• Keine Ergebnisse gefunden

Aktuelle Themen und Debatten der europäischen Linksparteien

Einleitung

Aktuelle politische Inhalte stehen selten im Zentrum vergleichender Parteienfor-schung; deren Fokus bleibt zumeist auf Parteiensysteme, Typen und Funktionen von Parteien, Mitglieder, Entscheidungsstrukturen und Programmatik beschränkt.

Dennoch sollen sie in diesem Buch behandelt werden; denn zum einen ist die Frage, ob die linken Parteien adäquate Antworten auf gegenwärtige Herausforde-rungen haben, zentral für Aussagen über ihre Zukunftsfähigkeit; zum anderen gibt es abgesehen von vereinzelten nationalstaatlichen Untersuchungen und Analysen zur Partei der Europäischen Linken(EL) kaum aktuelle Literatur über Zustand und Ziele der linken Parteien in Europa. Dieser Beitrag soll einen Überblick über Themenschwerpunkte und Lücken in der Themenwahl geben; es sollen ähnliche und gemeinsame Kämpfe der Parteien sowie Kontroversen in und zwischen ihnen dargestellt werden. Gezeigt werden soll dabei auch die Heterogenität der national-staatlichen Problemlagen, die es den Parteien erschwert, gesamteuropäische For-derungen zu entwickeln.

Bei der Gründung der Europäischen Linken (EL) im Jahr 2004 verständigten sich die in ihr vertretenen Mitgliedsparteien darauf, gemeinsam »Frieden, Demo-kratie, soziale Gerechtigkeit, Freiheit, Gleichstellung der Geschlechter und Ach-tung vor der Natur«1einzufordern. Diese Ziele sehen sie durch die folgenden Ent-wicklungen bedroht: »In Europa, in allen unseren Ländern leiden die Menschen heute unter der Politik des globalisierten Kapitalismus, den die Regierungen im Interesse des Großkapitals und seiner Lobbys durchsetzen. […] Wir erleben einen Generalangriff auf die Rentensysteme, den Abbau und die Privatisierung der So-zialversicherung, die Einführung der Marktgesetze für solch wesentliche öffentli-che Dienstleistungen und Bereiöffentli-che wie Gesundheit, Bildung, Kultur, für Gemein-schaftsgüter wie Wasser und andere Naturressourcen, die Deregulierung des Arbeitsmarktes, vor allem die Ausbreitung ungeschützter Arbeitsverhältnisse. Ge-gen Gewerkschaften wird zunehmend härter vorgeganGe-gen, Immigranten werden kriminalisiert. […] Im Europa von heute nehmen Arbeitslosigkeit, ungeschützte Arbeitsverhältnisse, Militarisierung nach außen – wie im Balkan-,

Afghanistan-1 Programm der Partei der Europäischen Linken (EL), verabschiedet auf dem Gründungskongress in Rom am 8. und 9. Mai 2004, S. 1.

und Irak-Krieg demonstriert – und nach innen durch repressive, Freiheit raubende Gesetze gegen jene, die sich der neoliberalen Politik entgegenstellen, immer mehr zu.«2

Diese Wahrnehmung der gegenwärtigen Situation als »Generalangriff« auf So-zialstaat, Frieden, geschützte Arbeitsverhältnisse und das Prinzip der öffentlichen Daseinsfürsorge wird weitgehend von den Mitgliedsparteien der Europäischen Alternativen Linken(EAL) und dem Forum der Neuen Europäischen Linken (NELF) geteilt. Die hieraus entstandenen Ziele und Themenschwerpunkte können als kleinster gemeinsamer Nenner linker Parteien in Europa gelten.3Ein weiteres Thema, das bei der Gründung der Europäischen Linkennoch keine Rolle spielte, heute jedoch die Diskussionen aller linken Parteien Europas prägt, ist die Krise des Finanzmarktkapitalismus. Während die europäischen Regierungen nach ei-nem kurzen Schock zügig zum business as usualzurückgekehrt sind und nun vor allem darüber nachdenken, welche öffentlichen Ausgaben als Erstes den Spar-maßnahmen zum Opfer fallen sollen, hat in den linken Parteien eine dynamische Diskussion zu alternativen Finanz- und Wirtschaftsmodellen und zur Notwendig-keit gesellschaftlicher Umverteilung begonnen.

