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1 Einleitung

1.2 Kurative Maßnahmen

Unabhängig von der Art des Toxins steht das Verhindern der weiteren Aufnahme an erster Stelle. Wurde das Toxin oral aufgenommen und das Tier zeitnah vorgestellt, so kann, sofern der Zustand des Tieres sowie die Eigenschaften der Substanz es

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4 zulassen, durch induziertes Erbrechen bei Hund (Apomorphin 0,08-0,1 mg/kg s.c) und Katze (Xylazin 0,5-1 mg/kg i.m.) (Löscher et. al. 2010) die weitere Aufnahme aus dem Magen verhindert werden. Diese Maßnahme ist bei Patienten mit

Kreislaufproblemen, Bewusstseinsstörungen oder Krämpfen sowie bei flüchtigen Mineralöldestillaten, organischen Lösungsmitteln, Phenolen, Tensiden oder ätzenden Stoffen ungeeignet (Nägeli und Wegmann Ehrensperger 2018). Bei diesen ist nach Risiko-Nutzen-Abwägung eine Magenspülung möglich.

Ist das Fell des Tieres kontaminiert, so sollte das Toxin nach Möglichkeit

ausgewaschen und langes Fell geschoren werden. Dabei ist zu beachten, dass wasserlösliche Substanzen mit Wasser, lipidlösliche mit Speiseöl und ätzende durch Verdünnung mit Wasser oder Milch (Säuren 100-fach, Laugen 60-fach) zu behandeln sind (Nägeli und Wegmann Ehrensperger 2018).

Bei allen Tierarten und vielen Toxinen ist eine Elimination aus dem Darm durch Absorption an Aktivkohle (Carbo medicinalis) und Darmentleerung mittels Laxans (Glaubersalz / Paraffinöl) sowie Verdünnen und Ausspülen mittels Infusionen und forcierte Diurese in Erwägung zu ziehen. Ungeeignet ist Aktivkohle bei Alkoholen, Kohlenwasserstoffen, Ethylenglykol, Cyaniden, Nitrit, Schwermetallen, organischen Lösungsmitteln und starken Säuren und Laugen, da diese schlecht an Kohle

adsorbieren (Nägeli und Wegmann Ehrensperger 2018).

Nur bei wenigen klassischen Vergiftungen steht ein spezielles Gegenmittel für die Behandlung zur Verfügung.

Eine Vergiftung mit Cumarinderivaten, die zu den Rodentiziden gehören, führt durch eine Hemmung der Vitamin-K-Reaktivierung zu einer Gerinnungsstörung und damit zu multiplen Blutungen im gesamten Körper. In der Folge kommt es zu einer Anämie, die zu einer Kreislaufbeeinträchtigung sowie mangelhaftem Sauerstofftransport führt.

Neben einer Elimination des Toxins aus dem Körper sowie einer symptomatischen Infusions- und gegebenenfalls Transfusionstherapie ist hier die, je nach Art des Cumarinderivates, entsprechend lange Gabe von Vitamin-K das Mittel der Wahl (bei Hund und Katze initial evtl. 5 mg/kg i.v., 1-2 mg/kg/Tag oral - Warfarin 7 Tage,

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5 neuere Präparate mehrere Wochen, Kontrolle der Blutgerinnung 2-3 Tage nach dem Absetzen) (Clinitox).

Die zu den Pestiziden gehörenden Acetylcholinesterasehemmer (Carbamate, Organophosphate) führen zum „Cholinergen Syndrom“, das heißt Speicheln, Erbrechen, Durchfall und Miosis sowie zu Bronchokonstriktion / bronchialer Hypersekretion, Bradykardie und ZNS-Symptomen (Ataxie, Krämpfe, Lähmung).

Entscheidendes Merkmal, das als Kriterium zur Therapieanpassung dient, ist das Speicheln. Als Antidot wird wiederholt Atropin bis zum Verschwinden der Salivation eingesetzt (Pferd 0,1 mg/kg, Rind 0,6 mg/kg, Hund und Katze 0,3 mg/kg, Schaf 1 mg/kg, Wiederholung beim Wiederauftreten der Symptome (Löscher et al. 2010)).

Als Maßstab dient hierbei die Maultrockenheit, da die Pupillenweite zur Orientierung unzuverlässig ist (Nägeli und Wegmann Ehrensperger 2018).

