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Die linken Parteien in Frankreich

Einleitung

Ob man es gerecht findet oder nicht, in Frankreich gründet sich das politische Leben auf eine Wahl, die Präsidentschaftswahl. Ironischerweise war es die linke Regierung Lionel Jospins, die die Bedeutung dieser Wahl noch verstärkte. Nachdem die Amts-zeit des Präsidenten auf fünf Jahre verkürzt worden war, um Amts-zeitlich mit den Parla-mentswahlen zusammenzufallen, ließ der damalige Regierungschef Jospin per Ab-stimmung den Wahlkalender invertieren. Die Präsidentschaftswahlen finden nun fünfjährig systematisch vor den Parlamentswahlen statt; außer im unwahrschein-lichen Fall einer vorzeitigen Auflösung des Parlaments. Die Analyse Lionel Jospins beruhte im Jahr 2002 auf der Notwendigkeit seines Sieges über Jacques Chirac. Das Ergebnis war jedoch ein anderes: Die Linken nahmen nicht am zweiten Wahlgang teil, und Chirac wurde in Anbetracht des außerdem zur Wahl stehenden rechtsextre-men Kandidaten Jean-Marie Le Pen mit 82 Prozent der Stimrechtsextre-men wiedergewählt.

Im Zuge der sich aus der Präsidentschaftswahl entwickelnden Dynamik gewann das konservative Lager auch die Mehrheit im Parlament. Jedoch schien die politische Revanche für 2007 vorprogrammiert zu sein, denn die französischen Sozialisten waren davon überzeugt, dass die seit 1981 geltende Regel auch diesmal funktionie-ren würde: Nie wurde eine regiefunktionie-rende parlamentarische Mehrheit in der darauffol-genden Legislaturperiode wiedergewählt. Des Weiteren waren sich im Juni 2006 alle politischen Beobachter darüber einig, dass die bürgerliche Rechte die nächste Präsidentschaftswahl nur verlieren könne. Bei drei aufeinanderfolgenden Urnen-gängen unterlagen die Konservativen (bei den Regionalwahlen und den Wahlen zum Europäischen Parlament 2004 sowie beim Referendum über die Europäische Verfassung 2005); sie waren desavouiert durch eine breite – und erfolgreiche – Mo-bilisierung der französischen Jugend gegen den geplanten Ersteinstellungsvertrag (CPE – Contrat de Première Embauche), und innerhalb der eigenen Reihen zerstrit-ten sich die Anhänger Chiracs und Sarkozys. Die bürgerlichen rechzerstrit-ten Kräfte schie-nen keinerlei Chance zu haben, die französische Staatspräsidentschaft bei der nächs-ten Wahl verteidigen zu können. Das französische »Nein« beim Referendum zum Vertrag von Lissabon hatte zudem die Ablehnung vieler Franzosen gegenüber der Entwicklung hin zu einem »ultraliberalen« System gezeigt. Für viele war dieses System ein Synonym für die Zerschlagung der sozialen Sicherheit, für das Ein-knicken der Politik gegenüber der Wirtschaft und dem Dogma eines »freien und un-verfälschten Wettbewerbs«. Alle Faktoren waren also vereinigt, um die Regierenden abzulösen. Eine Schneise schien sich für die Linke und die Sozialisten zu öffnen.

Nach einer grundlegenden Analyse der Situation integrierten der zukünftige Staatschef Sarkozy und seine Freunde der bürgerlichen Rechten jedoch das Kon-zept des »Bruchs« in ihre politische Rhetorik. Die Affirmation »Die Politik, der Staat kann einiges machen« stellte dabei das genaue Gegenteil des berühmten Jospin-Satzes »Der Staat kann nicht alles machen« dar.

