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Ein ganz normales Mädchen – eine eitle Psychopathin

Im Dokument Gender Studies (Seite 100-103)

Vier Mordsachen und ihre Implikationen

III.1.6 Ein ganz normales Mädchen – eine eitle Psychopathin

War es denn möglich, daß sie, die Ernst von Kin-desbeinen an kannte, dennoch nichts wußte von seinem Inneren? Daß sie ihn für sanft, ideal, fried-fertig gehalten hatte, während er … Nein. Es war nicht möglich. So harmlos froh und zuversichtlich war er gestern fortgegangen! Sie begriff gar nichts mehr. Nur das Eine wußte sie: etwas Böses konnte Ernst nimmer getan haben.

aus: annie hruschKa, schüsseinDeR nacht, 1914

Eine Kundin des Ladens sagte über Hagedorn: die »Käthe sei immer ein braves, ordentliches Mädchen gewesen. (Sie) sei guten Gemütes, und (mochte) Kinder recht gern […]«. (US) Vor Gericht wird Käthe Hagedorn zu ihrem Verhältnis zu Kindern befragt:

V(orsitzender): Waren Sie kinderlieb oder schätzten Sie kleine Kinder nicht?

A(ngeklagte): Ich hatte kleine Kinder sehr gern.

V: Auch die zu Tode gekommenen?

A: Ja. (US)

11 | Wenngleich im Vergleich der Berichterstattung deutlich wird, dass die Rhei-nische Ruhrzeitung sehr viel detaillierter und genauer darstellt, als dies im Duisbur-ger GeneralanzeiDuisbur-ger der Fall ist.

Auch im Gefängnis wird Hagedorn als »überaus ordentlich und fügsam«

beschrieben.

Die Rhein- und Ruhrzeitung zitiert aus der Beweisaufnahme am ersten Prozesstag den Rektor Jung, der sie auch unterrichtete, in Bezug auf den Charakter der Angeklagten: »Ich kann ihr nichts Schlechtes nachsagen, sie ist bei mir immer sehr freundlich und fleissig gewesen und frisch im Unterricht. Deshalb hatte ich sie recht gerne. Auch andere Lehrer sagten ihr dasselbe nach, nur ein Lehrer ist mit Hagedorns häuslichem Fleiss nicht zufrieden.« (RRZ, 25.06.1926) Auf Nachfrage meint der Rektor, Ha-gedorn habe hier bei ihm zu keinerlei Klagen Anlass gegeben. Auch der Pfarrer findet, Hagedorn sei als Schülerin immer »sehr brav und fleis-sig« gewesen, er hat keinerlei Nachteiliges auszusagen, weder in sittlicher Hinsicht noch in Bezug auf Hagedorns Umgang. Beide finden Hage-dorns Tat ganz unerklärlich. »Die Hagedorn verhält sich in der Gefäng-niszelle ruhig und macht einen normalen Eindruck.« (RRZ, 25.06.1926;

Herv. i. O.) Normalität und ihre Attribute – ordentlich, fügsam, freund-lich, fleißig, brav, gutes Gemüt, Kinderliebe, Sittlichkeit –, das war es, was Hagedorns Unauffälligkeit ausmachte. Unerklärlich bleibt die Tat vor die-sem Hintergrund, Zeichen für Hagedorns Abnormität werden gesucht.

Eine besondere Eitelkeit in Bezug auf die Tat – das haben die Gutachter betont – legt demnach der Prozess offen. Hagedorn wird hierzu mit Aus-sprüchen zitiert wie: »Oh, die Richter haben schon einen ganzen Roman um mich gedichtet.« (DGA, 25.06.1926)

Auch in der Befragung, im Prozess, geht es um diese ›Eigenschaft‹

der Eitelkeit. Hier meint man erstens, wie auch schon an früherer Stelle, Parallelen zum Fall Haarmann entdecken zu können. Der Lust- und Se-rienmörder Fritz Haarmann hatte an mehreren Stellen Freude geäußert, so bekannt zu sein, ein berühmter Mörder etc. Hagedorn hatte, so hatte man an früherer Stelle schon festgestellt, in der Zeitung über Haarmann gelesen und dabei nach Auffassung der Vorsitzenden ein ›aussergewöhn-liches Interesse‹ gezeigt. Auch ihre Lektüre soll demnach außergewöhn-lich gewesen sein.

