• Keine Ergebnisse gefunden

Gemäß der von Gangi [62] publizierten „Guidelines“ sowie des interdisziplinären Konsensuspapiers, erstellt in Zusammenarbeit der Deutschen Gesellschaften für Neurochirurgie (DGNC), der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU), der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und orthopädische Chirurgie (DGOOC) und der Deutschen Röntgengesellschaft (DRG) [121] wurde initial die Indikationen und

Kontraindikationen der Vertebroplastie [76] und 2005 abschließend auch für die Ky-phoplastie formuliert [87].

3.6.1. Indikation

Als klar umschriebene Indikationen zur Durchführung einer Vertebro-/Kyphoplastie entsprechend des Konsensuspapiers [87] gelten:

1. schmerzhafte osteoporotische Sinterungsfraktur ohne adäquates Trauma (Zeitliches Intervall zwischen Schmerzbeginn und Intervention abhängig von Patientensituation)

2. schmerzhafte traumatische, stabile Fraktur bei Osteoporose,

gescheiterter oder nicht durchführbarer konservativer Therapieversuch, keine Indikation zur operativen Standardtherapie nach gültigen Kriterien

(Zeitliches Intervall zwischen Schmerzbeginn und Intervention abhängig von Patientensituation)

3. schmerzhafte Osteolysen bei disseminierten malignen Tumoren (sek. Tumoren und maligne hämatologische Erkrankung)

4. Pallation in Ergänzung zu etabliertem onkologischem Regime

5. Adjuvante peri-/intraoperativer Vertebro-/Kyphoplastie im Rahmen operativ stabilisierender Maßnahmen

3.6.2. Relative Kontraindikation

Manifeste Nervenwurzelkompressionssyndrome mit radikulärer Symptomatik vor rsp.

ohne vorhergehende Dekompression, ausgedehnte Hinterkantenfrakturen mit mehr-fragmentärer Wirbelkörperhinterkante und einer ausgeprägten spinalen Einengung werden ebenso wie eine Tumorinfiltration des Epiduralraumes als relative Kontrain-dikationen zur Kyphoplastie gewertet. Da noch keine ausreichenden Erfahrungen bezüglich der Langzeitwirkung der verwendeten Knochenzemente vorliegen, sollte der Einsatz dieser Materialien bei Patienten unterhalb des fünfzigsten Lebensjahres mit kritischer Zurückhaltung sowie in Abhängigkeit der individuellen klinischen Situa-tion erfolgen und gilt ebenfalls als relative KontraindikaSitua-tion.

Entsprechend des interdisziplinären Konsensuspapieres zur Vertebro- und Kypho-plastie der Deutschen Fachgesellschaften 11/2005 [87] werden die folgende relativen Kontraindikationen formuliert, von denen je nach klinischer Erfordernissen individuell abgewichen werden kann.

1. neurologische Symptomatik des zu therapierenden Wirbelsäulensegmentes 2. partieller oder kompletter Verlust der Hinterkante bei malignen Frakturen 3. Tumorausdehnung nach epidural mit Spinalkanalstenose

4. osteoporotische Frakturen mit fraglicher Hinterkanteninstabilität oder Fragmentdislokation

5. jüngere Patienten (individuell nach Situation des Patienten)

6. Behandlung von mehr als drei Wirbelkörpern pro operativer Sitzung

3.6.3. Absolute Kontraindikation

Als absolute Kontraindikation zählen Rückenbeschwerden, die durch segmentale Degenerationen und/oder Bandscheibenvorfälle in dem zu behandelnden Bewe-gungssegment hervorgerufen werden. Frakturierte Wirbelkörper, deren anatomische Lokalisation nicht mit der angegebenen Schmerzsituation übereinstimmen, sollten nicht im Rahmen der Kyphoplastie operativ augmentiert werden.

