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5. Struktur- und Prozessanalyse: Deutschland, Frankreich und die EU

5.2 Genese und Transformation des französischen Modells

5.2.4 Merkmale des französischen Kapitalismusmodells

Der französische Kapitalismus unterscheidet sich heute, nach einer mehrere Phasen durchlau-fenden Transition, entscheidend von seiner etatistischen und dirigistischen Vergangenheit.

Trotzdem ist, wie immer, auch hier die Gegenwart nur als Produkt der Vergangenheit zu ver-stehen. Besonders im Vergleich zu Deutschland springen die Unterschiede bei den Struktur-merkmalen des Kapitalismus ins Auge.

Wenn, im Sinne der Dependenz- und Weltsystemtheorie, die Weltwirtschaft in Zentrums- und Peripherieregionen unterteilt wird, so gehört Frankreich zweifellos in die Kategorie der kapitalistischen Zentren: Die französische Ökonomie verfügt über sehr große und international wettbewerbsfähige Konzerne, eine hohe Arbeitsproduktivität und seine Industrie ist in den obersten Segmenten der globalen Wertschöpfungsketten stark vertreten. Frankreich ist eines der Länder, die die globale Ökonomie und Internationalisierung von Produktion und Austausch aktiv mitgestalten und prägen. Gleichzeitig weist es aber im Vergleich und Verhältnis zu Deutschland auch weiterhin gewisse Merkmale eines peripheren Kapitalismus auf, die den fran-zösischen Entwicklungsweg prägen. So wurde zwar seit dem Zweiten Weltkrieg das traditio-nelle, auf familiären Kleinbetrieben und verstreuten Bauernhöfen beruhende Produktionsmo-dell grundlegend transformiert und mit staatlicher Steuerung die Industrialisierung nachgeholt, die in Deutschland weitgehend bereits am Ende des vorigen Jahrhunderts stattgefunden hatte.

Jedoch förderte das Konzept des „High-Tech-Colbertismus“ selektiv eine relativ kleine Gruppe großer Konzerne, die erfolgreich führende Positionen in hochtechnologischen Bereichen errin-gen konnten. Dies ging allerdings auf Kosten der kleineren Betriebe, die nicht in vergleichbarer Weise staatliche Förderung genossen und sich entsprechend schwach entwickelten. So ist der Kapitalismus Frankreichs heute einerseits von einer sehr großen Anzahl kleiner und kleinster Betriebe und andererseits von einer kleinen Anzahl sehr großer, weltweit erfolgreich operieren-der Unternehmen geprägt. Eine starke Zwischenschicht mittelgroßer Unternehmen fehlt dage-gen. Dies hat weitreichende Konsequenzen für das Produktionsmodell, und, wie wir sehen wer-den, auch für die politische Positionierung und Formierung des kapitalistischen Unternehmer-tums.

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Obwohl die französische Industrie insgesamt viel kleiner ist als die deutsche, wurden 2009 207.000 französische Unternehmen gezählt, gegenüber nur 180.000 in Deutschland. Dies ist auch eine Folge davon, dass in Frankreich solche Industriezweige, die stark von Großunterneh-men geprägt werden (z.B. die Autoindustrie), eine deutlich geringere Rolle spielen. Jedoch ist auch in anderen Branchen das Gewicht kleiner Unternehmen in Frankreich relativ groß: 12%

der Wertschöpfung in Frankreich entfällt auf Kleinbetriebe bis 9 Beschäftigte und 46% auf Betriebe mit über 250 Beschäftigten gegenüber 4% bzw. 55% in Deutschland (Brenke 2012, 9f). Nach Statistiken des Instituts INSEE werden 200 Firmen als Großunternehmen gelistet, 4500 als Firmen „intermediärer“ Größe, dazu 134.000 KMU und etwa 2,9 Mio. microentrepri-ses, also Kleinstunternehmen (INSEE 2013, 17). Bei den sehr großen Konzernen ist Frankreich gleichzeitig mit 40 der 500 größten Firmen weltweit sehr stark vertreten und auch Deutschland (mit 39) ebenbürtig (Schwarzer 2013, 10). Diese Zahlen drücken den starken Gegensatz zwi-schen der zahlenmäßigen absoluten Dominanz von Kleinstbetrieben und der realen ökonomi-schen Dominanz einer kleinen Gruppe von Großkonzernen aus.

