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CCTV-Überwachung zur Reduzierung von Kriminalität

Teil II: Kriminalistischer Nutzen und Folgen der Videoüberwachung

4 Kriminalität, Kriminalitätsfurcht und Videoüberwachung

4.5 Die Frage der Effektivität

4.5.1 CCTV-Überwachung zur Reduzierung von Kriminalität

In der Praxis der Verbrechensbekämpfung kann CCTV-Technik als kriminalpräven-tives Mittel gesehen werden, das im Vorfeld mögliche Gefahrenquellen erkennen und verhindern lässt. Ferner dient sie auch als Instrument zur Strafverfolgung, das nach Straftaten zur Identifizierung von Straftätern eingesetzt wird. In diesem Ab-schnitt wird die Nutzbarkeit von CCTV-Technik unter diesen beiden Gesichtspunk-ten untersucht.

4.5.1.1 Kriminalprävention

Die Diskussionen über die Effektivität der Videoüberwachung zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung führen oft zu Uneinigkeiten, da es bislang keine haltbaren, unabhängigen Langzeituntersuchungen gibt, sondern nur Kurzzeitstudien, die sich auf lokale Ereignisse konzentrieren und nicht selten widersprüchliche Resultate er-zielen.301 Während Befürworter der weiträumigen Videoüberwachung die rückläufi-ge Verbrechensrate präsentieren, weisen die Kritiker auf die steirückläufi-gende Kriminalitäts-rate in den angrenzenden Zonen durch den Verdrängungseffekt hin und zweifeln an dem tatsächlichen Erfolg beim Dauereinsatz dieser optisch-elektronischen Einrich-tungen unter Berücksichtigung der gesamten Kriminalitätsentwicklung.302

Bisher stammen die meisten Evaluationsstudien zur Effektivität der Videoüberwa-chung zur Gefahrenabwehr aus Großbritannien, da sich die Praxis der elektronischen

301 Gemeint ist hierbei die „Straßenkriminalität“, deren Bekämpfung das Ziel der präventiv-polizeilichen Videoüberwachungsmaßnahmen gilt. Sie umfasst u.a. Deliktarten wie Raub, Körperver-letzungen und sonstige Gewalt- und Drogendelikte. Mehr hierzu vgl. Büllesfeld (2002), S. 52 f.; Norris (1998), S. 30 ff.; Weichert (1999), S. 4; Weichert (1998b), S. 12 ff.

302 Mehr zur Auswirkung der Videoüberwachung auf die Kriminalität, vgl. Studien von Skinns (1998) und von Ditton; Short (1999). Vgl. auch Nogala (2002), S. 47 ff.

Observation dort schon länger und in großem Ausmaß im Alltag etabliert hat. Aus diesem Grund stützt sich die folgende Darstellung über die Effektivität solcher Ü-berwachungsmaßnahmen hauptsächlich auf die vorhandenen Materialien aus Groß-britannien. Einzelne Studien aus Deutschland sollen ebenfalls berücksichtigt werden.

Die bisherigen Untersuchungen zur Frage der Effektivität von CCTV-Anlagen liefern keine eindeutigen Erkenntnisse:

Der kriminalistische Nutzen der CCTV-Systeme in Newcastle zeigt sich in einer Re-duzierung der erfassten Straftaten um 19%.303 Während einige Evaluationsergebnisse auf die Reduzierung des Einbruchdiebstahls in dem Einsatzgebiet von Überwa-chungskameras um 60% hinweisen, zeigen andere Studien eine Verlagerung der Einbruchsdelikte in die nahe liegenden Gebiete sowie die wieder zunehmende Kri-minalitätsrate nach anfänglichem Erfolg.304 Dennoch wird der Einsatz von CCTV-Systemen in Newcastle als erfolgreich gesehen.

Auch in Birmingham, der zweitgrößten Stadt Großbritanniens, werden CCTV-Systeme zur Kriminalitätsverhütung eingesetzt. Nach Angaben einer vom britischen Innenministerium finanzierten Studie ist der Kameraeinsatz dort wenig erfolgreich.

