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Teil III: Analyse der Ursachen unterschiedlicher Intensität von Videoüberwachung 91

8.1 Kriminalitätsfurcht

Es konnte bereits deutlich gemacht werden, dass viele Menschen aus Angst vor Kri-minalität bereit sind, die Videoüberwachung als Sicherheit versprechendes Werk-zeug trotz möglicher Freiheitseinschränkungen zu akzeptieren. Demnach befürwor-ten Menschen eher die (polizeiliche) Videoüberwachung zu kriminalpräventiven Zwecken, je mehr Angst sie vor Straftaten empfinden. Da die Kriminalitätsfurcht der Menschen in der Regel in städtischen Räumen stärker ausgeprägt ist als in ländlicher Gegend, ist es nicht verwunderlich, dass in Ballungszentren die Videoüberwachung bevorzugt zur Anwendung gebracht wird.

Vor diesem Hintergrund kann angenommen werden, dass die intensive Nutzung von Überwachungskameras in Großbritannien letztlich auch als politische Reaktion auf die empfundene Angst vor Straßenkriminalität und die langjährige Bedrohung durch IRA-Terrorismus gesehen werden kann. Es muss allerdings an dieser Stelle erneut darauf hingewiesen werden, dass es sich bei „Kriminalitätsfurcht“ um ein schwer zu erfassendes Konstrukt handelt, so dass Vergleiche der entsprechenden Daten trotz standardisierter Messungen problematisch sind. Auch wenn die Indika-toren des Sicherheitsgefühls zunehmend wissenschaftliche Anerkennung finden, sind international vergleichende Studien für das Sicherheitsempfinden dennoch sel-ten und die Messgenauigkeit oft zweifelhaft. Mit der bekannsel-ten Standardfrage „Wie sicher fühlen Sie sich oder würden Sie sich fühlen, wenn Sie hier in dieser Gegend nachts draußen allein sind?“ kann beispielsweise nicht unbedingt die Furcht vor Verbrechen, sondern die allgemeine Angst vor der Dunkelheit erfasst werden. Ferner haben die Gestaltung der Fragebögen sowie der Gesamtkontext, in dem die Fragen

gestellt werden, Einfluss auf die Antworten der Befragten.400 Vor diesem Hinter-grund erscheint es sinnvoll, in der vorliegenden Untersuchung die Daten aus der bereits erwähnten internationalen ICVS-Opferbefragung sowie dem Zentrum für Umfragen, Methoden und Analysen (ZUMA)401 zu entnehmen, in der Erwartung, dass deren internationale, erfolgreiche Durchführung über einen längeren Zeitraum zumindest die strukturellen Schwächen solcher Untersuchungen minimieren konnte.

Aufgrund des Fehlens einer standardisierten Studie, die das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung in allen drei zu untersuchenden Ländern berücksichtigt, konzent-riert sich die folgende Analyse zunächst auf die Gegenüberstellung von Großbritan-nien und Deutschland, welche sich auf die vom ZUMA veröffentlichten Angaben zur Wahrnehmung und Bewertung von Kriminalität in den EU-Ländern zwischen 1996 und 2002 stützt.402 Anschließend wird das Sicherheitsempfinden der amerikanischen Bevölkerung von der International Crime and Victimization Survey (ICVS) mit den ent-sprechenden britischen Daten aus den Jahren 1992, 1996 und 2000 verglichen. Trotz des Fehlens einer einheitlichen Untersuchung genügen hierbei die Ergebnisse aus diesen zwei Studien, um das subjektive Gefühl des Bedrohtseins als mögliche Ursa-che für die besondere Nutzungsintensität von CCTV-Systemen in Großbritannien zu überprüfen.

Im Jahr 1996 zeigte sich nach Angaben des ZUMA im Vereinigten Königreich eine Kriminalitätsfurcht, die leicht unter dem EU-Durchschnitt lag (vgl. Abbildung 4).

Damit hatten die Bürger in Großbritannien und Nord-Irland ein höheres Sicherheits-gefühl als die Deutschen im Jahr 1996, die mit einer Kriminalitätsfurchtrate von 39%

unter den damaligen EU-Ländern den höchsten Prozentanteil aufwiesen.

