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Teil III: Analyse der Ursachen unterschiedlicher Intensität von Videoüberwachung 91

10 Organisierte Akteure, ihre Funktionen und ihr Einfluss

10.1 Die Situation in Deutschland

10.1.3 Nichtstaatliche Gegenkräfte

Das erste Pilotprojekt polizeilicher Videoüberwachung in Leipzig hat die ersten Pro-testbewegungen gegen Videoüberwachung ausgelöst. Gegen die polizeiliche Video-überwachung wurde mehrmals im Zeitraum zwischen Januar und Oktober 2000 mit dem Motto „Abschotten, Überwachen, Ausgrenzen – null Toleranz“ demonstriert.

Veranstaltet wurden diese Gegenbewegungen von den lokalen Bürgerinitiativen wie z.B. Das Bündnis gegen Rechts Leipzig als „Kampagne zur Rückgewinnung öffentlicher Räume“. Eine der Demonstrationen wurde von einem PDS-Landtagsabgeordneten gemeinsam mit einem Mitglied des sächsischen Landesvorstands von Bündnis 90/Die Grünen angemeldet. Während die Demonstranten die Demontage der Kame-ra am Connewitzer Kreuz im Jahr 2000 als Erfolg der Proteste sahen, begründete die Polizei den Entschluss mit dem Rückgang der Straftaten im überwachten Gebiet.507 Mit einer Eingabe an den sächsischen Datenschutzbeauftragten konnte die Initiative gegen Überwachung „Leipziger Kamera“ veranlassen, dass die polizeiliche

503 Ebenda; vgl. auch Krischer; Holzer (2000), S. 52.

504 Pressemitteilung vom BDK am 06.04.2000. Bund Deutscher Kriminalbeamten (2000).

505 Polizei Stuttgart (2003).

506 Der Landesbeauftragte für den Datenschutz Baden-Württemberg (2005a).

507 Leipziger Volkszeitung (2000a).

überwachung an der Ritterstraße in Leipzig beendet wurde, die gesetzwidrig den ganzen Straßenzug erfasste.508

Neben Erfahrungen in Leipzig wurde auch das Pilotprojekt in Weimar zum Schutz der Pressefreiheit abmontiert: Im Oktober 2003 begann in Weimar am Goethe- und Theaterplatz das Projekt zur Videoüberwachung, wobei drei Überwachungskameras verwendet wurden, um die zwei Kriminalitätsbrennpunkte unter Überwachung zu stellen. Dies fand im Rahmen des Sicherheitspakets statt, das der Thüringer Landtag als Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 in den USA verab-schiedet hat.509 Allerdings gerieten dabei die Redaktionsräume zweier Lokalzeitun-gen (Thüringer Allgemeine und Thüringische Landeszeitung) sowie das Büro der Vize-präsidentin des Thüringer Landtages in das Blickfeld der Überwachungskameras, so dass das Projekt bundesweit Empörung hervorrief. Parlamentarier der SPD, der PDS und der Grünen sowie der Journalistenverband DJV und die betroffenen lokalen Zei-tungen protestierten mit offenen Briefen, Pressemitteilungen und Beschwerden an die Landesregierung. Nur wenige Tage nach dem Beginn des Projektes wurden alle Kameras abgebaut und alle gespeicherten Bilddaten gelöscht, um den „sehr sen-sibl[en] Bereich des Pressehauses“ wieder vor Eingriffen in die Pressefreiheit zu schützen.510

Angesichts des Zuwachses von Überwachungskameras in öffentlichen Räumen ha-ben sich in verschiedenen deutschen Städten lokale Initiativen gegen Videoüberwa-chung gebildet. In Bremen hat die lokale Gruppe Aktuelle Kamera511 die Standorte der Überwachungskameras in der Bremer Innenstadt im Internet veröffentlicht, während ähnliche Informationen über die Überwachung öffentlicher Räume in Köln von der Initiative Chaos Circuit Television512 zur Verfügung gestellt werden. Der Anlass für diese Aktion war die intensive Nutzung der Videotechnik zum Weltwirtschaftsgipfel in Köln im Jahr 1999. Ähnliche Bürgerinitiativen sind ebenfalls in Hamburg (Offenes Auge)513, München (Der Große Bruder)514, Mannheim (Kamera weg)515 und in Leipzig (Neues Forum Leipzig; Leipziger Kamera) zu finden.516

508 Leipziger Kamera (2003b).

509 Musharbash (2003).

510 Barclay; Tavares (2003); Musharbash (2003).

511 Vgl. unter: http://www.aktuelle-kamera.org/.

512 http://koeln.ccc.de/prozesse/zombies/cctv/.

