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3 Empirische Analyse der Verwendung der deutschen

3.2 Methoden der Feldforschung und Datenauswertung

3.2.1 Interview

3.2.1.1 Methodische Vorgehensweise

Den im Zuge dieses Vorhabens durchgeführten Interviews liegen Alltagsgespräche unter russisch sprechenden Mädchen sowie russisch sprechenden ehemaligen Au-pair-Mädchen in Deutschland zu Grunde. Diese Gespräche setzen sich zum Ziel, die

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Sprachschwierigkeiten der mündlichen Rede der Interviewteilnehmerinnen zu untersuchen.

Interessant ist zu bemerken, dass ähnliche Phänomene in jeder Interviewart – Einzel- und Gruppeninterviews – auf unterschiedliche Weise zum Tragen gekommen sind. Eines dieser Phänomene ist die Natürlichkeit des Gesprächsverlaufes. Die Thematik sowie die Fragestellungen der Einzel- und meistens auch der Gruppengespräche wurden zwar vorgeplant; die Antworten und Reaktionen sowie das Verhalten der Teilnehmerinnen während der Interviews waren jedoch spontan. Darüber hinaus kann man den Gesprächsablauf als natürlich und lebendig kennzeichnen. Zwei grundsätzliche perzeptive Merkmale festigen und erweitern zugleich diese Hypothese: Einerseits gelang es, durch die Thematik der Gespräche zu kaschieren, dass die empirischen Untersuchungen aus sprachwissenschaftlicher Sicht und nicht etwa – wie von manchen Probandinnen angenommen – aus sozialpsychologischer oder ähnlicher Sicht durchgeführt wurden. Andererseits fanden die Gespräche in einer freundlichen, ungezwungenen Atmosphäre statt und wurden von einer Person geleitet, die mit der Thematik dank eigener Erfahrung als Au-pair gut vertraut ist und aus ähnlichen sozialen Verhältnissen stammt. Diese Aspekte begünstigten nach Ansicht der Verfasserin den beobachteten natürlichen Gesprächsverlauf.

Das Phänomen der Natürlichkeit wies in den Einzel- bzw. Gruppengesprächen unterschiedliche spezifische Nuancen auf: Während in den Einzelinterviews hauptsächlich spontane Antworten aufkamen, konnten in den Gruppeninterviews aufgrund der unerwarteten Antworten auch neue Fragen spontan zur Diskussion gestellt werden.

Wie in Kapitel 3.1 schematisch dargestellt (vgl. Abb. 4), wurden die empirischen Untersuchungen in einer bestimmten Sequenz sortiert und nach diesem Muster durchgeführt. Dementsprechend fanden die Einzelinterviews vor den Gruppeninterviews statt. Dabei ist es wichtig die Gründe zu erläutern, warum der empirische Teil der Arbeit in dieser Sequenz verlief und welche Rolle die Einzelinterviews bezüglich der allgemeinen Form des Untersuchungsprozesses spielten.

Ohne Einzelinterviews wäre es nicht möglich, alle Probandinnen näher kennen zu lernen, ihr Vertrauen sowie ihre Sympathie zu gewinnen und sich vor allem ein genaues Bild von ihren mündlichen Sprachkompetenzen zu machen, um die Probandinnen unter Berücksichtigung ihrer Sprachkenntnisse sowie ihrer Interessen und persönlichen Verhältnisse, etwa personellen Kontakte, in Makro- und Mikrogruppen aufzuteilen (vgl.

Kap. 3.1, Abb. 3). Daraus ergibt sich, dass die Realisierung der Einzelinterviews vor dem 67

Beginn anderer Untersuchungen zum produktiven14 Verlauf des weiteren Interviews, des Gruppeninterviews, beiträgt. Daher könnten die Einzelinterviews in Form eines face-to-face Prozesses als kommunikatives „gegenseitiges Abtasten“ betrachtet werden.

Als weitere Besonderheit beim Gesprächsverlauf soll noch hervorhoben werden, dass nicht nur das gesprochene Wort und prosodische Indikatoren mittels Diktiergerät aufgezeichnet wurden, sondern auch nonverbale Aktivitäten wie etwa Mimik und Gestik durch ein Beobachtungsverfahren in Form von Notizen dokumentiert wurden. Je nach der Interviewart fanden unterschiedliche Beobachtungstechniken statt, in den Einzelinterviews eine teilnehmende Beobachtung, in den Gruppeninterviews die Kombination von der teilnehmenden Beobachtung sowie der beobachtenden Teilnahme.15 Nach Abschluss der Interviews wurden die Beobachtungsnotizen konsolidiert und während der Wiedergabe der mündlichen Daten zur Bewertung hinzugezogen.

Dank speziell ausgesuchter, für die Probandinnen interessanter Thematiken für die Gespräche – z.B. das Studium an der Universität Bayreuth – wurde ihre Aufmerksamkeit nicht auf die Sprachkompetenzen, sondern auf die Äußerung bzw.

Verteidigung ihrer Meinungen fokussiert. Dabei haben nicht die eingeführten Problemstellungen, sondern die emotionale Beteiligung, die durch die Problemstellungen geweckt wurde, einen wesentlichen Einfluss auf den Gesprächsverlauf bzw. auf die Gesprächsgestaltung ausgeübt. Es stellt sich daher folgende Frage: Inwiefern spiegelt sich die emotionale Beteiligung verbal wider?

Bei einer intensiven Auseinandersetzung mit dieser Thematik kommt man zum Ergebnis, dass auch hier unterschiedliche Faktoren das Verhalten der Probandinnen während der Einzel- und Gruppengespräche beeinflussen. Wenn beispielsweise persönliche Themen wie etwa die konkreten Zukunftspläne in den Gruppengesprächen vertieft werden, hält sich die angesprochene Person zurück, stoppt den Gesprächsverlauf und verursacht einen abrupten Themenwechsel, während dieselbe Fragestellung in den Einzelinterviews offen beantwortet wird (siehe Ausschnitt 1).

14 Unter dem Ausdruck produktiv wird freies Sprechen ohne bewusste Rücksichtnahme auf die eigene Wortwahl verstanden.

15 Die Begriffe teilnehmende Beobachtung sowie beobachtende Teilnahme sind von Spranz-Fogasy/Deppermann (2001: 1009) übernommen.

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Ausschnitt 1

62 I: was würdest´ du dir in bezug auf deine zUkunft wünschen,

63 V: na jA -- über meine zukunft spreche ich nicht so gerne . weil - mm immer wenn 64 ich plane mache, dann verwirklichen sie nicht so: besonders, (lächelnd)wie ich das 65 geplant habe) und deswegen -- hm/

Als Kommentar zu diesem Ausschnitt aus einem Gruppeninterview möchte die Verfasserin auf die paraverbalen und nonverbalen Handlungen der Probandin hinweisen. Sie versuchte mit der für sie unangenehmen Frage freundlich umzugehen und von ihr durch Lächeln, Schulter- und Kopfbewegungen abzulenken. Der Ausschnitt aus dem Einzelinterview kann leider auf Wunsch der Probandin nicht als Beispiel angeführt werden.

Anhand akustischer, visueller und taktiler Signale wie etwa Akzentmodulation oder Pausengliederung, Körperhaltung oder Blickverhalten konnte in den Interviews beobachtet werden, wie emotionale Erscheinungen den allgemeinen Gesprächsablauf, insbesondere die Vertiefung des Themas oder die Wahl des nächsten Themas, manipulieren können.

Zum Zweck einer deduktiven Herangehensweise an die Thematik des emotionalen Verhaltens soll der Gesprächsverlauf hier in drei Phasen strukturiert werden. Die Einstiegsphase läuft in Form einer allmählichen Interaktion ab und mündet in die zweite, die Steigerungsphase. Diese divergiert je nach der Themenauswahl und den Temperamentunterschieden der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, so dass die Emotionen stetig ansteigen oder sich in mehreren Wellen periodisch steigern können.

Lang andauernde Gespräche verursachen Müdigkeit, Unaufmerksamkeit sowie Unkonzentriertheit der Teilnehmer (sowohl seitens der Zuhörer als auch der Sprecher).

Der Aktivitätsprozess sinkt und es folgt die Reduktionsphase. Eine grafische Übersicht gibt Abbildung 6. Die Angaben darin basieren auf den Beobachtungen der emotionalen Signale der Probandinnen in den Interviews.

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Abbildung 6: Mögliche Verläufe der Gesprächsintensität

G e s p r ä c h s d a u e r

Intensit

E in s t ie g s p h a s e S t e ig e r u n g s p h a s e R e d u k t io n s p h a s e

Quelle: eigene Darstellung, 2005.

Und noch ein weiteres spezifisches Phänomen lässt sich hervorheben. Weil es sich um Fremdverstehen16 handelt, spielt die Formulierungsmethodik beim Gesprächsverlauf eine wichtige Rolle. Eine adäquate Alternativformulierung aus dem Stegreif konnte beispielsweise bei der Umformung von Aussagen etwaige Verständigungsprobleme meistens beseitigen. Jedoch sind auch hier Unterschiede in den Einzel- und Gruppeninterviews zu beobachten. So kann man in einem Einzelinterview versuchen, Fremdwörter zunächst durch bedeutungsähnliche Äquivalente bzw. kontextabhängige Beispiele zu interpretieren und damit für die Interviewerinnen verständlich zu machen, während in den Gruppeninterviews meist sofort durch unkontrollierbare fremdinitiierte Interpretation ein mutter- oder englischsprachiges Äquivalent von den Gesprächsteilnehmerinnen eingeworfen wird (siehe Ausschnitte 2-3).

Ausschnitt 2

21 I: welche vor und nachteile könntest du nennen . wenn du an deinem 22 aupairaufenthalt denkst´

23 N: a: -- was ist aufch´/

24 I: AUFENTHALT´

25 N: nnm

26 I: dass du hIEr bist a:m - <schnell>dein BESUCH´ in deutschland>

27 N: Aha mmm – kannst´ du noch mal wiederholen

16 Dieser Begriff meint hier das Verstehen einer Fremdsprache.

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28 I: ja . wenn du an deinem aupairAUfenthalt denkst . welche vor und nachteile 29 <schnell>verstehst´ du vOr und nAchteile´>

30 N: nn´ -- JA <energisch>#до´ и после´#

31 I: hhm .. gibts nur negative SEIten von der aupairarbeit oder auch pOsitive´

32 . was meinst´ du

33 N: mmm -- ich glaube es gibt mehre mehr positive a: alles wie war es gesagt 34 es gefehlt mir alles mm in deutschland/

Es handelt sich um einen Ausschnitt aus einem Einzelinterview, in dem das Au-pair-Mädchen bei einer Frage Verständnisprobleme hat. Die Bedeutung der Wörter, die sie nicht versteht, versucht sie nach und nach herauszufinden. Sie fragt direkt nach der Bedeutung eines Wortes und bittet, die ganze Frage zu wiederholen, und weil sie weiß, dass die Interviewerin ihre Muttersprache spricht, versucht sie ihr Verständigungsproblem durch geratene russische Äquivalente folgenderweise zu lösen:

Für Vor- und Nachteile übersetzt die Probandin nur die Präfixe vor (до) und nach (после) und findet damit keine treffende Übersetzung. Eine Umformulierung der Frage ermöglicht es ihr dann, das Gespräch erfolgreich weiter zu führen.

Ausschnitt 3

14 I: merkst du AUch deine fOrtschritte´

15 O: ((nicht verstehend)hm---)

=

16 N: (energisch)PROGRESS)

17 I: [<lauter>(deutlichter)FORTSCHRITTE>)] . a: - ob dein deutsch BEsser 18 geworden ist

19 O: (langsam/unsicher)<leise>ja: besser als war)>

In Ausschnitt 3 wird ein unbekanntes Wort (hier: Fortschritte) von einem anderen Au-pair-Mädchen durch ein englisches Äquivalent (hier: progress) interpretiert.

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Die Korrekturphänomene17 weisen gemeinsame und unterschiedliche Eigenheiten auf. So findet selbstinitiierte Selbstkorrektur sowohl während der Einzel- als auch Gruppengespräche statt:

Ausschnitt 4

01 N: wir haben doch die treppe runter NE gegangen, (schnell)wir sind)

Ausschnitt 5

72 T: und a:m märz (schnell)am märz habe ich nur DIESE sprachkurs) 73 (langsam)DIESEN) Sprachkurs besucht

Im Gegensatz zu den Gruppengesprächen wurde während der Einzelinterviews keine fremdinitiierte Fremdkorrektur beobachtet (siehe Ausschnitt 6).

Ausschnitt 6

30 N: es war die gleiche situation wie (nickt in die richtung von B)bei B - sie konnte 31 kein deutsch reden und jetzt kann sie schon - aber englisch ist schon (lachend)tot) 33 B: weg

34 N: (lachend/energisch)ja weg)

Einige Probandinnen haben eine Fremdkorrektur durch nonverbale Indikatoren (Aufnahme von Augenkontakt, Stirn- und Mundbewegungen) von anderen Teilnehmern verlangt – also selbstinitiiert.

Zusammenfassend traten beim Gesprächsverlauf unterschiedliche Ausprägungen ähnlicher Phänomene während der Einzel- und Gruppengespräche auf. Durch die Gesprächstechniken – Tonaufnahmen sowie Beobachtungen – wurde erkannt, dass emotionale Indikatoren den Verlauf der Gespräche stark beeinflussen können. Die Umformungen sowie Korrekturen trugen je nach Gesprächsart unterschiedlichen Charakter und reduzierten die Verständigungsprobleme bei Gesprächen wesentlich.

Neben diesen Hintergrundbeobachtungen ist es gelungen festzustellen, welche Vorrausetzungen Natürlichkeit und Spontaneität in den Gesprächen gewährleisten, um so einen realistischen Gesprächsverlauf und damit eine treffende Analyse der Sprachfähigkeiten der Probandinnen zu ermöglichen.

17 Der Begriff wurde von Rathmayr (2000: 344) übernommen.

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