Als Kernthemen, die mit erstaunlich hoher Kohärenz in allen linken Parteien diskutiert werden, lassen sich 1. Krise des Finanzmarktkapitalismus, 2. Wohlfahrts-staat und öffentliche Dienste, 3. Arbeitslosigkeit und prekäre Beschäftigungsver-hältnisse und 4. Frieden und kollektive Sicherheit identifizieren. Die Themen Umwelt und Geschlechtergerechtigkeit stehen in ihrer praktischen Relevanz deut-lich dahinter zurück, obwohl fast alle nationalen und europäischen Parteipro-gramme ihnen theoretisch einen hohen Stellenwert einräumen. Lediglich für die linksgrünen Parteien Skandinaviens ist der Erhalt der Umwelt ein zentraler Be-zugspunkt in ihren wirtschafts- und sozialpolitischen Forderungen (vgl. Johansen, Kontula/Kuhanen, Erlingsdóttir)4. Umwelt- und energiepolitische Forderungen bilden zudem den Kern grüner Parteien wie der französischen Europe écologie, die mit ihrer Linksorientierung als ein Teil der stark fragmentierten französischen Linken angesehen werden kann (vgl. Sahuc). Auch Geschlechtergerechtigkeit, ob in der Gesellschaft oder in den eigenen Parteistrukturen, ist außer in den

feminis-2 Ebenda, S. 3.

3 So charakterisiert François Vercammen, Mitglied des Exekutivbüros der IV. Internationalen, die Ziele der EAL wie folgt: »[…] antikapitalistisch und ökologisch, antiimperialistisch und kriegsgegnerisch, feministisch und für die Bürgerrechte kämpfend, antirassistisch und internationalistisch. […] Für alle: stabile Vollbeschäftigung, an-gemessene Entlohnung, Renten, die den Lebensunterhalt sichern, Recht auf Wohnung, professionelle Schul- und -berufsbildung und qualitativ hochstehende Gesundheitsversorgung.« François Vercammen, zitiert nach Martin Schirdewan: Links – kreuz und quer. Die Beziehungen innerhalb der europäischen Linken, Berlin 2009, S. 33.

Der inhaltliche Katalog des NELF umfasst unter anderem die folgenden Themen: Arbeitslosigkeit, aktiver Um-weltschutz und Erhalt der natürlichen Ressourcen, Demokratisierung der Gesellschaft, Bürgerrechte, Gleichstel-lung der Geschlechter, Verhinderung von Krieg, eine neue demokratische internationale Ordnung und eine hu-mane Immigrations- und Flüchtlingspolitik. Vgl. ebenda, S. 29 f..

4 Die Darstellung der Forderungen der Parteien basiert weitgehend auf den diesem Buch zugrunde liegenden Län-derstudien; auf deren Quelle wird jeweils in Klammern im Text verwiesen.

tisch geprägten skandinavischen Parteien und in der Europäischen Linken(EL) nur in wenigen Ländern ein wichtiges Thema der Linken, so z. B. in Rumänien und in Österreich (vgl. Erlingsdóttir, de Nève/Olteanu, Schukovits).5

