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Mitglieder und Elektorate von Linksparteien in Europa

Die Mitgliederzahlen europäischer Linksparteien

Der Erfolg von Parteien misst sich an ihrer Fähigkeit, politische Ziele durchzu-setzen, den gesellschaftlichen und politischen Diskurs zu beherrschen und ihre Eliten in Regierungsämter zu bringen. Als messbarer Indikator für den Erfolg gel-ten die Wahlergebnisse von Parteien. Sie legitimieren ihr politisches Handeln, erweitern durch ihre parlamentarische Präsenz die personellen und finanziellen Ressourcen der Parteien und ermöglichen ihnen die Bildung von Regierungs-koalitionen.

Angesichts des allgemeinen Rückgangs der parteipolitischen Aktivität der Bür-gerInnen seit den 1960er Jahren ist die Zahl der Parteimitglieder heute von nach-lassender Bedeutung für die politische Wirksamkeit der Parteien. Die französi-sche Union pour un mouvement populaire(UMP) oder die 2009 gegründete Berlusconi-Partei Popolo della Libertà(PdL) beispielsweise verstehen sich längst nicht mehr als klassische Mitgliederparteien. Auch in vielen anderen Parteien hat eine permanente mediale Präsenz inzwischen die gesellschaftliche Verankerung durch Parteimitglieder als wichtigste Ressource abgelöst.1

Die Linksparteien in Europa sind mit Ausnahme von Zypern, Norwegen und Island Oppositionsparteien oder Parteien im außerparlamentarischen Raum. Sie verfügen im Vergleich zu den »Medienparteien«, den Groß- bzw. Volksparteien in deutlich geringerem Maße über finanzielle, mediale und personelle Ressourcen ihrer Mitglieder und ihres Umfeldes. Für die Linksparteien in Europa muss neben ihrer parlamentarischen Präsenz also noch immer die Zahl ihrer Mitglieder bzw.

die Mitgliederentwicklung als Erfolgsindikator gelten: Zwar können auch mitglie-derarme Parteien Wahlerfolge haben, wenn die linken Parteien es aber nicht schaffen, eine relevante Zahl an Mitgliedern an sich zu binden, mit deren Unter-stützung sie WählerInnen mobilisieren und politische Aktivitäten finanzieren kön-nen, werden diese Erfolge in der Regel nicht von Dauer sein. Für eine breite Mit-gliederbasis sprechen auch normative Überlegungen: Ohne Mitglieder können linke Parteien kaum ihrem Anspruch, Linkagezwischen Regierenden und Regier-ten zu sein – indem sie die BürgerInnen repräsentieren und Personal für die Ausü-bung öffentlicher Ämter rekrutieren –, gerecht werden.

1 Vgl. Peter Mair: Polity-Scepticism, Party Failings, and the Challenge to European Democracy. NIAS Uhlenbeck Lecture 24, Wassenaar 2006, S. 20. Für eine ausführliche Darstellung der Debatte zum Niedergang der Mitglie-derpartei vgl. Uwe Jun/Oskar Niedermayer/Elmar Wiesendahl (Hg.): Zukunft der MitglieMitglie-derpartei, Opladen 2009.

Die Mitgliedszahlen der knapp 60 linken Parteien in Europa, die sich in der EL oder anderen europäischen Kooperationsformen zusammengeschlossen haben, zeigen gemessen an der Mitgliederzahl ein Aufeinandertreffen sehr unterschiedli-cher Parteien: In der linken europäischen Parteienfamilie gibt es acht Parteien mit über 30 000 Mitgliedern und stabiler parlamentarischer Präsenz (Grafik 1). Des Weiteren umfasst die europäische Linke eine Reihe mittelgroßer Parteien mit etwa 8 000 bis 17 000 Mitgliedern, die in Parlamenten oder sogar in Regierungen vertreten sind. Hierzu zählen unter anderem die nordischen Linksparteien, die griechische Partei Synaspismos(SYN) und die portugiesische Partei Bloco de Es-querda.Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl außerparlamentarischer Kleinpar-teien mit 5 000 oder weniger Mitgliedern, so z. B. die deutsche DKP oder die österreichische KPÖ. Die Europäische Linke(EL) zählt in ihren 26 Mitgliedspar-teien und 11 ParMitgliedspar-teien mit Beobachterstatus etwa 500 000 Mitglieder, von denen über 80 Prozent einer der sieben größten Mitgliedsparteien angehören.2

