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J ohAnnA U llMAnn :

Im Dokument Gender Studies (Seite 172-176)

Vier Mordsachen und ihre Implikationen

III. 4.2 ›Seelenunkundige Fachweisheit‹

III.13 J ohAnnA U llMAnn :

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Im Folgenden widme ich mich einem Zeitungsartikel, der beide Täte-rinnen miteinander vergleicht, einander gegenüberstellt, um letztend-lich Johanna Ullmann als Anstifterin zum Mord an Martha Franzke zu entlarven. Interessant ist es, nachzuvollziehen, dass dabei die Täterinnen unterschiedlich erzählt werden. Die Narration der Täterinnen, so ist mei-ne Perspektive, repräsentiert normative Aspekte des Weiblichkeitsideals und latente Brüche in der Konzeption der Geschlechterrollen.

Je mehr sich die Verhandlungen in Richtung Verurteilung bewegen, desto mehr spitzen sich die Beschreibungen dichotomisch zu. Gleichzei-tig zeigen diese beiden Konstruktionen zwei Stereotypisierungen weibli-cher Kriminalität nebeneinander. Die eine lässt sich als Vermännlichung, die andere als Pathologisierung fassen, wobei im Sinne der aber-Argu-mentation auch hier Brüchigkeiten auszumachen sind.

Johanna Ullmann wird ob ihrer »Wortgewandtheit«, mit der sie ihre Tat zunächst Helene Bahl anlastet und mit der sie dann die Hauptschuld auf Anna Sonnenberg zu schieben versucht, verdächtigt, die treiben-de Kraft treiben-der Tat gewesen zu sein: »Bei ihrem weiteren Verhör tritt bei der Ullmann das Bestreben hervor, den grössten Teil der Schuld auf die Sonnenberg zu schieben.« (Herv. i. O.) Sie wurde so »als angebliche Rä-delsführerin ›entlarvt‹«. Einerseits scheint hier ein als typisch weiblich begriffenes Verhalten vorzuliegen, ein Verhalten also, das sich aus Ull-manns Frausein heraus begründet:

»jenes corriger la verité, wenn für berechtigt gehaltene Interessen auf dem Spiele stehen, das für den praktischen Kriminalisten so bedeutsam ist, und schliesslich auch das die Vernehmung so erschwerende hartnäckige Beharren bei einer durch Beibringen von Vernunftgründen längst als unwahr erwiesenen Darstellung, nur weil der Wunsch besteht, der Verlauf der Dinge möge so gewesen sein, wie er eben nicht war.« (Hagemann, 1936: 1061)

Ullmanns Wortgewalt wird mehrfach betont: »Die sehr gewandte Ull-mann mit grossem Wortschwall, indem sie die Beschuldigungen ihrer Komplizin ins Gesicht schleuderte, […].« Ullmann erscheint als aktiv und

›sehr gewandt‹. »Mangel an Aktivität im guten wie im bösen Sinne« ist es, der nach Koppenfels der Frau eigen ist. Eine Frau, die sich so wie oben für

Ullmann geschildert verhält, weicht vom Imperativ des weiblichen Ge-schlechtscharakters und den ihm zugeschriebenen Koordinaten ab, die sie als passiv festschreiben.

Die Konstruktion Ullmanns als aktive, wortgewaltige Person lässt ah-nen, dass der Friseurin ihre Weiblichkeit abgesprochen wird, die Tech-nologie der Vermännlichung wird hier manifest. Wortgewandtheit und aktives nach außen Agieren steht der Frau nicht an. Das Überschreiten der Norm erzeugt die Verbrecherin als Anormale, Wiederholungen wer-den ebenso produktiv und verfestigend wirksam. Schon einen Tag spä-ter heißt es in einem Pressebericht, »Martha Franzke wurde […] von der Ullmann unbarmherzig abgeschlachtet« (13.04.16; Herv. i. O.), und noch einen weiteren Tag später war man sich der hauptsächlichen Urheber-schaft des Verbrechens vollkommen sicher.

Dies begründet sich nicht nur in der Bereitschaft Johanna Ullmanns, die Schuld mehrfach von sich zu weisen, sondern auch in ihrem ›ganzen Vorleben‹: »Als die eigentliche Urheberin ist die Friseuse Johanna Ull-mann anzusehen, die der Sonnenberg in geistiger Beziehung wie auch an Willensstärke überlegen ist. Auch ihr ganzes Vorleben spricht dafür, da sie unter anderem achtmal wegen Diebstahls vorbestraft ist.« (14.04.1916)

Willensstärke ist auch hier eine Koordinate, die dem Geschlechtscha-rakter der Frau im Wesentlichen widerspricht. Aber auch Intelligenz wird nicht als weibliche Eigenschaft angesehen, sondern macht eher verdäch-tig. Erinnert sei hier auch an die Käthe Hagedorn vielfach zugeschriebene

›Raffinesse‹, die in jedem Fall negativ assoziiert war.

III.13.1 Die Prostituierte als Minderwertige

Aber nicht nur ihre Diebstähle werden Ullmann zur Last gelegt, sondern auch ihr unsittliches Vorleben, ihre Arbeit als Straßenprostituierte.

Prostitution war, so nicht nur die Auffassung Lombrosos, der die Wurzel der weiblichen Abweichung in der Promiskuität und weiter in der Prostitution sah, ein Indiz für die weibliche Kriminalität überhaupt.

