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Die Erhebung hat im Regelbetrieb der Leitwarten stattgefunden, um möglichst valide Daten ablei-ten zu können. Dabei hat das Hauptaugenmerk der Untersuchung auf der Analyse von alltäglichen Prozesssituationen gelegen. Es ist somit nicht Ziel der Analyse gewesen, explizit nach extremen Situationen wie Störfällen zu fragen („Was würden Sie tun, wenn … eintritt?“).

Methodik

Für die Gestaltung von Benutzungsschnittstellen im Kontext von sicherheitskritischen Systemen haben Rasmussen (1986) und Vicente (1999) das Cognitive Work Analysis (CWA)-Framework entwi-ckelt. Im Gegensatz zu traditionellen Ansätzen wie dem User-Centered Design wird beim Ansatz der CWA nicht aufgabenorientiert (normative Analyse), sondern systemorientiert (formative Analyse) vorgegangen. D. h., das System steht im Mittelpunkt, aber nicht die Tätigkeiten, die ein Operator im Rahmen seiner Aufgaben in der Leitwarte ausführt (Sanderson, 2003). Ziel des Frameworks ist es, eine strukturierte Vorgehensweise anzubieten, die es ermöglicht, alle nötigen Dimensionen eines technischen Systems zu analysieren, diese zu modellieren und somit Verständnis für die Domäne zu entwickeln (Sanderson, 2003). Die CWA umfasst fünf Phasen (Work Domain Analysis, Control Task Analysis, Strategies Analysis, Social-Organizational Analysis und Worker Competencies Analysis) und legt zugrunde, dass eine Vielzahl von unvorhergesehenen Situationen bei großen komplexen Systemen auftreten kann. Hierbei sei der Befragte meist nicht in der Lage, in Sonderfällen die anfallenden Aufgaben genau zu spezifizieren. Abbildung 17 zeigt die fünf Phasen der CWA die folgend erläu-tert werden.

In der Work Domain Analysis wird die gesamte Arbeitsumgebung des Operators untersucht. Im Fokus der Betrachtung stehen hierbei vor allem die physikalischen Aspekte des Gesamtsystems der Anlage. In der nächsten Phase, der Control Task Analysis, werden die Aufgaben identifiziert, die

Untersuchung der Arbeitsumgebung

einen reibungslosen Normalbetrieb des Prozesses gewährleisten. Es geht nun nicht mehr um die Beschreibung des Systems, vielmehr werden jene Aufgaben untersucht, die mit dem System ausge-führt werden müssen. Erst im Zuge der Strategies Analysis wird genauer untersucht, wie eine zuvor identifizierte Kontrollaufgabe ausgeführt wird, um den Prozess im Gleichgewicht zu halten, d. h., eine normale Betriebssituation sicherzustellen. In der Social-Organizational Analysis werden die Ar-beitsteilung und die Struktur der Verantwortungsbereiche von Operatoren im Kontext ihrer Arbeit untersucht. Hierbei wird verstärkt die verbale, aber auch die nonverbale Kommunikation im Kon-text der Zusammenarbeit beobachtet. Ziel ist es, neben den physikalischen und zweckmäßigen Aspekten auch eine Vorstellung zu bekommen, wie die Operatoren zusammenarbeiten. Abschlie-ßend wird in der Worker Competencies Analysis auf jeden einzelnen Operator explizit eingegangen. Es werden die kognitiven Anforderungen analysiert, die ein Operator benötigt, um die Aufgaben effi-zient und effektiv ausführen zu können.

Abbildung 17 Die fünf Phasen der Cognitive Work Analysis

Die Cognitive Work Analysis (CWA) bildet den strukturellen Rahmen für die Nutzungskontextanalyse.14

Bei der CWA-Methode wird eine Menge an Ressourcen benötigt, da das zu untersuchende System bis auf die kleinste Detailebene analysiert werden muss. Für die Durchführung dieses Ansatzes muss zum einen über mehrere Tage hinweg in jeder Phase ein Experte zur Verfügung stehen und zum anderen der Zugang zur Leitwarte gewährleistet sein.