Der Dualismus des produktiven Systems zwischen vielen kleinen und wenigen großen Fir-men ohne bedeutsaFir-men Mittelstand wirkt sich negativ auf die Integration Frankreichs in die Weltmarkthierarchie aus. Wie überall, so ist auch in Frankreich die Internationalisierung von Handel und Investitionen eine hauptsächlich von den großen Konzernen getragene Entwick-lung. Die Konzentration der Exporte auf wenige Unternehmen stieg in der jüngeren Vergan-genheit weiter an, sodass 2012 bereits 39% der Exporte auf die 100 größten Firmen entfielen (1999: 35%). Die Zahl der exportierenden Firmen in Frankreich sinkt kontinuierlich, so von 131.000 im Jahr 2000 auf nur noch etwas über 117.000 im Jahr 2011 (gegenüber 400.000 in Deutschland) (Sauviat/Serfati 2013, 27).

In ähnlicher Richtung wirkt die sektorale Spezialisierung des französischen Produktionsap-parates. Bereits in den 1980er und 1990er Jahren hatten Autoren der „Konstanzer Schule“ das asymmetrische Verhältnis zwischen dem deutschen und dem französischen Kapitalismus als Folge ihrer ungleichen Produktionsstrukturen und der jeweils spezifischen Form der Welt-marktintegration untersucht (Deubner et al. 1992; Ziebura 2003b).

Da Deutschland und Frankreich lange Zeit füreinander die Haupthandelspartner und -inves-toren waren, liegt dieser Vergleich auch nahe. Dies hat sich erst in jüngerer Zeit aufgrund des (relativen) Zurückfallens der französischen Industrie geändert. Deutschland ist zwar noch bei weitem das wichtigste Exportziel für Frankreich, aber Frankreich seit 2010 nicht mehr für

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Deutschland, sondern hinter China und den Niederlanden nur noch auf dem dritten Platz. Den-noch lag 2012 das bilaterale Handelsvolumen Den-noch bei 169,2 Mrd. €, 16% der französischen Exporte gingen nach Deutschland und 10% der deutschen nach Frankreich (Trouille 2013, 5;

Trouille/Uterwedde 2012, 131).

Anders als die deutsche ist die französische Industrie seit Langem im Bereich der Produktion von Investitionsgütern nur schwach vertreten. Deshalb mussten die für die Modernisierung be-nötigten Inputs überwiegend importiert werden, zu einem großen Teil aus Deutschland. Diese strukturelle Abhängigkeit von Importen hochwertiger Waren im Produktionsmittelsektor hatte großen Anteil am ständigen Defizit der Handelsbilanz gegenüber der Bundesrepublik und ins-gesamt. So hingen heimische Produktionsstruktur und internationale Einbindung der Wirtschaft organisch miteinander zusammen. Die defizitären Handels- und Leistungsbilanzen sind Aus-druck des inkohärenten und daher auf ständige Investitionsgüterimporte angewiesenen Produk-tionsapparates, das wiederum schwächte den Auftritt des französischen Kapitalismus auf dem globalen und europäischen Markt. Frankreich war, auch historisch bedingt, zudem lange Zeit in seiner Außenwirtschaft auf seine Kolonien und deren Nachfolgestaaten orientiert und richtete sich dann seit dem Eintritt in die EWG auf Westeuropa aus. Die BRD konnte sich hingegen auf der Grundlage ihrer starken Exportindustrie auch in anderen Ländern etablieren und damit ihre Krisenanfälligkeit verringern. Schließlich wirkte sich die Asymmetrie auch auf die transnatio-nalen Kapitalverflechtungen aus, die mit den Privatisierungen und Liberalisierungen seit den 1980er Jahren zunahmen. US-amerikanisches, britisches, aber auch (west-)deutsches Kapital spielten eine bedeutende und zunehmende Rolle in den französischen Unternehmen (ebd.).