Bei Delikten wie Sachbeschädigungen und Körperverletzungen liegen die Raten im Überwachungsbereich auf ähnlichem Niveau wie im benachbarten Stadtteil. Der Rückgang der Anzahl von Kfz-Diebstählen lässt sich vermutlich auf die gleichzeitige Eröffnung der Fußgängerzone zurückführen.305 Bei manchen Deliktarten, wie z.B.

Raubüberfällen und Diebstählen sind sogar Zunahmen der registrierten Straftaten zu verzeichnen.306

Bei der Evaluation der CCTV-Anlage in King’s Lynn ist die Effektivität der Kameras umstritten, da einige Deliktarten schon vor der Einführung der CCTV-Kameras sin-kende Tendenzen aufwiesen. Eine Verlagerung der Kfz-Kriminalität ist angesichts der präventiven Erfolge möglich.307 Dagegen wird die Videoüberwachung in Airdrie als Erfolg gefeiert, auch wenn der von der Polizei angegebene Rückgang der Krimi-nalitätsrate um 74% von einigen kriminologischen Forschern unter Berücksichtigung allgemeiner Kriminalitätsentwicklung auf eine „echte“ Reduzierung um 21% relati-viert wurde.308 Die angegebene Verdreifachung der Aufklärungsquote von

303 Büllesfeld (2002), S. 60; Brown (1995), S. 26.

304 Müller (2002), S. 39.

305 Ebenda, S. 40; Brown (1995), S. 34 ff.

306 Büllesfeld (2002), S. 60; Brown (1995), S. 34 ff.

307 Müller (2002), S. 40; Brown (1995), S. 34 ff.

308 Büllesfeld (2002), S. 59. Nach einer anderen Angabe war auch von einem Kriminalitätsrückgang von 35% in Airdrie die Rede, vgl. Müller (2002), S. 40; vgl. auch Ditton; Short (1998), S. 162.

chen wurde durch die Evaluationsstudie auf eine Steigerung um ein Sechstel korri-giert.309

Das erste Pilotprojekt zur polizeilichen Videoüberwachung öffentlicher Straßen und Plätze in Leipzig führte nach Angaben von Polizei zu einem Rückgang der Diebstäh-le und Kfz-Delikte um 50%, wobei ein Verlagerungseffekt nicht festgestellt werden konnte.310 Nach der Beendigung des Pilotprojekts stieg die Zahl der erwähnten Straf-taten wieder an, die nach der Wiedereinführung der Videoüberwachung erneut um 20% sank.311 Aufgrund des Erfolgs in der Testphase wurden die Kameras zum Dau-ereinsatz eingeschaltet, wobei die Zahl der registrierten Delikte auf ein niedrigeres Niveau sank als vor der Einführung.

Auch die zusammenfassende NACRO-Studie312 vom Jahr 2002 über die Effektivität der CCTV-Systeme in Großbritannien zeigt ein ambivalentes Bild: Einerseits erwies sich die Videoüberwachung als effektives Werkzeug gegen Kfz-Delikte, vor allem auf Parkplätzen, andererseits übt die elektronische Observierung kaum Einfluss auf Raub- oder andere Gewaltdelikte aus. Einige Studien stellen den Verdrängungseffekt des Kameraeinsatzes fest und andere zeigen, dass die Videoüberwachung keinerlei Abschreckungseffekt auf manche kriminelle Handlungen hat.313

Es ist insgesamt eine offene Frage, ob nicht andere Maßnahmen zur allgemeinen Kriminalitätsvorsorge letztlich mehr Erfolg erzielen können; in manchen Fällen wird sogar ein Anstieg der Kriminalität durch die Anwendung von Videogeräten festge-stellt. Nach polizeilichen Angaben wurde beispielsweise am Kölner Bahnhof nach der Einführung der Überwachungskameras eine Zunahme des Diebstahls festge-stellt, während in dem bekannten englischen Badeort Brighton zwar insgesamt ein Rückgang der Kriminalität um 10% in dem überwachten Gebiet zu verzeichnen ist, aber gleichzeitig auch ein leichter Anstieg der Gewaltdelikte um 1%.314 In Glasgow ist sogar eine erhöhte Strafanfälligkeit von 9% nach der Einführung von CCTV-Systemen zu verzeichnen. Bei der Aufklärungsquote gibt es ebenfalls keine signifi-kante Steigerung festzustellen.315 Graham et al. argumentieren in diesem

309 Büllesfeld (2002), S. 59.

310 Ein leichter Verdrängungseffekt wurde bei Drogendelikten festgestellt, der allerdings auf die ver-stärkte Polizeikontrolle zurückzuführen ist. Vgl. ebenda, S. 61; Nürnberg (2000), S. 230.