513 http://www.offenes-auge.de/.

514 http://dergrossebruder.org/times/20040520000000.html?comment.

515 http://www.rheinneckarinfo.net/kameras-weg/navi/uepresse.html.

516 http://www.nadir.org/nadir/initiativ/infoladen_leipzig/camera/.

Eine bundesweite Initiative mit Diskussionsforum bietet das Projekt STOP 1984517. Die im Jahr 1977 gegründete Deutsche Vereinigung für Datenschutz e.V. (DVD) hat sich zur Aufgabe gemacht, Bürger über die mögliche Einschränkung ihres Rechts auf in-formationelle Selbstbestimmung durch den Einsatz von elektronischer Datenverar-beitungstechnologie aufzuklären.518

Unter den verschiedenen Initiativen gegen Videoüberwachungsmaßnahmen findet häufig Gemeinschaftsarbeit statt. Das Forum InformatikerInnen für Frieden und gesell-schaftliche Verantwortung e.V. (FIfF) hat beispielsweise im Jahr 2002 mit Mitgliedern der ältesten Bürgerrechtsorganisation in Deutschland, der Humanistischen Union519 sowie Wissenschaftlern aus verschiedenen Fachbereichen, darunter Sozialwissen-schaftlern, Kriminologen und Informatikern der TU Berlin, HU Berlin und TU Darm-stadt den Arbeitskreis Videoüberwachung und Bürgerrechte gegründet, der sich mit dem Thema auseinandersetzt und diesbezüglich Seminare und Infoveranstaltungen anbietet.520

10.1.4 Zusammenfassung

In der Bundesrepublik beschränken sich öffentliche Videoüberwachungsmaßnahmen bisher auf gesetzlich definierte Kriminalitätsschwerpunkte. Das deutsche Innenmi-nisterium sieht den offenen Kameraeinsatz auf öffentlichen Straßen und Plätzen als hilfreiches Instrument für die Polizei, wobei die meisten Projekte von Kommunen oder Arbeitsgemeinschaften zwischen staatlichen und privaten Akteuren finanziert werden.

In Deutschland bieten die novellierten Bundesdatenschutzgesetze (BDSG) eine ein-heitliche gesetzliche Grundlage für die polizeiliche Observierung in öffentlichen Räumen, auch wenn die Polizeigesetze auf Landesebene in Details unterschiedlich ausfallen. Außerdem bieten u.a. das allgemeine Persönlichkeitsrecht und die Polizei-gesetze den Überwachten in Deutschland die Möglichkeit, sich rechtlich vor der un-erwünschten Videoaufnahme zu schützen. Vorbehalte gegenüber öffentlichen Vi-deoaufzeichnungen sind in der Bundesrepublik bei der Polizei zu beobachten. Wäh-rend manche Polizeibehörden die räumliche Observierung mittels Videotechnik be-grüßen, pflegen andere Dienststellen einen eher skeptischen Umgang mit diesem

517 http://www.stop1984.org/.

518 http://www.datenschutzverein.de/.

519 Die Humanistische Union, als älteste deutsche Bürgerrechtsorganisation, wurde im Jahr 1961 ge-gründet und hat sich zum Ziel gemacht, gegen die Einschränkung des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit durch Staat, Wirtschaft und Kirchen vorzugehen. Vgl. http://www.humanistische-union.de/info.php.

520 http://waste.informatik.hu-berlin.de/peter/cctv/cctv_und_buergerrechte.html.

technischen Instrument. Beispielsweise verzichten manche Polizeidienststellen frei-willig auf die Vernetzung der CCTV-Systeme, während andere die Überwachungs-projekte beim Fehlen eines vorhandenen „Kriminalitätsschwerpunktes“, der als not-wendige Voraussetzung für die Maßnahmen gilt, selbstständig beenden.

Als Aufsichtsbehörde für die Einhaltung rechtlicher Rahmenbedingungen sind die jeweiligen Landesbeauftragten für den Datenschutz zuständig. Die Tätigkeiten der Datenschützer variieren zwischen aktiver Kontrolle der polizeilichen Überwa-chungspraxis und Kooperation mit der Polizei als Ratgeber für anstehende Maß-nahmen. Zusätzlich zu den staatsinternen Kontrollinstanzen gibt es auch nichtstaatli-che Protestbewegungen, z.B. in Weimar und Leipzig, die meistens spontan entstehen und sich auf bestimmte lokale Ereignisse richten.

10.2 Die Situation in den USA