Auch auf dem Gebiet der Währungsbeziehungen machte das ungleiche Verhältnis sich bemerk-bar: Der Außenwert des Franc fiel das ganze 20. Jahrhundert durch gegenüber der deutschen Währung (Reichsmark bzw. DM) kontinuierlich ab, sodass die französischen Regierungen im-mer wieder zu teils starken Abwertungen gezwungen waren (Mistral 2008, 56f). Die europäi-sche Integration, vor allem auf wirtschaftlicher Ebene und durch die Gründung des Europäi-schen Währungssystems, begünstigte in den 1980er Jahren die Entstehung einer faktiEuropäi-schen DM-Zone, in der die deutsche Bundesbank mit ihrer Geldpolitik den Takt vorgab, dem die anderen Zentralbanken einschließlich der französischen folgten, um die Wechselkurse ihrer ei-genen Währungen stabil zu halten (Reichardt 1998, 198; Howarth 2009b, 127)

Aus heutiger Sicht wurden die Muster dieser strukturellen Asymmetrie weitgehend fortge-schrieben. In Frankreich ist 2010 mit etwa einem Drittel der industriellen Wertschöpfung die

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Produktion von Investitionsgütern deutlich schwächer vertreten als in Deutschland (mehr als die Hälfte). Vor allem der Maschinenbau, die Produktion von Kraftfahrzeugen und die Elektr-obranche sind in Frankreich schwächer entwickelt, dafür ist allerdings der sonstige Fahrzeug-bau (Schifffahrt, Luftfahrt, Eisenbahn) stärker. Insgesamt spielt der Konsumgütersektor in Frankreich relativ gesehen eine größere Rolle (Brenke 2012, 7). Viele wichtige und forschungs- und kapitalintensive Branchen wie Pharmazie, Maschinenbau, Automobilproduktion und Elektronik stecken in der Krise und verlieren an Bedeutung (siehe Tabelle).

Der deutsch-französische Güteraustausch ist dementsprechend asymmetrisch: Während die deutschen Ausfuhren zu einem bedeutenden Anteil aus Produkten hoher Wertschöpfungsstufen und mit hohen Technologieinputs bestehen, erzielt Frankreich sektorale Handelsüberschüsse lediglich bei technisch wenig komplexen Gütern (Getränke, Brennstoffe, Rohstoffe, Fette usw.).

Branchen

Anteil am BIP 2010

Wachstum 2001-2010 Nahrung, Futtermittel, Getränke, Tabakverarbeitung 16,8 -2,3

Chemie 7,2 1,4

Pharmazie 4,1 -17,4

Gummi- und Kunststoffwaren 5,7 -14,9

Metallerzeugnisse 3,5 8,5

EDV-Geräte, Elektronik und Optik 3,3 -46,4

Maschinenbau 6,4 -9,5

KfZ und Kraftwagenteile 5,1 -29,2

Reparatur und Installation von Maschinen und

Aus-rüstungen 9,7 27,5

insgesamt forschungsintensive Zweige 34,4 -16 BIP insgesamt: 2 Bio. €

Tabelle 4: Sektorale Zusammensetzung der verarbeitenden Industrie in Frankreich.

Daten nach: Brenke 2012; Eurostat.

Diese Unterschiede drücken also nicht nur im Vergleich eine Asymmetrie aus, sondern auch in der Beziehung der beiden Volkswirtschaften zueinander. Deutschland ist für Frankreich mit Abstand das wichtigste Exportziel mit etwa 20% der Gesamtexporte (umgekehrt steht Frank-reich nur an zweiter Stelle der deutschen Exporte), aber trotzdem ist der französische Export nach Deutschland deutlich weniger umfangreich als umgekehrt: Während Deutschland 2002 Waren im Wert von 68,7 Mrd. € nach Frankreich exportierte, hatte Frankreich diesen Wert

