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Chivalry: a ›gentle man’s‹ judging

Im Dokument Gender Studies (Seite 182-192)

Vier Mordsachen und ihre Implikationen

III. 4.2 ›Seelenunkundige Fachweisheit‹

III.14 A nnA s onnenberg :

III.14.2 Chivalry: a ›gentle man’s‹ judging

Die ›Ritterlichkeitsthese‹ oder ›Kavalierstheorie‹ behauptet, dass Frauen aufgrund ihres Geschlechts vor Gericht bevorzugt werden; Urteile gegen Frauen fallen demnach milder aus. Als Paternalismus vor Gericht aus-gelegt werden »geschlechtsspezifische soziale Ungleichheit« und »Privi-legierung um den Preis der Infantilisierung36 der betroffenen Frauen«, womit die Ausübung von Macht in den Blick gerät. Legnaro und Aengen-heister bemerken dazu, dass unterschiedliche Einschätzungen zu diesem Punkt vorliegen. »In einigen Studien werden geschlechterspezifische Voreinstellungen vorgefunden, andere negieren diese.« (Legnaro/Aen-genheister, 1999: 166). Ihre Arbeit zeigt, dass

»das Strafrecht gerade für weibliche Angeklagte eine symbolische Funktion der nachhaltigen Ermahnung und Bekräftigung innehat. Sanktioniert wird bei ihnen der Ausbruch aus der Feminität, dies allerdings nicht ohne Verständnis für solche Ausbrüche. Dieses Verständnis zeigt sich in der Zuerkennung eines minder schwe-ren Falles und vergleichsweise niedrigen, oft auch zur Bewährung ausgesetzten Strafen.« (Ebd.)

So stellt auch Eva Wyss die These auf, dass das Strafrecht nicht nur tradi-tionelle Auffassungen von Geschlechterrollen manifestiert, sondern auch geprägt ist von einem »männerzentrierten Weltbild« (Wyss, 2007: 198).

Und Legnaro/Aengenheister präzisieren:

»›Gerecht‹ werden die Gerichte damit beiden [Männern und Frauen] nicht, und die niedrigen Strafen, die aufgrund solcher Rekonstruktionen die meisten Frauen 36 | Allerdings wird die Frau im Untersuchungszeitraum per definitionem dem Kindlichen zugerechnet.

erhalten, haben ihren ›Preis‹ in solch typisierender ›Verweiblichung‹. Ähnlich gilt für Männer, dass sie aufgrund solcher ›Vermännlichung‹ oft vergleichsweise hohe Strafen erhalten haben.« (Legnaro/Aengenheister, 1999: 165)

Weiterhin fragen die Autor*innen danach, »ob [es] nicht die jeweiligen Lebenswelten [sind], wie Angeklagte sie präsentieren, die solche unter-schiedlichen Zuschreibungen ermöglichen und nahelegen« (ebd.). Es wä-ren demnach die Schilderungen vor Gericht, wie sie von den Angeklagten selbst vorgebracht werden, die im Ergebnis die niedrigere Strafe zur Folge haben. »Tatsächlich sind die gerichtlichen Rekonstruktionen primär an Verhaltensweisen von Angeklagten bzw. Opfern verankert.« (Ebd.: 156) So meinen Autor und Autorin, dass das Urteil eines Gerichts aufgrund der Schilderung von Angeklagten zustande kommt und dass Gerichte »im Rahmen ihrer Rekonstruktion nach(erzählen), dies allerdings mit seman-tischen Pointierungen, um die Kohärenz zwischen der Geschichte und der Subsumption und Rechtsfolge zu gewährleisten« (ebd.). Es ist also auch die (Nach)Erzählung immer auch diskursiv eingebettet und repro-duktiv wirkmächtig; dieser Punkt geht Hand in Hand mit dem von mir voranstehend erwähnten Bartelschen Erzählmodell.

Neben dem Geschlecht als wirkmächtigem Faktor der Aussage vor Gericht, respektive in Verbindung damit, wird aber auch deutlich, dass die »inhaltliche Erklärung in der lebhaften Missbilligung (liegt), mit der die forensische Moral alle Verhaltensweisen sanktioniert, die auf egoisti-schen Eigennutz gerichtet sind oder zu sein scheinen, während alle Ver-haltensweisen, die sich auf Andere richten und deren Wohl im Auge zu haben scheinen, mit Verständnis aufgenommen werden« (Legnaro/Aen-genheister, 1999: 154). Die Erklärung des Angeklagten vor Gericht wird also moralisch ›ausgewertet‹, je egoistischer eine Selbstaussage klingt, desto höher die Strafzumessung.

