• Keine Ergebnisse gefunden

Das kalte Herz

Im Dokument Gender Studies (Seite 167-172)

Vier Mordsachen und ihre Implikationen

III. 4.2 ›Seelenunkundige Fachweisheit‹

III.12 M örderInnen : t echnologIen der t ypologIsIerUng

III.12.1 Das kalte Herz

Wann ist die Tötung eines Menschen ein Mord und wann gibt es das schon vorher mit Howard Becker angesprochene agreement about the case?

Allgemein wird Mord um 1930 folgendermaßen definiert (§245 Mord):

»Wer einen Anderen tötet und die Tat mit Überlegung ausführt, wird mit dem Tode bestraft.« Totschlag wiederum wird wie folgt gefasst (§246 Tot-schlag): »Wer einen Anderen tötet und die Tat nicht mit Überlegung aus-führt, wird mit Zuchthaus bestraft.« (Gennat, 1936: 190) Gennat fügt an, dass »wir für Mord nur die allerschwersten Fälle übrig zu lassen haben, in denen der Täter kalten Herzens ein Menschenleben vernichtet« (ebd.).

Mord liegt als Tatbestand somit nur dann vor, wenn die Tat kaltblütig ver-übt wurde. Mit der Beschreibung Gennats wird in der Regel der Mann als Täter angesprochen, denn das ›kalte Herz‹ ist in seiner theoretischen Konzeption vorwiegend männlich konnotiert.

Es gibt demnach aber auch Ausnahmen:

»So ist es denn nicht unrichtig, zu behaupten, dass er [der Mann] vorwiegend das Allgemeine, die Frau aber das Besondere sehe. Daraus folgt die Kaltblütigkeit und Mitleidslosigkeit der Fanatikerin bei der Begehung von Tötungsdelikten, ins-besondere auch politischen Verbrechen. Es folgt daraus das scheinbar bei einer Frau rätselhafte rücksichtslose Einsetzen der Persönlichkeit bis zur Selbstaufop-ferung.« (Sauer, 1936: 1061)

Auch Frauen konnten demnach kaltblütig agieren, wenn die entsprechen-den emotionalen Voraussetzungen vorlagen. Der Topos der ›Kaltblütig-keit‹ erscheint hier – aufgeladen mit Bedeutung – als mehr als eine reine Beschreibung eines Gemütszustandes: er ist eine, wenn nicht die techno-logische Schnittstelle, an der sich der Tötungsakt als Mord konstituiert.

Mord ist, das ist die wichtigste Erkenntnis auch in Bezug auf die von Uhl gemachte Feststellung, dass der Frau die ›Fähigkeit‹ zum kriminellen Handeln abgesprochen wird, als Tat in jedem Fall ein autonomer Akt, ein Akt der Selbstermächtigung, der retrospektiv erzählt wird.

Die wissenschaftlichen Bemühungen um eine Erfassung der weibli-chen Verbrecherin unter dem Gesichtspunkt der »Technologie des Ge-schlechts« (vgl. de Lauretis, 1996 [1987]) können wie folgt ausgelegt wer-den:

»Technologien des Geschlechts bezeichnen sowohl die – strukturelle Koppelung der – Orte, an denen ein Geschlechtswissen, das bestimmten Regelmäßigkeiten der Konstruktion folgt, produziert wird, als auch die komplexen, das Individuum und die Bevölkerung konstituierenden und regulierenden Praktiken, also das so-ziale Funktionieren des Geschlechts.« (Bublitz, 2009: 265)

Die Gewaltmörderin überschreitet die Grenze des Geschlechts in zweifa-cher Weise, dies habe ich weiter oben schon dargestellt. Mit dem Ausüben ihrer Tat tritt sie aus dem geschlechterstereotyp vorgegebenen Hand-lungsrahmen; sie macht sich zum sich selbst ermächtigendem Subjekt, begibt sich in eine Position, die Probleme aufwirft und die symbolische Ordnung der Geschlechter in Frage stellt.

Gennat führt den Fall Hagedorn als beispielhaft für das weibliche Se-xualverbrechen an. In seinem Beitrag zum Schlagwort ›Mord‹ im

Hand-wörterbuch der Kriminologie schreibt er: »Diese [den Lustmord28 antreiben-den] Urtriebe beschränken sich übrigens keineswegs auf das männliche Geschlecht: bekanntlich hat im Jahre 1926 in Duisburg ein 19 Jahre altes Mädchen zwei Kindern, die in der Nähe der elterlichen Wohnung spiel-ten, aus sadistischen Gründen die Puls- und Halsschlagader durchschnit-ten« (Gennat, 1936: 199), und fügt kurz darauf an, was faktisch im Fall Hagedorn geschehen ist.