Während das Sicherheitsempfinden der Deutschen in den darauf folgenden Jahren entgegen dem allgemeinen EU-Trend sich verbesserte, gehörte Großbritannien zu-sammen mit Nord-Irland (Vereinigtes Königreich) zu den EU-Ländern, die den stärksten Anstieg der Kriminalitätsfurcht von 1996 bis 2002 zeigten. Im Jahr 2002 lag

400 Zur Kritik an der Messgenauigkeit vgl. Smith; Torstensson (1997), S. 609; vgl. auch Hale (1996), S. 79 ff. und die Arbeiten von Hough (1995) und Kreuter (2002).

401 „Das Zentrum für Umfragen, Methoden und Analysen (ZUMA) in Mannheim berät die Sozialfor-schung bei der Anlage, Durchführung und Auswertung sozialwissenschaftlicher Untersuchungen, führt eigene Untersuchungen durch, erleichtert den Zugang zu amtlichen Daten und beobachtet und analysiert die gesellschaftliche Entwicklung mit sozialen Indikatoren. ZUMA führt auch eigene For-schungen durch mit dem Ziel, die methodischen und technischen Grundlagen der sozialwissenschaft-lichen Forschung zu verbessern.“ Siehe hierzu http://www.gesis.org/zuma/.

402 Vgl. Dittmann (2005). Als Datenbasis dienen hierbei verschiedene repräsentative Umfragen aus Deutschland sowie Daten des Eurobarometers. Die Eurobarometer-Umfrage wurde in den 15 EU-Ländern von 1996 bis 2002 dreimal durchgeführt. Die Probanden wurde gefragt, wie sicher sie sich fühlen, wenn sie nach Einbruch der Dunkelheit allein zu Fuß in der Gegend unterwegs sind, in der sie wohnen. In dieser Untersuchung wurden die USA nicht berücksichtigt.

Deutschland im Vergleich zu den anderen europäischen Ländern im mittleren Feld der Kriminalitätsfurcht, wobei das Unsicherheitsgefühl in den neuen Bundesländern leicht über dem EU-Durchschnittswert (in Abbildung 4 mit EU-15 gekennzeichnet) von 35% lag. Dagegen zeigte die Kriminalitätsfurcht im Vereinigten Königreich einen überdurchschnittlichen Anstieg auf 43%.

Abbildung 4: Entwicklung der Kriminalitätsfurcht in der EU zwischen 1996 und 2002.403

Auch das persönliche Viktimisierungsrisiko für Diebstahl, Raubdelikte, Körperver-letzungen und Raubüberfälle wurde im Jahr 2002 von den britischen Bürgern über-durchschnittlich hoch geschätzt, wenn sie nach Einbruch der Dunkelheit zu Fuß in ihrer Wohngegend unterwegs waren. Die Erwartung, selbst Opfer eines Verbrechens zu werden, zeigte dagegen in Deutschland in allen genannten Kategorien im EU-Vergleich die niedrigsten Werte auf (vgl. Abbildung 5). So sahen im Jahr 2002

403 Quelle: Informationsdienst Soziale Indikatoren (ISI), Ausg. 34, Juli 2005, S. 8.

lich 10% der befragten Deutschen das Risiko, in den nächsten zwölf Monaten Opfer eines Raubes zu werden, während der EU-Durchschnitt bei 29% lag.404 An dieser Stelle ist allerdings darauf hinzuweisen, dass die angegebenen Delikte nicht immer eindeutig der CCTV-relevanten Straßenkriminalität zugeordnet werden können. Da die Viktimisierungserwartung hierbei lediglich als Indikator für das subjektive Wohlbefinden dient, das auch unabhängig von den tatsächlichen persönlichen Kri-minalitätsrisiken sein kann, dürfte in diesem Fall die scharfe räumliche Trennung von geringerer Bedeutung sein. Trotz aller Probleme solcher internationaler Verglei-che können diese Ergebnisse darauf hindeuten, dass die britisVerglei-che Bevölkerung hin-sichtlich der Einschätzung des Opferwerdens ängstlicher ist als andere EU-Bürger.

