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Nach Böhle und Rose (1992) lassen sich zwei Arten des Handelns unterscheiden, zum einen das subjektivierende und zum anderen das objektivierende Arbeitshandeln. Die unterschiedlichen Hand-lungsformen haben ihren Ursprung in einer Untersuchung von Arbeitsbedingungen in der industri-ellen Fertigung. Dabei basiert das subjektivierende Arbeitshandeln auf der komplexen sinnlich-körperlichen Wahrnehmung, und das objektivierende Arbeitshandeln ist durch eine objektiv-neutrale Beziehung zur Umwelt geprägt. Tabelle 1 nach Böhle und Rose (1992) verdeutlicht die unterschied-lichen Handlungssituationen.

Tabelle 1 Überblick über das subjektivierende und objektivierende Arbeitshandeln Subjektivierendes Arbeitshandeln Objektivierendes Arbeitshandeln Komplexe sinnliche Wahrnehmung und Vorstellung Wahrnehmung definierter und messbarer Information Praktische Kenntnisse und intuitiv assoziatives Denken Theoretische Kenntnisse und logisch-formales Denken Dialogisch-interaktives Vorgehen Planmäßiges Vorgehen (Trennung von Planen und Ausführen)

Persönliche Beziehung Sachlich distanzierte Beziehung

Die Ebene der sinnlichen Wahrnehmung hat beim subjektivierenden Arbeitshandeln einen besonderen Stellenwert. Dieses Handeln, das auch mit tacit skills in Verbindung gebracht worden ist (Hornecker, 1997), beruht auf der komplexen sinnlichen Wahrnehmung des Menschen. Es ist mit der subjekti-ven Wahrnehmung verknüpft und erstreckt sich sowohl über die menschlichen Sinne als auch de-ren Bewegungen. Die sinnlich-körperliche Wahrnehmung bezieht sich auf vielfältige und kompli-zierte Informationsquellen.

Nach Hornecker (1997) ist das subjektivierende Arbeitshandeln „an die Person gebunden, prozeß-haft-interaktiv, emphatisch, gefühlsbetont und intuitiv – im Gegensatz zum objektivierenden Arbeitshan-deln, das rational, planerisch, analysierend ist. Es bezieht alle Sinne und – direkt oder indirekt – den Körper (Leib) ein. Statt konzentriert, punktgenau und zielgerichtet zu beobachten, schweift die Aufmerk-samkeit und registriert offen und breitbandig, sozusagen aus den Augenwinkeln, aus der Peripherie des Bewusstseins.“ (S. 1)

Beim subjektivierenden Arbeitshandeln entstehen infolge sinnlicher Wahrnehmung handlungs- und bedeutungsrelevante Zusammenhänge (Böhle & Rose, 1992). Diesbezüglich schreibt Hornecker (1997):

„Das Leitwartenpersonal einer Anlage geht z. B. im Geiste an den Kesseln vorbei, erfahrungsgemäß ,problematische‘ Kessel werden dabei als ,größer‘ imaginiert.“ (S. 1)

Vor allem die körperlichen Bewegungsabläufe bei Bedienhandlungen werden vom Menschen ge-speichert und zu einem späteren Zeitpunkt aus dem Gedächtnis abgerufen. Das objektivierende Ar-beitshandeln richtet sich nach „objektivierbaren, d. h. personen- und situationsunabhängigen, generell gültigen Kriterien.“ (Böhle, 2001, S. 118) Beim Handeln ist die sinnlich-körperliche Wahrnehmung weniger bedeutsam, da die Entwicklung zur geistigen Arbeit geht und die Mediatisierung der Technik zu-nimmt (Böhle & Rose, 1992). Die Bewertung der visuell aufgenommenen Information steht dem Menschen in Form von formalisierbarem Wissen zur Verfügung. Dabei wird das technisch-analytische Denken unterstützt und das zweckrationale Handeln ermöglicht. Für die praktische Handlungsausführung sind Körperbewegungen erforderlich, die durch Entscheidungen rationaler Art entstehen. Nach Böhle (2001) sind diese im Wesentlichen quasi-automatisiert. Somit entsteht nach Böhle et al. (2011) eine „Entkörperlichung und Entsinnlichung von Arbeit“ (S. 17), was zunächst den Augenschein einer „Befreiung von körperlicher Mühsal“ (S. 18) erweckt. Die Veränderung lässt den Menschen die Arbeit nicht mehr sinnlich-körperlich wahrnehmen.