Die Autor*innen merken an, dass Frauen »forensisch vor dem Hin-tergrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Heteronomie wahr-genommen werden; ihr Handeln zeichnet sich in den gerichtlichen Re-konstruktionen primär durch ein ›Dasein für andere‹ aus« (ebd.: 154f.).

Vorstellungen von Geschlechtscharakteren funktionieren demnach auch noch aktuell als, wie die Verfasser*innen es bezeichnen, »forensische Mytheme« (ebd.). Sie fungieren demnach als Folie, vor der die individu-elle Schuld der/des Angeklagten beurteilt wird, und kommen als solche auch in der Bezeugung der Angeklagten selbst zur Geltung.

Die Kriminologin Monika Raab hat gezeigt, dass Stereotype von Weib-lichkeit Richter im Verfahren beeinflussen. Und Eva Wyss zeigt am Fall Damaris Keller, dass Weiblichkeitsstereotype im Verfahren gegen die jun-ge Frau wirksam werden:

»Der Fall von Damaris Keller weist zahlreiche exemplarische Elemente auf, die in der empirischen Forschung über Täterinnen und über ihre Behandlung vor Gericht überprüft worden sind. Es bestätigen sich mehrere Weiblichkeitsstereotypen der Urteilenden, die bei der Beweiswürdigung eine wichtige Rolle gespielt haben und vor allem gegen die Angeklagte verwendet wurden: Ihre Glaubwürdigkeit wird in Frage gestellt, taktisches, manipulierendes und berechnendes Verhalten wird in ihr Verhalten hineininterpretiert. Sie hat sich nicht wie eine ›normale‹ Ehefrau ver-halten, die einem traditionellen Bild entspricht.« (Wyss, 2007: 204)

Mit Legnaro/Aengenheister lässt sich hier anschließen:

»Nicht das soziale Geschlecht der Angeklagten per se ist es, was zu bestimmten Rekonstruktionen Anlass gibt, sondern eine geschlechtsspezifische Verteilung von Lebenswelten und Verhaltensweisen: Frauen schildern sich und ihr Leben auf eine Weise, durch die sie als ausgeliefert und als Opfer ihrer Lebenssituation verstanden werden können, Männer lassen weitaus eher (ohne explizit davon zu sprechen) eine Rekonstruktion von egoistischer Autonomie zu.« (Legnaro/Aengen-heister, 1999: 156)

Das gesprochene Urteil lese ich hier als Schnittstelle, an der sich diese Inhalte manifestieren. Der wichtigste Punkt ist hierbei die Strafzumes-sung. Sie orientiert(e) sich an der Erzählung und Rekonstruktion von Tat und Täterin durch Gutachten, Zeug*innen, Selbstzeugnis der Angeklag-ten. Durch diese Erzählung wird die Täterin somit erst erzeugt. Die Straf-zumessung drückt insbesondere den Grad der Abweichung aus, der der Täterin zugeschrieben wird. »Jede Wahrheitsfindung im Strafprozeß ist eine Konstruktion von Wirklichkeit. Die Verlässlichkeit der Beweismittel und die unbefangene Urteilskraft der Richter entscheiden über die Rea-litätstreue der Konstruktion.« (Strate, 1997: o.S.) Dass die Unbefangen-heit sich nicht auf basale Kategorien der Wahrnehmung stützen kann, ist deutlich.

Die Auswirkungen von Ritterlichkeit und Paternalismus vor Gericht finden sich somit vor allem in einer niedrigeren Strafzumessung. Dem

Richterspruch, der sich auf den juridischen Diskurs und eine Gesetzge-bung stützt (die wiederum durchsetzt sind von Alltagswissen über Ge-schlecht), wohnen basale Vorstellungen, Alltags- oder Jedermannswissen, der common sense über Geschlecht inne. Dies habe ich im ersten Teil dieser Arbeit angesprochen. Richter*innen sind Akteure in der Setzung, ebenso wie Expert*innen, Zeug*innen und Angeklagte, deren Narration durchsetzt ist von vergeschlechtlichten Inhalten.

