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Leitbild für die Konzeptentwicklung sind die Anforderungen, die zum einen in der Nutzungskon-textanalyse vor Ort (siehe Abschnitt 3.2.3) und zum anderen in der Fokusgruppe (siehe Abschnitt 6.1.3) identifiziert worden sind. Die Einstellgeschwindigkeit ist die Zeit, die vom Operator benötigt wird, um einen bestimmten Variablenwert mit dem Kontrollelement einzustellen, das entspricht

Manipulation und Dokumentation

dem Begriff der Stellgeschwindigkeit nach DIN EN 894-335 (Stellteile). Hingegen ist die Einprägsamkeit durch die Nachhaltigkeit einer Interaktion bei der Manipulation von Prozessvariablen gekennzeich-net. Konkret bedeutet das, inwieweit die eingestellten Werte, die im Zuge der Bearbeitung einer Arbeitsanweisung manipuliert worden sind, aus dem Gedächtnis abgerufen werden können. Dabei muss das dem Konzept zugrundeliegende Modell in einem engen assoziativen Verhältnis zur jewei-ligen Prozessvariablen stehen. Das bedeutet gleichzeitig, dass die typischen Operationsweisen für das Stellteil nachgeahmt werden. Die Konzepte sind aufgrund der starken Assoziation des Drehrads zu Durchlassgrößen wie Kühlwasser und Speisewasser sowie für den Schieberegler zur Bestimmung der Fördermenge der Kohle im Energiegewinnungskontext integriert. Nachfolgend werden Kon-zepte zu klassischen Stellteilen (Drehregler und Schieberegler) aus dem Kraftwerkskontext darge-stellt, die auf der Grundlage der realitätsbasierten Prinzipien gestaltet worden sind.

Drehregler

Die Ventile und auch das Drehrad gehören nach DIN EN 894-335 zu den rotatorischen Stellteilen mit kontinuierlichen Stellbewegungen. Sie werden senkrecht zum Zufassungsgriff bedient. Es wird zwar eine Blindbedienung ermöglicht, die Sichtkontrolle ist aber deutlich eingeschränkt, da die Stel-lung des Drehrads keine logische Folgerung auf die aktuelle WerteeinstelStel-lung erlaubt.

Haptisches Kontrollelement – Der Drehregler ist durch die Bedieneigenschaften und Qualitäten des rotatorischen Stellteils charakterisiert und hebt sich wegen der physischen Eigenschaften durch eine ausgeprägte sinnliche Wahrnehmbarkeit hervor. In der Notation des Conceptual Blending entsprechen die realen Eigenschaften dem Input Space 1. Dabei werden die Funktionen eines Wasserauslaufven-tils auf den Drehregler übertragen (siehe Abbildung 121a).

Abbildung 121 Physisches Konzept des Drehreglers

(a) Manipulation einer Prozessvariablen mit dem Tangible sowie Button zur Be-stätigung des einzugebenden Werts; (b) Darstellung des inaktiven Zustands (Müller, Schwarz, Butscher & Reiterer, 2014)

Die eingeschränkte Sichtkontrolle wird durch eine digitale Kreisvisualisierung, die den Input Space 2 repräsentiert, erweitert. Der resultierende Blend beschreibt die jeweiligen Vorteile der Konzepte, indem sowohl die physischen Eigenschaften des Drehreglers (Input Spaces 1) als auch die kontext-spezifische virtuelle Kreisvisualisierung (Input Spaces 2) umgesetzt werden. Abbildung 121b zeigt den inaktiven Zustand der Prozessvariablen, wenn der Drehregler nicht auf dem Interactive Tabletop positioniert ist. Die digitale Durchlassanzeige erstreckt sich radial (Input Space 2). Diese erscheint, sobald der Drehregler an einer beliebigen Stelle im Dialogfenster aufgestellt wird. Die Form des Füllstands entspricht dabei einer Art Keilvisualisierung, dessen Ausdehnung mit der Wertzunahme, d. h. einer Rechtsdrehung, wächst. Dadurch wird die Drehrichtung visuell verstärkt. Die Anzeige

35 DIN EN 894-3 (2010-01): Sicherheit von Maschinen - Ergonomische Anforderungen an die Gestaltung von Anzeigen und Stellteilen - Teil 3: Stellteile.

