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3   STAND DER DERZEITIGEN FORSCHUNG

3.6   Untersuchung und Charakterisierung neurodegenerativer Erkrankungen in vitro und

3.6.2   In-vivo-Modelle neurodegenerativer Erkrankungen

In den letzten Jahren konnten mit Hilfe transgener Tiermodelle die pathologischen Mechanismen neuronaler Degeneration untersucht werden134. Tiermodelle können in drei Gruppen unterteilt werden: spontane, induzierte (chemisch, operativ oder pharmakologisch) und genetisch modifizierte Modelle. Sie alle weisen ein oder mehrere Merkmale der durch sie zu untersuchenden Erkrankung auf. Bisher existiert jedoch kein Modell, das in der Lage ist, alle klinisch-pathologischen Veränderungen zu reproduzieren134.

Zu den genetisch veränderten Tiermodellen gehören verschiedene einfache oder kombinierte transgene Knock-out- oder Knock-in-Systeme. Dabei handelt es sich um Ratten135, Mäuse134,136,137, Drosophila melanogaster138,139, Caenorhabditis elegans (C.elegans)140 und den Zebrafisch141. Ein weiteres nicht-transgenes, aber aufgrund des ethischen Konfliktpotentials, hoher Haltungskosten und des Zeitfaktors selten angewandtes Tiermodell sind nicht-menschliche Primaten141.

Für Morbus Alzheimer, eine der häufigsten altersassoziierten neurodegenerativen Erkrankungen, gibt es unterschiedliche transgene Tiermodelle. Meist handelt es sich hierbei um transgene Mäuse134. Diese unterteilen sich in drei Kategorien141: Tiere, die die Aβ-Pathologie entwickeln, Tiere, die die durch das τ-Protein gekennzeichnete Pathologie aufweisen und solche, die beide Formen der Proteinaggregation zeigen (siehe Tab. 2).

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Tab. 2 Transgene Mausmodelle für Morbus Alzheimer (modifiziert nach Sabbagh et al. 2013141)

Auch bei der Erforschung der zweithäufigsten neurodegenerativen Erkrankung, des Morbus Parkinson, dienen transgene Mäuse als In-vivo-Modell (siehe Tab. 3). Es wurden mehrere Mauslinien generiert142-144, die durch einen Knock-out des α-Synuklein neue Informationen über dessen physiologische Rolle liefern. Zusätzlich zu den Knock-out-Mauslinien existieren transgene Mausmodelle, die durch eine Überexpression des α-Synuklein gekennzeichnet sind.

Diese Mäuse exprimieren entweder den Wildtyp oder eine oder beide mutierte Formen des humanen α-Synuklein (A53T und A30P). Bei den Mutationen handelt sich um Punktmutationen, die einen Aminosäureaustausch von Alanin gegen Threonin an Stelle 53 (A53T) oder von Alanin gegen Prolin an Stelle 30 (A30P) des α-Synuklein-Gens zur Folge haben145,146.

Die transgenen Mäuse unterscheiden sich in der Ausprägung der Neuropathologie und des motorischen Phänotyps145.

Transgene

Mauslinie Mutation(en)/ Transgen Pathologie

PDAPP APP (Indiana) Ablagerung von β-Amyloid Plaques

Tg2576 APP (Swedish) Ablagerung von β-Amyloid Plaques

APP23 APP (Swedish)

Ablagerung von β-Amyloid Plaques und Zerebrale Amyloid

Angiopathie

J20 APP (Swedish und Indiana) Ablagerung von β-Amyloid Plaques

5XFAD PS1 und APP Ablagerung von β-Amyloid 42 und Plaques

JNPL3 Tau (P301L) Ablagerung von

Neurofibrillenbündeln (NFTs) rTg4510 Tau (P301L induzierbar) NFTs und Verlust von Neuronen

hTau Human tau NFTs und Verlust von Neuronen TAPP APP (Swedish) und tau

(P301L)

Ablagerung von β-Amyloid und verstärkte Tau-Pathologie 3xTg-AD PS1, APP und Tau Lösliches β-Amyloid, Plaques

und NFTs

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Tab. 3 Transgene Mausmodelle für Morbus Parkinson (modifiziert nach Crabtree et al., 2012147)

Tiermodell Gen/ resultierendes Ubiquitin-positive Ablagerungen, erhöhter Anteil an S129 phosphoryliertem αS