Indem Nicolas Sarkozy seinen politischen Voluntarismus und den starken Staat in den Mittelpunkt seiner Wahlkampfreden stellte, suggerierte er den Franzosen, dass er sie beschützen würde. Der sozialen Unsicherheit stellte er eine entstaubte Variante des »sozialen Aufstiegs« entgegen, die sich von der »Leistungsgesell-schaft« (um etwas zu erreichen, würde es genügen, »gut zu arbeiten«) und dem

»Wert der Arbeit« nährte. Die ideologische Maschinerie zielte darauf ab, kollek-tive Solidarität zu entwerten und das individuelle Bemühen als einzigen Weg des

»Zurechtkommens« zu skizzieren. Im Umkehrschluss gelang es den linken Kräf-ten nicht, glaubwürdig auf die auf der fortschreiKräf-tenden gesellschaftlichen Prekari-sierung beruhenden Ängste der Bevölkerung und ihren Drang nach Absicherung und Sicherheit zu reagieren. Symptomatisch für diese »strategische Überlegen-heit« der bürgerlichen Rechten ist das Gerede vom »Wert Arbeit« anstelle der Wertschaffung durch Arbeit; Nicolas Sarkozy erzeugt somit die Illusion, ein tradi-tionell linkes und insbesondere kommunistisches Politikfeld zu besetzen. »Ar-beit« entbehrt für ihn allerdings jeglichen Zusammenhangs mit Begrifflichkeiten wie Produktion, Schaffung von Reichtum und Vereinnahmung durch Kapitalisten.

Wenn man der Arbeit jegliche Dimension der Ausbeutung nimmt, wird sie zu ei-nem einfachen moralischen Element der bestehenden sozialen Ordnung. Sarkozys populistischer Diskurs unterscheidet zwischen denjenigen, die arbeiten und mor-gens »zeitig aufstehen«, und den anderen.

Die »Moral« ist übrigens einer der Eckpfeiler der ideologischen Offensive der bürgerlichen Rechten unter Sarkozy. Der marxistische Philosoph Jean Zin vertritt hingegen die Meinung, dass wir »von der Moral zur Politik übergehen sollten«, denn für ihn »ist Moral gefährlich, indem sie das Gute und Böse einander gegen-überstellt und so tut, als wären die Gründe subjektiv und nicht materiell«. Und der französische Staatspräsident unterstrich das – wie zum Beweis, dass der »Finanz-kapitalismus moralisiert werden muss«. Ein Großteil der linken Kräfte befindet sich somit in einer Falle: Ein Kapitalismus mit menschlichem Antlitz, in gewisser Weise kontrolliert und eingegrenzt, um Exzesse zu vermeiden, ist das nicht auch ein Konzept des Linksliberalismus?

Letztendlich führte 2009 der Mangel an linken Alternativen zu einem Wahler-folg der bürgerlichen Rechten bei den Wahlen zum Europaparlament; nicht nur in Frankreich, sondern europaweit. Die Regierungspartei (UMP – Union pour un mouvement populaire) gewann in sämtlichen französischen Wahlkreisen. Die letz-ten Europawahlen markierletz-ten allerdings auch eine Zäsur im Kräfteverhältnis der Linken in Frankreich: das Auftreten von Europa Ökologie (französisches Partei-enbündnis – Europe Ecologie) auf Kosten der Sozialistischen Partei (PS – Parti

Socialiste) und des liberalen MODEM (Mouvement démocrate), die Niederlage der Neuen Antikapitalistischen Partei (trotzkistische Ex-LCR NPA – Nouveau Parti Anticapitaliste) und der Kommunistisch-revolutionären Liga (LCR – Ligue communiste révolutionnaire) und das redliche Wahlergebnis der Linken Front (Front de Gauche), eines Wahlbündnisses bestehend aus der Französischen Kom-munistischen Partei (PCF – Parti Communiste Français), der Linkspartei (Parti de Gauche) des ehemaligen Sozialisten Jean-Luc Mélenchon und der sich von der NPA abgesplitterten Einheitlichen Linken (Gauche Unitaire).

Die Grünen und Europe Ecologie (Europa Ökologie)

Kann die politische Ökologie eine reformpolitische Alternative gegenüber einer sich in Schwierigkeiten befindenden Parti Socialistedarstellen? Kann sie der Dreh- und Angelpunkt einer sich gegen Sarkozy neu zu definierenden Mitte-Links-Mehrheit werden? Das war nach den Wahlen zum Europaparlament 2009 in jedem Fall der Ehrgeiz, denn die gemeinsame Liste der Grünen (Les Verts) und verschiedener berühmter Persönlichkeiten (zum Beispiel der Globalisierungskriti-ker José Bové, die Antikorruptionsrichterin Eva Joly und Anhänger des Umwelt-aktivisten Nicolas Hulot) hatte mehr als 16 Prozent der Stimmen auf sich vereini-gen können und war damit den Sozialisten dicht auf den Fersen. War dieser relative Wahlerfolg der Art der Wahlen und der Schwäche der PS geschuldet, und handelt es sich hierbei überhaupt um ein dauerhaftes Ergebnis? Und was sollte aus der Partei der französischen Grünen innerhalb der »neuen Organisationskraft«

angesichts der von Daniel Cohn-Bendit eingeläuteten Strategie des Zusammen-schlusses hin zur Mitte werden?