Eine gegensätzliche Herangehensweise in der Analyse wird beim ethnografischen Ansatz Contextual Design verfolgt. Im Contextual Design von Beyer und Holtzblatt (1998) werden in der ersten Phase (Contextual Inquiry) empirische Daten durch Beobachtung und Befragung im natürlichen Arbeits-kontext vor Ort erhoben (Contextual Interview). Der Forscher sieht sich als Lehrling im Arbeitskon-text und schaut dem Lehrer (Operator) über die Schulter. Auch dieser Ansatz kann nur beschränkt auf den Fokus der vorliegenden Arbeit angewandt werden, denn im Vorfeld der Contextual Inquiry ist nicht vorgesehen, sich mit der Domäne auseinanderzusetzen. Ohne entsprechendes Vorwissen ist es jedoch schwierig, die komplexen Prozesse vor Ort zu verstehen. Der angesetzte Zeitrahmen für die Contextual Interviews von zwei bis drei Stunden ist zu gering, um komplexe Systeme zu analy-sieren. Der Ansatz des Contextual Designs ist nicht speziell für den Kontext von komplexen Syste-men entwickelt worden. Er bietet aber dennoch Methoden und Werkzeuge, die in der Praxis einge-setzt werden können. Die CWA kann den Forscher für komplexe Systemzusammenhänge sensibili-sieren. D. h., die Nutzungskontextanalyse sollte sich nicht nur auf die Aufgaben beziehen. Vielmehr muss das System ganzheitlich betrachtet werden.

Im Fokus der vorliegenden Arbeit steht, die Arbeitsumgebung von Operatoren ganzheitlich zu gestalten, um diese bei ihren alltäglichen Prozesstätigkeiten zu unterstützen. Deshalb ist zur

14 http://www.cel.mie.utoronto.ca/research/frameworks/cwa.htm, zuletzt aufgerufen am 22.03.2014.

Untersuchung der Arbeitsumgebung

bung des Nutzungskontexts eine Auswahl aus Aufgaben- und Systemorientierung getroffen wor-den, ein Methodenmix aus CWA und Contextual Design. Die CWA bildet den theoretischen Rah-men. Die Anwendung der Methode bedarf jedoch einer intensiven Auseinandersetzung mit dem System, ohne konkret auf die Tätigkeiten der einzelnen Operatoren einzugehen. Die CWA bietet aber Hilfestellung zum strukturierten Vorgehen bei der Analyse von komplexen Systemen wie der Leitwarte, da sie eine ganzheitliche Betrachtung des Systems beinhaltet. Zur direkten Datenerhe-bung innerhalb der Phasen der CWA sind die Instrumente aus dem Contextual Design bestimmt worden, die im Folgenden erläutert werden.

Teilnehmende Beobachtung – Im Rahmen der teilnehmenden Beobachtung in der Analyse vor Ort hat sich der Forscher nicht nur in rein beobachtender Position befunden, sondern hat selbst am Ge-schehen teilgenommen. Hierbei spielen sowohl objektive Faktoren, z. B. einzelne Schritte bei der Ausführung einer Tätigkeit, als auch subjektive und psychologische Kriterien, z. B. Bewertung eines bestimmten Teilsystems und Denkprozesse, eine Rolle. Der Operator ist daher auch dazu aufgefor-dert worden, laut zu denken (Thinking Aloud-Methode), d. h., über seine innerlich ablaufenden kogniti-ven Prozesse ständig zu reflektieren (Someren, Barnard & Sandberg, 1994). Im Rahmen der Eva-luation sind die teilnehmenden Beobachtungen anhand eines Beobachtungsleitfadens ausgeführt worden, um so Vergleichbarkeit über die Domänen hinweg zu schaffen.