Die Leitwarte als Designdomäne

Die Besonderheiten des subjektivierenden und objektivierenden Arbeitshandelns sind für die Arbeit in der heutigen Leitwarte gleichermaßen bedeutsam. So können Interaktionskonzepte, die sich das subjektivierende Arbeitshandeln zum Vorbild nehmen, bewusster wahrgenommen werden. Das objek-tivierende Arbeitshandeln ist hingegen wichtig, um die Vielzahl an Prozessinformationen korrekt interpretieren zu können. Die Fähigkeit, je nach Situation zwischen den Handlungsweisen zu wech-seln, ist für die Arbeit der Operatoren besonders wichtig (Hornecker, 1997). Im Folgenden wird die Entwicklung der Arbeitsweisen anhand der unterschiedlichen Generationen von Leitwarten be-schrieben.

Evolution der Leitwarten 2.3

Durch die industrielle Revolution in Verbindung mit der weitläufigen Etablierung von Produkti-onsprozessen ist sowohl die gezielte sequenzielle als auch die parallele Steuerung von unzähligen technischen Geräten ein bedeutendes Thema geworden. Dabei hat sich die Prozessführung über Jahre hinweg als Innovationstreiber in der Interaktion zwischen Mensch und Maschine ausgezeich-net, z. B. durch das Einführen von direkten sowie indirekten mechanischen Steuerelementen oder das Anzeigen und Signalisieren von Meldungen. Durch die fortschreitende technische Entwicklung haben sich verschiedene Paradigmen der Interaktion in der Prozessführung herauskristallisiert. Der Begriff Paradigma wird dabei nach Kuhn (1970) als etabliertes Verständnis in der Art der Prozess-führung mit definierten Methoden und Technologien verstanden. Die verschiedenen Paradigmen können sich durch fortschrittliche Entwicklungen ändern. Diese Paradigmenwechsel münden abermals in einem neuartigen Paradigma.

Historisch betrachtet, lassen sich folglich für die in der Prozessführung verwendeten Interaktions- und Visualisierungstechnologien drei Paradigmen ableiten (siehe Abbildung 8): (a) dezentrale manuelle Prozessführung, (b) zentrale manuelle Prozessführung und (c) zentrale digitale Prozessführung.

Abbildung 8 Evolution der Interaktionsparadigmen in der Prozessführung

(a) Prozessführung zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts; (b) Zentrale manu-elle Prozessführung ab den fünfziger Jahren; (c) Zentrale digitale Prozessführung in der heutigen Zeit (Heuer, 2002; Schwarz et al., 2011)

Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts sind einzelne Maschinen vor Ort manuell bedient worden (siehe Abbildung 8a). So hat beispielsweise die Manipulation von Prozessgrößen ihren historischen Ursprung in der manuellen Maschinenbedienung. In dieser frühen Phase der Prozessüberwachung

Hoher Kontextbezug

Geringer Kontextbezug Vollständige

Planung Überwachung

1 2 3

Entwicklungsstufen

Kontext Tätigkeit

1920 1960 2010

Pressebild der Siemens AG Referenznummer: sosep200615-09 www.animatedsoftware.com/hotwords/control_room

prarie_island_control_room.gif www.ahmettop.worldpress.com

(a) (b) (c)

Die Leitwarte als Designdomäne

entspricht die vom Operator wahrgenommene Umwelt dem realen Prozessgeschehen der Anlage.

In den fünfziger Jahren ist die Interaktion von Mensch und Maschine an einem Ort zentralisiert worden (siehe Abbildung 8b). Diese hat es nun analog ermöglicht, den Prozess als Ganzes zu steu-ern und zu beobachten. Dem steht die aktuelle Prozessführung der digitalisierten Leitwarte mit ihrer mannigfaltigen Automation gegenüber, die sich auch fernab vom realen Prozessgeschehen befindet (siehe Abbildung 8c).