Beim direkten Vergleich der Mitgliedszahlen muss allerdings beachtet werden, dass absolute Zahlen das Bild verzerren können. Gemessen an der Bevölkerungs-größe ist zum Beispiel die isländische Partei Vinstri hreyfingineine eher mitglie-derstarke Partei; ihr gehören mit nur 5.833 Mitgliedern immerhin 1,8 Prozent der Bevölkerung Islands an. In der griechischen kommunistischen Partei KKE ist der Organisationsgrad weitaus geringer, denn ihre 30.000 Mitglieder machen unter 0,3 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Damit allerdings liegt die KKE immer noch über dem Schnitt der anderen Linksparteien in Europa. Eine regelrechte Volkspartei, die mit einem Wahlergebnis von 31,1 Prozent bei den letzten Parla-mentswahlen nach vielerlei Kriterien als Ausnahmeerscheinung gelten kann, ist die zypriotische Regierungspartei AKEL mit 15 000 Mitgliedern (5,8 Prozent der zypriotischen Bevölkerung).3

Grafik 1: Europäische Linksparteien mit mehr als 30 000 Mitgliedern4

2 Nach Angaben der Europäischen Linkspartei.

3 Vgl. Richard Dunphry/Tim Bale (Hg.): Red Flag still flying? Explaining AKEL – Cyprus's Communist Anomaly, Party Politics Bd. 13/3, 2007, S. 300.

4 Nach eigenen Berechnungen. Darüber hinaus zu erwähnen ist die italienische Neugründung Sinistra Ecologia Libertà (SEL), die nach eigenen Angaben knapp 42.000 Mitglieder hat. Sie ist bisher nicht im italienischen Parla-ment vertreten.

Die festgestellte Bandbreite der Mitgliederzahlen hat zum einen mit Faktoren außerhalb der Parteien zu tun. Für einen europäischen Vergleich ist es nicht uner-heblich, dass der allgemeine Anteil der Parteimitglieder in der Bevölkerung län-derspezifisch variiert.5In einigen Ländern erschweren Spezifika des Wahlsystems das Aufkommen eigenständiger Linksparteien, so beispielsweise in Großbritan-nien. In wieder anderen Ländern beherrschen ein besonders ausgeprägter Anti-kommunismus und rechtskonservative bis rechtsextreme Grundströmungen das gesellschaftliche Klima. Ein Mitgliederzuwachs der marginalisierten linken Par-teien ist dort nahezu unmöglich. Dies gilt für fast alle Länder Mittel- und Osteuro-pas mit ehemaligen kommunistischen Staatsparteien sowie für Österreich und die Türkei, wo Ende 2009 mit der DTP erneut eine linke Partei verboten wurde (vgl.

Schukovits, Sey).6Eine Ausnahme ist Tschechien, wo die kommunistische KSCˇM über mehr als 70 000 Mitglieder verfügt. Eine andere ist Moldawien mit der mit-gliederstarken PRCM (30 000 Mitglieder), die bis 2009 in der Regierung war.

Doch auch diese beiden Parteien stoßen auf massiven gesellschaftlichen Gegen-wind: In Tschechien kann die Mitgliedschaft in der KSCˇM massiv die berufliche Karriere beeinträchtigen (vgl. Holubec), und die PRCM musste 2010 gegen das staatliche Verbot ihrer Symbole Hammer und Sichel ankämpfen.