»Wenn jemand ein Kind missbraucht und es dann erwürgt, um es am Schreien zu verhindern und damit die Entdeckung seiner Tat zu verhü-ten, so ist dies natürlich kein Lustmord im eigentlichen Sinne.« (Ebd.) An dem Artikel aus dem Aktenbestand Franzke mit dem Titel ›Mörderinnen‹

lässt sich ablesen, was eingangs schon skizziert wurde: die Frau als sich selbst ermächtigendes Täterinnensubjekt stellt die symbolische Ordnung der Geschlechter in Frage und wird so zum Nicht-Sagbaren. »Mag schon die Seltenheit eines solchen Vorkommnisses, das grösste Interesse erre-gen, so wird dies Interesse durch die Begleitumstände noch wesentlich vertieft.« Wieder ist nicht nur das Ereignis an sich durch sein seltenes Vorkommen sensationell, sondern das Wie dieser Tat steigert den Sensa-tionscharakter der Geschehnisse. Es ist nämlich die Art der Ausführung der Tat durch Frauen diese Rarität, die hier ob ihrer Sonderbarkeit ›das grösste Interesse‹ erzeugen muss.

»Der weibliche Charakter neigt eher zu Affekthandlungen als zu einem mit kühler Überlegung vorbereiteten Verbrechen. Dieser Raub-mord war aber mit einer Kaltblütigkeit angelegt und durchgeführt, die in Erstaunen setzen muss.« Diese Aussage zum Mordfall Franzke aus einem Pressebericht ist ein sehr gutes Beispiel für die Kombination von Argumenten. Schon hier wird sowohl auf den weiblichen Geschlechts-charakter rekurriert, die ›Natur der Frau‹, wie sie sich in der Skizze

Hau-28 | Ludwig merkt hierzu an: »Dass der Lustmord hierbei als ein in besonderer Weise zeittypisches und sich um 1900 erstmal herausbildendes Phänomen zu verstehen ist, ist bereits daran festzumachen, dass die Bezeichnung dieses Ver-brechenstyps zu dieser Zeit erstmals Verwendung findet. Als lexikalischer Eintrag erscheint der Begriff 1885 unter dem Hinweis, dass es sich um ein ›erst neuer-dings aufgekommenes wort‹ handele, im Deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lustmord wird hier als ›mord aus wollust, nach vollbrachter not-zucht‹ (Grimm, 1885: 1348), definiert.« (Ludwig, 2011: 47)

sens darstellt. Das aber zeigt die Kombination: es geht über das ›Übliche‹

hinaus.

Sonnenberg und Ullmann hatten die Tat geplant und dies wider-spricht dem als weiblich aufgefassten Handlungsmuster der Emotionsge-leitetheit (Affekthandlung) der Frau bei Gewalttaten.29 Der durch die Pla-nung der Tat unterstellte emotionale Umstand der ›Kaltblütigkeit‹ passte nicht hierher. Sie sind Frauen, aber sie haben etwas getan, das Frauen nicht tun.30 Aber auch aus der Beschreibung dieser Umstände wird ein naturalisierender Blick auf die Physis der Frauen geworfen.

»Fast möchte man beiden Frauen einen Raubmord mit all den entsetzlichen Einzel-heiten des vorliegenden Falles nicht zutrauen – so schmächtig und schwächlich sehen sie aus. Aber in ihren Gesichtern, in dem weit vorgeschobenen Kinn, das für beide charakteristisch ist, prägt sich deutlich die kalte Grausamkeit aus, die Vorbedingung ist für dieses Kapitalverbrechen.«

Die Kaltblütigkeit lässt sich demnach aus den Körpern zeichenhaft ab-leiten, wohnt beiden Frauen somit naturgemäß inne. Sie soll auf die Vor-bedingungen verweisen – zumeist finden sich diese in der Annahme von Degeneration, Asozialität, Minderwertigkeit und damit angeborener Ab-weichung.