Im Zusammenhang mit der Restituierung der französischen Linken sowie im Sinne ihrer Wähler und Aktivisten möchte die Bewegung der politischen Ökolo-gie natürlich eine tragende Rolle spielen: Sie kann sich aufgrund der Krise auf ein gestiegenes ökologisches Bewusstsein stützen; indem sie über dringende aktuelle Probleme hinaus auch die gegenwärtige Zivilisation und Gesellschaft kritisch hin-terfragt, kann sie sich gleichzeitig als alleinige Antwortgeberin auf Fragen der notwendigen Veränderungen im Leben präsentieren. Außerdem unterbreitet sie Vorschläge, um »Politik auf eine andere Art und Weise zu machen«, und schluss-endlich wendet sie sich über die traditionellen Parteigrenzen hinweg an Wähler jeglicher Couleur. Angesichts der relativ unklaren Strategien des Zusammen-schlusses möchte die Ökologiebewegung auch im wahrsten Sinne des Wortes eine

»zentrale« Rolle spielen, indem sie sich hin zur politischen Mitte bewegt oder ihre linke Verankerung affirmiert.

Analysiert man die Mitgliederzahlen der Verts, so ist ihr Potential nicht mit dem der »großen Parteien« zu vergleichen. Allerdings können sich die französi-schen Grünen auf einflussreiche Netzwerke in verschiedenen Bewegungen

stüt-zen, die in den 70er Jahren den Grundstein für die Entstehung und Gründung der Ökologiebewegung legten: Anti-Atomkraftbewegung, Bewegung für die Verteidi-gung der Menschen ohne Aufenthaltspapiere (Sans-papiers), Bauerngewerkschaft, verschiedene Initiativen von Globalisierungskritikern und Unterstützern einer ge-rechten Entwicklungszusammenarbeit. Auch wenn bei Aktivisten und Sympathisan-ten ein apolitischer Grundgedanke des »Weder-rechts-noch-links«-Seins fortbe-steht, haben Les Vertsals Partei klar Position im linken Lager bezogen. So haben sie sich zwischen 1997 und 2002 an den Regierungen der Vielfältigen Linken, einem Parteienbündnis (Gauche plurielle), beteiligt. Die Wahl des linken Lagers beruht also mehrheitlich auf der politischen Überzeugung, aber gleichzeitig auch auf einem gewissen Realismus, denn die grünen Abgeordneten sind abhängig von Wahlbünd-nissen. Les Vertsverfügen dank 4,4 Prozent der Stimmen bei den Parlamentswahlen 2007 über drei Abgeordnete in der französischen Nationalversammlung (Assemblée nationale) und sind darüber hinaus in den Regionalparlamenten vertreten.

Les Vertsbekennen sich zu ihrer europäischen Identität, noch ehe sie auf der nationalen Zugehörigkeit bestehen. Nichtsdestoweniger war sich die Partei wäh-rend des Refewäh-rendums 2005 nicht einig: Die Mehrheit der Aktivisten sprach sich gegen den Vertrag von Lissabon aus und signalisierte so ihre Zugehörigkeit zum linken Lager. José Bové, einer der bekanntesten Befürworter des »Nein zu einem liberalen Europa«, machte dennoch 2009 gemeinsam mit Daniel Cohn-Bendit Wahlkampf.