Zum anderen gehen die hohen Abweichungen der Mitgliederzahlen der eu-ropäischen Linksparteien auf unterschiedliche Parteigeschichten und Identitäten zurück. So verstanden sich beispielsweise die kommunistischen Parteien Frank-reichs, Italiens und Spaniens stets als Massenparteien mit hohen Mitgliederzahlen und starken Basisorganisationen. Von ihnen hat nur die französische kommunisti-sche Partei PCF ihre Mitgliederzahl auf einem hohen Niveau halten können. Sie hat derzeit nach eigenen Angaben 134 000 adhérents(AnhängerInnen),7die bei-tragszahlenden Mitglieder machen davon allerdings nur 66 000 aus.8Einen spür-baren Mitgliederverlust gab es in der Kommunistischen Partei Spaniens (PCE), deren Mitgliederzahl von 200 000 Mitgliedern im Jahre 1977 auf heute 20 000 zurückgegangen ist. Dieser Mitgliederrückgang wird aber zum Teil durch die Mit-gliederstärke des Parteienbündnisses Izquierda Unida, an dem die PCE seit den 1980er Jahren mitwirkt, ausgeglichen (vgl. Heilig).

Weitaus schneller ging der Mitgliederrückgang in der PRC, der Nachfolge-partei der Kommunistischen Partei Italiens (PCI), vonstatten: Die Mitgliederzahl der PRC sank von einem Hoch von 130 000 im Jahr 1997 auf nunmehr 38 000

5 Zum unterschiedlich hohen Organisationsgrad in den europäischen Parteien vgl. Thomas Poguntke: Parteiorgani-sation im Wandel. Gesellschaftliche Verankerung und organisatorische Anpassung im europäischen Vergleich, Wiesbaden 2000.

6 Auf die dem Beitrag zugrunde liegenden Länderstudien wird im laufenden Text verwiesen. Die Daten der Gra-phiken sind, soweit nicht anders angegeben, ebendiesen Quellen entnommen. Bei frei verfügbaren Internetquel-len erfolgt aus Gründen der Übersichtlichkeit keine ausführliche QuelInternetquel-lenangabe.

7 Angaben des Parteivorstands der PCF.

8 Vgl. Elisabeth Gauthier: Das politische Spektrum zwischen Dekomposition und Rekomposition. Zu den Regio-nalwahlen in Frankreich, in: RLS Standpunkte International 13/2010, S. 4.

Mitglieder. Damit einher gingen dramatische Wahlniederlagen auf nationaler und europäischer Ebene, die auch eine schwache Bindung der StammwählerInnen und eine sehr geringe Mobilisierungsquote der noch verbliebenen Mitglieder offen-barten: Kamen 1992 im Durchschnitt 5,4 WählerInnen auf ein Parteimitglied, so waren es bei den Wahlen 2006 gerade noch 4,2 (vgl. Hagemann).

Drei Gründe waren ausschlaggebend dafür, dass die PRC schon vor ihrer Spal-tung 2009 einen solch erheblichen Verlust an Mitgliedern und WählerInnen hin-nehmen musste: Erstensfehlte es an einer gemeinsamen Identität der Mitglieder einer Partei, die seit ihrer Gründung 1991 immer ein »Sammelbecken verschiede-ner ›Seelen‹« (Hagemann) gewesen ist. Den selbstbewusst agierenden Strömun-gen stehen nur wenige verbindende Elemente geStrömun-genüber; die PRC verfügt auch über kein gemeinsames Parteiprogramm. Zweitensist es der PRC nicht gelungen, ihrem Anspruch als Basispartei mit starker lokaler Verankerung gerecht zu wer-den. Das erhoffte dichte Netz lokaler Parteiorganisationen hat die PRC nicht ver-wirklichen können, so dass sie auch nicht wirksam als »Kümmererpartei« für sich werben konnte. Drittenshat die PRC den Anspruch, dass sich ihre Parteimitglie-der deutlich zu ihr bekennen, indem sie ihre Mitgliedschaft einmal jährlich erneu-ern. Dies hat die Mitgliedszahlen durch den »Austritt« passiver oder zeitweilig unzufriedener Parteimitglieder noch weiter sinken lassen.