311 Büllesfeld (2002), S. 63; Details zu Ergebnissen einzelner Deliktformen vgl. Müller (2000), S. 285 ff.;

Müller (1997), S. 77 ff.

312 Armitage (2002).

313 Ebenda.

314 Ebenda.

315 McCahill; Norris (2002a), S. 4; Ditton; Short (1999), S. 201 ff. Mehr zur Evaluation in Glasgow vgl.

auch The Scottish Office (1999); vgl. auch Müller (2002), S. 41; Ditton (2000), S. 692 ff.; Büllesfeld (2002), S. 61.

menhang, „by encouraging people to have faith in some disembodied electronic eye, CCTV may actually undermine the natural surveillance in towns and communities.

(...) The result may be a further spiral of social fragmentation and atomization, which leads to more alienation and even more crime.“316

Die Effektivität der Videoüberwachung als ein kriminalpräventives Werkzeug kann bislang also nicht mit Bestimmtheit bestätigt werden. Zwar gibt es Fälle, in denen die CCTV-Anlagen ihren kriminalistischen Nutzen unter Beweis stellen können, aller-dings gibt es auch reichliche Beispiele, die das Gegenteil zeigen. Letztendlich kann keine allgemeingültige Aussage über die tatsächliche Wirkung der Videoüberwa-chungsgeräte auf das Kriminalitätsaufkommen getroffen werden, denn ein Rück-gang der Verbrechensrate in dem überwachten Bereich muss stets unter Berücksich-tung des gesamten Kontextes der Kriminalitätsentwicklung sowie der demographi-schen und anderen sozialen Faktoren betrachtet werden, die in den bisherigen Eva-luationsstudien nur schwer realisierbar war. Denn eine deutlich niedrigere Krimina-litätsrate in der Überwachungszone als die in den benachbarten Gebieten kann zwar als positives Ergebnis der Videoüberwachung verstanden werden, aber ebenso auf einen möglichen Verdrängungseffekt hindeuten, der die Effektivität der technischen Observation wiederum relativiert.317

4.5.1.2 Strafverfolgung

Auch wenn die Effektivität der CCTV-Überwachung als kriminalpräventives Mittel nicht eindeutig bestimmt werden kann, so konnten anhand der Aufzeichnungen von den Überwachungskameras in einigen Fällen die Täter identifiziert werden.

Das Federal Building in Oklahoma City, USA wurde am 19. April 1995 zum Ziel eines Bombenanschlags. Der Lastwagen, der die explosiven Stoffe zum Tatort transportiert hatte, konnte für eine lange Zeit nicht identifiziert werden. Dank einer privaten Ü-berwachungskamera eines dem Gebäude nahe liegenden Wohnhauses (Regency Towers Apartment Building) konnte der Lastwagen kurz vor der Explosion auf Band festgehalten werden, was für die weitere Verfolgung des Attentäters von großer Be-deutung war.318 Sechs Jahre später wurden die bisher größten Terroranschläge auf die USA in New York City und Washington D.C. ausgeübt, wobei die CCTV-Systeme zwar die Angriffe nicht verhindern konnten, aber dennoch zur Identifizie-rung der Terroristen beigetragen haben.

316 Graham et al. (1995), S. 22 f.; vgl. auch Ditton (2000), S. 707.

317 Vgl. Frerichs (2000), S. 78, 85; Büllesfeld (2002), S. 62 f.

318 Thomas (1997); Burrows (1997), Rn. 1123.

Auch bei dem bekannten Mordfall Jamie Bulger319 in England sowie bei den Terror-anschlägen auf die Londoner U-Bahn im Sommer 2005 dienten CCTV-Anlagen als nutzbare Werkzeuge zur Strafverfolgung. In Norwegen konnten dank CCTV-Aufzeichnungen die Diebe des Meisterwerks „Der Schrei“ von Edvard Munch ge-fasst werden.320

4.5.2 Einsatz von CCTV-Systemen zur Reduzierung von