(a) (b)

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breitet sich von außen nach innen aus, um die Anzeige der Zahlenwerte optimal lesbar zu machen.

Die numerischen Werte werden dem Füllstand entlang abgebildet. Der Füllstand erscheint, sobald der Drehregler an einer beliebigen Stelle im Dialogfenster aufgestellt wird. Auf Basis einer Anforde-rung aus der Fokusgruppe wird zur besseren Haftung auf die Auflagefläche des Drehreglers eine Adhäsionsfolie aufgebracht. Als Vakuummaterial wird das Nano-Pad36 des Herstellers Inotec ver-wendet, das auf der Basis einer Untersuchung von Hennecke, Wimmer, Vodicka und Butz (2012) im Projekt Vertibles ausgewählt worden ist. Zur Anknüpfung an die realweltliche Vorerfahrung des haptischen Bedienwiderstands beim Minimal- und Maximalwert (Input Space 1), wird das Überdrehen durch die physischen Eigenschaften verhindert, damit ein fühlbarer Anschlag beim vollständigen Auf- und Zudrehen zu spüren ist. Um eine realistische Bedienung zu simulieren, wird die Drehbe-wegung durch ein Gewinde unterstützt. Zusätzlich bekommt der Operator bei der Drehung des Rads einen Widerstand als haptisches Feedback zurückgemeldet.

Wie bereits beschrieben, wird in Anlehnung an die rotatorische Bedienung die virtuelle Füllstands-anzeige kreisförmig um die Stellteile herum umgesetzt. Die Verbindung von realweltlicher erlernter Bedienung mit rechtsdrehendem Gewinde wie beim Schließen eines Ventils und die kreisförmige Anordnung von Werten wie bei der Uhrzeit führen jedoch zu einem Widerspruch des Richtungs-codes. In der realen Welt werden rechtsdrehende Gewinde eingesetzt, um Ventile mit einer Rechts-drehung zu schließen, was beim Nutzer eine Werteverminderung assoziiert. Hingegen entspricht die Darstellung von kreisförmigen Zahlenanordnungen häufig dem Uhrzeigersinn, folglich dem Richtungscode einer Rechtsdrehung und damit einer Werteerhöhung. Aus diesem Grund muss zunächst in einer Vorstudie das Nutzerverhalten in Verbindung mit den unterschiedlichen Rich-tungscodes überprüft werden.

Es werden die Eingabemodalitäten (Maus, Touch und Tangible) mit jeweils zwei Drehrichtungen (links und rechts) getestet. Nach einer kurzen Einführung durch den Versuchsleiter und einer Ex-plorationsphase wird jedem Teilnehmer pro Eingabemodalität und Drehrichtung eine Zahlenreihe von sechs Zufallszahlen sequenziell präsentiert. Die Zahlenreihen müssen von den Teilnehmern eingegeben werden. Dabei werden die Eingabemodalitäten komplett ausbalanciert. Die Versuchs-personen beginnen bei den Eingabemodalitäten immer mit dem rechtsdrehenden oder linksdrehen-den Kontrollelement. Im Anschluss an jede Modalität wird anhand eines Fragebogens abgefragt, welche Drehrichtung präferiert worden ist.

An der Studie nehmen zwölf Probanden (sechs weiblich und sechs männlich) teil. Außer einer Per-son, die angibt, bereits berufstätig zu sein, sind alle Teilnehmer Studenten der Universität Konstanz.

Das Durchschnittsalter beträgt 23.96 Jahre (SD = 3.22). Im Teilnehmerkreis sind elf Personen Rechtshänder und eine ist Linkshänder. Alle Probanden favorisieren in der Mauseingabe die rechts-drehende Variante. Elf von zwölf Teilnehmern finden die Rechtsdrehung in der Touch- sowie in der Tangiblemodalität geeigneter. Dabei bevorzugt auch der Linkshänder die rechtsdrehende Vari-ante. Die Bewertungen werden in eine Nominalskala (0 bevorzugt rechtsdrehend und 1 bevorzugt linksdre-hend) überführt. Für die Auswertung der Daten wird eine Chi-Quadrat-Anpassung durchgeführt.