Eine Kyphoplastie zur Prophylaxe einer „drohenden“ osteoporotischen Wirbelkörper -fraktur oder asymptomatischer Wirbelkörper-frakturen sollte ebenso unterbleiben wie die Operation von Patienten, die offensichtlich von einer konservativen medikamen-tösen Therapie profitieren.

Eine Ausnahme stellt die operative Zementaugmentation von bis dato noch nicht frakturierten Wirbelkörpern dar, die im Rahmen des operativen Vorgehens zwischen zwei zu kyphoplastierenden Wirbelkörpern liegen und bei denen somit nach operati-ver Aufhärtung der benachbarten Wirbelkörper, ein sogenannter „Nußknackereffekt“

mit sekundärer Fraktur zu erwarten wäre.

Weitere absolute Kontraindikationen zur Durchführung beider Verfahren besteht bei schwangeren Patientinnen, therapierefraktärer Koagulopathie, bekannter Allergie gegen zur Durchführung einer Vertebro/Kyphoplastie notwendigen Komponenten so-wie bei Spondylitiden/Spondylodiszitiden und aktivem systemischem Infekt [175].

3.7. Komplikationen

3.7.1 Allgemeine Komplikationen

Allgemeine Komplikationen im Rahmen der Kyphoplastie sind selten [32] und ent-sprechen denen anderer dorsaler Eingriffe im Bereich der Wirbelsäule. Das klinische post-operative Ergebnis sowie die interventionsspezifische Morbidität und Mortalität wird bestimmt durch lagerungs- und zugangsbedingte Komplikationen wie Rippen-, Sternum- und Pedikelfrakturen oder die Verletzung neuraler Strukturen, Infektionen mit nachfolgender sekundärer Spondylitis/Spondylodiszitis, akzidentiellen Punktionen des Duraschlauches mit konsekutivem Liquorverlust, Gefäßverletzungen mit para-vertebralem oder intraspinal, epiduralem Hämatom [17]. Der Nachweis applikations-spezifischer kardiopulmonaler Komplikationen durch im Verlauf der Ballonkyphoplas-tie in das Gefäßsystem eingeschwemmter Fett- und Knochenmarkzellen wurde von Aebli et al. 2002 erbracht, wobei in der gleichen Studie festgestellt werden konnte, dass das Risiko einer solchen Komplikation mit der Anzahl der Wirbelkörper, die in einer operativen Sitzung aufgefüllt werden, steigt [2]. Weiteres Komplikationspotential

besteht infolge der individuellen Verträglichkeit des applizierten Zementes und in-folge von Zementleckagen mit lokaler oder fortgeleiteter Paravasion [18].

Als zementspezifische Komplikation wurden von Dahl et al. 1994 toxische Lungen-schädigungen und Schäden an Endothelien und Leukozyten durch Freisetzung von Polymethylmethacrylat-Monomeren nachgewiesen [39]. Durch die exotherme Reak-tion des Knochenzementes in der Aushärtungsphase, wobei Temperaturen bis 75°C erreicht werden, kann es zu ortständigen Schädigungen der dem Wirbelkörper be-nachbarten anatomischen Strukturen kommen [45].

Als Alternative und Weiterentwicklung zur, der biologischen Knochenstoffwechselsi-tuation angenäherten, Knochenzementvariante bieten sich Kalziumphosphat-Ze-mente an. Deren Umkristallisationsprozess verläuft isotherm und setzt keine toxi-schen Monomere frei. Durch das, dem gesunden Knochen, vergleichbare Kalzium-/Phophatverhältnis sowie die osteoinduktiven und biodegradablen Eigenschaften des Kalziumphosphat-Zementes, ist dieser durchaus als Alternative zur Verwendung bei Patienten unterhalb des 50. Lebensjahres zu betrachten. Die Nachteile gegenüber dem PMMA-Zement sind jedoch eine biomechanisch geringere Widerstandskraft ge-genüber Biege-, Zug- und Scherbelastungen [10, 82, 112].

