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O BDACHLOSIGKEIT UND W OHNUNGSLOSIGKEIT : EINE B EGRIFFSDEFINITION 3

Für Obdach- und Wohnungslose gibt es eine Vielzahl an umgangssprachlichen Bezeichnungen. ‚Sandler_in„, ‚Penner_in„, ‚Obdachlose Person„, ‚Landstreicher_in„

werden im Volksmund verwendet. Um einen wissenschaftlichen Diskurs führen zu können, bedarf es jedoch einer Unterscheidung von wissenschaftlichen Bezeichnungen und Ausdrücken aus der Alltagssprache.

Zu Beginn dieses Kapitels werden die offiziellen Definitionen nach ETHOS von Obdachlosigkeit, Wohnungslosigkeit, ungesichertem Wohnen und ungenügendem Wohnen dargestellt. Hierdurch soll den Lesenden eine Unterscheidung im Folgenden erleichtert werden, zumal im Volksmund besonders die Begriffe der Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit synonym verwendet werden. Eine Unterscheidung gerade dieser zwei Begrifflichkeiten ist jedoch für das Verständnis der vorliegenden Arbeit wichtig.

Des Weiteren liegt ein Fokus auf der Entstehung von Obdach- und Wohnungslosigkeit.

Besondere Beachtung gilt dem historischen Kontext und den Ursachen von Armut als Entstehungsmerkmal von Obdach- und Wohnungslosigkeit.

2.1. Definition nach ETHOS

Die European Federation of National Associations Working with the Homeless, Europäischer Dachverband der Wohnungslosenhilfe (in weiterer Folge FEANTSA) hat eine offizielle Definition der Begrifflichkeiten Obdachlosigkeit, Wohnungslosigkeit, Ungesicherten Wohnens und Ungenügenden Wohnens erstellt.(vgl. FEANTSA 2006) Auf diese Definition beruft sich unter anderem der Fond Soziales Wien (FSW), der als Finanzgeber der Wiener Wohnungslosenhilfe (WWH) wesentlich ist.(vgl. Fonds Soziales Wien 2011b) Ebenso bezieht sich die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe als Dachverband der Österreichischen Wohnungslosenhilfe darauf, wodurch von einer Gültigkeit auf österreichischer Bundesebene gesprochen werden kann. (vgl. BAWO – Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe n.a.)

4 Abb. 1: ETHOS – Europäische Typologie für Obdachlosigkeit, Wohnungslosigkeit und prekäre

Wohnversorgung Quelle:(FEANTSA)

2.1.1. Obdachlosigkeit

Obdachlosigkeit lässt sich auf zwei Personengruppen laut ETHOS festlegen. So handelt es sich einerseits um Personen, die sich im öffentlichen Raum aufhalten, und in diesem auch nächtigen. Öffentlicher Raum ist unter anderem definiert als Parks, Brücken, Verschläge oder abgelegene Orte, die auch als Aufenthalts- und Schlafplatz dienen.

Diese Menschen haben keine Unterkunft. Als zweite Gruppe fallen unter den Begriff der Obdachlosigkeit Menschen, die sich in Notunterkünften aufhalten, ihre Wohnsituation somit in Notschlafstellen und Wärmestuben stattfindet. Es gibt keinen festen Wohnsitz und die Betroffenen halten sich unter anderem in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe auf. (vgl. FEANTSA 2006) Gerade im oben angesprochenen öffentlichen Raum "werden obdachlose Menschen stark wahrgenommen, da ihre Problemlagen (Alkoholmissbrauch, psychische Erkrankungen, Verwahrlosung) sehr auffällig und sichtbar sind. Für

5 obdachlose Menschen wird in den letzten Jahren vermehrt der Begriff "akut wohnungslos" gebraucht." (Fonds Soziales Wien 2011b: o.S.)

2.1.2. Wohnungslosigkeit

ETHOS unterscheidet nach fünf verschiedenen Gruppen. So werden zuerst Menschen, die in Wohnungsloseneinrichtungen wohnen als wohnungslos bezeichnet. Das schließt zum Beispiel Übergangswohnhäuser ein, die aufgrund einer begrenzten Aufenthaltsdauer keinen Dauerwohnplatz bieten.

Als zweite Gruppe werden Frauen in Frauenhäusern genannt, die ihre eigentliche Wohnung wegen Gewaltvorfällen verlassen haben und für eine bestimmte Zeit Schutz in einer Einrichtung erhalten.