V: Es soll Ihrer Eitelkeit sehr geschmeichelt haben, in dieser Sache so im Mittel-punkt der allgemeinen Aufmerksamkeit zu stehen. Sie haben in Bedburg [die An-stalt, in der Hagedorn zur Beobachtung untergebracht war] gesagt, Sie seien die jüngste Mörderin der Welt und hätten mit 18 Jahren bereits einen Doppelmord

begangen. Sie haben auch gesagt, Sie wären die grösste Sünderin und wer nicht mit Ihnen sprechen wolle, der möge es lassen.

A: Ich hatte die Bibel gelesen und stand unter dem Eindruck des Gelesenen.

V: Es scheint doch, dass die Sache ihrer Eitelkeit gut tat. Haben Sie nicht in Bed-burg gesagt, dass die Verhandlung gegen Sie drei Tage dauern würde?

V: Ja.

A: Sie haben davon gesprochen, dass Ihre Hinrichtung an einem Donnerstag sein würde.

Die Angeklagte schweigt. (Ebd.)

Die Dramaturgie dieser Befragung – das scheint der Zweck dieser Fra-gestellungen und auch der Reihenfolge, insbesondere des Abschlusses:

ein (geheimnisvolles, interpretierbares) Schweigen Käthe Hagedorns – und ihrer Darstellung in der Presse lassen Hagedorn als stolz auf ihre Tat erscheinen. Das Schweigen Hagedorns, das in seiner Ausschnitthaftig-keit einen dramatischen Höhepunkt in der Verhörsituation der Angeklag-ten markiert, bietet so einen Einblick in die dunklen seelischen Abgründe des sonst so ›normal‹ wirkenden Mädchens. Diese seelischen Abgründe neben dem Eindruck der normalen Käthe Hagedorn werden in Verhör und Verhandlung wie Preziosen hervorgehoben und beleuchtet. Jedes Detail kann als Schlüssel zum Unerklärlichen dienen: ein gesundes, zurechnungsfähiges, kinderliebes Mädchen begeht einen Mord an zwei Kindern. Und auch weitere Details werden in diesen Zusammenhang ge-stellt. Ein Zeuge schildert den »elastischen, eleganten, fast freudig be-wegten Gang, in dem die Angeklagte zum Bach schritt« (US). Dies passt ins Bild der psychopathischen Lustmörderin, die nach gelungener Aktion den Tatort frohgemut und befriedigt verlässt. Auch die Raffinesse Hage-dorns passt in dieses Konzept und insbesondere auch die Nacherzählung des Versuchs von Hagedorn, einer Verhaftung zu entgehen.

In der Presse wird die Flucht Hagedorns sehr ausführlich beschrie-ben. Hagedorn versucht zunächst, mit dem Taxi aus Duisburg zu ent-kommen, der Fahrer lässt sich aber nicht um seinen Lohn prellen und Ha-gedorn wird in der Nähe von Duisburg festgenommen. Sie macht diverse falsche Angaben zu Name und Wohnort und zum Zweck ihrer Reise, bis sie letztendlich gesteht, die gesuchte Käthe Hagedorn zu sein. In der Fol-ge erfindet sie ein falsches Alibi, bestreitet auch die Tat, bis sie in Groß-Duisburg dem Untersuchungsrichter vorgeführt wird und die Tat gesteht.

Die »Irrfahrten der Mörderin« erscheinen in ihrer Schilderung vor Ge-richt sehr abenteuerlich und der Wagemut der flüchtenden Verdächtigten wiederum ist als abgründiger Hinweis auf ihre dunkle Seite lesbar.

Im Dokument Gender Studies (Seite 100-103)