Aber auch, wenn die beiden Frauen sich vor dem Richter emotional – also nicht kalt – zeigen, wird dies nicht gegenteilig wirksam: »Freilich, während der Verhandlung und angesichts des ihnen drohenden Schick-sals verlässt beide alsbald die kaltblütige Energie, die sie bei ihrer Tat be-wiesen – sie weinen und schluchzen unaufhörlich …«, so wird ihr Auf-tritt vor dem Gericht beschrieben. Diese Beschreibung bleibt in einer

29 | In einer Studie zu geschlechtsspezifischen Ausdrucksformen im Umgang mit Aggression stellten zwei Greifswalder Forscherinnen fest, dass »Frauen eher

›brüten‹, während Männer eher mit Humor oder einer ausführlichen Kosten-Nut-zenanalyse ihren Ärger verarbeiten. […] Die Frau, die Ärger intensiver erlebt, ent-spricht hingegen zwar der stereotypen Rolle der Emotionaleren, nicht aber der stereotypen Rolle der Expressiveren und, vor allen Dingen, nicht der Rolle der Submissiveren« (Ittel/Berghann/Scheithauer, 2008: 2).

30 | Ich erinnere hier auch nochmals an die Bemerkung Sauers, der meint, dass Kaltblütigkeit und Mitleidslosigkeit der Fanatikerin (wobei hiermit nicht aus-schließlich die politische Verbrecherin gemeint ist, sondern auch die Affekttäterin).

ironischen Distanz und spielt assoziativ mit der Idee von Selbstmitleid.

So wird die emotionale Bewegung damit in Richtung Manipulation und Lüge gerückt, die dem ›verbrecherischen Weib‹ eigen sein sollte.31

Die Geschlechterfrage wurde in ihrer essentialistischen Ausformung auf ganz unterschiedliche Weise in die Diskurse eingeschrieben. Diese Beispiele von international bekannten Autoren zeigen, wie stark diese wirkte: Der Jurist und Kriminologe Ernst Seelig will nur im Pubertäts-alter bei Mädchen eine verstärkte Neigung zur Lüge vorfinden, die mit dem Eintreten der Menstruation wieder abklingt (vgl. Seelig, 1933: 145).

Ein weiteres typisches Argumentationsformat zeigt sich in den weiter-hin angeführten Argumenten des Psychiaters Aschaffenburg, der meint, dass der ›falschen Anschuldigung‹ als typisches weiblich gekennzeich-netes Delikt zuweilen »hysterische Erinnerungstäuschungen und Miss-deutungen krankhafter Empfindungen zu Grunde« (Roesner, 1933a: 588) liegen. Der österreichische Jurist Hugo Hoegel – allgemein für seine Ab-lehnung der Entartungstheorien und auch für eine kritische Sicht auf die Kriminalpsychiatrie bekannt – meint, dass die geringe Straffälligkeit des Weibes in der »psychologischen Beschaffenheit des Weibes und in der wirtschaftlichen Stellung desselben« (Roesner, 1933a: 576) liege. Hier wird also eine Kombination von essentialistisch vergeschlechtlichenden Argumenten mit einer soziologischen Argumentation verwendet, um die geringere Straffälligkeit der Frau zu begründen. Hier klingt darüber hi-naus auch die Idee der Emanzipationsthese an, die ich zum Abschluss dieses Kapitels erläutere. Wenn Magnus Hirschfeld von Käthe Hagedorn schreibt, sie hätte ein »knabenhaftes Aussehen«, dann klingt die dritte Art der von Uhl beschriebenen Wissenseinbindung in der Argumenta-tion an, denn Lustmord wird allgemein als ein ›männliches Verbrechen‹

verstanden. Hier wird wiederum ein Stigma gebraucht, das den Beschrie-benen diskreditiert und ihn zugleich als von der Norm abweichend kenn-zeichnet. Und dieses Stigma verweist auf die Richtung des Diskurses.

31 | Zur geschlechtsspezifischen Ausprägung aggressiver und sozial dominie-render Verhaltensweisen von Mädchen schreibt aktuell bspw. Sippola: Sie legte dar, dass »relationale Aggression, ursprünglich definiert als weibliche Form der Aggression, durch Verhaltensweisen wie lügen, ignorieren, schneiden und soge-nannte kleinere Gemeinheiten charakterisiert ist« (zit.n. Ittel, 2008: 3).

Im Dokument Gender Studies (Seite 167-172)