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Der Mordfall Wolfner: »Die Tat selbst«

Im Dokument Gender Studies (Seite 196-200)

Vier Mordsachen und ihre Implikationen

III. 4.2 ›Seelenunkundige Fachweisheit‹

III.16 h otelrAt te In schwArzeM t rIkot

III.16.2 Der Mordfall Wolfner: »Die Tat selbst«

Am 22. Juli 1920 wurde im Hotel ›Münchner Hof‹ in der Königgrätzer Straße 24, Berlin, ein geknebelter Mann gefunden. Paul Wolfner, ein Ge-schäftsmann, hatte das im Hotel eingemietete Ehepaar Bartels besucht und auf deren Zimmer Verhandlungen geführt.

Ein Zimmermädchen hatte während Wolfners Besuch einen lauten Wortwechsel und Hilferufe gehört, darauffolgend einen Schlüssel geholt und die von innen verschlossene Tür geöffnet. Sie fand den bewusst-los auf dem Boden liegenden Wolfner und rief Polizei und Notarzt. Der Mann verstarb auf dem Weg ins Krankenhaus.

Abbildung 16: Artikel Fall Wolfner

Wilfried Bock und Gertrud Nägler sagten aus, sie hätten den Kaufmann nach kurzem Gespräch gewürgt und ihm ein mit Äther getränktes Hand-tuch auf den Mund gedrückt. Gleichzeitig hielten sie ihm die Nase zu.

Dem durch die Betäubung bewusstlos auf das Sofa gesunkenen Wolfner wollte Gertrud ein herbeigeholtes Kissen ins Gesicht drücken, was Bock verhindert haben will. Der bewusstlose Mann fiel zu Boden und wurde ein zweites Mal von Bock betäubt, indem dieser den gesamten Restinhalt der Ätherflasche auf das auf Wolfners Mund liegende Handtuch leerte.

Bock knebelte Wolfner und Gertrud suchte nach Wertsachen. Gertrud zog Wolfner einen Stiefel aus und nahm ihm einen dort versteckten Brill-antring ab, nahm zudem Uhr und Kette und weitere Fundstücke an sich,

fesselte Wolfner an Händen und Füssen und setzte sich auf den wehr-losen Mann, um dieses Vorhaben erfolgreich umsetzen zu können. Der gesamte Tatablauf dauerte etwa 20 bis 30 Minuten.

In der Presse wird der Tatbestand folgendermaßen dargestellt:

»Am 22. Juli wurde der Kaufmann Paul Wolfner in einem Zimmer des Hotels Münch-ner Hof in der Königgrätzer Strasse ermordet und beraubt vorgefunden. Die Lei-che lag mit unter dem Kopf zusammengebundenen Händen am Boden, die Beine waren an den Knöcheln mit einem Zimmerhandtuch fest zusammengeschnürt, im Munde steckte fest und tief ein blutiger Knebel. Offenbar hatte ein heftiger Kampf zwischen Wolfner und seinen Mördern stattgefunden. Auf dem Tisch des Zimmers wurde eine geleerte Aetherflasche vorgefunden. Auf dem Bett zerstreut fanden sich zahlreiche schwarze Perlen. Der Ermordete wurde als der Kaufmann Wolfner aus der Prinzenstrasse 89 erkannt. Als die an der Bluttat beteiligten wurden die drei Angeklagten ermittelt.« (24.06.1921)

Nach Bocks Aussage, der sich Gertrud Nägler später anschloss, war die Tötung des Wolfner ein Unfall:

»Er bestritt, die Absicht gehabt zu haben, den Wolfner zu töten. Dieser sollte le-diglich durch Aether narkotisiert werden. Als er Wolfner zu Boden geworfen hatte, reichte ihm Gertrud Nägler das mit Aether getränkte Tuch zu. Da die Betäubung sehr lange dauerte, setzte sich Gertrud Nägler auf Wolfner und band ihm Hände und Füsse zusammen. Um den Überfallenen am Schreien zu hindern, presste ihm Bock das Tuch in den Mund. Er will dies aber, wie er heute behauptet, wieder ge-lockert haben, um zu verhindern, dass Wolfner ersticke.« (Ebd.)

Das Gericht legt fest, dass beide, Täter und Täterin, den Tod Wolfners miteinkalkuliert haben, mehr noch: sich vollständig im Klaren gewesen sein mussten, dass ihr Vorgehen zum Tod des Mannes führen musste.

Die Menge an Äther, der lange Knebel, das Zuhalten der Nase seien klare Indizien für eine absichtsvolle Tötung. Es ist die Rede von »ausserord-entlicher, seitens der Täter angewendeten Gewalt«, das Opfer erlitt einen Bruch des Zungenbeins sowie Verletzungen an beiden Unterarmen und am rechten Handrücken. Paul Wolfner ist nach den Ergebnissen des Untersuchungsprotokolls erstickt.

Planung, Vorsatz und Urteil

Die Tötung wird vom Gericht als vorsätzlich eingestuft, »Überlegung«

(gemeint ist Planung) der Tat liege demnach vor – auch in Anbetracht der Kampfhandlungen während des Überfalls.