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selbst 2014 noch nicht ganz erreicht (66,7 Mrd. €), als Deutschland bereits die 100 Mrd. €-Marke überschritten hatte (Statista 2016b). Diese Asymmetrie ist ein gewichtiger Faktor hinter dem permanent negativen Handelsbilanzsaldo Frankreichs. Sie ist ihrerseits Folge der histo-risch weit zurückreichenden und andauernden Differenzen bei der Kohärenz der Produktions-strukturen. Wie bereits in den 1980er Jahren festgestellt wurde, hatten Länder wie die BRD und Japan einen Konkurrenzvorteil dadurch, dass ihre Industriestrukturen komplementär wirkten und die Produktion industrieller Ausrüstung, die von den anderen Branchen direkt gekauft wurde, eine zentrale Stellung darin einnahm. Die französische Industrie hingegen ist stark vom Import solcher Güter wie insbesondere Werkzeugmaschinen abhängig. In Frankreich fällt die Produktion industrieller Ausrüstung lediglich mit 5% ins Gewicht, was deutlich unter dem EU-Durchschnitt von 9% liegt. Bei der Produktion von Werkzeugmaschinen fiel Frankreich 2011 sogar hinter der Türkei zurück. Hierin zeigt sich eine charakteristische Inkohärenz der Produk-tionsstrukturen, die wiederum auch mit der großen Kluft zwischen großen Konzernen und KMU zusammenhängt. Enge Kooperationsbeziehungen wie in Deutschland, wo Industriekon-zerne mit kleineren Lieferanten industrieller Ausrüstung regelmäßige Beziehungen entwickelt haben, können so nicht entstehen (Sauviat/Serfati 2013, 18f). Die Krise seit 2008 hat zudem auch den Maschinen- und Anlagenbau, besonders die Produktion von Werkzeugmaschinen, empfindlich getroffen. Dies erhöht die Abhängigkeit von Investitionsgüterimporten, die mit großem Abstand (und einem Anteil von 26,5%) zuallererst aus Deutschland kommen. Auch bei der Automatisierung verzeichnet die französische Industrie im Vergleich zu ihren direkten Kon-kurrenten einen Rückstand. Für Ende 2013 wird die Gesamtzahl der Industrieroboter im fran-zösischen Produktionsapparat auf 33.000 geschätzt, in Deutschland dagegen auf das Fünffache dieses Wertes (165.800) und selbst in Italien auf 58.600 (Germany Trade & Invest 2014).

Die divergierende Spezialisierungsstruktur drückt sich in der Forschungsintensität der In-dustrie aus: Nur 34,4% der französischen Exporte wurden 2010 als forschungsintensiv gewertet gegenüber 56,8% der deutschen Exporte. Die Schere geht zudem seit Jahren auseinander (Brenke 2012, 8f). Eine Gliederung der Exporte nach Technologieintensität ergibt, dass die französischen Exporte zu etwa 20% dem High-Tech-Bereich zugerechnet werden und weitere 40% dem Bereich „Medium bis High Tech“ (Wierts et al. 2014, 932). Das ist zwar den relativen Zahlen nach vergleichbar der deutschen Exportstruktur, jedoch machen die deutschen Exporte einen viel größeren Anteil am BIP aus als die französischen und das bei einem BIP, das im

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Untersuchungszeitraum um gut 30% über dem Frankreichs lag. Damit liegen die hochtechno-logischen Exporte in Frankreich absolut gesehen nur etwa bei 40% der deutschen.

Das verarbeitende Gewerbe machte 2011 in Frankreich nur noch 10,1% der Bruttowert-schöpfung aus, während es 2001 noch 14,7% gewesen waren. Nur wenige europäische Länder liegen noch darunter. In Deutschland war der Anteil mit 22,6% mehr als doppelt so hoch und das bei einem höheren BIP (Brenke 2012, 5). Arbeiteten 1980 noch 5,1 Mio. Menschen in der Industrie, waren dies 2011 bereits 2 Mio. Menschen weniger (Schwarzer 2013). Auch die Ex-portquote ist in Frankreich mit knapp über 20% eine der niedrigsten in der EU (Brenke 2012, 6). Auch weiterhin sind die französischen Exporte stärker auf die alten EU-Länder konzentriert, während deutsche Firmen in höherem Maße nach Osteuropa, die USA und aufstrebende Schwellenländer wie China exportieren (ebd., 7).

