Caloni et al. 2012, 2013, 2014, 2016 (Italien) - Motas-Guzmán et al. 2003, Pérez- López et al. 2004 (Spanien).

Diskussion

22 Bille et al. 2016 werten für Italien wie Martínez-Haro et al. 2008 für Spanien

toxikologische Laboreinsendungen zu Vergiftungsfälle aus, die trotz Verbots der ursächlichen Pestizide auftreten.

Ähnlich der hier vorgelegten Arbeit untersuchen Calzetta et al. 2018 in Italien in einer Querschnittstudie Häufigkeit und Art von Vergiftungen in der Patientenpopulation.

In der ersten Phase (Januar 2015 - Januar 2016) wurden anhand der Daten der Hundepatienten von 73 Tierkliniken (Trainingspopulation) die Inzidenz der Vergiftungen ermittelt sowie Thesen zum Vergiftungsrisiko abhängig vom

geographischen Einzugsgebiet der Kliniken aufgestellt. Hier wurde bei etwa 1% der Hundepatienten eine Vergiftung pro Jahr beobachtet. Ein signifikanter Einfluss von Geschlecht, Alter oder Körpergewicht auf das Vergiftungsereignis war nicht

nachzuweisen. In der zweiten Phase (April 2016 - April 2017) mit den Daten der Hundepatienten aus 12 anderen Tierkliniken (Testpopulation) konnte der

geographische Einfluss auf die Art der Vergiftung als signifikant nachgewiesen werden. So war das Risiko für Haushunde in der Küstenregion Italiens für eine Vergiftung mit antikoagulanten Rodentiziden (OR 1,81) und Metaldehyd (OR 1,61) hoch, während für Haushunde im Hügelland Italiens das höhere Vergiftungspotential von Organophosphaten (OR 1,73), Metaldehyd (OR 2,26) und Strychnin (OR 1,86) und in der Gebirgsregion nahezu ausschließlich für Strychnin (OR 3,79) gezeigt werden konnte.

Beide Studien betrachten den Einfluss der Lage der Praxen / Kliniken – im Vergleich zu der breit angelegten italienischen Studie, die auf Unterschiede nach Regionen des Landes eingeht, prüft diese Studie lokale Einflüsse der Bevölkerungsdichte.

Während hier alle Kleintierpatienten der teilnehmenden Praxen einbezogen werden, betrachten Calzetta et al. 2018 allerdings mit ca. 130.000 Hunden eine fast 100-fach größere Population an Hundepatienten. Die Studie überprüft die in der

Trainingsphase aufgestellten Thesen zu geographischen Einflüssen auf ursächliche Toxine und geht dabei nicht auf Symptome, Therapie und Verlauf der beobachteten Vergiftungen ein. Auch sind hier weder Details der Studiendurchführung noch der Patientenpopulation (Alter, Geschlecht, Rasse) beschrieben. In beiden Studien sind Cumarinderivate die häufigste Vergiftungsursache, im Gegensatz zu zahlreichen

Diskussion

23 Toxinen aus dem direkten Umfeld des Menschen (Arzneimittel, Schokolade,

Zierpflanzen) in Deutschland sind in der italienischen Studie aber weitere Pestizide (Organophosphate, Metaldehyd, Strychnin) von Bedeutung. Die Inzidenz der

Vergiftung ist mit ca. 0,5 % der Hundepatienten in dieser Studie deutlich geringer als bei Calzetta et al. 2018, da aber keine Details zu Studien- und Vergiftungsverlauf beschrieben sind lassen sich die Einstufungskriterien der Vergiftung nicht verglichen.

Übereinstimmend wird hier von einem hohen Anteil an Vergiftungen bei Hunden und Katzen berichtet, nur Modra und Svobodova 2009 beobachten in ihrer Untersuchung von Labordaten einen höheren Anteil an Proben von Nutztieren und Pferden und Vandenbroucke et al. 2010 neben Hund, Katze und Rind (15 / 10 / 10%) einen hohen Anteil an Proben von Vögeln (30% inkl. 20 % Bussard).

Ursächlich sind in allen Untersuchungen meist Arzneimittel und Pestizide bei Hund und Katze, Pflanzen bei Pferden und fehlerhafte Futterzusammensetzung /

Futterkontamination bei Nutztieren.

Futterkontamination bei Nutztieren.