Eine völlig andere Entwicklung hat die Socialistische Partij(SP) der Nieder-lande genommen. Diese war in der ersten Zeit ihres Bestehens eine Kaderpartei, die Mitglieder erst nach einer Probezeit zuließ. Auch heute gibt es noch einen en-gen Zusammenhalt und strenge Verpflichtunen-gen der Mitglieder geen-genüber der Partei. MandatsträgerInnen müssen beispielsweise ihre volle Aufwandsentschädi-gung an die SP abführen und erhalten ein Gehalt in Höhe des niederländischen Durchschnittsgehalts. In anderen Bereichen hat sich die SP von ihrer avantgardi-stischen Tradition gelöst. Sie agiert heute erfolgreich auf kommunalpolitischer Ebene und zeichnet sich durch hohe Sichtbarkeit, professionelle Kampagnen und offensive Mitgliederwerbung aus (vgl. Wirries). Alle diese Veränderungen und Maßnahmen haben den Mitgliederbestand der SP von 27 000 im Jahr 2000 auf 50 000 Mitglieder im Jahr 2009 wachsen lassen. 2010 erfolgte ein Einbruch der Mitgliedszahlen, so dass die SP heute nur noch 47 000 Mitglieder hat. Damit zählt sie aber immer noch zu den mitgliederstärksten Parteien der europäischen Linken.

Bemerkenswert ist des Weiteren die Mitgliederentwicklung der Partei Die Linkein Deutschland: Wie im Fall anderer ehemaliger sozialistischer Staatspar-teien war die Zahl der PDS-Mitglieder nach dem Ende der Sowjetunion stetig ge-sunken; Überalterung und Austritte ließen die Partei von 281 000 im Jahr 1990 auf 65 000 Mitglieder im Jahr 2005 schrumpfen.9Nach der Vereinigung zwischen PDS und der kleineren WASG, die nach eigenen Angaben 10 000 Mitglieder hatte, gelang es jedoch, diese Entwicklung umzukehren. Innerhalb von drei

Jah-9 Vgl. Bundeszentrale für politische Bildung: Mitgliederentwicklung der Parteien, Online 200Jah-9.

ren stieg die Zahl der Parteimitglieder der neuen Partei Die Linkeauf über 78 000 im Jahr 2009 an. Dabei besteht weiterhin eine große Diskrepanz zwischen Ost- und Westdeutschland: Obwohl der Mitgliederzuwachs vor allem auf Eintritte in westli-che Landesverbände zurückzuführen ist, stammen nur 37 Prozent der Mitglieder aus Westdeutschland (vgl. Hildebrandt). In manchen westlichen Landesverbänden kann die Mitgliederentwicklung deshalb kaum mit den Wahlerfolgen der letzten Jahre Schritt halten. Die Linkein Ostdeutschland ist eine Volkspartei mit hoher Prä-senz in Landes- und Kommunalparlamenten; in den westdeutschen Bundesländern hingegen ist sie eine Partei im Aufbau. Ihr politisches Personal muss zum Teil noch rekrutiert und für die kommunalpolitische Arbeit geschult werden.10

Die Sozialstruktur linker Parteien

Parteien genießen nicht in allen politischen Systemen Europas einen so hohen verfassungsrechtlichen Status wie in Deutschland. Dennoch haben Parteimitglie-der auch in anParteimitglie-deren europäischen LänParteimitglie-dern einen exklusiven Zugang zur politi-schen Willensbildung; sie können ihre Interessen artikulieren und die eigenen Ziele und Überzeugungen in praktische Politik umwandeln. Es ist deshalb nicht unerheblich zu wissen, welche Gesellschaftsmilieus diesen Zugang in besonde-rem Maße nutzen und für welche Parteien sie sich dabei entscheiden.