Die entscheide Herausforderung für die französischen Grünen im Kampf um eine Konsolidierung des sich verändernden Kräfteverhältnisses in der Linken be-steht in der langfristigen Bindung ihrer Wähler. Dieses Ziel hat sich auch die Be-wegung Europa Ökologie (Europe Ecologie) unter der Führung von Daniel Cohn-Bendit auf die Fahnen geschrieben. Jedoch ist es derzeit für die Verantwortlichen und Mitglieder der Les Vertsundenkbar, sich aufzulösen und vollständig in der neuen Bewegung zu assimilieren. Damit die französischen Grünen dauerhaft eine unverzichtbare politische Größe innerhalb linker Mehrheiten darstellen können, geht es ihnen viel eher darum, aus dem Wahlerfolg der Europawahlen Kapital zu schlagen und die nach Neuerungen suchenden sozialistischen und Mitte-Links-Wähler ins grüne Lager zu ziehen. Aber noch ist die Schlacht nicht gewonnen. Die Gefahr einer Auflösung innerhalb eines großen Ganzen mit unscharfen Konturen ist groß und besteht real. Die Aktivisten der Grünen, die ihre Partei seit 1984 aufbauen, stehen also einer nicht zu unterschätzenden Herausforderung gegenüber.

Die Parti Socialiste (Sozialistische Partei)

Was bedeutet es, heutzutage in Europa Sozialist zu sein? Die große Krise, die die französischen Sozialisten zurzeit durchleben, trägt viele Merkmale der allgemei-nen Krise der europäischen Sozialdemokratie: Identitätskrise, Abwendung des

Volkes und die daraus resultierenden Konsequenzen in Bezug auf verschiedene Wahlen, Abweichung zwischen Realpolitik und den gestellten Erwartungen, Schwäche der Vorschläge gegenüber den sich durch die Krise verschärfenden Notwendigkeiten, fehlender Wandel und mangelnde Lösungen. Die Krise weist nichtsdestoweniger auch spezifische Charakteristika der französischen Sozialde-mokratie auf. Interne Debatten wurden und werden durch sich wiederholende Wahlniederlagen seit der verlorenen Präsidentschaftswahl 1995 verschärft. Histo-risch ist die französische Linke zwar gegen eine Präsidentialisierung des politi-schen Systems, jedoch kann auch sie nicht ihren Auswirkungen auf das politische Leben und seine verschiedenen Instanzen entkommen. Unter François Mitterand hat die Parti Socialisteselbst alle Mechanismen des französischen präsidentiellen Regierungssystems benutzt, um dauerhaft eine linke Hegemonie in der Gesell-schaft zu verankern und die Polarisierung in zwei sich gegenüberstehende politi-sche Lager voranzutreiben. Die zurzeit drängendste strategipoliti-sche Frage ist für die Sozialisten die Rückkehr an die Macht im Jahr 2012 (dann werden die nächsten Präsidentschaftswahlen stattfinden), und in diesem Zusammenhang geht es um die Herausforderung der Rückgewinnung der verlorengegangenen Wählerschaft innerhalb der Arbeiterklasse und die Wiederherstellung von gewissen Allianzen, außerdem um die Frage nach einem Projekt der Veränderung.

Die Sozialisten stehen diesen Problemen innerhalb eines sich ändernden Machtgefüges und eines im Wandel begriffenen politischen Umfelds gegenüber, beides gekennzeichnet durch die Volatilität der Wähler, die Veränderung traditio-neller Bezugspunkte innerhalb der Bevölkerung und insbesondere der Unter-schicht. Die französische Linke befindet sich somit an einem Wendepunkt: Die längst vergangene Epoche der gemeinsamen linken Regierungsprogramme zu Be-ginn der 70er Jahre – 1971 hatte der Kongress von Épinal die Strategie der linken Einheit verabschiedet – wurde von einer neuen Periode abgelöst, eingeläutet durch die Wahlniederlage der Vielfältigen Linken (Gauche plurielle) im Jahr 2002. Gleichzeitig sieht sich die Parti Socialistemit einer erstarkenden linken Konkurrenz sowie einer ökologischen Bewegung konfrontiert, die ihren Platz in-nerhalb der linken Parteienlandschaft festigen möchte.

In der öffentlichen Meinung gilt die PS derzeit als durch innere machtpoliti-sche und personelle Querelen gespalten, gleichzeitig erkennt man kein mobilisie-rendes Konzept. Jedoch sollte an dieser Stelle unterstrichen werden, dass die Parti Socialistedie dominierende Kraft der französischen Linken darstellt. Die Sozialisten haben immer noch wichtige Machtpositionen innerhalb der Regionen und Kommunen inne: So regieren sie große Metropolen wie Paris und Lyon und haben den Vorsitz in 20 der 22 französischen Regionen – oft in Koalition mit Kommunisten und Grünen.