404 Vgl. Dittmann (2005), S. 7.

Abbildung 5: Viktimisierungserwartungen der EU-Bürger 2002.405

405 Quelle: Informationsdienst Soziale Indikatoren (ISI), Ausg. 34, Juli 2005, S. 9.

Tabelle 9: Anteil der Personen, die sich nach Einbruch der Dunkelheit unsicher fühlen.406

Vergleichende Daten zur Kriminalitätsfurcht aus den USA und Großbritannien lie-gen mit der International Crime and Victimization Survey (ICVS)407 vor, die aus den Jah-ren 1992, 1996 und 2000 stammen. Anhand Tabelle 9 ist zu erkennen, dass nach den Ergebnissen von ICVS im Jahr 1992 die Kriminalitätsangst in Großbritannien nach Polen die zweithöchsten Werte unter den Vergleichsländern aufwies, welche in den folgenden zwei Untersuchungen eine leicht sinkende Tendenz zeigte. Während im Jahr 1996 32% der britischen Befragten sich nach Einbruch der Dunkelheit unsicher fühlten, lag der Anteil bei den amerikanischen Bürgern bei 25%. Den stärksten Zu-wachs an Sicherheitsempfinden von 1996 bis 2000 verzeichneten die nordamerikani-schen Länder USA und Kanada. Trotz sinkender Tendenz blieb im Jahr 2000 die Angst vor Verbrechen in der eigenen Wohngegend in Großbritannien 12% höher als in den USA.

Die obigen Vergleiche zeigen die Schwierigkeiten, einen eindeutigen Zusammen-hang zwischen der Intensität der CCTV-Anwendung und der Entwicklung der Kri-minalitätsfurcht in Großbritannien herzustellen. Angesichts der im EU-Vergleich (Abbildung 4) niedrigen Rate der Kriminalitätsfurcht im Jahr 1996 im Vereinigten Königreich liegt die Vermutung nahe, dass die unterdurchschnittliche

406 Quelle: ICVS Untersuchungen aus den Jahren 1992, 1996 und 2000. Crimial Victimisation in Seven-teen Industrialised Countries: Key findings from the 2000 International Crime Victims Survey, S. 79.

407 Van Kesteren et al. (2000), S. 77 ff.

furcht nicht der ausschlaggebende Faktor für den britischen CCTV-Boom in der zweiten Hälfte der 1990er Jahren sein kann. Die ICVS-Ergebnisse vom Jahr 1996 zei-gen jedoch ein anderes Bild: Die britischen Bürger empfinden mehr Angst vor Kri-minalität als die Bürger anderer Länder, auch der USA. Diese Furcht in Großbritan-nien blieb trotz leicht sinkender Tendenz bis zum Jahr 2000 relativ hoch.

Im Hinblick auf die steigende Kriminalitätsfurcht zwischen 1996 und 2002 nach den ZUMA-Ergebnissen bzw. die vergleichsweise hohen Werte nach ICVS ist es ferner zweifelhaft, inwieweit der intensive Einsatz von Überwachungskameras zur Steige-rung des Sicherheitsempfindens der britischen BevölkeSteige-rung beigetragen hat.408 Nach den ZUMA-Daten erscheint es sogar möglich, dass der intensive Einsatz von Über-wachungskameras auf öffentlichen Straßen und Plätzen in Großbritannien die Be-völkerung verunsichert, da die britischen Bürger trotz der hohen Kriminalitätsrate Mitte der 1990er Jahre weniger Angst vor Verbrechen empfanden, aber im Jahr 2002 signifikant mehr Kriminalitätsfurcht zeigten als der Durchschnitt der EU-Bürger.409 Das Vorhandensein von Überwachungseinrichtungen, so die Behauptung hier, könn-te die Gefährlichkeit eines Raumes signalisieren.410 Mit anderen Worten: Menschen können einen per Video überwachten Raum als gefährlich wahrnehmen und sich darin mehr fürchten, da Überwachungskameras normalerweise an von Kriminalität belastenden Orten installiert werden. Solche Aussagen sind jedoch aufgrund der ge-nannten strukturellen Schwächen der Umfragemethode, die besonders bei internati-onalen Vergleichen problematisch sind, mit großer Vorsicht zu treffen.