α-Synuklein-eGFP fusion protein

deutliche αS-Ablagerungen in den Neuronen des Neocortex und Hippocampus

transgen

SNCA/ Wildtyp αS

αS-Ablagerungen unter anderem in der Substantia nigra (SN), Ablagerung unlöslichen α-Syns in Neuronen und Neuriten verteilt über das Gehirn

SNCA/ Wildtyp und A53T mutiertes αS

α-Synukleinopathie und Lewy-Pathologie in Neuronen des Hirnstammes und Motoneuronen, erhöhter Anteil an S129 phosphoryliertem αS

SNCA/ A30P mutiertes αS

hyperphosphorylierte und Proteinase K resistente Lewy-Körperchen artige αS Ablagerungen

SNCA/ Y39C mutiertes αS

großflächig verteilte αS-negativ und Ubiquitin-positive Ablagerungen auch in der SN, erhöhter Anteil an S129 phosphoryliertem α-Syn

transgen

SNCA/ Wildtyp αS keine Einschlüsse SNCA/ Wildtyp, A30P

und A53T mutiertes α-Syn

erhöhter Anteil von αS in Tyrosin Hydroxylase positiven (TH+) Zellen, aber keine Einschlüsse in TH+ Neuronen der SN, erhöhter Anteil an S129 phosphoryliertem αS

SNCA/ verkürztes 1-130 αS

Lewy-Körperchen ähnliche αS-Ablagerungen

transgen

SNCA/ Wildtyp αS erhöhter Anteil von αS, aber keine Einschlüsse

SNCA/ A53T mutiertes αS

großflächig verteilte fibrilläre und unlösliche Lewy-Körperchen artige αS-Ablagerungen auch in der SN

28 LITERATURÜBERSICHT deutlich als bei Mäusen mit der A53T Mutation)

konditionelle

Überexpression SNCA/ Wildtyp αS

lösliche, nicht-fibrilläre αS-Ablagerung in mehreren Regionen des Gehirns, die SN eingeschlossen

transgen SNCA/ A30P mutiertes αS

erhöhter Anteil an αS in verschiedenen Gehirnregionen, aber keine Lewy-Körperchen

αS-Ablagerung in mehreren Regionen des Gehirns, die SN eingeschlossen

Knock-out und transgen

SNCA/ verkürztes 1-119 αS

αS-Ablagerung in der SN und Riechkolben transgen SNCA/ verkürztes 1-120

αS

keine αS-Ablagerunen in der SN Tet-off

induzierbar

SNCA/ A53T mutiertes αS

αS-Ablagerung in mehreren Regionen des Gehirns, die SN eingeschlossen

Vor der Generierung transgener Tiermodelle für Morbus Parkinson wurden vor allem Toxin-induzierte Krankheitsmodelle zur Studie der Erkrankung herangezogen148. Um die Erkrankung mit ihren pathologischen und verhaltensbezogenen Charakteristika bei Nagern bzw. Primaten reproduzieren zu können, wurden die Neurotoxine entweder systemisch (1-Methyl-4-phenyl-1,2,3,6-tetrahydropyridin (MPTP)) oder lokal (6-Hydroxydopamin (6-OHDA)) verabreicht148.

Auch Toxine wie das Pestizid Rotenon und die aus der Zellwand von Bakterien stammenden als Endotoxin fungierenden Lipopolysaccharide (LPS) werden zur Induktion des Morbus Parkinson angewendet148.

Ein Tiermodell, das sich zur Untersuchung sowohl des Morbus Alzheimer als auch des Morbus Parkinson eignet, ist Caenorhabditis (C.) elegans149. Link et al. führten an C. elegans Studien zur Toxizität des Aβ durch150. C. elegans exprimiert von Natur aus ein dem Präsenilin 1 (γ-Sekretase) homologes Protein, das sogenannte Sel-12. Ihm fehlt jedoch ein Homolog zur β-Sekretase, um durch Prozessierung des Amyloid-Vorläufer Proteins Aβ produzieren zu können. Um dennoch C. elegans als Modell für die Toxizität des Aβ nutzen zu können, generierten Link et al. ein Konstrukt, durch dessen Expression Aβ in Muskelzellen des Wurmes produziert werden kann150. Dieses transgene C. elegans Modell weist sowohl

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Bewegungs- und Wachstumsstörungen, wie auch funktionelle Defizite und eine verkürzte Lebenszeit auf. Neben Studien zur Expression des humanen Aβ wurden auch Untersuchungen zur Expression des humanen τ-Proteins in C. elegans durchgeführt. So zeigten Kraemer et al., dass die durch τ verursachte Toxizität zur Störung der Motorik durch den Verlust von GABA(γ-Aminobuttersäure)-Neuronen und dem vorzeitigen Absterben führt.