So wie alle anderen linken Kräfte in Frankreich sind auch die Sozialisten, so-wohl ihre Mitglieder als auch die Wähler, traumatisiert. Das Trauma beruht auf der Wahlniederlage im Jahr 2002, als der sozialistische Kandidat nicht am zweiten

Wahlgang teilnehmen konnte und seinen Platz Le Pen überlassen musste. Der Wahlsieg Nicolas Sarkozys über Ségolène Royal 2007 hat die Bestürzung noch verschärft, selbst wenn die französischen Sozialisten bei den letzten Kommunal-und Regionalwahlen erfolgreich waren. Allerdings bestätigte auch das historisch schlechte Ergebnis der letzten Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni 2009 (die PS erhielt 16,48 Prozent der Stimmen) die Schwierigkeiten der Partei, ihren Einfluss bei landesweiten Wahlen wieder zu erlangen, denn diese Niederlage wie-derbelebte interne Debatten und Spannungen. Es erscheint angebracht, daran zu erinnern, dass der Sieg des »Nein« beim Referendum zur Europäischen Verfas-sung im Jahr 2005 eine Trennung vom einfachen Wahlvolk darstellte, denn dieses hatte sich mehrheitlich gegen den Vertrag von Lissabon ausgesprochen.

In den 90er Jahren war der Verlust des Einflusses der PS innerhalb der Wähler-schaft aus Arbeiterklasse und Unterschicht deutlich spürbar. 2007 wählten nur noch 25 Prozent der Arbeiter PS – gegenüber 41 Prozent 1988. Doch auch bei den Angestellten sank der Anteil von 37 Prozent auf 24 Prozent, bei den Beamten und Angestellten im öffentlichen Dienst verringerte er sich von 40 Prozent auf 29 Pro-zent, und nur 25 Prozent der leitenden Angestellten und Intellektuellen wählten PS (gegenüber 29 Prozent bei den vorherigen Wahlen). Selbst die Zusammenset-zung innerhalb der verschiedenen Parteigremien und der soziale Background der Abgeordneten verschieben sich zugunsten der gehobenen Mittelschicht.

Die Zerrissenheit der Parteiführung, der Kampf um den Parteivorsitz und um den Spitzenkandidaten der Präsidentschaftswahlen 2002 stehen damit stellvertre-tend für die tiefgreifenden Diskussionen innerhalb der Parti Socialisteüber die politische Programmatik, das Parteikonzept, mögliche linke Koalitionspartner und das Verhältnis zur politischen Mitte, zu den französischen Liberalen.

Als der Parteitag von Reims im November 2008 Martine Aubry, die Tochter Jacques Delors’, zur neuen Parteivorsitzenden wählte und somit Ségolène Royal desavouierte, positionierten sich die Sozialisten damit gleichzeitig im linken so-zialdemokratischen Lager der französischen Parteienlandschaft und favorisierten linke Allianzen. Frau Aubry sprach sich für »einen stark links verankerten Regie-rungssozialismus« aus. Daraufhin erreichte die PS mit 19 Prozent der Stimmen ein sehr gutes Ergebnis.

Ein Beobachter der Partei stellte fest, dass »sich die PS – jedes Mal, wenn sie eine Identitätskrise durchlebt – immer auf ihren linken Flügel stützt und ihre Ka-pitalismuskritik verstärkt«. Es war der Partei unmöglich, die sich verstärkende Ablehnung des Liberalismus und den Drang nach Veränderung zu ignorieren.

Darüber hinaus ging es um das Hervorheben des Vorhandenseins einer starken Partei, einer Partei der Mitglieder und Aktiven, gegenüber der von Ségolène Royale favorisierten »modernistischen« Option einer Partei US-amerikanischen

»demokratischen« Vorbilds, die vorrangig dem Zweck dienen sollte, bei anstehen-den Wahlen einen Kandidaten zu unterstützen. Die Neuorientierung im linken La-ger wurde im ersten Halbjahr 2009 deutlich sichtbar, als die PS aktiv an sozialen

Bewegungen teilnahm und politische Aktionen zur Verteidigung des öffentlichen Dienstes und gegen die Privatisierung der Post unterstützte.

