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Mediale Kriminalität und Heteronormativität

Im Dokument Gender Studies (Seite 134-137)

Vier Mordsachen und ihre Implikationen

III. 4.2 ›Seelenunkundige Fachweisheit‹

III.8 v erworFene F rAUenzIMMer

III.8.1 Mediale Kriminalität und Heteronormativität

Schon im Fall Hagedorn tritt die Sensationalisierung des Tatgeschehens deutlich hervor. Auch die Gewalttat der beiden Frauen verursachte viel Aufsehen, der Prozess war sehr gut besucht, Tageszeitungen berichteten.

»Die heute vor dem Schwurgericht des Landgerichts 1 zur Verhandlung anstehen-de Anklage gegen die Frisörin Johanna Ullmann und die Arbeiterin Anna Sonnen-berg wegen Mordes hatte ein überaus zahlreiches Publikum in und vor den grossen Schwurgerichtssaal gelockt.« (Frauenmord in der Elsasser Strasse, Akte 2: 12)

Die Tat ist sensationell und von besonderer Grausamkeit, so wird betont.

Ihre Bedeutsamkeit wird auch durch die Bearbeitung durch Kommissar Gennat betont: »Kommissar Gennat ist gestern Abend nach Beendigung der Obduktion nach Berlin zurückgekehrt, um hier die weiteren Ermitt-lungen zu leiten. Er hat noch Teile des Magens sowie Haare und ande-re Leichenteile nach Berlin zur genauen chemischen Untersuchung ge-bracht.« (07.04.1916)

In einem weiteren Artikel wird die Arbeit der Mordkommission, dem wichtigsten Polizeiorgan medialer Kriminalität dieser Zeit, weitgehend beschrieben. Gennat wird dabei stets als ›Mordexperte‹ dargestellt, er ist die Hauptperson der Verhandlungen. Weitere wichtige Persönlichkeiten und Gutachter sind zugegen.

»Nach der Vernehmung der Angeklagten wird Kriminalkommissar Gennat gehört, der alle Einzelheiten der polizeilichen Ermittlungen ausführt. Dann werden die Sachverständigen Geheim. Medizinalrat Dr. Schulze, Stettin und Medizinalrat Dr.

Störmer vernommen.« (Ebd.)

Das epistemische Feld wird hier von Experten aus Theorie und Praxis, Gerichtsmedizinern, Juristen und kriminalistischen Praktikern bespielt.

Im zweiten Artikel werden genannt:

»Den Vorsitz im Gerichtshofe führt Landgerichtsdirektor Neuenfeldt. Die Anklage wird vertreten vom Ersten Staatsanwalt Weismann. Als Verteidiger sind Justizrat Gallandt und Rechtsanwalt Juliusberger tätig. Als Sachverständige sind Medi-zinalrat Dr. Stoermer und Geheimer MediMedi-zinalrat Dr. Schulze anwesend. Es sind zehn Zeugen geladen, unter ihnen die Kriminalkommissare Gennat und Dr. Tertor, denen die rasche Aufklärung des Verbrechens zu danken ist. […] Die Anklage lau-tet auf Mord und Diebstahl.« (Ebd.)

An anderer Stelle werden die prominenten Gäste benannt, die den Pro-zess verfolgen. »Der Verhandlung wohnen zahlreiche hervorragende Persönlichkeiten bei, unter ihnen der Prinz von Schleswig-Holstein, der türkische Botschafter, der Präsident des Landgerichts Geh. Oberjustizrat Biereck, der Oberstaatsanwalt Chrzeszinski u.a.« (Ebd.) Aber auch das all-gemeine Publikum ist sehr zahlreich erschienen. Es wird immer wieder betont, wie voll der Gerichtssaal ist:

»Der Andrang des Publikums ist so stark, dass Gerichts- und Polizeibeamte vor Beginn der Verhandlung Absperrungen vornehmen müssen. Der Schwurgerichts-saal im alten Kriminalgebäude in Moabit ist stark umlagert, sogar vor dem Gebäu-de stehen zahlreiche Neugierige. Innen sind alle Plätze belegt; viele Damen sind da, die vergeblich auf einen sensationellen Zwischenfall warten, aber auch manch bekannte Persönlichkeit, die berechtigte Interessen nach Moabit geführt haben.«

Und auch das Ende eines Verhandlungstages ist ob des Andranges des Publikums nicht einfach zu bewältigen, die Stimmung wird als sehr emo-tional beschrieben: »Der Saal soll geräumt werden. Es entwickeln sich hierbei aber sehr lärmende Szenen. Sechs Schutzleute und Gerichtsdie-ner müssen alle Kraft anwenden, um das Publikum aus dem Saal zu brin-gen und die von draussen Anstürmenden fernzuhalten.«

Das Berliner Publikum zeigte also außerordentlich großes Interesse an dem Fall Ullmann/Sonnenberg. Der Bericht über den Besuch des Pro-zessgeschehens durch Prominente, aber auch ein allgemeines Publikum, macht das Sensationelle noch gewichtiger.