An keiner Stelle der Planung des Raubes, so steht es im Verhand-lungsprotokoll, wird eine gewaltlose Inbesitznahme der Wertgegenstän-de Wolfners in Betracht gezogen. Die Tat wurWertgegenstän-de vorbereitet. Ernst Nägler hatte Wolfner im Café Größenwahn39 kennengelernt und hier den Vorsatz gefasst, dessen Schmuck zu stehlen.

Wilfried Bock und Gertrud Nägler sollten hierfür Wolfners Bekannt-schaft machen. Sie mieteten ein Hotelzimmer und trafen Wolfner wie zufällig an ganz verschiedenen Orten. Zur Tat kleideten sie sich wie ein junges Ehepaar, das sich auf Einkaufstour befindet. Nach der Tat trafen sie Ernst Nägler am Bahnhof, um gemeinsam nach Leipzig zu fahren. Die Fahndung konzentrierte sich zunächst auf ein eher einfach wirkendes Er-scheinungsbild der beiden gesuchten Personen: »Weil das Paar nach den Angaben der Zeugen einen stark provinziellen Eindruck macht, werden alle Bahnhöfe streng überwacht.« (Abendblatt 23.7.1920)

Nägler und Bock wechselten die eigens für die Tat gekaufte Staffage und verkauften sie in der fremden Stadt.

Als Ernst Nägler sich am folgenden Tag bei der Buchung eines Zim-mers für seine Schwester mit Klarnamen im Leipziger Parkhotel einträgt und auch beim Verkauf der Ringe seinen richtigen Namen angibt, legt er die Spur, die zur Entdeckung der Täter*innen führte. Vor Gericht wird dieses leichtsinnige Handeln als Folge der Erregung durch das Tatgeschehnis, die spätere Namensnennung als Überrumplung durch den Schmuckhändler, der Nägler nach Ausweis und Personalien fragte, interpretiert. Tatsächlich erkannte Nägler das Risiko seines Handelns im Nachhinein und versuchte, seinen Fauxpas wieder rückgängig zu ma-chen, was sich aber schnell als aussichtslos herausstellen sollte.

39 | Das Berliner Café des Westens, auch Café Größenwahn genannt, war um die Jahrhundertwende ein illustrer Treffpunkt für Künstler*innen und Literat*innen, aber auch der feministisch bewegten Frauen und der Bohème.

Das kriminelle Vorleben: der Tat vorhergehende Verbrechen Der Raubmord an Wolfner war nicht das erste Verbrechen, das die Ge-schwister begangen hatten. Ernst Nägler hatte in einem Braunschweiger Museum eine Zinnplakette in der Annahme, sie sei aus Platin, entwendet und diese – zersägt – als Altmetall weiterverkauft. Darüber hinaus hatte er zusammen mit Gertrud einen Hoteldiebstahl in Braunlage begangen.

Vor Gericht werden hier Parallelen zum Fall Wolfner gezogen: Auch bei diesem Vergehen hatte Ernst kurz nachdem er der Person des Opfers, der Eigentümerin der Wertsachen, ansichtig wurde, den Entschluss gefasst, diese zu narkotisieren und zu berauben. Nur durch ein Versehen kam es zu einer Planänderung: Der Brief, in dem Nägler seinen Vetter Wilhelm Bock, der als Apotheker arbeitete, um eine unrechtmäßige Bestellung von Äther bat, wurde von Bocks Verwandten entdeckt, die Bestellung vereitelt und so der Einsatz der Narkotika verhindert. Ernst änderte darauf den Plan, indem er Gertrud als Diebin einsetzte. Sie schlich sich ins Hotel-zimmer, nahm – als die Gäste schliefen – deren Schmuck an sich und ver-ließ das Hotel mit Hilfe ihres Bruders durch ein enges Fenster. Wilhelm Bock hatte dies ausgesagt und noch weitere Taten gestanden. In seinem Geständnis gibt er an, dass es Ernst Nägler gewesen war, der die Taten geplant hatte und damit Urheber dieser Verbrechen war. Während der Aussage Bocks gerieten die beiden Männer darüber in heftige Auseinan-dersetzungen.

Nach drei Verhandlungstagen wird im Prozess gegen die Geschwister Nägler und Wilhelm Bock das Urteil gesprochen: Wilhelm Bock wird we-gen schweren Raubes mit Todesfolge zu einer lebenslänglichen Freiheits-strafe, Ernst Nägler wegen »Anstiftung zu schwerem Raub mit Todes-erfolg« zu einer lebenslänglichen Zuchthausstrafe und Gertrud wegen

»Raubes, aber nicht mit Todeserfolg«, zu einer Zuchthausstrafe von 15 Jahren verurteilt.

Die Verteidigung der Geschwister Nägler leitete nach erfolgtem Urteilsspruch das Verfahren in Revision. Es wird 1922 wieder aufgenom-men; Gertrud Nägler wird im Laufe des zweiten Verfahrens als verhand-lungsunfähig begutachtet und in eine psychiatrische Anstalt eingewie-sen.

Gertrud ist von Beginn der Verhöre an und auch während der Ge-richtsverhandlungen der Hauptgegenstand der Berichterstattung. »Von hohem psychologischen Interesse« sei der Fall, so war im Berliner

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