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3   STAND DER DERZEITIGEN FORSCHUNG

3.1   Morbus Alzheimer

3.1.1 Definition und Epidemiologie

1906 beschrieb Alois Alzheimer erstmals ein bisher unbekanntes Krankheitsbild6. Er stellte den Fall der Auguste Deter vor, die nach Jahren schwerer Verwirrtheit und des Gedächtnisverlustes starb. Bei der folgenden Autopsie fand er dichte Ablagerungen rund um das Äußere der Nervenzellen, die sogenannten Plaques und im Inneren der Nervenzellen verdrehte Faserbänder (Fibrillen). Seit diesem Zeitpunkt trägt diese neurodegenerative Erkrankung seinen Namen7. Bis heute hat sich Morbus Alzheimer zu einer der bedeutendsten neurodegenerativen Erkrankung in unserer stetig alternden Gesellschaft entwickelt.

Weltweit sind derzeit schätzungsweise etwa 35,6 Millionen Menschen betroffen. Bis 2030 wird sich die Zahl Betroffener auf etwa 65,7 Millionen verdoppeln8. In Deutschland leben derzeit rund 1,2 Millionen an Demenz Erkrankte. 60-70 % dieser Betroffenen leiden unter der Alzheimer-Krankheit, der weltweit häufigsten Form der Demenz. Die mittlere Prävalenzrate der Demenz steigt von 1,2 % bei den 65-69 jährigen auf 34,6 % bei Betroffenen im Alter von 90 Jahren oder mehr9.

Aufgrund der höheren Lebenserwartung in der weiblichen Bevölkerung liegt die Prozentzahl an Demenz erkrankter Frauen bei 70 % und die der Männer bei 30 %. Die Wahrscheinlichkeit an Demenz zu erkranken ist jedoch bei Frauen und Männern gleichermaßen ausgeprägt9. Nur etwa 5-10 % der Alzheimer-Fälle sind auf einen genetischen Hintergrund, die FAD (Familial Alzheimer Disease) zurückzuführen10. Hierbei handelt es sich um Mutationen des Amyloid-Vorläufer-Proteins (APP, Amyloid Precursor Protein) auf Chromosom 21, des Präsenilin-1-Gens auf Chromosom 14 und schließlich des Präsenilin-2-Gens, das sich auf Chromosom 1 befindet11. Diese Mutationen werden autosomal-dominant vererbt und führen zum Ausbruch der Alzheimer-Krankheit vor dem 65. Lebensjahr, der „early-onset“ Form des familiären Morbus Alzheimer. Ein weiterer Risikofaktor für das Auftreten dieser Form der Alzheimer-Krankheit stellt die Ausprägung des Down-Syndroms dar, da es sich hier um eine Trisomie 21 handelt, das Gen auf dem das APP-Gen lokalisiert also dreimal vorhanden ist.

Auch die Wahrscheinlichkeit an der ab dem 65. Lebensjahr auftretenden sporadischen

„late-onset“ Form zu erkranken, erhöht sich durch genetische Risikofaktoren. Einen dieser Risikofaktoren stellen beispielsweise bestimmte Polymorphismen des ApoE-Gens, das auf Chromosom 19 lokalisiert ist, dar. Dieses kodiert für das Apolipoprotein E, welches bei der Regulation des Lipidmetabolismus, der Cholesterinaufnahme und der intrazellulären Cholesterinfreisetzung eine Rolle spielt. 12.

Vergleicht man die durch familiäre Häufung geprägte „early-onset“ Form mit der sporadischen „late-onset“ Form können keine Unterschiede in der Ausprägung klinischer Symptome und neuropathologischer Veränderungen festgestellt werden10.

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3.1.2 Pathogenese

Das Gehirngewicht eines von der Alzheimer-Krankheit betroffenen Patienten kann im Vergleich zu dem eines nicht betroffenen Menschen um bis zu 30 % reduziert sein. Dies ist auf eine im späteren Stadium der Erkrankung makroskopisch erkennbare Hirnatrophie zurückzuführen13. Betroffene Bereiche sind vor allem die Hirnrinde im Bereich des Temporal-, Parietal- und Frontallappens. Dort können schmalere Windungsfurchen (Sulcus) und weitere Ventrikel festgestellt werden14 (siehe Abb. 1).