Kaum diskutieren die linken Parteien die Integration von Minderheiten. Zwar sehen sich viele linke Parteien in der Tradition des Antifaschismus und bekennen sich zu einer pluralistischen und integrativen Gesellschaft (vgl. Schukovits, Stei-ner). Manche der Parteien agieren jedoch auch offen gegen MigrantInnen und Roma (vgl. Johansen, Holubec), oder die Parteimitglieder halten ihre Integration für unwichtig (vgl. Wirries, Müller). Ähnliches gilt für die Situation sexueller Minderheiten. Während sich beispielsweise der portugiesische Bloco de Esquerda und die spanische Izquierda Unidaüber Jahre hinweg für Gesetze zur gleich-geschlechtlichen Ehe eingesetzt haben, ist LGBT in den linken Parteien Mittel-und Osteuropas regelrecht tabuisiert (vgl. de Nève/Olteanu). Der Protest gegen regelmäßige Angriffe auf Gay Pridesbleibt vielerorts kleinen zivilgesellschaft-lichen Gruppen vorbehalten (vgl. Tomic/Kanzleiter), und vereinzelt kommt es sogar zu homophoben Äußerungen linker PolitikerInnen (vgl. Holubec).

Weitere Themen, die selten Eingang in konkrete politische Forderungen fin-den, sind die Herausforderungen des Internetzeitalters und das oft in Parteipro-grammen unter dem Stichwort Demokratie benannte Thema Bürgerrechte (vgl.

Kachel).

Grafik 1:Wahlentscheidende Themen bei den Europawahlen 20096

5 Anlass zu dieser Einschätzung gibt über die Länderstudien hinaus die Themenwahl in Publikationen und Veran-staltungen der linken Parteien. Ein ähnlich geringen Stellenwert haben die Themen Geschlechtergerechtigkeit und Umwelt für die sozialen Bewegungen: Auf dem Europäischen Sozialforum 2010 setzte sich nur ein Bruchteil der angebotenen Seminare mit ihnen auseinander. Ausführlich zur Relevanz von Geschlechtergerechtigkeit für linke Bewegungen vgl. Susanne Empacher: Socialism and Feminism, in: Inger V. Johansen/Barbara Steiner (Hg.): International Women’s Day – 100 years of struggle. Speeches of the International Women’s Conference in Copenhagen, March 6 – 7, 2010, transform! european journal for alternative thinking and political dialogue, Son-derheft 5/2010, S. 13 ff..

6 Quelle: Benjamin Hoff: Die Europawahl 2009 und DIE LINKE. Auswertung der Daten des WAHLREPORTS von Infratest-dimap, in: http://www.benjamin-hoff.de/article/3406.die-europawahl-2009-und-die-linke.html; ab-gerufen am 10.6.2010. Dass die Mitglieder (nicht unbedingt die Funktionäre) linker Parteien den Stellenwert der genannten Themen ähnlich beurteilen, zeigt eine Neumitgliederbefragung der Linken (vgl. Hildebrandt).

Betrachtet man Grafik 1 zu den wahlentscheidenden Themen deutscher Wähle-rInnen bei den Europawahlen 2009, so entspricht die obengenannte Themenset-zung der linken Parteien weitgehend dem Stellenwert, den auch die deutschen WählerInnen diesen Themen zuweisen. Als zentral angesehen werden Wirtschaft, (soziale) Gerechtigkeit und Arbeitsmarkt; die Finanz- und Wirtschaftskrise steht als aktuelles Thema immerhin an vierter Stelle. Die Themen Integration und in-nere Sicherheit haben seit 2004 in ihrer Bedeutung abgenommen und spielen nur eine marginale Rolle. Doch auch die Außen- und Sicherheitspolitik – Stichwort Frieden – hat einen deutlich geringeren Stellenwert für die WählerInnen als für die Partei Die Linke.Sie rangiert in ihrer Bedeutung sogar noch hinter dem Thema Umwelt.