So wird deutlich, dass das scheinbar einfach zu diagnostizierende Faktum, das das Frauen zugesprochene, mildere Urteil das eines ›sanften Mannes‹, des Richters sei, eine komplexe Situation darstellt: Hier urteilen nicht nur Richter*innen vergeschlechtlicht und vergeschlechtlichend. Es sind auch Angeklagte, die in Aussagen über sich selbst vergeschlechtlicht berichten. Die Vergeschlechtlichung kann sich zudem nicht nur strafmil-dernd auswirken. Auch eine höhere Strafzumessung kann – wie Eva Wyss insbesondere für das Kapitalverbrechen Mord gezeigt hat – das Ergebnis sein.

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Wenn es – wie ich voranstehend gezeigt habe – in den kriminologischen und in den Rechtswissenschaften auch populär erscheint, darauf hinzu-weisen, dass Frauen vor Gericht nicht benachteiligt sind, die Geschlechter-thematik keine große Rolle in der Gesetzgebung spielt und spielen muss, lässt sich demgegenüber immer wieder zeigen, weshalb und wie die den juridischen Praxen innewohnenden Stereotypien eine normierende Funktion haben und wie sie als ›Technologien des Geschlechts‹ ex nega-tivo wirksam werden.

Es kann hier nicht darum gehen, daran möchte ich nochmal erin-nern, vor- oder nachteilige Wirkungen von Geschlechterstereotypien zu behaupten oder zu beschreiben, sondern vielmehr geht es darum, zu ana-lysieren, welche normative Wirkung von dem Diskurs über die gewalt-tätige Frau ausgeht.

Die Beobachtung, dass Geschlecht in Verhören und Verhandlungen reproduziert und festgeschrieben wird, zeigt aber auch, wie Wiederho-lungen und das Überschreiten der geschlechtlichen Norm narrativ wirk-sam werden und umgekehrt Geschlecht erst erzeugen. Der Zeugnisakt

ist als Sprechakt eine Neukontextualisierung; er wird als kognitive Ver-arbeitung von Zeit – in Form von Erinnerung –, in der wiederum die Täterin hergestellt wird, wirksam. Die Kohärenz und Intelligibilität von Geschlecht wird hierbei evident und wirkmächtig und prägt das Zeugnis grundlegend. Insbesondere Selbstzeugnisse der Angeklagten sind dafür von einiger Bedeutung.

Wenngleich im Fall Ullmann/Sonnenberg keine Aussagen aus erster Hand (z.B. Briefe oder Originalaufnahmen auf Band) vorliegen, lassen sich doch zumindest – das habe ich vorhergehend gezeigt – aus der Pers-pektive der Rezeption des Verhaltens und Erzählens der Angeklagten vor Gericht Schlüsse ziehen, denn performative Handlungen rufen hervor, was sie benennen.

Und wieder zeigt sich eine Ambivalenz in der Beschreibung der Frau-en, wenngleich sie kaum so ausgeprägt ist, wie die bei Käthe Hagedorn vorgefundenen Widersprüchlichkeiten.

Es zeigt sich der Effekt, dass ein gradliniges Wahrgenommenwerden im Sinne einer normativen und hegemonialen Zwangsheterosexualität und eine stringente Selbstkonstituierung in Bezug auf die eigene Ge-schlechterrolle, die Selbstverpflichtung, den imperativen Anforderungen einer (heteronormativen) Matrix zu folgen, die Schwelle ist, an der Ge-schlecht sich unmittelbar darauf auswirkte, wie weit eine Person direkt mit ihrer Tat identifiziert wurde (und damit zur Hexe, Teufelin, zum Monster, zum abartigen Unmenschen gemacht wurde), und darauf, ob man ihr Besserungsfähigkeit zugestehen konnte.

Nach meinem Ermessen lassen hier sich zwei Pole ausmachen, die beide hier schwellensetzend oder gebrochen wirksam werden, nämlich der des Geschlechts und der der Moral (die wiederum vergeschlechtlicht und vergeschlechtlichend wirkt und sich sowohl auf sexuelle als auch auf ethische Grundlagen bezieht): So haben schon Legnaro/Aengenheister gezeigt, dass vor Gericht insbesondere die Selbstbeschreibungen der An-geklagten wirksam werden, aber auch ihnen vorgelagerte Einstellungen gegenüber Angeklagten und zwar in beide Richtungen, strafmildernd und strafverschärfend.