Migrant_innen und Asylwerber_innen, die in Quartieren, Auffangstellen oder speziellen Unterkünften untergebracht sind, gelten ebenfalls als Wohnungslos, solange ihr Aufenthaltsstatus nicht geklärt ist. Auf Ausländer_innen, die in Arbeiter_innenquartieren leben und über einen befristeten Arbeits- und Aufenthaltstitel verfügen trifft dies ebenfalls zu.

Aus Gefängnissen, Strafanstalten, Spitälern, Heilanstalten oder Jugendheimen entlassene Personen sind wohnungslos, sofern sie nach ihrer Entlassung über keine ordentliche Wohnmöglichkeit verfügen. Dies gilt auch, wenn eine weitere Unterbringung in Spitälern oder Einrichtungen der Jugendwohlfahrt nötig ist, da keine geeignete Wohnmöglichkeit außerhalb zur Verfügung steht.

Als letzte Gruppe fallen unter den Begriff der Wohnungslosigkeit Personen, die in Dauereinrichtungen für wohnungslose oder ehemals obdachlose Personen der Wohnungslosenhilfe wohnen. Besonders auf ältere Menschen trifft dies häufig zu. (vgl.

FEANTSA 2006)

2.1.3. Ungesichertes Wohnen

Ungesichertes Wohnen umfasst Menschen, die in nicht sicheren Wohnverhältnissen leben und von Delogierung oder Gewalt bedroht sind.

Das Leben in nicht sicheren Wohnverhältnissen bedeutet hier beispielsweise bei Freunden zu wohnen, von der Güte anderer abhängig zu sein und keinen eigenen Hauptwohnsitz geltend machen zu können. Unsicheres Wohnen kann außerdem bedeuten, dass keine Rechtsmittel vorhanden sind, kein gültiger Mietvertrag oder dass Wohnen in einem nicht legalen Rahmen wie zum Beispiel durch eine Hausbesetzung stattfindet.

Die Gefahr von Delogierung bedeutet, dass bereits ein Delogierungsbescheid besteht oder der Beschluss feststeht, dass die Person aus der Wohnung ausziehen muss und ein Räumungsbefehl feststeht.

Wenn Menschen in ihrer Wohnung von Gewalt bedroht sind, bedeutet dies, dass die Personen in ihrer Wohnung nicht vor Gewalt sicher sind, obwohl diese von der Polizei geschützt wird. (vgl. FEANTSA 2006)

Ungesichertes Wohnen kann laut FSW auch als prekäres Wohnen bezeichnet werden.

Besonders Jugendliche und Frauen sind häufig davon betroffen. In der

6 Wohnungslosenhilfe wird im Zusammenhang mit prekären Wohnverhältnissen von

"versteckter" Wohnungslosigkeit gesprochen. (vgl. Fonds Soziales Wien 2011b)

2.1.4. Ungenügendes Wohnen

"Ungenügendes" Wohnen bezeichnet leben in provisorischen Wohnverhältnissen wie Zelten, Wohnwägen, Kellern oder Garagen. Es handelt sich um Wohnmöglichkeiten, die nicht als solche im konventionellem Sinne gedacht sind. Auch das Leben in Abbruchhäusern, oder Gebäuden, die baulich nicht den bewohnbaren Sicherheitsstandards entsprechen fallen unter diese Kategorie.

Ebenso trifft dies zu, wenn sehr viele Menschen auf zu engem Raum leben oder in überfüllten Räumen schlafen müssen. (vgl. FEANTSA 2006)

In der Folgenden Arbeit wird überwiegend von obdach- und wohnungslosen Personen gesprochen, da diese die Hauptklientel der behandelten Einrichtungen darstellen. Ein sensibler Umgang beim Lesen mit den Begrifflichkeiten ist demnach nicht zu vernachlässigen.

2.2. Entstehung von Wohnungslosigkeit

Die Entstehung von Wohnungslosigkeit lässt sich nicht auf nur eine Ursache reduzieren.