Die Krise des Finanzmarktkapitalismus

Das Thema Krise beherrscht die Debatten in den linken Parteien erst seit Mitte des Jahres 2008, als es auch von anderen Parteien und den Medien aufgegriffen wurde. Diskutiert wird die Krise allerdings anders als im politischen Mainstream nicht als Wirtschafts- und Finanzkrise, sondern als Krise des kapitalistischen Sys-tems (vgl. beispielsweise Johansen, Wagener). Eine besondere Argumentationsli-nie geht dahin, in der Verschränkung einer gleichzeitig auftretenden Klima-, Nah-rungsmittel- und Energiekrise eine Krise der menschlichen Zivilisation zu sehen.7 Bemerkenswert in der Debatte ist der vielfach verwendete Begriff Finanzmarkt-kapitalismus, der die Verselbstständigung der Finanzmärkte und die Einbeziehung der Realwirtschaft in spekulative Finanzgeschäfte beschreibt.8Ist auch der Kapi-talismus in Gänze durch diese Krise nicht ernsthaft bedroht, so soll zumindest ein Finanz-System überwunden werden, in dem die Wirtschaft und Gesellschaft völ-lig machtlos den Interessen von Großbanken und dem Urteil privater Rating-Agenturen gegenüberstehen. Das Fernziel, den Kapitalismus selbst zu überwin-den und eine sozialistische Gesellschaft zu schaffen, bleibt überwin-dennoch bestehen.

Die Krise hat in der Linken Hoffnungen auf eine mögliche Transformation des Kapitalismus geweckt.9Diskutiert werden Ideen zu einem ökosozialen Umbau der postfordistischen Industriegesellschaft, zu einer Vergesellschaftung des Finanz-sektors und zu Modellen der Wirtschaftsdemokratie.10Die Hoffnung, nicht nur die

7 Vgl. François Houtart: Die Mehrdimensionalität der Krise und mögliche Alternativen, Rosalux-Europa April 2009, S. 1.

8 Vgl. Effi Böhlke u. a.: Die Krise des Finanzmarkt-Kapitalismus – Herausforderung für die Linke, in: kontrovers 1/2009, S. 2.

9 Vgl. Transform! Europe: Meaning, Subjects and Spaces of Transformation, International workshop by transform!

Europe in Florence 29-30 May 2010, Ergebnisse in: http://www.transform-network.net/en/home/display- home/article//Strategic-Perspectives-of-the-European-Radical-Left-2-Meaning-Subjects-and-Spaces-of-Transf.html; abgerufen am 10.6.2010; Dieter Klein: Eine zweite große Transformation und die Linke, Rosalux-Europa Februar 2010.

10 Vgl. Böhlke u. a.: Die Krise des Finanzmarkt-Kapitalismus, S. 2.

Wirtschafts- und Finanzwelt zu verändern, sondern auch erste Schritte in Rich-tung einer solidarischeren und nachhaltigeren Lebensweise zu machen, verdich-ten sich in Fragestellungen wie »Wie wollen wir leben?« und dem aus Lateiname-rika stammenden Konzept des Bien Vivir.Diese Debatten zur Transformation finden allerdings weitgehend in transnationalen intellektuellen Zirkeln statt. Sie haben nur in begrenztem Maß Einzug in die Diskussionen linker Parteiengremien gehalten, so beispielshalber in die der Linkenund des Bloco de Esquerdain Portu-gal (vgl. Hildebrandt, Soeiro).

Neben der Frage, inwieweit die mannigfaltigen Krisenerscheinungen als Vor-zeichen eines möglichen Systemwandels interpretiert werden können, stehen stra-tegische Fragen im Mittelpunkt der Debatten parteinaher Think Tanks. Dabei lässt sich feststellen, dass die linken Parteien paradoxerweise bisher nicht von der Krise profitieren können: Obwohl sie über Jahre hinweg vor den drohenden Fol-gen einer Deregulierung der Finanzmärkte gewarnt haben, werden die Forderun-gen der Linken nun zwar vereinzelt umgesetzt – man denke an die Teil-Verstaatli-chungen der britischen Banken Northern Rockund Bradford & Bingley2008 oder das derzeit diskutierte Verbot ungedeckter Leerverkäufe –, die Forderungen wer-den aber nicht mehr als Forderungen der radikalen Linken erkannt. Den linken Parteien wird keine Kompetenz zur Überwindung der Krise zugesprochen und deutliche Stimmenzuwächse bleiben bisher aus.11Im Gegenteil: Wie die Europa-wahlen 2009 und die Wahlen in Ungarn und den Niederlanden im Frühjahr 2010 gezeigt haben, scheint die Krise in erster Linie populistische und radikal rechte Parteien zu stärken.