Von der Aufnahme von Ethylen- und Propylenglykol (Propandiol), die in Produkten für Automobile, Kosmetika und Lebens- und Genussmittel als Frostschutz- und Lösungsmittel enthalten sind (Internetseiten „Chemie“ / „Zusatzstoffe“), sind Hund und Katze gleichermaßen gefährdet, da diese durch den süßen Geschmack sehr attraktiv sind. Nach anfänglichen unspezifischen Symptomen wie Müdigkeit, Speicheln, Erbrechen, Durchfall und Ataxie kommt es zu einer rapiden

Verschlechterung durch akute, kaum zu beeinflussende Niereninsuffizienz mit Protein- und Anurie. Da diese die Folge der Entstehung von Kalziumoxalatkristallen ist, die die Nierentubuli blockieren, kann sie durch Gabe von Ethylalkohol (Äthanol), der eine höhere Affinität zur Alkoholdehydrogenase hat, gehemmt werden (Infusion von 5% Glukoselösung mit Ethylalkohol 5%, initial 7 g Ethylalkohol / kg, dann 0,15 g/kg/h über 4 Tage (Nägeli und Wegmann Ehrensperger 2018).

Auch bei Vergiftungen durch einige Human-Arzneimittel, die Hund und Katze aus ihrer Umgebung aufnehmen, steht ein entsprechendes Antidot zur Verfügung.

Eine Vergiftung mit Paracetamol kann neben den Folgen der Methämoglobinbildung, die die Sauerstoffversorgung im Körper beeinträchtigt, noch nach Tagen infolge einer Lebernekrose zum Tod führen. Hier können neben der allgemeinen Elimination N-Acetylcystein (initial 140 mg / kg p.o / i.v., dann 70 mg / kg alle 4-6 Stunden während

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6 36 h) und zusätzlich Ascorbinsäure 30 mg / kg alle 6 Stunden p.o. verabreicht

werden (Kietzmann 2003, Nägeli und Wegmann Ehrensperger 2018).

Ibuprofen und andere NSAID führen zu einer Schleimhautirritation, erosion und -ulzeration im MDT sowie als Folgeschäden zu Anämie und als Spätfolge zur

Schädigung von Knochenmark. Für das Ibuprofen besteht die Gefahr einer toxischen Wirkung schon bei einer einmaligen Gabe von 100 mg/kg beim Hund bzw. 50 mg/kg bei der Katze oder einer längeren Gabe von 8 mg/kg/Tag beim Hund. Misoprostol (synthetisches Prostaglandin E2) kann beim Hund therapeutisch eingesetzt werden (1-5 µg/kg zwei- bis dreimal täglich p.o.) (Clinitox).

Wurden Benzodiazepine aufgenommen, die in der Humanmedizin als Psychopharmaka eingesetzt werden, so kommt es abhängig von der aufgenommenen Menge zu Sedation, Narkose, Koma und Hypopnoe. Das

entsprechende Antidot Flumazenil (0,01 mg/kg) muss vorsichtig eingesetzt werden, da es bei zu raschem Erwachen zu Erregungszuständen und Aggression kommen kann (Nägeli und Wegmann Ehrensperger 2018).

Auch tierische Gifte (Schlange, Skorpion, Spinne) stellen, neben den regional natürlich vorkommenden Kreuzottern, durch die zunehmende Haltung von

exotischen Haustieren eine gewisses Gefahrenpotential für Hund und Katze dar. In einem solchen Fall ist das Kühlen und Immobilisieren der getroffenen Körperpartie wichtig. Therapeutisch stehen eine eventuell nötige Schockbehandlung,

Antihistaminika, Glukokortikoide sowie Antibiotika an erster Stelle. Die Behandlung mit einem entsprechenden Antiserum ist nur bei schwerem Verlauf sowie genau bekanntem Toxin in Erwägung zu ziehen, da Antiseren schlecht verfügbar und teuer sind und die Gefahr einer schweren allergischer Reaktion besteht (Allergietest mit Antiserum: 0,1 ml 1:10 verdünnt intrakutan, 15 min warten!) (Nägeli und Wegmann Ehrensperger 2018).

Einige andere häufige Vergiftungen lassen sich nur symptomatisch behandeln.