Auch für die Erforschung des Morbus Parkinson existieren transgene C. elegans-Modelle.

Lakso et al. beispielsweise studierten die Auswirkungen der Überexpression von humanem α-Synuklein in C. elegans151. Die Expression dieses Proteins führte bei C. elegans zum Verlust dopaminerger Neurone und zu motorischen Störungen. In anderen Studien wurde die Möglichkeit geprüft, die Toxizität des α-Synuklein zu verringern152,153. Aufgrund der physiologisch vorhandenen dopaminergen Neurone bei C.elegans, dient dieser auch als Toxin-induziertes Tiermodell für Morbus Parkinson. Toxine, die zur Induktion einer dem Morbus Parkinson ähnlichen Pathophysiologie herangezogen wurden, sind unter anderem 6-OHDA, MPP+ und Rotenon154,155. Zur Erforschung der Chorea Huntington (HD – Huntington Disease), einer autosomal dominant vererbten neurodegenerativen Erkrankung dienen ebenfalls genetisch veränderte, aber auch Toxin-induzierte Tiermodelle137. Es existieren unterschiedliche transgene Mausmodelle (siehe Tab. 4). Ein Teil der Tiere trägt nur ein Fragment des humanen Huntingtin-Gens, während der andere Teil das komplette Gen übernommen hat137. Eine weitere Gruppe genveränderter Mäuse, die zur Erforschung dieser Krankheit und potentieller Therapieansätze dient sind die Knock-in-Modelle. Ihnen wurde ein CAG repeat in das Huntingtin-Gen eingesetzt156.

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Tab. 4 Übersicht genetisch veränderter Mausmodelle für Chorea Huntington (modifiziert nach Lee et al. 2013157)

Mausmodell Zahl der

CAG repeats Verbreitung und Schweregrad der neuropathologischen Veränderungen Träger eines Fragmentes des HTT-Gens

R6/2 144

(variabel) weitverbreitet und stark ausgeprägt N171-82Q 82 hochgradige und weitverbreitete

Ausprägung

GFAP-HD 160 nicht beurteilt

RosaHD 103 abhängig vom Promotor Träger des kompletten humanen HTT-Gens

YAC128 128 mittelgradig und auf spezielle Regionen begrenzt BACHD 97 mittelgradig und auf spezielle

Regionen begrenzt Knock-in Modelle

HdhQ111 111 geringgradig und auf spezielle Regionen begrenzt CAG140 140 geringgradig und auf spezielle

Regionen begrenzt

Hdh(CAG)150 150 geringgradig und auf spezielle

Regionen begrenzt zQ175 175 mittelgradig und auf spezielle

Regionen begrenzt

Zu den Toxin-induzierten Modellen gehören die exzitotoxischen und die metabolischen Huntington-Modelle. Erstere beruhen auf dem Mechanismus der Exzitotoxizität. Hierbei werden mittels einer durch das Toxin herbeigeführten Überstimulation der neuronalen Glutamatrezeptoren neuropathologische Prozesse ausgelöst, die schließlich zur Apoptose der Nervenzellen führen158. Im Falle der exzitotoxischen Huntington-Modelle wird dieser Vorgang durch die Quinolinsäure (QA), einem Glutamat-Agonist ausgelöst. Diese entsteht im Zuge der Verstoffwechselung der essentiellen Aminosäure Tryptophan159.

Die QA wird aufgrund ihrer Unfähigkeit, die Blut-Hirnschranke zu überwinden, direkt in das Striatum der Tiere injiziert. Dadurch lassen sich bei Primaten, Ratten und Mäusen neurodegenerative Veränderungen ähnlich der Veränderungen bei humanen Huntington Fällen reproduzieren159.

3-Nitropropionsäure (3-NP), eine Carbonsäure, wird zur Generierung metabolischer Krankheitsmodelle für Chorea Huntington angewendet. 3-NP hemmt die mitochondriale Succinat-Dehydrogenase, auch bekannt als Komplex II der Atmungskette, und behindert so

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den Glucose-Stoffwechsel der Zellen. Aufgrund der Fähigkeit, die Blut-Hirnschranke zu überwinden kann 3-NP systemisch an Mäuse, Ratten und nicht-menschliche Primaten verabreicht werden159. Trotz der systemischen Administration bewirkt 3-NP eine selektive Neurodegeneration in den Neuronen des lateralen Striatum.

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