Die Diskussion um die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte in der Eurozone wird oft stark auf die Frage der Lohnstückkosten eingeengt (vgl. z.B. Lapavitsas et al. 2012). Im Fall des deutsch-französischen Verhältnisses hat diese Perspektive eine gewisse Berechtigung, da die Exportstrukturen der beiden Länder stark komplementär sind, also in vielen Branchen Pro-duzenten dies- und jenseits des Rheins direkt miteinander konkurrieren. So wurde ausgerechnet, dass 2004 gemessen am Exporterlös 96% der französischen Exporte in ihrem Zielland mit ei-nem deutschen Unternehmen konkurrierten, das ein gleichartiges Produkt verkaufte. Nach einer genaueren Berechnungsart waren es immerhin noch 88% für das Jahr 2007, während der ent-sprechende Wert zwölf Jahre zuvor noch bei 82% gelegen hatte. Die Spezialisierung der Ex-porte findet dabei zunehmend nicht mehr in Form neuer einzelner Produkte oder auf dem Ni-veau ganzer Branchen statt, sodass sich Länder nur auf bestimmte Branchen spezialisieren und andere außen vor lassen würden, sondern als Variationen gleichartiger Produkte (Fon-tagné/Gaulier 2008, 17ff).

Die Lohnsteigerungen in Frankreich waren seit den 1990er Jahren größer als die in Deutsch-land, weshalb sich die Lohnstückkosten auseinanderentwickelten. Die Lohnstückkosten in der Gesamtwirtschaft stiegen von 1995-2010 in Frankreich um etwa 25% (in Deutschland nur um weniger als 2%). Der Unterschied scheint sehr deutlich. Ein anderes Bild ergibt jedoch die Ent-wicklung in der verarbeitenden Industrie, die für den Großteil der Exporte und der Wettbe-werbsfähigkeit des Landes aufkommt: Hier sanken im selben Zeitraum die Lohnstückkosten in Frankreich sogar etwas schneller als in Deutschland, nämlich um knapp 0,9% (gegenüber gut 0,7%) (OECD Statistiken).

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Auch die steuerliche Belastung ist im Vergleich mit anderen Industrieländern nicht beson-ders hoch, da günstige Abschreibungsmöglichkeiten in Frankreich die Industrie entlasten und die höhere Besteuerung auf anderen Feldern kompensieren (Sauviat/Serfati 2013, 19).

Dies legt nahe, dass die hauptsächlichen Faktoren für die schwächere Position der französi-schen Exporte bei qualitativen Faktoren zu finden sind, die durch die Konzeption der preisli-chen Wettbewerbsfähigkeit nicht erfasst werden.

Diese muss als kausaler Faktor des Zurückfallens Frankreichs also relativiert werden: Da die Technologieintensität französischer Exporte vergleichsweise hoch ist, spielen preisliche Ver-änderungen, ob durch die Lohnentwicklung, Wechselkursschwankungen oder andere Faktoren, eine eher untergeordnete Rolle im Vergleich zu wirtschaftlich weniger entwickelten Ländern (Wierts et al. 2014, 937). Andererseits macht sich die abweichende Zusammensetzung der fran-zösischen Exporte gegenüber den deutschen durchaus doch in einer höheren Elastizität der Preise bemerkbar: Bei einer Aufwertung des Euro um 10% müssen französische Exporteure ihre Preise in Euro um über 3% reduzieren, deutsche dagegen durchschnittlich nur um die Hälfte dieses Betrags (Fontagné/Gaulier 2008, 10). Damit ist die französische Industrie gegen-über preislichen Veränderungen anfälliger als die deutsche. Dies deckt sich mit den Befunden einer Studie, dass bei Ländern mit stark hochtechnologisch geprägten Exporten auch das Volu-men der Gesamtexporte überproportional höher ist und diese Länder stärker als andere vom Wirtschaftswachstum ihrer Handelspartner (die dann verstärkt technologieintensive Güter nachfragen) profitieren können (Wierts et al. 2014, 935ff). Beides verstärkt den relativen Vor-teil Deutschlands gegenüber Frankreich.

Noch schwächer als bei den Güterexporten ist die französische Position bei den Exporten von Dienstleistungen: 1999 erzielte Frankreich beim grenzüberschreitenden Handel mit Dienst-leistungen (außer Tourismus) noch ein Plus von 5%, 2006 war es bereits ein Defizit von 9%

(Sauviat/Serfati 2013, 25f).