Hinzu kommt, dass die Krise trotz der gegenseitigen Abhängigkeit im Euro-Raum bisher nicht als Problem aller europäischen Staaten wahrgenommen wird, denn sie hat in den verschiedenen europäischen Ökonomien höchst unterschiedli-che Auswirkungen, die durch die derzeitige Politik der nationalen Regierungen sogar noch verschärft werden.12Während die Bevölkerungen Griechenlands und Spaniens massiv unter den Folgen der Krise leiden, haben kurzfristige Maßnah-men wie Kurzarbeitergeld, Konjunkturprogramme und Steuergeschenke in vielen EU-Ländern dazu geführt, dass die BürgerInnen das Ausmaß der Krise bisher nicht erkennen. Breite Proteste gegen das nationale und europäische Krisenmana-gement, bei denen die linken Parteien ansetzen könnten, bleiben deshalb bisher aus.

Die Vorschläge der linken Parteien zur Überwindung der Krise werden in erster Linie innerhalbdes kapitalistischen Systems gedacht. In den gegenwärtig disku-tierten Vorschlägen offenbart sich ein bekanntes Dilemma: Die Notwendigkeit, konkrete und zeitnah umsetzbare Konzepte zum Vorteil breiter

Bevölkerungs-11 Vgl. Barbara Steiner: Electoral Performance of the Left: A Survey, in: transform! european journal for alternative thinking and political dialogue 6/2010, S. 174 f.

12 Vgl. Elisabeth Gauthier: Crisis, Europe, Alternatives and Strategic Challenges of the Left, ebenda, S. 116 f.

schichten zu entwickeln, zwingt linke Parteien dazu, ein System zu stützen, das sie eigentlich überwinden wollen. Das derzeit von fast allen Parteien formulierte Ziel ist das einer »stärkeren Regulierung des Finanzsektors«. Es wird ausdifferen-ziert in Forderungen nach öffentlichen Rating-Agenturen und einer Stärkung des Regimes der Europäischen Zentralbank, die von demokratisch gewählten Vertre-terInnen kontrolliert werden soll. Banken soll darüber hinaus verboten werden, sich an Hedge-Fondsund Private-Equity-Fondszu beteiligen.13Die Forderung nach einer Steuer auf internationale Finanztransaktionen (Tobin-Steuer) ist einer der Vorschläge, die auch von der schwarz-gelben Bundesregierung und der EU-Kommission aufgegriffen wurden. Einige Parteien werben für die Verstaatlichung von Banken, so die Enhedslistenin Dänemark und die italienische PRC (vgl. Jo-hansen, Hagemann). Die Wahlplattform der Europäischen Linken aus dem Jahr 2009 fordert, dass »Gemeinschaftsgüter und strategische Wirtschaftsbereiche […]

zu vergesellschaften (nationalisieren)«14sind.

Der Krise der Realwirtschaft wollen die linken Kräfte mit einer Umverteilung des Wohlstands von oben nach unten begegnen, durch die die Massennachfrage gesteigert werden soll. Im Mittelpunkt der Konzepte der linken Parteien stehen nachhaltige staatliche Investitionen z. B. in Bildung und ökologische Modernisie-rung sowie Steuerentlastungen und Lohnerhöhungen für GeringverdienerInnen.

Ein auf Planung und Volkseigentum basierendes Wirtschaftsmodell ist hingegen, sieht man von Ausnahmen wie der griechischen KKE und der DKP ab, für das Gros der Parteien keine gewünschte Alternative.