Vielmehr gibt es eine Vielzahl an Ursachen, die sich gegenseitig bedingen und somit je nach ihrem Zusammenspiel einen Einfluss auf die Wohnungslosigkeit haben. Aus einer Studie zur "Entstehung von Wohnungslosigkeit in München" (vgl. Paulgerg-Muschiol 2009) geht hervor, dass der Verlust des Arbeitsplatzes und der Wohnung Hauptgründe für Wohnungslosigkeit sind. Ebenso erhöhen prägende Ereignisse im engsten sozialen Umfeld das Risiko. So stellen Scheidung, Tod eines nahen Angehörigen oder nicht lösbare Familienkonflikte Risikofaktoren für den Beginn einer Kariere in der Wohnungslosigkeit dar. Daraus resultierend können Entlassungen aus Spitälern, Haftanstalten oder Einrichtungen der Jugendhilfe, ebenso wie psychische Erkrankungen oder Suchtproblematiken solche Ereignisse sein. (vgl. Paulgerg-Muschiol 2009: 28ff) Armut ist ein primärer Auslöser für Wohnungslosigkeit. Viele Facetten, wie etwa nicht genügendes Einkommen, Schulden oder soziale Probleme tragen dazu bei. Oft haben diese Menschen bereits so schlechte Erfahrungen mit den bürokratischen Hürden sozialer Hilfen, (vgl. Schoibl in: BAWO - Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe Österreich 2011: 19ff) dass Wohnungslosenhilfe erst zu spät in Anspruch genommen wird und somit nicht mehr ihre volle Wirksamkeit greift.

Laut Statistik Austria waren im Jahr 2016 ca. 16% der österreichischen Bevölkerung in irgendeiner Form von Armut oder Ausgrenzung bedroht, wobei Kinder und Jugendliche unter 20 Jahre und Frauen einem höheren Risiko ausgesetzt sind. (vgl. Statistik Austria 2017) Dies spiegelt sich in dem Trend wieder, dass immer mehr Frauen, Kinder und Jugendliche und junge Erwachsene von Obdach- und Wohnungslosigkeit betroffen sind.

(vgl. Paegelow 2009: 50)

Im Jahr 2007 hat der Fonds Soziales Wien einen großen Bericht zum Thema der Wiener Wohnungslosenhilfe herausgebracht, der sich auf die Ursachen von Wohnungslosigkeit

7 bezieht. Der FSW geht hierbei besonders auf wirtschaftliche, soziale und psychosoziale Problemlagen als Ursachen ein, (vgl. Graber et al. 2007: 11) und sieht Wohnungslosigkeit als "eine drastische Ausformung von Armut, der die Wiener Wohnungslosenhilfe mit ihrem Integrationsprogramm" entgegen zu steuern versucht. (ebd. 2007: 12)

Im Folgenden werden diese Punkte genauer erläutert, um den Wien-spezifischen Bezug darzulegen. Ein Eingehen auf alle möglichen Risikofaktoren und Ansätze zur Entstehung von Wohnungslosigkeit ist in der Kürze der Arbeit nicht zielführend. Während der Betrachtung ist zu beachten, dass die hier angeführten Risikofaktoren für das Auslösen von Wohnungslosigkeit verantwortlich sein können, keinesfalls aber zwingend verantwortlich sind.

2.2.1. Wirtschaftliche und soziale Ursachen

Wie oben bereits genannt befinden sich in Österreich derzeit ca. 16% der österreichischen Bevölkerung in irgendeiner Weise in einer Armutsgefährdung oder leben bereits in Armut. Hinzu kommt, dass die Anzahl der Sozialhilfeempfänger_innen stetig steigt. Immer mehr Menschen müssen ihr Einkommen mit Sozialhilfezahlungen aufstocken, weil ihre sonstige Einnahmequelle nicht genügt, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Ein geringes Einkommen oder der Verlust des Arbeitsplatzes stehen in direktem Zusammenhang mit dem Risiko für Wohnungslosigkeit. Hinzu kommen viele Personen, die sich in prekären Arbeitsverhältnissen befinden, oder "working poor"

betreiben. Diese befinden sich dementsprechend trotz einer Erwerbstätigkeit unter der Armutsgrenze. (vgl. ebd. 2007: 12)

Christoph Kellinghaus sieht gesellschaftliche Faktoren wie die gestiegene Arbeitslosigkeit und die Reduzierungen bei den Sozialversicherungen als Ursachen von Wohnungslosigkeit. Hinzu kommt die Verknappung von bezahlbarem Wohnraum. (vgl.

Kellinghaus 2000: 14) In Wien wird dies deutlich durch großflächige Altbausanierungen.

Hierdurch bleibt neben dem Gemeindewohnungssegment kaum mehr eine preisgünstige Möglichkeit zum Wohnen für Menschen mit geringem Einkommen übrig. Es wird somit schwieriger eine Wohnung zu finden. Falls eine Wohnung gefunden ist, ist die Belastung durch die Miete gerade bei einkommensschwachen Haushalten sehr hoch.

Vergleichsweise hat Wien dennoch einen sehr großen Anteil an geförderten Wohnungen und unterstützt somit gerade Menschen mit geringem Einkommen. (vgl. Graber et al.