Die kriminelle Abweichung wird im Licht der Erzählung gelesen, diskursiv eingebettet und bedeutsam gemacht. Frauen und Männer er-zählen sich anders und ihnen wird unterschiedlich zugehört. Legnaro/

Aengenheister weisen darauf hin, dass vor zeitgenössischen Gerichten bei Frauen und Männern unterschiedliche moralische Folien und

Zu-schreibungen – im Sinne einer geschlechterdifferenten Moral – in der Strafzumessung wirksam werden. Männern wird demnach mehr »egois-tisch getönte Eigenverantwortung [unterstellt], bei der autonom eigene Interessen verfolgt werden und die Tat als die letzte Überspitzung dieses Egoismus erscheint. Die ihnen zugeschriebene Autonomie setzt also weit vor der eigentlichen Tat ein, während sie sich bei Frauen erst in der Tat realisiert« (Legnaro/Aengenheister, 1999: 155). Der Frau wird also weni-ger egoistisches und autonomiegeleitetes Handeln zugeschrieben37 und Frauen konstruieren sich in der Erzählung auch so. Und daneben werden Geschlechterstereotypien wirksam, die sich zumeist aus Auffassungen herleiten, wie man sie um 1900 über den weiblichen Geschlechtscharak-ter vertrat.38 Assoziativ betrachtet lässt sich hier für den historischen Fall der Aspekt der ›Planung der Tat‹ zuordnen. Autonomie als männlich ge-dachter Aspekt der Selbstständigkeit in Denken und Handeln erscheint als Basis oder Grundbedingung planvollen Handelns.

Von großer Bedeutung und Wirksamkeit, das wurde vorhergehend schon sichtbar, ist also die Aussage über sich selbst und das Verhalten der Angeklagten vor Gericht: »Die sehr gewandte Ullmann mit grossem Wortschwall, indem sie die Beschuldigungen ihrer Komplizin ins Gesicht schleuderte […].« Hier erscheint Ullmann als aktiv, aggressiv und schnell (sehr gewandt), dieses Verhalten ist männlich codiert; die Nacherzählung suggeriert, dass Ullmann lügt. Dies kommt immer wieder ins Spiel; bei-den Frauen wird von Beginn an nicht wirklich Glauben geschenkt: »Sie haben zunächst eine grosse Geschichte erzählt.«

Die Bereitschaft Johanna Ullmanns, die Schuld mehrfach von sich zu weisen, wirkt sich im Sinne einer moralisch-ethischen Verurteilung der Frau als belastend aus: der egoistische Versuch der Selbstentlastung durch Verschiebung der Schuld auf die als zunehmend als unterlegen konstruierte Sonnenberg sollte sich strafzumessungstechnisch als Bume-rang erweisen. Durch ihr Verhalten erschien Johanna Ullmann als

weni-37 | Während allerdings, wie es in der aktuellen Rechtsprechung zumindest for-mell der Fall ist, nicht die Lebensgestaltung vor der Tat, sondern die Schuld der Tatausübenden im Moment der Tat für die Strafzumessung geltend gemacht wer-den muss (vgl. ebd.), so ist dies im Untersuchungszeitraum anders zu bewerten.

38 | Womit noch einmal deutlich wird, weshalb die historische Verortung der The-matik als besonders aufschlussreich zu bewerten ist.

ger ›weiblich‹ denn Anna Sonnenberg, Ullmann wurden die aktiven und männlich konnotierten Anteile am Geschehen zugeschrieben.

Und wenn Johanna Ullmann sich auf ihre Überlastung beruft, »allein den Friseursalon, daneben noch den Haushalt führen und anschaffen ge-hen müssen und dazu sei sie oft ›zu müde‹ gewesen«, wirkt dies nicht entlastend. Auch der Hinweis »Beide gestehen, dass sie aus Not haben morden und rauben wollen«, bleibt als kommentarlose Randbemerkung stehen und entfaltet keinerlei entlastende Wirksamkeit.

Ein Foto aus dem Aktenbestand, das Ullmann attraktiv frisiert und gepflegt in weiblicher Pose zeigt, ist mit dem Zusatz »Aus ihrer guten Zeiten« beschriftet. Das ›gut‹ bezieht sich auf Ullmanns Vergangenheit, in der die Aufnahme entstand. Aus den Aussagen vor Gericht wird deut-lich, dass Ullmann wegen diverser Diebstähle vorbestraft war und auch der Gelegenheitsprostitution nachging. Die ›gute Zeit‹ wird also ledig-lich durch weibledig-lich konnotierte Bekleidung und Ausstaffierung ganz im Sinne einer ›normalen‹ Frau illustriert und über diese Abbildung wider besseres Wissen behauptet.