Abb. 1 Makroskopisch sichtbare Veränderungen des Morbus Alzheimer (Quelle: Bright Focus Foundation, 2000; http://www.brightfocus.org/alzheimers/infographic/brain-alzheimers-disease)

Bis heute wird als Hauptursache für die klinische Ausprägung also auch die Hirnatrophie bei Morbus Alzheimer die fortschreitende Degeneration von Neuronen und Synapsen angenommen. Diese ist jedoch noch nicht vollständig geklärt15.

Bekannt ist, dass dieser Verlust der Neuronen und Synapsen von neurodegenerativen Prozessen wie der Bildung extrazellulärer Plaques aus Amyloid β-Peptid (Aβ) und intrazellulärer Neurofibrillen (neurofibrillary tangles, NFTs), welche vor allem im Neocortex, Hippocampus und im Limbischen System nachzuweisen sind, begleitet wird16 (siehe Abb. 2).

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Abb. 2 Entstehung der senilen Plaques und Neurofibrillenbündel (Quelle: International Journal of Alzheimer’s Disease)

Ein charakteristisches allerdings nicht spezifisches Merkmal für die Alzheimer-Krankheit ist die Ausbildung der NFTs. Diese entstehen durch die intrazelluläre Anhäufung abnormer Filamente aus hyperphosphoryliertem Tau-Protein in den Nervenzellen. Für die Bildung dieses abnormen Tau-Proteins ist ein gestörtes Gleichgewicht bestimmter Kinasen und Phosphatasen verantwortlich17. Durch diese pathologische Veränderung kann das Tau-Protein seine eigentliche Funktion, die Stabilisierung der axonalen Mikrotubuli18, nicht mehr wahrnehmen. Es kommt zur Destabilisierung des Cytoskeletts und nachfolgender Störung des axonalen Transportes19. Aggregiert nun das abnorme hyperphosphorylierte Tau-Protein bilden sich paarige helikal gewundene Proteinfilamente (paired helical filaments, PHF). Bei weiterer Aggregation dieser PHFs entstehen die NFTs, welche nach dem Absterben der Neuronen auch extrazellulär als Ablagerungen zu finden sind20. Die neuronalen und synaptischen Funktionen der Nervenzelle werden durch diese Prozesse gestört21. Durch NFTs in ihrer Funktion gestörte und angegriffene Axone und Dendriten werden als „dystrophe Neuriten“ bezeichnet22.

Die Ablagerung des 4 kDa großen β-Amyloides (Aβ) stellt ein weiteres charakteristisches pathologisches Merkmal dar. Aβ lagert sich vor allem im extrazellulären Raum des Gehirns, dem Neuropil, in Form der sogenannten senilen Plaques ab. Diese senilen Plaques bestehen

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aus einem zentralen Kern, der von einem Saum aus dystrophen Dendriten und Axonen umgeben ist. Weiterhin kann Aβ im Blutgefäßsystem des Gehirns nachgewiesen werden (Cerebral Amyloid Angiopathy, CAA)10.

Aβ entsteht durch enzymatische Prozessierung des APP, einem glykosylierten, integralen Membranprotein (siehe Abb.3). Die proteolytische Umsetzung des APP durch die sogenannten Sekretasen kann auf zwei Wegen geschehen. Diese zwei Wege, der nicht-amyloidogene und der amyloidogene Weg, schließen sich gegenseitig aus.

Im ersten Schritt der nicht-amyloidogenen Prozessierung wird APP innerhalb der Aβ-Sequenz durch die α-Sekretase gespalten. Dadurch wird die extrazelluläre Domäne des APP als lösliches APP (sAPPα) freigesetzt und die Bildung des Aβ verhindert. Der in der Membran verbleibende Teil des APP (CT83) wird schließlich durch die γ-Sekretase gespalten.