Im Bericht wird außerdem suggeriert, dass es besonders bürgerliche Frauen zu interessieren schien, was hier verhandelt wurde. Deren Inter-esse, so lässt das erste Zitat erkennen, wird zwar deutlich als durch Sen-sationslust motiviert verstanden; die ›bekannten Persönlichkeiten‹, von denen schon vorher die Rede ist, haben ein seriöses ›berechtigtes Interes-se‹ an dem Fall. Sie sind männlich. Möglicherweise mag die Anwesenheit von Frauen bei der Verhandlung eines solchen Gewaltmordes besonders eindrücklich gewirkt haben und es scheint dem Gerichtsreporter daher umso stärker aufzufallen. »Medien als erste Wissensform, basierend auf massenmedialen Berichterstattungen, verfügen als Repräsentanten des popularisierten Wissens über Deutungshoheit. Dies resultiert aus ihren Gelegenheitsstrukturen der Informationsverbreitung und Meinungsbil-dung.« (Tolasch, 2013: 334)

Thomas Kailer führt in seiner Untersuchung der Wissensproduktion um den Fall Haarmann vor, wie ein Kriminalfall gleichsam katalysierend wirkt: Wissen wird verwandelt, indem es, aus verschiedenen Zusammen-hängen stammend, sich neu kontextualisiert: Kailer verweist auf einen engen Konnex zwischen Volksstimmung, Medien, Wissenschaft und Pro-zess, der beim »spektakulären Kriminalfall eine Kriminalitätswirklich-keit eigener Art konstituiert: mediale Kriminalität eben« (Kailer, 2003:

16). Es ist demnach auch keine Unterscheidung von wissenschaftlichem und alltäglichem Wissen mehr möglich. Der Diskurs erscheint als nach allen Seiten durchlässig und (re-)produziert Wissensinhalte nicht-linear.

So wird auch im Fall Franzke wieder deutlich, dass ›mediale Krimi-nalität‹ eine gänzlich neue Wissenswirklichkeit produziert. Durch die Berichterstattung entstehen neue Wissensinhalte, Diskursgebilde und

Wahrheiten.22 Die Produktivität des Diskurses wird hier besonders au-genfällig. Die Presse nimmt die Details der kriminaltechnischen Arbeit auf und stellt Gennat als Experten in den Mittelpunkt der angewandten Arbeit am Fall. Der Bericht über das emotionalisierte Publikum, die Pro-minenz und Experten, über Richter, Gesetz, Verteidigung und Staats-anwalt, die Täterinnen und ihren Auftritt, das alles ist auf dem episte-mischen Feld wirksam; die Berichterstattung verknüpft Wissensinhalte über die Tat und ihre Verhandlung und wirkt so als Katalysator des Wis-sens über Kriminalität und auch über Geschlecht. Eva Tolasch schreibt dazu: »Medien berichten am stärksten vor dem Hintergrund des traditio-nellen Geschlechterbildes. Eine Heteronormativitätsperspektive dient als Normalitätsfolie vieler Berichterstattungen […].« (Tolasch, 2013: 352) Und so erscheint auch der Verweis auf die im Publikum anwesenden Frauen.

Das Konzept der medialen Kriminalität greift vor allem dann, wenn es sich, wie in den Fällen Franzke und Hagedorn, um einen spektakulä-ren Kriminalfall handelt. Mord steht grundsätzlich für ein Ausnahmever-brechen, die hier zugrunde liegenden Fälle durch die weibliche Täterin-nenschaft wie schon erläutert in doppelter Weise. Sie erscheinen daher insgesamt als spektakuläre Taten, deren Verhandlung jeweils große Auf-merksamkeit in Medien, Wissenschaft und Politik erregte. Kriminalität und die zugehörige Berichterstattung wirken demnach als Ort der Poten-zierung von Heteronormativität.

Im Dokument Gender Studies (Seite 134-137)