Dem widersprechen zwar diverse Argumentationen, so z.B. Hagemann (Hagemann, 1936: 1058), wenn er festhält, dass hier »die Frau immer-hin nur ein Gebiet [betritt], das, wenn auch verfemt, so doch nicht mit einer Kriminalstrafe bedroht ist«. Als wie nahe beieinander liegend (und hier kommt wieder ein aber) oder wie widersprüchlich in sich diese Dinge überhaupt besprochen werden, wird deutlich, wenn man nachliest, dass

er im ersten Absatz seines Textes über weibliche Kriminalität bemerkt, dass der »Kuppelei und Prostitution als weiblicher Erwerbskriminalität in diesem Zusammenhange bereits gedacht ist«; daneben merkt er später an, »wie nahe es aber einer wirklichen Kriminalität benachbart ist, als deren Äquivalent es vielfach angesehen wird«, bedürfe »um so weniger der Erörterung, als von vornherein niemals gesagt werden kann, ob dieses Sich-Retten in einen nicht kriminellen Abweg überhaupt eine Rettung war« (ebd.). Und doch wurden Prostituierte eben der Gruppe der Asozia-len oder Minderwertigen zugerechnet, die zwar oft nicht als »Schicksals-typen« dennoch aber als »Anlage»Schicksals-typen« begriffen wurden. Ihnen wurde eine essentialistische, kriminogene Anlage (vgl. z.B. Kronfeld, 1933: 58f.) zugesprochen.

Es ist aber nicht die Prostitution an sich, die Ullmann zu einer wenig besserungsfähigen Gewohnheitsverbrecherin macht. Wenngleich Krimi-nalität von Frauen in der Regel mit Sexualität und – wie Uhl es zitiert, den Fortpflanzungs- oder Generationsphasen – in enge Verbindung ge-bracht wurde, so wurde doch den Thesen Lombrosos, die Prostitution sei die Form der weiblichen Kriminalität schlechthin, auch schon in der his-torischen Kriminalitätsforschung oft widersprochen.32 Prostitution oder auch nur ausschweifende sexuelle Aktivität widersprach allerdings wie-der dem Charakter wie-der ›guten‹ normalen Frau und rückte Frauen (siehe Helene Bahl oder auch Käthe Hagedorn) assoziativ sofort in die Position der ›Asozialen‹ oder ›Minderwertigen‹ und von dort war die Kategorie

›kriminell‹ nicht weit entfernt. Dazu kamen die Diebstähle und Ullmann erschien als dem Verbrechen nahestehende ›Gewohnheitstäterin‹.

Ullmann selbst begründet ihr ›unsittliches Vorleben‹ mit dem Um-stand, dass ihr Verlobter Woitas sie wiederholt misshandelt und sie auf den Strich geschickt habe. Sie hatte nach Abwesenheit des Verlobten (der ihr nach eigener Aussage versprach, sie zu heiraten, wenn sie nur genug Geld herbeischaffen würde) allein den Friseursalon, daneben noch den Haushalt führen und anschaffen gehen müssen und dazu sei sie oft ›zu müde‹ gewesen.

Dies, so darf vermutet werden, von Ullmann als entschuldigende Erklärung vorgebrachte Argument zur Verteidigung ihrer Tätigkeit, ist

32 | Hierzu liegen diverse Untersuchungen vor, vgl. aber auch den Forschungs-stand von Kronfeld, 1933: 58.

anschlussfähig an ein Argument des Juristen Hagemann, allerdings in einem anderen Sinne:

»Es herrscht das Triebhandeln, das einem Motive ergebene Gehorchen. Dieses ist, denn es fehlt an der Kraft zu mehr, die auf möglichst mühelosem Wege unter Aufwendung eines Minimums von Arbeit und Anstrengung zu erreichende Befriedi-gung sinnlicher –nicht notwendig erotischer oder sexueller Bedürfnisse. Dem Weib ist von Natur eine gewisse Passivität eigen […].« (Hagemann, 1936: 412)

Oder auch an anderer Stelle: »Bei der Prostituierten selbst handelt es sich in diesen Fällen, wie bei so vielem in ihrem Leben, um Passivität, Nach-geben, Erliegen gegenüber einem Druck.« (Ebd.: 413)

Allerdings lässt sich hier auch anschließen an das Ergebnis, das Leg-naro in seiner Studie zur unterschiedlichen Behandlung von Frauen und Männern vor Gericht formuliert: »Bei der Frau wird ihre Belastung durch Haus- und Familienarbeit nicht in Betracht gezogen. Der Mann da-gegen kann seine Belastung durch die Erwerbstätigkeit geltend machen.«

(Wyss, 2007: 205)

Das ›Vorleben‹ Johanna Ullmanns macht sie zu einer ›Gewohnheits-verbrecherin‹. Sichtbar werden in der Diskussion ein ständiges Aushan-deln von Geschlechterkonventionen und die Auslegung von Charakter und Verhaltensweisen nach diesen normativen Vorgaben. Ullmann ver-sucht ihr Übertreten der normativen Geschlechtergrenzen zu rechtferti-gen und kontextualisiert ihr Verhalten als von ihrem Partner vorgegeben und somit notwendig. Schuld und Verantwortung werden hier verlagert.

Ullmann schildert sich als Opfer der Verhältnisse und ihres Verlobten.

Dies könnte unter anderen Umständen zu einer Entlastung Ullmanns führen, da dies den Geschlechterkonventionen entspricht.

Der Hinweis, »Beide gestehen, dass sie aus Not haben morden und rauben wollen« (14.04.1916), blieb allerdings unkommentiert neben die-sen Äußerungen stehen und Johanna Ullmann wurde als Rädelsführerin der Tat, wie es der erste Artikel in der Akte belegt, zur Höchststrafe, der Todesstrafe, verurteilt.

Im Dokument Gender Studies (Seite 172-176)