Die Cleavage-Theorie unterstellt, dass die Zugehörigkeit zu Schichten, Berufs-und Gesellschaftsgruppen ein signifikantes Merkmal dafür ist, dass BürgerInnen einer bestimmten Partei beitreten – Parteimitglieder haben also ein ihnen eigenes Sozialprofil, das sie von den Mitgliedern anderer Parteien unterscheidet. Der et-was neuere Ressourcenansatz stellt dies insofern infrage, als er Parallelen zwi-schen den Mitgliedern verschiedener Parteien aufzeigt. Demnach hebt sich die ressourcenstarke Gruppe der Parteimitglieder allgemein von der Durchschnittsbe-völkerung ab, und Unterschiede zwischen den Sozialprofilen der Parteien fallen nicht so sehr ins Gewicht.11

Eine 1998 durchgeführte Erhebung zur Schichtzugehörigkeit deutscher Partei-mitglieder legt nahe, dass in einem Beitrag über linke ParteiPartei-mitglieder eigentlich beides mit bedacht werden müsste, die Unterschiede zwischen Parteimitgliedern und Bevölkerung unddas, was linke Parteimitglieder von denen anderer Parteien unterscheidet.12Dies aber würde eine großangelegte europäische Parteienstudie

10 Hierzu dienen z. B. die Kommunalpolitischen Foren, vgl. Andreas Müller: Einstieg in die Kommunalpolitik, Broschüre: Kommunalpolitisches Forum NRW, Duisburg 2009.

11 Vgl. Roberto Heinrich/Malte Lübker/Heiko Biehl: Parteimitglieder im Vergleich. Partizipation und Repräsenta-tion, Potsdam 2002, S. 9.

12 Vgl. ebenda, S. 10. Die Parteimitglieder unterschieden sich dahingehend von der Bevölkerung, dass der Anteil der drei oberen Schichten (mittlere und obere Mittelschicht sowie Oberschicht) unter Parteimitgliedern mit 80 Prozent deutlich höher war als unter der Gesamtbevölkerung (62 Prozent). Die PDS lag mit 39 Prozent gleichzei-tig unter dem Durchschnitt der Bevölkerung und dem der Parteien.

erfordern, die bisher nicht vorliegt. Stattdessen sollen in diesem Beitrag in erster Linie die Mitglieder der linken europäischen Parteienfamilie untereinander vergli-chen werden.

Im Vergleich der Parteien muss zudem zwischen persönlichen Merkmalen wie dem Geschlecht der Mitglieder und veränderbaren Eigenschaften wie Erwerbssta-tus oder Bildungsweg unterschieden werden. So ist es unter Gesichtspunkten der Diversität grundsätzlich wünschenswert, dass Parteien Geschlechter, Altersgrup-pen und Minderheiten gemäß ihren Anteilen in der Bevölkerung repräsentieren.13 Es stellt sich demnach die Frage, inwieweit die Mitgliedschaft der Linksparteien der gesellschaftlichen Realität entspricht und wie mögliche Disproportionen ver-ändert werden können. Die Linksparteien haben gleichzeitig den expliziten An-spruch, vor allem die sozial Schwachen oder Benachteiligten im Kapitalismus zu vertreten. In Bezug auf Erwerbsstatus und Bildungsweg soll deshalb diskutiert werden, ob die Zusammensetzung der Linksparteien einem derartigen Selbstbild – sei es als »Arbeiterpartei« oder als »Partei der kleinen Leute« – entspricht. An-hand der aktiven Mitgliedschaft (z. B. Delegierte und KandidatInnen) soll zudem der Anspruch, dass benachteiligte Gruppen ihre Interessen selbst durchsetzen, überprüft werden.