Es gibt auch Differenzen zwischen den Parteien sowohl auf europäischer als auch auf nationalstaatlicher Ebene. Es gibt bisher kein gemeinsames Programm der EL zum Umgang mit der Krise, und beispielsweise in Dänemark wurden Kri-senpakete für die Banken von der SF unterstützt und von der Enhedslisten abge-lehnt. Die meisten nationalen Besonderheiten der Parteien in der Auseinanderset-zung mit der Krise sind aber weniger ideologischen Differenzen geschuldet als vielmehr den unterschiedlichen landesspezifischen Krisensituationen. In Grie-chenland kämpfen die Parteien Synaspismosund KKE gegen die Abgabe griechi-scher Autonomie an den IWF und die Europäische Kommission und gegen die heftigen sozialen Einschnitte infolge der Sparmaßnahmen. Synaspismosfordert, dass Griechenland ausschließlich Kredite von der EZB beziehen soll und dass ein Pakt für sozialen Schutz, Sicherung menschenwürdiger Beschäftigung und nach-haltige Entwicklung an die Stelle des Stabilitätspakts treten soll (vgl. Marioulas).

Die Partei Vinstri hreyfinginin Island hat als Regierungspartei selbst die Chance,

13 Vgl. Julia Kuckelhorn (Red.): Wie würde die europäische Linke auf die Krise reagieren? Gabi Zimmer von den europäischen Linken spricht über die Finanzkrise, in: Deutsche Welle Fokus Europa, Sendung vom 2. Juni 2010.

14 Europäische Linke: Gemeinsam für den Wechsel in Europa! Das Europa des 21. Jahrhunderts braucht Frieden, Demokratie, soziale Gerechtigkeit und Solidarität! Plattform der Partei der Europäischen Linken für die Wahlen zum Europäischen Parlament 2009, S. 4. Zur innerdeutschen Debatte vgl. Velten Schäfer: »Alle privaten Banken sind pleite«. Die polit-ökonomische Intelligenz der Linkspartei traf sich zum Krisen-Gipfel in Berlin, in: Neues Deutschland vom 28. Juni 2010, S. 2.

den Protest gegen die Präsenz des IWF in die isländische Außenpolitik hineinzu-tragen und nationale Gesetze zum Umgang mit der Krise zu verabschieden. Zu den ersten Maßnahmen der isländischen Regierung gehörten die Reorganisation der staatlichen Zentralbank, eine vorübergehende Auktionsbeschränkung wegen Zwangsvollstreckung, die Sicherung der Renten für Geringverdienende und Steu-ervergünstigungen für Zinszahlungen (vgl. Erlingsdóttir).

Im Zentrum der Kampagnen der linken Parteien in Italien, Spanien und Portu-gal steht der Kampf gegen Arbeitslosigkeit. Die Parteien fordern unter anderem ein Verbot von Massenentlassungen, eine Verlängerung des Kurzarbeitergelds und eine Reform der Arbeitslosenversicherung (vgl. Hagemann, Heilig, Soeiro). Auch in den skandinavischen Ländern, die bisher insgesamt nur gering von der Krise betroffen sind, wird der Anstieg der Arbeitslosigkeit infolge der Krise von linken Parteien als derzeit drängendstes Problem wahrgenommen; es werden Beschäfti-gungspläne und die Erhöhung des Arbeitslosengelds gefordert (vgl. Steiner, Jo-hansen). Die Linkein Deutschland konzentriert sich momentan vorrangig auf den Protest gegen das umfassende Sparpaket der Bundesregierung; auch die italieni-sche und die britiitalieni-sche Linke mobilisieren mit Demonstrationen und Streiks gegen die Sparpläne ihrer Regierungen. Die EL und die europäische Linksfraktion GUE/NGL richten ihr Augenmerk darauf, Solidarität im Umgang mit in Zah-lungsschwierigkeiten geratenen Ländern wie Griechenland herzustellen und eine gemeinsame europäische Lösung der sich weiter ausbreitenden Schuldenkrise einzufordern.15