2007: 12f)

Die Herkunftsfamilie, sowie die soziale Schichtzugehörigkeit oder Schul- und Berufsausbildung sind Teil der Entstehung von Obdach- und Wohnungslosigkeit.

Insgesamt sind vor allem die gesamtgesellschaftlichen und ökonomischen Bedingungen für die Entstehung und das Ausmaß an Wohnungslosigkeit verantwortlich. Eine Marginalisierung und verminderte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben sind wichtige Faktoren. Natürlich können hier keine heterogenen Strukturen für die Wohnungslosigkeit verantwortlich gemacht werden. Vielmehr das ungünstige Zusammenspiel vieler Faktoren erhöht die Gefahr einer drohenden Wohnungslosigkeit. (vgl. Paulgerg-Muschiol 2009:

28ff)

8 2.2.2. Psychosoziale Ursachen

Hier sollen die sozialen Faktoren betrachtet werden, die sich besonders schwerwiegend auf die Psyche hinsichtlich der Entstehung von Obdach- und Wohnungslosigkeit auswirken. Körperliche und psychische Erkrankungen sind unter Wohnungslosen besonders häufig. So sind Suchterkrankungen wie Alkohol- oder Drogenkonsum zwar auch in der Folge von Wohnungslosigkeit zu beobachten, bei der Entstehung spielen sie genauso eine große Rolle. Ebenso ist eine gestörte Familiensituation der Kernfamilie oft für ein größeres Risiko verantwortlich. Wenn keine Konfliktfähigkeit oder Beziehungsfähigkeit in der Familie gelebt wurde, so kann das später die Aufnahme sozialer Kontakte erschweren und somit die Wohnungslosigkeit begünstigen. (vgl.

Kellinghaus 2000:14)

Stigmatisierungsprozesse, wie die Verurteilung wohnungs- und obdachloser Menschen in der Öffentlichkeit, können dem Erhalt von Wohnungslosigkeit Vorschub leisten. Viele sehen diese Personen als faule und arbeitsscheue Menschen, die an ihrer Situation selbst schuld sind oder diese gar so wollen. Armut wird als selbstverschuldet angesehen und nicht als Zustand, der jeden und jede treffen kann und von unterschiedlichen auslösenden Faktoren abhängig ist. Dass die Situation in der sich obdach- und wohnungslose Personen befinden aber Ergebnis eines langen Prozesses der Frustration und Absagen sein kann, wird so nicht gesehen. Im Gegenteil, bis in die 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts war Obdachlosigkeit sogar teilweise ein Strafdelikt. (vgl. Caritas in Oberösterreich 2015: 67)

Psychosoziale Ursachen stehen immer im Zusammenhang mit einem nicht Fertigwerden oder einer Überforderung mit der Situation mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen.

Die unterschiedlichen Faktoren können sich dabei gegenseitig bedingen und verstärkend aufeinander wirken. Der gesellschaftliche Umgang mit der Wohnungslosigkeit und die Angst davor getroffen zu werden ist demnach maßgeblich. (vgl. Kellinghaus 2000: 15)

2.3. Folgen von Wohnungslosigkeit

Der Verlust der Wohnung ist häufig das Ergebnis von vielen davor schon sehr belastenden Situationen wie Arbeitsplatzverlust, Trennung, psychische Erkrankungen, Vereinsamung oder sonstigen sozialen und wirtschaftlichen Problemen. Der damit einhergehende Verlust der Privatsphäre stellt die größte Belastung dar. Außerdem sind Personen die ihre Wohnung verloren haben den Blicken der Öffentlichkeit und einer Stigmatisierung ausgesetzt.

Häufig werden mit dem Beginn der Wohnungslosigkeit aus Scham oder Überforderung noch die letzten sozialen Kontakte abgebrochen und es bestehen nur mehr Kontakte zu Menschen aus derselben Szene mit denselben Problemen. Sowohl wirtschaftliche, soziale als auch psychische Folgen der Wohnungslosigkeit machen je nach Dauer ein Zurückkommen in ein eigenes geregeltes Wohnverhältnis immer schwieriger. Besonders Klient_innen mit psychischen Erkrankungen verlernen schnell die Fähigkeit eigenständig zu wohnen und verweilen häufig lange in der Wohnungslosenhilfe. (vgl. Graber et al.

2007: 14f)

9 Nachfolgend wird insbesondere die Wiener Wohnungslosenhilfe genauer betrachtet und in ihrer Vielfältigkeit vorgestellt, da sich der empirische Teil dieser Arbeit mit deren Einrichtungen befasst.

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