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3.3 Europäische Studien mit Populationsbezug

Mit Hilfe der Suchmaschine „VetSearch“ wurden die gängigen Literaturdatenbanken nach europäischen deutsch- und englischsprachigen Artikeln in Fachzeitschriften zu Studien über Vergiftungsverdachtsfälle bei Hund und Katze mit Populationsbezug in den letzten zehn Jahren durchsucht.

Bei dieser Recherche konnten zu Vergiftungen ausschließlich Studien retrospektiver Daten ermittelt werden. Aus Skandinavien fand sich selbst hierzu keine Studie. Aus Osteuropa gibt es eine Studie aus Tschechien von Modra und Svobodova 2009, die Meldungen an das State Veterinary Institute der Faculty of Veterinary and

Pharmaceutical Science Brno, Anfragen an das Toxicological Information Centre (TIS) und Fallberichte aus Tschechien aus den Jahre 1998-2008 ausgewertet haben.

Aus Westeuropa finden sich zahlreiche retrospektive Studien zu Vergiftungen.

Die oben geschriebene Studie von McFarland et al. 2017a wertet in einer breit angelegten Studie Daten von TIZ, Klinikdaten, Meldungen an das BVL und toxikologische Proben aus.

Vandenbroucke et al. 2010 in Belgien und Wang et al. 2007 in Österreich

beschreiben Daten von Einsendungen zur toxikologischen Untersuchung. Aus der Schweiz liegen die Auswertungen der Daten des nationalen TIZ von 1997-2006 (Curti et al. 2009) und 2003-2012 (Schediwy et al. 2015) vor.

Auch aus dem Mittelmeerraum finden sich zahlreiche Studien retrospektiver Daten zu Vergiftungen. Hier handelt es sich hauptsächlich um die Auswertung von

Anfragen an TIZ (Berny et al. 2010a (Frankreich) - Guliano Albo / Nebbia 2004, Caloni et al. 2012, 2013, 2014, 2016 (Italien) - Motas-Guzmán et al. 2003, Pérez- López et al. 2004 (Spanien).

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22 Bille et al. 2016 werten für Italien wie Martínez-Haro et al. 2008 für Spanien

toxikologische Laboreinsendungen zu Vergiftungsfälle aus, die trotz Verbots der ursächlichen Pestizide auftreten.

Ähnlich der hier vorgelegten Arbeit untersuchen Calzetta et al. 2018 in Italien in einer Querschnittstudie Häufigkeit und Art von Vergiftungen in der Patientenpopulation.

In der ersten Phase (Januar 2015 - Januar 2016) wurden anhand der Daten der Hundepatienten von 73 Tierkliniken (Trainingspopulation) die Inzidenz der Vergiftungen ermittelt sowie Thesen zum Vergiftungsrisiko abhängig vom

geographischen Einzugsgebiet der Kliniken aufgestellt. Hier wurde bei etwa 1% der Hundepatienten eine Vergiftung pro Jahr beobachtet. Ein signifikanter Einfluss von Geschlecht, Alter oder Körpergewicht auf das Vergiftungsereignis war nicht

nachzuweisen. In der zweiten Phase (April 2016 - April 2017) mit den Daten der Hundepatienten aus 12 anderen Tierkliniken (Testpopulation) konnte der

geographische Einfluss auf die Art der Vergiftung als signifikant nachgewiesen werden. So war das Risiko für Haushunde in der Küstenregion Italiens für eine Vergiftung mit antikoagulanten Rodentiziden (OR 1,81) und Metaldehyd (OR 1,61) hoch, während für Haushunde im Hügelland Italiens das höhere Vergiftungspotential von Organophosphaten (OR 1,73), Metaldehyd (OR 2,26) und Strychnin (OR 1,86) und in der Gebirgsregion nahezu ausschließlich für Strychnin (OR 3,79) gezeigt werden konnte.

Beide Studien betrachten den Einfluss der Lage der Praxen / Kliniken – im Vergleich zu der breit angelegten italienischen Studie, die auf Unterschiede nach Regionen des Landes eingeht, prüft diese Studie lokale Einflüsse der Bevölkerungsdichte.

Während hier alle Kleintierpatienten der teilnehmenden Praxen einbezogen werden, betrachten Calzetta et al. 2018 allerdings mit ca. 130.000 Hunden eine fast 100-fach größere Population an Hundepatienten. Die Studie überprüft die in der

Trainingsphase aufgestellten Thesen zu geographischen Einflüssen auf ursächliche Toxine und geht dabei nicht auf Symptome, Therapie und Verlauf der beobachteten Vergiftungen ein. Auch sind hier weder Details der Studiendurchführung noch der Patientenpopulation (Alter, Geschlecht, Rasse) beschrieben. In beiden Studien sind Cumarinderivate die häufigste Vergiftungsursache, im Gegensatz zu zahlreichen

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23 Toxinen aus dem direkten Umfeld des Menschen (Arzneimittel, Schokolade,

Zierpflanzen) in Deutschland sind in der italienischen Studie aber weitere Pestizide (Organophosphate, Metaldehyd, Strychnin) von Bedeutung. Die Inzidenz der

Vergiftung ist mit ca. 0,5 % der Hundepatienten in dieser Studie deutlich geringer als bei Calzetta et al. 2018, da aber keine Details zu Studien- und Vergiftungsverlauf beschrieben sind lassen sich die Einstufungskriterien der Vergiftung nicht verglichen.