Von großer Bedeutung ist das Geständnis der Angeklagten, wenn-gleich hier viel Skepsis insbesondere von Seiten der Presse deutlich wur-de: »Seriöse Journalisten waren es zum Teil, die sich mit verständnisvol-lem Augenzwinkern erkundigten, ›wie Geständnisse zustande kamen‹.«

(Gennat, 1933: 210) Dies erklärt auch die Narration in den Artikeln, die immer wieder auch die Geständnissituation genau beschreiben will. So fordert Gennat, dass »die Vorgeschichte der Ablegung eines Geständnis-ses unbedingt ebenfalls festgelegt werden [muss]« (ebd.).

Wenngleich im Fall Ullmann/Sonnenberg zunächst beide Frauen als

»kaltblütig« beschrieben werden, wird jedoch, wie bereits ausgeführt, Jo-hanna Ullmann als Anführerin der Tat konstruiert. Eine Identifikation mit dem traditionellen Weiblichkeitsstereotyp lässt auch die vorher erwähnte Mary LeTourneau und Anna Sonnenberg »im Lichte der Opferposition«

erscheinen. Ergebnis ist für beide Frauen eine geringe Bestrafung und im Fall LeTourneau sogar öffentliche Unterstützungsbekundungen.

Im Fall Franzke haben beide Täterin entsprechend einem als ›typisch weiblich‹ begriffenen Vorgehen zunächst gelogen und die Tat bestritten:

»Sie haben zunächst eine grosse Geschichte erzählt.«

»Mit äusserster Hinterlist sind diese beiden Weiber zu Werke gegangen, um das Opfer in die Falle zu locken. Sie haben in wahrhaft bestialischer Weise, mit

eben-so grosser Ruhe wie Grausamkeit, die unglückliche Franzke abgeschlachtet und dann die Leiche fortgeschafft. Über die Aufklärung dieser in der Berliner Kriminal-geschichte wohl einzig dastehenden Mordtat wird uns berichtet.« (13.04.1916)

So zeigt sich, dass das Erzählen vor Gericht diversen Koordinaten unter-worfen ist, die es gültig oder ungültig machen.

III.15.1 Die Emanzipationsthese:

Weibliche Kriminalität im Kriege

Ein weiterer Aspekt, den ich anhand der Diskussion um eine angeblich steigende weibliche Kriminalität in Kriegszeiten analysiere, ist die Eman-zipationsthese.

Sie besagt, dass Frauen umso eher kriminell werden, je mehr sie am Berufsleben teilnehmen. Diese Vermutung ist allerdings kaum unter-sucht (vgl. z.B. Wyss, 2007). Doch ist sie, so wie auch die Kavalierstheorie, eines der mythemischen Konstrukte, die sich im Diskurs um die weib-liche Kriminalität als außerordentlich haltbar zeigen.

Um 1920 war diese These nicht nur auf Fragen der Berufstätigkeit von Frauen bezogen, man vermutete, dass durch das Kriegsgeschehen und die Abwesenheit der Männer Frauen mehr am kriminellen Geschehen beteiligt waren. Auch die größere Not und Armut waren Faktoren, die Kriminalität an sich steigen ließen. Es waren in diesem Zusammenhang unterschiedliche Argumentationen anzutreffen. Im Handwörterbuch der Kriminologie findet sich hierzu ein Kommentar von Roesner, der meint:

»je roher der Kulturzustand, desto ausgedehnter die Betheiligung des Weibes an Arbeiten und Thätigkeiten, welche der Natur des Geschlechts weniger entsprechen« (Roesner, 1933a: 575). Ganz einig war man sich über dieses Verhältnis nicht, so zeigt ein Blick in die Literatur, allerdings lassen sich immer wieder Tendenzen ausmachen, die argumentativ in die Richtung weisen, dass

»bei dem weiblichen Geschlecht, das allgemein eine bedeutend geringere Kri-minalität als das männliche aufweist, sich bei der Untersuchung ergeben [hat], dass bei den allein in Betracht kommenden Altersklassen im Gegensatz zu den Männern, gerade die Ledigen im Alter von 20-25 und von 25-30 Jahren mit Straf-fälligen doppelt so stark besetzt sind […]« (ebd.: 411).