Bei der Aufnahme von Schokolade ist deren Kakao- und damit Theobromingehalt entscheidend. Während dieser bei Milchschokolade pro 100 g nur 140-210 mg beträgt, sind dies bei Bitterschokolade 1370-1580 mg und bei Kakaopulver

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7 2000 mg, so dass es gerade bei kleineren Hunden (LD50 150-300 mg/kg) und der Aufnahme von Bitterschokolade zu schwereren Vergiftungserscheinungen kommen kann. Dies sind neben anfänglicher Übelkeit und Erbrechen nach 6-8 Stunden Unruhe, Muskeltremor, Hyperreflexie und Krämpfe sowie erhöhte Herz- / Atemfrequenz und Körpertemperatur. Hier kann neben den allgemeinen Eliminationsmaßnahmen Lidocain oder Propranolol zur Kontrolle der

Kardioarrhythmie sowie Diazepam bei Krämpfen eingesetzt werden (Nägeli und Wegmann Ehrensperger 2018).

Bei Metaldehyd (LD50 500 mg/kg), das 3,5-10%ig als Schneckenkorn eingesetzt wird, kommt es nach anfänglichem Speicheln, Erbrechen und Durchfall etwa 1-3 Stunden nach der Aufnahme zu Lähmungen, Krämpfen, Tachykardie, Nystagmus, Somnolenz bis Koma und Atemnot, die nur symptomatisch behandelt werden

können. Da dieses Präparat aber bis zu 15 Stunden an der Schleimhaut von Magen und Darm haftet und nur langsam aufgelöst und resorbiert wird, ist eine Elimination aus Magen und Darm im Gegensatz zu vielen rasch aufgenommenen Toxinen noch viele Stunden nach der Aufnahme sinnvoll (Nägeli und Wegmann Ehrensperger 2018).

Bei vielen Intoxikationen, zu denen die Aufnahme von Giftpflanzen sowie die Aufnahme eines unbekannten Toxins gehören, stehen als therapeutische Maßnahmen nur die Elimination und symptomatische Therapie zu Verfügung.

Hier spielt die Adsorption an Aktivkohle, die auch bei unbekanntem Toxin und nahezu allen Tierarten eingesetzt werden kann, eine wichtige Rolle. Darüber hinaus ist die genaue Überwachung des Verlaufs, auch anhand von Laborwerten und die symptomatische Therapie beobachteter Veränderung oft die einzige Möglichkeit. Als neueres Verfahren wird bei Hund und Katze bei bekanntem lipophilem Toxin

(Permethrin, Ivermectin) inzwischen vereinzelt die Intravenöse Lipid Emulsion (ILE) eingesetzt (beispielsweise Bates et al. 2013, Kuo u. Odunayo 2013, Kidwell et al.

2014).

Neben Vergiftungen durch bereits bekannte Stoffe sowie die Vorstellung von

Patienten, bei denen das aufgenommene Toxin unbekannt ist, ist der Tierarzt in der

Einleitung

8 Praxis immer wieder mit der Aufnahme neuartiger Toxine mit unbekannten

Folgeerscheinungen konfrontiert. So führen Xylitol und andere Zuckeralkohole, die als Zuckeraustauschstoff in Lebensmitteln eingesetzt werden, beim Hund zu Hypoglykämie und Leberversagen (ab 0,5 mg/kg Xylitol). Auch werden vom Tierbesitzer immer neue Trends alternativer Behandlungen wie Teebaum-, Schwarzkümmel- oder Kokosöl ohne tierärztlichen Rat ausprobiert.

So sind Katzen durch Öle, die als Spot on aufgetragen und bei der Fellpflege oral aufgenommen werden, gefährdet. Auch der neueste Trend verschiedenster Anwendungen von Kokosöl ist kritisch zu betrachten - zumindest warnen

Sacks et al. 2017 beim Menschen vor den Folgen für das Herz- / Kreislaufsystem dieser gesättigten Fettsäuren als Nahrungszusatz für den Menschen.

Für den Tierarzt in der täglichen Praxis bleibt neben den eigenen Erfahrungen und einem allgemeinen Überblick der als relevant eingestuften Giftstoffe in Lehrbüchern meist nur die Recherche im Internet zu der möglichen Toxizität aufgenommener potenzieller Giftstoffe.