Übereinstimmend wird hier von einem hohen Anteil an Vergiftungen bei Hunden und Katzen berichtet, nur Modra und Svobodova 2009 beobachten in ihrer Untersuchung von Labordaten einen höheren Anteil an Proben von Nutztieren und Pferden und Vandenbroucke et al. 2010 neben Hund, Katze und Rind (15 / 10 / 10%) einen hohen Anteil an Proben von Vögeln (30% inkl. 20 % Bussard).

Ursächlich sind in allen Untersuchungen meist Arzneimittel und Pestizide bei Hund und Katze, Pflanzen bei Pferden und fehlerhafte Futterzusammensetzung /

Futterkontamination bei Nutztieren.

Bei einem Vergleich der neueren Untersuchung der Daten des STIZ von Schediwy et al. 2015 mit denen von Curti et al. 2009 fallen neu aufgetretene

Vergiftungsereignisse durch Rizinusdünger, Traubentrester, Pfefferspray und

eingetrocknete Fleischbrühe auf. In der Studie von Calzetta et al. 2018 wurde neben Cumarinderivaten (33%), Organophosphaten (29%) und Metaldehyd (15%) mit 13%

erstaunlich häufig Strychnin als ursächliches Toxin beobachtet. Dies bestätigt den weiterhin verbreiteten Gebrauch dieses Rodentizids in Südeuropa.

Eine Studie von Bille et al. 2016 zeigt mit 46% Carbamaten, 17% Metaldehyd und 16% Organochlorinen möglicherweise recht genau die in Italien für Giftködern verwendeten und damit für dort lebende Hunde gefährlichen Toxine auf, da der Gebrauch solcher Köder in Italien seit 2009 verboten und entsprechende

Vergiftungsfälle durch Missbrauch seitdem meldepflichtig sind.

Ein systematisches prospektives Monitoring wird für Vergiftungen in Deutschland nicht einmal für den Menschen durchgeführt (Feistkorn et al. 2019). Entsprechende Berichte über prospektive Studien, Fall-Kontroll-Studien oder systematisches

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24 Monitoring von Vergiftungen aus der Veterinärmedizin finden sich in ganz Europa nicht.

Eine von McFarland et al. 2017a geplante systematische Erfassung von Vergiftungen bei Haustieren in Deutschland erbrachte nur 4 Meldungen mit insgesamt 7 Fällen (McFarland 2017b).

Auch über anderen Erkrankungen bei Kleintieren ergab die Suche keine deutsch- oder englischsprachigen Artikel aus Skandinavien, Osteuropa oder dem

Mittelmeerraum. Allerdings zeigt eine Übersicht von in England laufenden

systematischen Monitoringsystem zu Erkrankungen bei Kleintieren von Carruthers 2009, dass kaum Veröffentlichungen zu deren Ergebnissen durch die Suche über VetSearch zu ermitteln sind (beispielsweise Computer-based Investigation of Companion Animal Disease Awareness (CICADA) – Dog and Cat Travel and Risk Information (DACTARI) – Suspected Adverse Reaction Surveillance Scheme (SARRS)). Diese werden vermutlich überwiegend in Fachbüchern und

wissenschaftlichen Arbeiten sowie durch Vorträge publiziert. Bei den hier erwähnten Sammlungen von Daten zu Vergiftungen (Wildlife Incident Investigation Scheme – Veterinary Poisons Information Service) findet außerdem wiederum eine

retrospektive Auswertung statt.

Aus Westeuropa liegen prospektive Studien zu Durchfall bei Kleintieren (Jones et al.

2014) und Diabetes mellitus (O’Neill et al. 2016) aus England sowie die oben

beschriebene Studie zu Vorstellungsgründen in 5 deutschen Kleintierpraxen (Klinger et a. 2016) vor.

Eine Fall-Kontroll-Studie wurde in England zu Diabetes mellitus beim Hund

veröffentlicht (Mattin et al. 2014) und Keijser et al. 2017 vergleichen die Häufigkeit als rassetypisch eingestufter Erkrankungen bei Chihuahua, Labrador Retriever, Französischer Bulldogge und Perserkatze mit deren Häufigkeit bei der

Mischlingskontrollgruppe Hund / Katze.

Wie in dieser Arbeit und der Studie von Klinger et al. 2016 für eine kleine Anzahl von Praxen ermittelt, untersuchen Sánchez-Vizcaíno et al. 2017 in einer groß angelegten Studie mit 143 teilnehmenden Praxen, die Eigenschaften der Patientenpopulation in

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25 englischen Kleintierpraxen. Im Vergleich ist dort der Anteil an Hunden (65%) noch höher und der an Heimtieren deutlich geringer (4%), während Katzen mit 30% einen ähnlichen bzw. gleichen Anteil haben.

Ein systematisches Monitoring von Erkrankungen bei Kleintieren ist mit einem

erheblichen finanziellen, organisatorischen und personellen Aufwand verbunden und setzt eine verlässliche Kooperation der Kollegen in den Kleintierpraxen voraus.

Daher zeigt diese prospektive Studie zum Auftreten von Vergiftungsfällen mit einer kleinen Anzahl teilnahmebereiter Kleintierpraxen Möglichkeiten wie Schwierigkeiten auf, Häufigkeiten sowie detaillierte Daten von Erkrankungen bei Kleintieren im Praxisalltag zu erheben.