Unter den wenigen Ideen, die mit sozialen Faktoren, wie z.B. Armut und/

oder Emanzipation, als Bedingung oder Auslöser weiblicher Kriminali-tät argumentierten, tritt insbesondere diejenige oft in Erscheinung, die die weibliche Kriminalität mit den Umständen, die aus dem Kriegsge-schehen erwuchsen – Männermangel, stärkere Einbindung der Frau in ökonomische Prozesse und außerhäusliche Aktivitäten – in Verbindung brachten. Auch im Fall Franzke tritt diese Argumentation in einem Pres-sebericht zutage:

»Ein hervorragender Berliner Kriminalist [vermutlich Gennat] sendet uns zu der Ermordung der Martha Frantzke [sic.] die folgenden Ausführungen; er möchte dadurch ›vorbeugen, dass der Frauenmord zu ungerechtfertigten Verallgemeine-rungen und womöglich zum Rufe nach neuen Massnahmen‹ führt. Als die Nach-richt von der Entdeckung einer als Bahngut verpackten weiblichen Leiche auf dem Bahnhofe in Stettin sich verbreitete, rechnete wohl jeder mit der Täterschaft eines gewalttätigen Mannes aus den gefährlichsten Kreisen der Verbrecherzunft.«

Schon hier wird die Tat natürlicherweise in der Sphäre des Männlichen verortet. Der Verfasser meint weiter:

»Nichts wäre törichter als das Bemühen, einen Zusammenhang zwischen dieser von Frauenhand verübten Bluttat und der gegenwärtig gesteigerten weiblichen Arbeitstätigkeit zu konstruieren. Beide Beispiele lassen sich ohne den gerings-ten Abstrich auf die weibliche Kriminalität übertragen, deren Anwachsen bisher weniger Aufmerksamkeit als die ›Verwahrlosung der Jugend‹ gefunden hat, aber doch vorhanden ist und grösstenteils auf die gleichen Ursachen zurückzuführen sein dürfte.«

Die weibliche Kriminalität ist gestiegen, das wird klar, aber mit Emanzi-pation, so meint der Autor, und mit weiblicher Berufstätigkeit habe dies nicht zu tun.

»Hier wie dort handelt es sich um ganz natürliche Folgen der stärkeren Beteiligung am Berufsleben mit allen seinen Vorzügen, aber auch Gefahren und Versuchungen.

Erst in zweiter Reihe kommen tiefere, im seelischen wurzelnde Keime in Frage.«

Dazu zitiert Roesner in seinem Forschungsstand Földes: Die Frau ist

»weniger für den Kampf mit dem rauen Leben geschaffen und erzogen«

(Roesner, 1933a: 575).

Hier werden also wieder naturalistische Argumentationen herange-zogen, die sich auf die Natur der Frau und ihren ›Geschlechtscharakter‹

beziehen. Die Ehe wird als stabilisierend in Bezug auf deviantes Verhalten von Frauen begriffen.

»Bei den Kindern handelt es sich, wie reichlich erörtert wurde, um den Ausfall der elterlichen Beaufsichtigung, wenn der Vater im Felde steht, die Mutter durch Er-werbsarbeit dem Hause ferngehalten wird. Kirche und Schule, Vereine und Fürsor-gestellen sind zum Ersatze aufgeboten, selbst Polizei und Militär versagen ihre Hilfe nicht. Für das Gemütsleben der Frau spielt eine wichtige Rolle die Entziehung des Haltes und der Anlehnung, die sie sonst –vor allem in der Ehe – beim Manne gefun-den hat.« (14.4.16)

Der Autor meint also, einen wichtigen Einfluss des Kriegsgeschehens und der daraus entstandenen veränderten sozialen Situation, die Frauen zu aushäusigen Beschäftigungen zwang, vermerken zu können.

Dahingegen vermerkt Max Hagemann im Handwörterbuch der Krimi-nologie:

»4. Der verbrechensverhindernde Einfluss der Ehe, der beim Mann ziemlich deut-lich in Erscheinung tritt, ist für die Frau kriminalstatistisch weniger klar nachweis-bar […]. Bei den wirkliche Bedeutung beanspruchenden Delikten von Frauen wird aber weniger der Einfluss der Ehe als solcher als vielmehr die allgemeine wirt-schaftliche Lage der Familie oder der ärmeren Bevölkerung überhaupt entschei-dend sein.« (Hagemann, 1936: 1059f.)

Des Weiteren findet sich im Handwörterbuch der Kriminologie der

Des Weiteren findet sich im Handwörterbuch der Kriminologie der

Im Dokument Gender Studies (Seite 182-192)