Letztendlich stellt sich das Problem einer Neugründung der Partei. Diese Frage ist unweigerlich mit den Debatten um die Zusammensetzung der gesamten fran-zösischen Linken sowie der Entwicklung einer gemeinsamen Programmatik ver-knüpft. Welchen Weg kann diese Partei gehen, die 1971 von François Mitterand mit dem Ziel der Machtergreifung gegründet wurde? Basierend auf der Vereini-gung aller linken Kräfte, übte die PS letztlich eine Dominanz und Vorherrschaft aus, die ihre Partner schwächte.

Mit Beginn der Krise manifestierten sich innerhalb der Bevölkerung vielerlei Tendenzen: Ablehnung des Wirtschaftsliberalismus durch eine breite Masse bis hin zum Infragestellen des Kapitalismus, große Zukunftsangst – auch innerhalb der Mittelschicht, die sich bis dato sicher gefühlt hat – und größer werdender Widerstand gegen die Politik Sarkozys. Die Parteiführung der PS befindet sich al-lerdings in einer Zwickmühle. Einerseits erwartet die Bevölkerung reale Verände-rungen und das Bekenntnis der PS zu ihrer Verwurzelung im linken Lager, ande-rerseits gibt es Bestrebungen, die politische Orientierung hin zur Zentrumspartei zu verschieben, um die Chancen für einen nächsten Wahlsieg zu vergrößern. Die Parti Socialistesteht also dem Widerspruch zwischen ihrer möglichen politischen Neuorientierung in Hinblick auf mehr Realpolitik und den sich durch die Krise und das Scheitern des Liberalismus neu stellenden Fragen gegenüber: Geht es einfach nur um das Ablösen der bürgerlichen Rechten oder um eine grundlegende Veränderung der Politik, die sich mit den Gründen der Krise und eventuell not-wendigen, den Kapitalismus infrage stellenden, Strukturreformen auseinander-setzt? Die politische Antwort findet sich in der Wahl möglicher Koalitionspartner.

Diese Wahl stellt die Partei und ihre Wähler allerdings vor große Herausforderun-gen, denn trotz der Bekräftigung der Verankerung im linken Lager erhitzt und teilt sie die Gemüter. 68 Prozent der Wähler und Sympathisanten der Parti Socialiste bevorzugen linke und sogar linksextreme Allianzen, 89 Prozent sind für eine Annäherung an ökologische Bewegungen, und 56 Prozent befürworten eine Öff-nung hin zur politischen Mitte.

Es stehen wichtige Wahlen bevor, deshalb ist für die von einer tiefen Krise ge-schüttelten französischen Sozialisten derzeit eine grundlegende politische Ent-scheidungsfindung unumgänglich. Sie haben die Wahl zwischen der einfachen Machtübernahme von der bürgerlichen Rechten oder einer von Führungs-ansprüchen freien, tiefgreifenden Zusammenarbeit mit anderen linken Kräften im Kampf um eine wahre fortschrittliche Alternative. Letzteres würde bedeuten, auch wirklich zu einem Bruch mit der liberalen Politik zu stehen und den Imperativ einer grundlegenden Erneuerung des europäischen Gedankens, bis hin zu einem sozialen und demokratischen Wiederaufbau, zu akzeptieren.

Die Parti Communiste Français (Kommunistische Partei Frankreichs) Die Ergebnisse der Befragung der Mitglieder der Kommunistischen Partei Frank-reichs, der PCF, die im November 2009 durchgeführt wurde, um über die Wahl-kampfstrategie der im März 2010 stattfindenden Wahlen zum Europäischen Parlament zu entscheiden, ermöglichen es, ein sehr genaues Bild der aktuellen Si-tuation und inneren Widersprüche der französischen Kommunisten zu zeichnen.

63 Prozent der regelmäßig Beiträge zahlenden Parteimitglieder, ca. 44 000 Per-sonen, nahmen an der Befragung teil. Nach Angaben der Parteiführung der PCF1

»zählt die Kommunistische Partei Ende des Jahres 2009 134 000 Mitglieder.

[Nicht alle Mitglieder zahlen fristgerecht ihre Mitgliedsbeiträge.] Diese Zahl

[Nicht alle Mitglieder zahlen fristgerecht ihre Mitgliedsbeiträge.] Diese Zahl