Weibliche Mitglieder

Untersucht man die Zusammensetzung der Mitglieder der europäischen Linkspar-teien, fällt zunächst der gemessen an der Bevölkerung geringe Frauenanteil in fast allen Parteien auf. Der Frauenanteil korreliert leicht mit dem regionalen Stand der Gleichberechtigung in Europa (Grafik 2). In Nordeuropa liegt der Anteil von Frauen in linken Parteien über dem Schnitt der hier verglichenen Parteien (40 Pro-zent); in Südeuropa, wo Frauen traditionell eher geringer am politischen Leben beteiligt sind, weit darunter.14

Grafik 2:Frauenanteil ausgewählter Linksparteien in Europa15

In den meisten west- und südeuropäischen Parteien, die den Anteil dokumen-tieren, sind zwischen 30 Prozent und 40 Prozent der Mitglieder Frauen. Spitzen-reiter ist die KPÖ mit 42 Prozent; die italienische PRC hingegen kommt auf einen Frauenanteil von gerade einmal 29 Prozent (vgl. Schukovits, Hagemann). Ein völlig anderes Bild bieten die skandinavischen Linksparteien (vgl. Seierstad, Jo-hansen): Frauen machen in Norwegen und Dänemark jeweils über die Hälfte der Mitglieder aus (SV: 57 Prozent, SF: 52 Prozent). Von den skandinavischen Links-parteien hat nur die finnische VAS einen Frauenanteil von weniger als 40 Prozent.

Einen Frauenanteil über dem europäischen Schnitt der Linksparteien haben auch die ehemaligen sozialistischen Staatsparteien in Mittel- und Osteuropa. Die tschechische KSCˇM hat 44 Prozent weibliche Mitglieder, und auch der Frauen-anteil unter den Mitgliedern in den östlichen Landesverbänden der Linkenist mit 44 Prozent weitaus höher als in Westdeutschland mit 24 Prozent (vgl. Holubec, Hildebrandt). Dass auch der Anteil von Frauen unter den Neumitgliedern bei nur 24 Prozent liegt, lässt einen weiteren Rückgang des derzeitigen Frauenanteils der Linkenerwarten (vgl. Hildebrandt).

In anderen linken Parteien sind gar keine genauen Zahlen zu weiblichen Mitglie-dern verfügbar. Dies lässt vermuten, dass dem Frauenanteil kein hoher Stellenwert zugewiesen wird und dass Frauen – wie Schätzungen von 20 Prozent bei der zyprio-tischen AKEL und 25 Prozent bei der griechischen SYN nahelegen – in diesen Par-teien nur marginal vertreten sind. Doch auch die Repräsentanz von Frauen in den Parteigremien und im Parlament gibt Aufschluss darüber, wie attraktiv eine Partei für Frauen ist: Im Zentralkomitee der griechischen KKE waren 2005 nur 14 der 77 Mitglieder Frauen, in der Parlamentsfraktion sind 17,5 Prozent der Abgeordneten weiblich. In der AKEL sind 15 der 115 ZK-Mitglieder Frauen (vgl. Marioulas).

Der allgemein niedrige Frauenanteil unter den Mitgliedern fast aller politi-schen Parteien wird in der Regel mit traditionell männlich geprägten hierarchi-schen Strukturen und Diskussionskulturen in Großorganisationen wie Parteien er-klärt. Untersuchungen offenbaren zudem eine geringere Bereitschaft von Frauen, für politische Ämter zu kandidieren.16Linke Parteien könnten die Partizipation von Frauen steigern, indem sie ihre Strukturen verändern und die vorherrschende Diskussionskultur hinterfragen. Erprobte Wege der Einflussnahme umfassen zum Beispiel die Unterstützung autonomer Frauenstrukturen wie eigenen Arbeitsgrup-pen, Foren und Plenen, Kampagnen gegen Sexismus im Parteialltag und die Ver-wendung geschlechtergerechterer Sprache.

13 Für eine umfassende Darstellung dieser Anteile in der europäischen Bevölkerung vgl. Steffen Mau/Roland Ver-wiebe: Die Sozialstruktur Europas, Konstanz 2009.

14 Ausführlich zum Stand der Gleichberechtigung in den europäischen Ländern vgl. Europäisches Parlament: Gen-der Equality in the EU in 2009. Special Eurobarometer 326, Brüssel 2010.