3.7.2. Zementextravasation

Zementleckagen sind zwar mehrheitlich asymptomatisch, stellen jedoch den Haupt-grund für pulmonale und neuronale Komplikationen im peri- und post-operativen Verlauf bei Vertebro- und Kyphoplastien dar. Explizit in der Literatur beschrieben sind Lungenembolien [12], Zementembolisatioen in die V.cava und Pulmonalarterien [8], extrakorporale Zementabflüsse über die extraduralen Venenplexus bis in die Vena Cava [142], paradoxe cerebrale Embolie bei offenem Foramen ovale [160], renale Embolisationen [161], Neuritiden, Radikulopathien bis zu Paraplegien [107].

Insgesamt werden in der Literatur unterschiedliche Angaben zur Rate der Extravasa-tion gemacht. Diese werden verfahrensspezifisch mit 11-76% für die Vertebroplastie und mit 4,8-39% für die Kyphoplastie angegeben [4]. Erklärungsversuche für die er-hebliche Spannbreite in der Rate der Zementextravasatioen werden in subjektiven Bewertungskriterien und –wahrnehmungen seitens der Diagnosesteller als auch in unterschiedlichen diagnostischen Kontroll- und Nachweisverfahren wie z.B. einer-seits standardisierten Kontrollen mittels nativer Röntgenbilder in 2 Ebenen, anderer-seits computertomographischer und somit sensitiverer Nachweismethoden bzgl. des Vorliegens von Zementparavasationen gesehen.

Insgesamt liegt die Rate der behandlungsbedürftigen Zementaustrittskomplikationen entsprechend der in der Literatur vorliegenden Metaanalysen nach Boszczyk et al.

bei 0,2% (n=4/2194) pro Patient für die Kyphoplastien und bei 3,7% (n=82/2226) pro Patient für die Vertebroplastien [27].

Cortet et al. 1999 [36] 65%

Garfin et al. 2001 [64] 30 67%

Peh et al. 2002 [133] 44%

Pflugmacher et al. 2005 [136] 18,7%

Walz et al 2006 [183] 43,3%

Weber et al 2006 [184] 57,9%

Tab. 4: Rate der Zementaustritte entsprechend der Literatur (1999 – 2006) Die genauere Betrachtung des anatomischen Aufbaus des Wirbelkörpers insbeson-dere der intra- und intervertebralen Gefäßversorgung trägt entscheidend zum Ver-ständnis der pathophysiologischen Zusammenhänge des intraoperativen Zemen-taustritts aus dem Wirbelkörper bei. Intravertebral befindet sich das gut durchblutete Knochenmark mit einem großen funktionellen Gefäßquerschnitt. Paravertebral liegen klappenlose Venengeflechte, die als Plexus venosus vertebralis internus den Spinal-kanal sowie als Plexus venosus vertebralis externus die paravertebrale Region ver-sorgen. Die intravertebralen und paravertebralen Kapazitätsgefäße kommunizieren mittels großlumiger Vv. basi-vertebrales (Zentralvenen), welche sich anatomisch di-rekt unter dem hinteren Längsband befinden. Über diesen „Kurzschluß“ gelangt der visköse Knochenzement unter das hintere Längsband sowie in den Spinalkanal [144].

Abb. 9: Schematische Darstellung des Wirbelvenenplexus nach Rauschmann [144]

In Untersuchungen von Schmidt et al. (2005) sowie von Yeom et al. (2003) konnte aufgezeigt werden, dass eine deutliche Diskrepanz zwischen den primär diagnosti-zierten und den mittels CT-Feinschichtuntersuchung nachkontrollierten sekundär verifizierten Zementleckagen besteht [155, 191]. Somit die Anzahl der asymptomati-schen Paravasationen höher liegt, als intra- oder früh postoperativ erkannt wird.

Ent-sprechend der mittels Computertomographie nachuntersuchten Wirbelkörper sowie der jeweils vorliegenden Zementleckagen hat Yeom im Wesentlichen drei haupt-sächliche Mechanismen der Paravasation beschrieben: