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2 Theoretische Analyse der Modalverben

2.1 Modalität und Modalverben im Sprachvergleich Deutsch/Russisch

2.1.1 Überlegungen zur Modalitätsdefinition

Mit der Modalität beschäftigen sich neben der Sprachwissenschaft auch solche Disziplinen wie Philosophie, Psychologie, Logik, Mathematik oder Semiotik. Die gemeinsame Erfahrung dieser Disziplinen ermöglicht es einerseits, die vielseitigen Modalitätsaspekte aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten, resultiert andererseits aber auch in uneinheitlichen Modalitätsdefinitionen.

In der Philosophie spricht man über ontologische Modalität – die Art und Weise des Seins oder Geschehens (vgl. z.B. Detsch 1994). In der traditionellen Logik bezeichnet die Modalität den Grad der Bestimmtheit einer Aussage bzw. der Gültigkeit eines Urteils durch Möglichkeit, Notwendigkeit oder Wahrscheinlichkeit (vgl. Drosdowski 1978: 1804, Kondakow 1983: 342).

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Charles S. Peirce (1839-1914) übertrug den Begriff der Modalität aus der Logik in die Semiotik. Hier bezeichnet Modalität den Wahrheitsgehalt eines Zeichens, wobei drei Wahrheitswerte unterschieden werden: Existenz, (logische) Notwendigkeit sowie (hypothetische) Möglichkeit (vgl. Hodge/Kress 1988: 26).

Frege (1986) schlägt die Brücke von der Logik und Mathematik in die Sprachphilosophie. Er entwickelt eine formale Sprache, und zwar Symbolketten als Instrument für einen streng axiomatischen Aufbau der Arithmetik und interpretiert sie nicht nur als beliebige Formeln, als Aneinanderreihung zufälliger Druckfiguren, sondern als bedeutsame Zeichen und als Aussagen über Gegenstände. Die Untersuchung der Beziehung zwischen formaler Sprache und den entsprechenden Gegenstandsbereichen führt Frege zur Entwicklung der Semantik als Interpretation von sprachlichen Zeichen (vgl. Ineichen 1987: 13 ff).

Die Disharmonie in der Definition des Begriffes Modalität hinterlässt verständlicherweise einen chaotischen Eindruck. Es ist offensichtlich nicht einfach – nicht einmal unter Beschränkung auf eine Disziplin, hier die Sprachwissenschaft – eine allgemeingültige Definition der Modalität zu geben. Im Folgenden werden einige Definitionen illustriert.

Aus dem deutsch-russischen Sprachvergleich heraus befasst sich Gladrow (1998) mit der Begriffserklärung der Modalität. Er unterscheidet drei Arten von modalen Beziehungen, nämlich „die Beziehung des Inhaltes der Äußerung zur Wirklichkeit in Bezug auf die Realität bzw. Irrealität aus der Sicht des Sprechers, [...] die Beziehung des Sprechers zum Inhalt der Äußerung hinsichtlich des Wahrscheinlichkeitsgrades, [...] die Beziehung des Subjekts der Handlung zur Handlung selbst unter dem Gesichtspunkt ihrer Möglichkeit, Notwendigkeit [...]“ (vgl. Gladrow 1998: 91).

Weidner (1986) beschränkt sich bei ihrer Begriffsbestimmung auf den Modalverb-Bereich im Deutschen und die Äquivalente im Russischen. Sie vertritt die Meinung, dass man „unter Modalität sowohl das Verhältnis der Proposition zur Wirklichkeit als auch das Verhältnis des Sprechers zur Proposition versteht“ (vgl. Weidner 1986: 16).

Die Linguistische Enzyklopädie der russischen Sprache definiert die Modalität folgendermaßen: „[...] она (модальность) выражает разные виды отношений высказывания к действительности, а также разные виды субьективной квалификации сообщаемого“ (vgl. Jarzewa 1990: 303). Also: „Modalität drückt unterschiedliche Beziehungen einer Aussage zur Realität sowie unterschiedliche subjektive Einschätzung des Gesagten aus“ (Übersetzung der Verfasserin).

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Im Großen Wörterbuch der deutschen Sprache wird unter Modalität ein „in unterschiedlicher sprachlicher Form ausdrückbares Verhältnis des Sprechers zur Aussage bzw. der Aussage zur Realität oder Realisierung“ verstanden (vgl. Drosdowski 1978: 1804).

Beim Vergleich der einschlägigen Grammatiken und Monographien zu den Teilgebieten des Konjunktivs und zum Modalen überhaupt stellt Jongeboer (1985) fest, dass auf keinem Gebiet der Grammatik soviel Uneinigkeit wie bei dem Begriff der Modalität herrscht: „Es ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Irrgarten, in dem jeder Grammatiker sich einen Weg sucht und leider oft nicht sieht, dass er in einer Sackgasse gelandet ist“

(vgl. Jongeboer 1985: 14).

Es erscheint sehr schwierig, die verschiedenen Modalitätsdefinitionen zu einem Begriff zusammenzufassen. Neben den etablierten Positionen wie etwa von Admoni (1982), Heyse (1973), Krušel'nickaja (1961), Lyons (1980), Weidner (1986), Vinogradov (1960) existieren auch jüngere Begriffe der Sprachwissenschaft der Gegenwart, wie etwa von Bayer (2000) oder Gladrow (1998), die sich wohl nur als eine Variation der alten Begrifflichkeit interpretieren lassen.

Dennoch kann man aus der Sicht der Verfasserin bei den verschiedenen sprachwissenschaftlichen Definitionen von Modalität einen gemeinsamen Kern erkennen: Modalität bezeichnet das Verhältnis des Sprechers zur Aussage und der Aussage zur Realität.

Diesen Gedanken illustriert eine der traditionellen Differenzierungsmöglichkeiten der globalen Kategorie der Modalität, nämlich die Einführung der nicht-epistemischen und epistemischen Subkategorisierung (vgl. Abb. 2). Unter dem Begriff nicht-epistemisch wird das Verhältnis des Gesagten zur Wirklichkeit verstanden. Dieser Kategorie steht die epistemische gegenüber, die die Einschätzung des Sprechers bzw. Schreibers zum Gesagten aus dem Gesichtspunkt der Realität zum Ausdruck bringt (vgl. dazu Beljaeva 1990, Jachnow 1994).

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Abbildung 2: Hierarchie der Modalitätsarten

nicht-epistemisch (obligatorisch)

epistemisch (fakultativ)

Quelle: eigene Darstellung, 2005.

Das obige Schema illustriert, dass die beiden Modalitätsarten in ihrem Dasein nicht auf gleicher Ebene stehen, sondern dass die epistemische Gebrauchsweise in Abhängigkeit von der nicht-epistemischen existiert. Die beiden Arten der Modalität können in ein und demselben Satz vorkommen und unterscheiden sich dadurch, dass die nicht-epistemische Modalitätsart in einer Aussage grundsätzlich obligatorisch ist. Das heißt, dass es keine Aussage ohne nicht-epistemische Ausdrucksweise gibt; beispielsweise sind die Modalverben Bestandteile des im Satz dargestellten Sachverhalts. Im Gegensatz dazu taucht die epistemische Gebrauchsweise in einer Aussage fakultativ auf. Daher erscheint diese Kategorie nur, wenn der Sprecher seine eigene oder fremde (emotionale) Einstellung zum Satzinhalt verbal oder nonverbal ausdrückt (vgl. Arama/Šachnarovič 1991: 16, Kriwonosow 1977: 59 ff). In Bezug auf die Verwendung der Modalverben besteht weitgehend darüber Einigkeit, dass die nicht-epistemische Verwendungsweise der Modalverben grundlegend ist und die epistemische Verwendungsweise als in irgendeiner Weise abgeleitet, als sekundär angesehen werden kann (Öhlschläger 1989:

133).

Die Begriffspaaroppositionen nicht-epistemisch bzw. epistemisch finden zahlreiche Äquivalente sowohl bei deutschen als auch russischen Sprachwissenschaftlern (vgl. Tab. 1).

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Tabelle 1: Begriffspaaroppositionen der Modalität im Deutschen und Russischen

Begriffe Autoren

nicht-epistemisch epistemisch deontisch epistemisch Diewald (1997, 1999)

objektiv subjektiv

objektiv subjektiv / subjektiv-modal Helbig/Buscha (2001) Kriwonosow (1977) objektiv subjektiv-objektiv Peškovskij (1956) objektiv-syntaktisch subjektiv-objektiv/modal Vinogradov (1960) allgemeine Modalität Gewissheitsmodalität Gladrow (1998)

objektiv / nicht-inferentiell

subjektiv / pragmatisch /

inferentiell Eisenberg (1994) subjektbezogen

logisch-grammatisch kommunikativ-grammatisch Admoni (1982) nicht-referierend referierend Letnes (2002)

Quelle: eigene Darstellung, 2005.

Die weiteren Unterteilungen der nicht-epistemischen bzw. epistemischen Modalitätsarten, etwa in aletische, volitive, zeitliche oder komparative Modalität, sind voneinander unscharf abgegrenzt (vgl. Lyons 1983, Weidner 1986). Trotz dieser Einschränkung ist jedoch nicht ausgeschlossen, die oben genannten Modalitätsarten im weiteren Verlauf der Arbeit anzutreffen.

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Diewald (1997, 1999) verwendet den Terminus deontisch3 als Oberbegriff für nicht-epistemisch, bezeichnet ihn jedoch als begrenzt, denn nicht alle Modalverben sind aus dem Gesichtspunkt der Notwendigkeit zu beschreiben (vgl. Diewald 1997: 24). Zum Vergleich:

(1) Sie darf ins Kino gehen.

(2) Sie kann Auto fahren.

(3) Sie mag nicht tanzen.

(4) Sie muss zuhause bleiben.

(5) Sie soll den Abwasch machen.

(6) Sie will surfen lernen.

Die Beispiele unter (1-6) drücken zwar einen Zustand des Subjekts aus, doch kann dieser Zustand nicht nur mit Begriffen wie die Verpflichtung haben (4) bzw. den Befehl haben (5), sondern auch die Erlaubnis, die Fähigkeit, den Wunsch haben (1-3) umschrieben werden.

In der vorliegenden Schrift werden die beiden Bezeichnungen nicht-epistemisch und epistemisch verwendet, weil sie der Ansicht der Verfasserin nach die expliziten und impliziten Äußerungen der Modalverben treffender charakterisieren können als andere Begriffpaaroppositionen.