Experteninterview – Die Expertenbefragung ist in der Form eines halbstandardisierten Interviews geführt worden. Die Fragen des Interviews sind in Anlehnung an das Vorgehen von Helfferich (2005) strukturiert worden. Dabei werden die Interviewfragen in drei Gruppen gegliedert. (1) Leit-frage: Die erste Frage ist sehr offen formuliert worden, um so die Erzählaufforderung bzw. den Stimulus zu setzen. (2) Aufrechterhaltungsfrage: Hier wird kein neues Thema vorgegeben, sondern der Erzählfluss aufrechterhalten. (3) Konkrete Nachfragen: Hier werden inhaltliche Nachfragen gestellt, die während des Interviews noch nicht angesprochen worden sind.

Fragebogen – Im Rahmen der Analyse ist ein standardisiertes Fragebogeninstrument eingesetzt wor-den, mit dessen Hilfe quantitative Daten über die Leitwarte und die darin verankerten Arbeitsplätze erhoben werden konnten. Neben dem halbstandardisierten Fragebogen, der von den Experten in der Leitwarte bearbeitet worden ist, ist das Instrument auch bei den Versuchsleitern eingesetzt worden, um beispielsweise die Anzahl und den Verwendungszweck von Ein- und Ausgabegeräten sowie Kommunikationsgeräten zu messen.

Untersuchungsablauf

Die Untersuchung vor Ort ist über alle Domänen hinweg in standardisierter Form ausgeführt wor-den. Insgesamt sind die unterschiedlichen Domänen zwischen sechs und acht Stunden evaluiert worden. Zwei Forscher haben wechselseitig die Rolle des Versuchsleiters und die des Protokollan-ten übernommen. Diese Vorgehensweise soll nach Rosenthal und Rosnow (2009) Versuchsleiteref-fekte minimieren.

Abbildung 18 verdeutlicht den Versuchsablauf. Ziel der ersten beiden Untersuchungsphasen ist es gewesen, generische, d. h. arbeitsplatzübergreifende Einblicke zu bekommen. Aus diesem Grund hat durch die Experten eine Systemeinweisung stattgefunden. Außerdem sind teilnehmende Be-obachtungen durchgeführt worden. Die erste dient dazu, einen Einblick in die Arbeitsweisen, Kommunikationsstrukturen und die notwendigen Schritte am Arbeitsplatz zu erhalten. Dabei ha-ben die Zusammenarbeit der Operatoren und das Geschehen in der Leitwarte insgesamt im Vor-dergrund gestanden. Im Anschluss sind die Mitarbeiter mit einem halbstandardisierten Fragebogen zu demographischen Kriterien und selbstberichteter Computeraffinität, zur Arbeitsorganisation und zur Leitwarte allgemein befragt worden. Eine zweite teilnehmende Beobachtung hat zum Zweck, die bisherigen Beobachtungen an besonders interessanten Arbeitsplätzen zu vertiefen. In dieser Phase sind die Teilnehmer dazu angehalten worden, laut zu denken. Um einen Vergleich über die

Untersuchung der Arbeitsumgebung

Domänen hinweg auch auf der Basis quantitativer Daten (z. B. Art und Anzahl von Geräten) ge-währleisten zu können, ist zum Abschluss der teilnehmenden Beobachtung ein standardisierter Fragebogen eingesetzt worden, der von beiden Versuchsleitern bearbeitet worden ist, um so die Interrater-Reliabilität der Daten sicherzustellen. Ein weiteres halbstrukturiertes Interview hat die Untersuchung abgeschlossen. Hierbei haben die Experten die Möglichkeit erhalten, Vor- und Nachteile ihrer derzeitigen Arbeitsumgebung zu diskutieren, neue Interaktionstechnologien und deren Einsatz zu erörtern und Wünsche zu formulieren.

Abbildung 18 Ablauf der Untersuchung vor Ort

Die Untersuchung ist in fünf unterschiedliche Phasen gegliedert und dauert zwi-schen sechs und acht Stunden (Schwarz, Kehr, et al., 2010).

Die Interviews sind mittels Tonaufnahmen aufgezeichnet worden. Fotoaufnahmen sind während der gesamten Durchführungsphase erstellt worden. Von Videoaufnahmen ist dagegen abgesehen worden, da die Kamera ständig hätte nachgeführt werden müssen und so die Operatoren unnötig von ihrem Arbeitskontext abgelenkt gewesen wären.