Die Auswertung der Daten ergibt bei einem Signifikanzniveau von p < .05, dass signifikant mehr Probanden die rechtsdrehende Variante (Maus t(11) = 12.00, p = .001; Touch t(11) = 8.33, p = .004;

Tangible t(11) = 12.00, p = .001) bevorzugen.

Die Visualisierung der rechtsdrehenden Variante wird eindeutig der linksdrehenden und somit der realen Drehrichtung vorgezogen. Das verdeutlicht, dass für das Drehreglerelement und dessen Visualisierung der Zahlenwert und somit der Sehsinn gegenüber der haptischen Nutzungsgewohn-heit dominiert.

36 http://www.nano-pad.com, zuletzt aufgerufen am 12.05.2014.

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Touch-Kontrollelement – Das digitale Konzept zur manuellen Eingabe beinhaltet die direkte Manipula-tion einer digitalen Metapher, die sich am haptischen Drehrad orientiert (siehe Abbildung 122a).

Während diese Eingabeform ohne haptische Qualitäten auskommen muss, wird eine (be)greifbare Interaktion beispielsweise dadurch erzielt, dass nach den Naïve Physics (Jacob et al., 2008) physikali-sche Prinzipien imitiert werden. Daher wird die direkte Manipulation der Metapher natürlicher wahrgenommen und die Interaktion durch intuitive Gesten möglich (Wigdor & Wixon, 2011).

Die grundlegende Bedienung orientiert sich stark an realen Funktionsweisen und entspricht damit dem haptischen Konzept. Durch eine radiale Bewegung per Finger wird das Drehrad über den Berührpunkt bedient (siehe Abbildung 122b).

Abbildung 122 Virtuelles Konzept des Drehreglers

(a) Darstellung des inaktiven Zustands; (b) Schnelle Manipulation der Prozessva-riablen mit kleinem Interaktionsradius; (c) Genaue Manipulation der Prozessvari-ablen außerhalb der Kreisvisualisierung mit großem Radius (Müller, Schwarz et al., 2014)

Abbildung 122c verdeutlicht die genaue Werteeinstellung einer Prozessvariablen, indem der Nutzer in einem größeren Radius interagiert. Zusätzlich zu den metaphorisch nachgeahmten Bedieneigen-schaften wird das virtuelle Kontrollelement um digitalweltliche Merkmale bereichert. Zwar lässt sich hierbei kein spürbarer Anschlag umsetzen, dafür kann aber bei einem Stellvorgang vom nied-rigsten zum höchsten Zahlenwert gesprungen werden.

Nach der Theorie des Conceptual Blending wird eine Bedienung ermöglicht, die sich aus dem Blend zweier Input Spaces ableiten lässt. Neben dem Input Space 1 – dem Verhalten und der Anmutung eines realen Drehreglers (siehe Abbildung 123a) – stellt der Input Space 2 – ein virtueller Kreis (siehe Abbildung 123b) – das zweite Ausgangskonzept dar. Als Gemeinsamkeit haben beide Konzepte übereinstimmende Charakteristika wie Umfang, Mittelpunkt und Radius. Beim Kreis handelt es sich im Gegensatz zum Drehregler allerdings um eine abstrakte geometrische Formgebung. Deren Pa-rameter können beliebig variiert werden. Durch die Ausdehnung des Radius bei einem speziellen Winkel vergrößert sich parallel der Bogen des Kreissektors (d wird d’).

Der Blend in Form des virtuellen Kontrollelements (siehe Abbildung 123c) übernimmt die Eigen-schaft des variablen Radius durch das Herausziehen des Berührpunkts aus seiner Umlaufbahn. Der Operator kann je nach Radius dynamisch zwischen einer schnellen (z. B. von 0 auf 50 durch den Mittelpunkt) und einer präzisen Bedienung (Ziehen des Berührpunkts nach außen) entscheiden.

Das ermöglicht die Bedienung des Drehrads auch außerhalb der Radvisualisierung. Damit birgt es den Vorteil einer höheren Bediengeschwindigkeit oder Stellgenauigkeit. Es besteht eine Verbindung durch eine Linie zwischen Berührpunkt und Drehrad.

(a) (b) (c)