Im Folgenden werden die einzelnen Ausprägungen der Arbeitsumgebung von Operatoren vorge-stellt. Hierbei findet eine Analyse der verschiedenen Paradigmen der Interaktion zwischen Mensch und Maschine statt. Die im Zuge der voranschreitenden Digitalisierung gewonnenen und verlore-nen Qualitäten werden dabei entsprechend diskutiert.

2.3.1 Erstes Paradigma: Dezentrale manuelle Prozessführung

Am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts ist die Prozessführung durch die manuelle Maschinenbe-dienung geprägt gewesen (siehe Abbildung 9a). Eine Überwachung und Steuerung der gesamten Anlage ist zu diesem Zeitpunkt nicht möglich gewesen, da Operatoren dezentral eingesetzt gewesen sind und somit lediglich den Teilprozess an der jeweiligen Maschine überwachen und steuern konn-ten (Kurz, 2008). Der Operator ist in die Prozesse eingebettet gewesen, wodurch die wahrgenom-mene Umwelt dem realen Prozess selbst entsprochen hat (siehe Abbildung 9b).

Abbildung 9 Direkte Bedienung der Maschine im Feld

(a) Die Anzeigen und Stellräder sind unmittelbar an der Maschine angebracht.6 (b) Der Mensch bedient die Anlage direkt im Feld und bekommt die Eigenschaf-ten der Maschine durch Lärm und Vibration unmittelbar zurückgemeldet.7

Durch die unmittelbare Wahrnehmung der Ein- und Ausgabe einer Maschine ist die Prozessfüh-rung geprägt gewesen. Das ist zum einen implizit durch die Wahrnehmung von Gerüchen, Tempe-raturunterschieden, Geräuschen oder Vibrationen der Maschinen (Kurz, 2008) und zum anderen durch explizite Bedienhandlungen, z. B. durch spürbare Widerstände bei der Nutzung mechani-scher Stellteile (Handräder oder Hebel), geschehen.

Nach Ulich (1992) sind es gerade die sinnlich-körperlichen Informationen und der „Grad der zessnähe“ (S. 219), die stark zum Erfahrungswissen eines Operators beitragen und diese Art der Pro-zessführung prägen. Die Ausführung einer Bedienhandlung leitet sich vom Verb handeln ab. Zu jener Zeit hat das auch der tatsächlichen Bedeutung von einer direkten Interaktion mit den Händen, z. B. berühren, bearbeiten oder verrichten, entsprochen. Somit entspricht diese Art der Prozessfüh-rung durch die ausgeprägte sinnlich-körperliche Wahrnehmbarkeit der Form des subjektivierenden

6 http://www.ge.com/de/images/unternehmen/1_3_geschichte_feature_image.png, zuletzt aufgerufen am 23.05.2014.

7 http://www.industriekultur-museumos.de/system/html/Industrialisierung-b50de064.jpg, zuletzt aufgerufen am 23.05.2014.

(a) (b)

Die Leitwarte als Designdomäne

Arbeitshandelns. Der Operator konnte aufgrund der Erfahrung im Umgang mit der Maschine auf stark automatisierte Handlungsmuster ohne tiefe kognitive Verarbeitungsprozesse zurückgreifen (vgl. sensomotorische Ebene im SRK-Modell nach Rasmussen, 1983; siehe Abschnitt 2.2.1).

Die unmittelbare Prozessnähe hat jedoch auch entscheidende Nachteile für Operatoren gehabt, da diese oftmals sehr hohen Gefahren ausgesetzt gewesen sind. Eine unerwartete Fehlfunktion der Maschine hat sich auf die direkte Arbeitsumgebung und dadurch auch unmittelbar auf den Opera-tor ausgewirkt. Die konstant widrigen Arbeitsbedingungen durch Lärm und Vibration haben zudem gesundheitsgefährdende Auswirkungen für den Menschen gehabt (Böhle & Rose, 1992). Darüber hinaus sind sehr viele Operatoren nötig gewesen, um die räumlich verteilten Prozesse zu steuern.

In den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts ist durch das Einführen von Steuerschränken in Produktionshallen eine sequenzielle Steuerung von mehreren technischen Prozessen ermöglicht worden. Dieser Wandel leitet das zweite Paradigma der Prozessführung ein.