Hinter all diesen verschiedenen Kämpfen steht in erster Linie das gemeinsame Ziel zu verhindern, dass die Folgen der Krise auf die Lohnabhängigen abgewälzt werden. Die Argumentation vieler linker Parteien lässt sich unter dem Satz »Lasst sie für ihre Krise zahlen« subsumieren, der auch Motto des Europäischen Sozial-forums 2010 war. In ihm manifestiert sich die Entrüstung darüber, dass die Ban-ken und ihre Manager von großzügigen Rettungspaketen profitieren konnten, während staatliche Sparmaßnahmen vor allem Geringverdienende und Erwerbs-lose treffen sollen. Nicht zuletzt, weil viele linke StammwählerInnen persönlich von den sozialen Kürzungen betroffen sein werden, hat der Kampf dagegen einen höheren Stellenwert für die Parteien als die Formulierung von Vorschlägen zum Finanzsystem. Um die Folgen der Krise abzumildern und einen Anstieg der Ar-mut zu verhindern, kämpfen die linken Parteien in erster Linie um die Verteidi-gung des Sozialstaats und propagieren einen starken öffentlichen Sektor. Diese Ziele sollen im Folgenden weiter ausgeführt werden.

15 Vgl. Jürgen Klute (Hg.): Jeder gegen jeden? Die EU und die Krise, Supplement der Zeitschrift Sozialismus 1/2010; Europäische Linke: The European Left in solidarity with the Greek workers, 6. Mai 2010, Crisis and the neoliberal attack on the rights of the working people in Greece and Europe, 6. März 2010, in:

www.european-left.org/english/positions/statements; abgerufen am 10.6.2010.

Wohlfahrtsstaat und öffentliche Dienste

Das Modell des »europäischen Wohlfahrtsstaats« fächert sich in eine weite Band-breite von Typen auf, die sich grob in zwei Kategorien unterscheiden lassen: in das beitragsfinanzierte Bismarck-Modell, das beispielsweise in Staaten wie Tsche-chien, Belgien und Lettland gilt, und das steuerfinanzierte Beveridge-Modell, das unter anderem in Großbritannien, Polen und Zypern angewandt wird. Während das Erstere die soziale Sicherung an Beschäftigung koppelt, richtet sich das Beveridge-Modell als Fürsorgemodell mit staatlichen Renten und kostenlosen Gesundheitsdiensten an die gesamte Bevölkerung.16Allerdings bestehen diese Modelle fast nirgends in Reinform; verbreitet ist eine Mischfinanzierung aus So-zialbeiträgen, staatlichen Zuweisungen, privaten Versicherungen und nicht-staat-licher Fürsorge (Familien, Wohlfahrtsorganisationen). Letzterem kommt insbe-sondere in den rudimentären Sozialsystemen in Südeuropa eine hohe Bedeutung zu.17

Grafik 2:Struktur der Sozialschutzausgaben der EU-27, 200618

Große Diskrepanzen gibt es auch in der Höhe der Mittel, die die Staaten für die Versorgung von RentnerInnen, Behinderten, Kranken, Familien und Arbeitslosen aufwenden (zur Verteilung der europäischen Gesamtausgaben vgl. Grafik 2). So machten die Sozialausgaben der EU-Staaten 2006 durchschnittlich 26,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Österreich, Deutschland, Dänemark, Schweden, die Niederlande, Belgien und Frankreich lagen mit Ausgaben zwischen 28,5

Pro-16 Vgl. Josef Schmid: Der Wohlfahrtsstaat in Europa – Divergenz und Integration, in: Oscar W. Gabriel/Sabine

Pro-16 Vgl. Josef Schmid: Der Wohlfahrtsstaat in Europa – Divergenz und Integration, in: Oscar W. Gabriel/Sabine