Der amyloidogene Weg beginnt mit der Prozessierung des APP durch die β-Sekretase, wodurch ein membranständiges Fragment (CT99) und lösliches APP (sAPPβ) entstehen.

Durch Umsetzung des CT99 durch die γ-Sekretase wird Aβ freigesetzt13. Dieses Aβ kann sowohl in der Cerebrospinalflüssigkeit und im Plasma gesunder wie auch an Alzheimer erkrankter Menschen festgestellt werden23,24.

Abb. 3 Prozessierung des APP (Quelle: Cárdenas-Aguayo et al., 201425)

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Durch die Variabilität der Sekretasen in ihrer Schnittstelle entstehen verschiedene Aβ-Formen, was auf die unterschiedlichen C-Termini zurückzuführen ist. Am häufigsten gebildet werden das Aβ1-40 und das Aβ1-42. Die Termini 1-40 und 1-42 bezeichnen dabei die Anzahl der Aminosäuren26. Aβ1-42 weist eine stärkere Tendenz zur Aggregation und Bildung von Fibrillen auf27 und ist im Vergleich zu Aβ1-40 resistenter gegenüber Degradation und lagert sich verstärkt im Gehirn ab. Es wird zudem eine höhere Neurotoxizität des Aβ1-42

angenommen.

Die vermehrte Produktion des Aβ1-42 bei der durch bestimmte Mutationen verursachten familiären Form des Morbus Alzheimer28 und die Tatsache, dass Aβ1-42 als Hauptbestandteil der senilen Plaques gesehen werden kann, unterstützen die Theorie, dass die Entstehung und Ablagerung dieses um zwei Aminosäuren längeren Peptides im Gehirn zu den ersten pathologischen Schritten bei der Entstehung der Alzheimer-Krankheit gehört10,15,29,30.

Zusammengefasst gesehen kommt es zur neuronalen Dysfunktion, zur neuronalen und synaptischen Degeneration durch das Ungleichgewicht zwischen der Bildung und dem Abtransport (Clearance) des Aβ im Hirngewebe, welches zur Ansammlung des Peptides führt (Amyloid-Kaskaden-Hypothese). Der bereits erwähnte Verlust der Neuronen wird als unmittelbare Ursache für die Demenz angesehen, wobei der genaue zugrundeliegende Mechanismus noch aufzuklären ist. Zusätzlich scheinen Entzündungsprozesse, Veränderungen des Ionenhaushaltes und oxidative Schäden eine Rolle zu spielen15. Mittlerweile wird die neurotoxische Wirkung auch auf die löslichen oligomeren Aβ-Formen ausgedehnt. Diese korrelieren besser mit dem Krankheitsverlauf, als die Anzahl histologisch nachweisbarer Plaques, welche auch post mortem bei Menschen festgestellt werden können, die keinerlei Anzeichen für eine Demenz zeigten31,32.

3.1.3 Klinik

Der Verlauf der Alzheimer-Krankheit, der im Allgemeinen durch eine stetige aber langsame Verschlechterung charakterisiert ist, kann in drei Stadien eingeteilt werden. In Stadium 1 zeigen sich zunächst Symptome wie Kraftlosigkeit und der Verlust der Spontaneität, die von den Patienten selbst und ihrer Umwelt oft nicht als Veränderung registriert werden. Hinzu kommen eine leichte Gedächtnisstörung und Gemütsschwankungen. Hierauf folgt der beginnende Verlust des Sprach- und Auffassungsvermögens in Stadium 2. Betroffene neigen zu erhöhtem Bewegungsdrang. Es wird eine zunehmende Beeinträchtigung des Kurzzeitgedächtnisses und später auch des Langzeitgedächtnisses deutlich. Auch Wesensveränderungen sowie allgemeine Verhaltensauffälligkeiten prägen das Erscheinungsbild der Alzheimer-Krankheit. Im Endstadium der Krankheit werden die Patienten meist bettlägerig und sind auf permanente Pflege angewiesen (Alzheimer Forschung Initiative e.V.).

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