15 Nach eigenen Berechnungen.

16 Vgl. Ulrike Heß-Meining: Politische Partizipation und bürgerschaftliches Engagement, in: Waltraud Cornelißen (Hg.): Gender-Datenreport. 1. Datenreport zur Gleichstellung von Frauen und Männern in der Bundesrepublik Deutschland, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2005, S. 404.

Steuerbar ist insbesondere die Berücksichtigung von Frauen bei der Auswahl politischen Personals: In der KSCˇM ist der Frauenanteil unter den Abgeordneten im Jahr 2010 von 26 auf 42 Prozent angestiegen – die KSCˇM-Fraktion ist damit inzwischen die Fraktion mit dem höchsten Frauenanteil im tschechischen Parla-ment (vgl. Holubec). Viele andere Parteien versuchen gezielt, ihrer Repräsentati-onsfunktion gerecht zu werden und Frauen für die Parteiarbeit zu interessieren, indem sie bei parteiinternen Wahlen, bei Listenaufstellungen und bei Redezeiten Quoten anwenden (vgl. Johansen, Hildebrandt, Schukovits). Die Frauenquote schwankt dabei zwischen einem Drittel in SYN und 50 Prozent in der Linken.17

In Bezug auf die Frage, warum gerade die Linksparteien weniger Mitglieder anziehen als beispielsweise die grünen Parteien, wird in der Regel auf die The-menschwerpunkte der Parteien verwiesen. In der Tat zeigen zum Beispiel Unter-suchungen wahlentscheidender Aspekte, dass es unter Männern ein signifikant höheres Interesse für das linke Kernthema Wirtschaftspolitik gibt.18Die Themen soziale Gerechtigkeit und Arbeitsmarkt, die in linken Parteien mindestens ebenso präsent sind, werden allerdings von beiden Geschlechtern als gleich wichtig wahrgenommen.

So lässt sich denn auch das hohe politische Engagement von Frauen in den skandinavischen Parteien zum Teil, aber nicht ausschließlich, auf die inhaltliche Gewichtung von Themen zurückführen. Die linksgrünen Parteien beschäftigen sich stark mit der Gestaltung des öffentlichen Dienstes und mit dem Erhalt sozia-ler Infrastrukturen wie Gesundheit und Pflege. Sie unterstützen also Sektoren, in denen traditionell viele Frauen beschäftigt sind. Gleichzeitig gehören Bildungs-politik als auch ökologische Fragen seit langem zum Themenspektrum dieser Par-teien.

Eine Rolle scheint darüber hinaus die Art und Weise zu spielen, wie alltag-stauglich linke Parteien ihre Themen bearbeiten und präsentieren. Darauf weisen Erfahrungen aus den Niederlanden und aus den östlichen Landesverbänden der Partei Die Linkehin. Dort geht eine Politik, die Schwerpunkte auf der lokalen Ebene setzt und stark auf den konkreten Alltag der Menschen Bezug nimmt, mit einem hohen Anteil von Frauen unter den Parteimitgliedern einher. Begünstigt wird ein hoher Anteil von Frauen zudem durch starke feministische Strömungen in den Parteien. Diese sind außerhalb Skandinaviens zum Beispiel in der KP Österreichs zu finden, die als einzige europäische Linkspartei über ein Frauenpro-gramm und eine eigene Frauenvorsitzende verfügt (vgl. Schukovits).

17 In Bezug auf Die Linke ist allerdings zu beachten, dass die Quote in Kreisverbänden mit weniger als 25 Prozent Frauen ausgesetzt werden kann. Der Anspruch, Frauen gemäß ihrem Anteil in der Bevölkerung zu vertreten, wird

17 In Bezug auf Die Linke ist allerdings zu beachten, dass die Quote in Kreisverbänden mit weniger als 25 Prozent Frauen ausgesetzt werden kann. Der Anspruch, Frauen gemäß ihrem Anteil in der Bevölkerung zu vertreten, wird