Schließlich ist die Form der Internationalisierung der Produktion ein relevanter Faktor. Wäh-rend die deutsche Industrie ihre preisliche Wettbewerbsposition durch die Auslagerung be-stimmter Produktionsschritte nach Osteuropa verbessern konnte, ist der Effekt solcher Prakti-ken auf die französische Industrie weniger eindeutig. Stärker als die deutschen haben die fran-zösischen Konzerne ganze Produktionsketten ins Ausland verlagert und nicht nur ausgewählte Segmente. Zudem ist der Anteil an Niedriglohnländern bei den Importen intermediärer Güter

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in Frankreich niedriger (Fontagné/Gaulier 2008, 35f). Beides spricht dafür, dass es den franzö-sischen Konzernen, wohl auch aufgrund der geografischen Lage, schlechter als den deutschen gelungen ist, durch Offshoring bestimmter Aktivitäten strategisch ihre Position im „Mutter-land“ zu verbessern.

Die französischen Banken hatten 2008 internationale Forderungen von 4,3 Bio. US$ und lagen damit in einer ähnlichen Größenordnung wie die deutschen. Allerdings waren die fran-zösischen Banken etwas stärker in der Eurozone engagiert (mit 41,1% ihrer Forderungen, wäh-rend es bei den deutschen Banken nur 37,6% waren) und deutlich stärker in Südeuropa (mit 20,6% gegenüber 14,6%) (Becker/Weissenbacher 2014).

Die in Frankreich viel diskutierte Deindustrialisierung ist sowohl Folge als auch Ursache der sinkenden Repräsentanz französischer Unternehmen im Export (Schwarzer 2013; Zimmermann 2013). So lag die Wertschöpfung in der Industrie 2012 (in laufenden Preisen) sogar knapp unter dem Niveau von 2000 bei 228 Mrd. € (INSEE 2013, 15). Das Phänomen an sich ist relativ unumstritten, nicht jedoch sein Ausmaß. Teilweise ist der sinkende Anteil der Industrie am BIP auch ein statistischer Effekt, da die Strategie der großen Konzerne, sich auf ihre profitabelsten Bereiche zu beschränken, mit der Auslagerung vieler Aktivitäten einhergeht, die fortan als Dienstleistungen in der Statistik firmieren (Unterhalt und Bewachung von Anlagen, Buchhal-tung, Informatik, Rechtsberatung usw.). Daher ist es angebracht, stärker nach Branchen zu dif-ferenzieren. So sind einige Branchen der französischen Industrie (z.B. Flugzeugbau, Mode, Parfümerie, Nuklearindustrie) durchaus von erfolgreichen Unternehmen geprägt, während an-dere (Textilien, Haushaltsgeräte und anan-dere wenig technologieintensive Konsumgüter) eine strukturelle Krise durchlaufen (Kauffmann 2012, 194f).

Unabhängig davon ist jedoch unstrittig, dass die französische Industrie gegenüber der deut-schen Konkurrenz chronisch im Rückstand steht und dieser Rückstand sich in den letzten Jahren merklich vergrößert hat. Ein Großteil der Forschung und Entwicklung findet jedoch in der In-dustrie statt (ebd., 200). Auch sind inIn-dustrielle Produktionsstätten oftmals über zahlreiche Rück- und Vorwärtskopplungseffekte mit dem Rest der Ökonomie verwoben, sodass ihr Schwund zu einer überproportionalen Verlangsamung der Akkumulationsrate führt.

Zu den Asymmetrien und Inkohärenzen der Produktionsstruktur treten auch regionale Un-gleichgewichte mit langer historischer Tradition hinzu. Bis heute ist die Industrie, besonders die Schwerindustrie, stark auf den Raum Paris und die nordöstlichen Grenzregionen

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konzentriert, während Zentralfrankreich sowie große Teile des Südens und Westens eher schwach industrialisiert sind (Kempf 2007, 346).

Vertreter des ‚Varieties of Capitalism‘-Ansatzes, die vor allem die Firmenebene in den Mit-telpunkt stellen, haben Schwierigkeiten mit einer eindeutigen Klassifizierung des französischen Kapitalismusmodells entlang der Trennlinie zwischen koordinierten und liberalen Marktwirt-schaften. Mit der Überwindung des etatistischen Modells habe sich Frankreich vorübergehend (wohl vor allem im Hinblick auf die engen Netzwerke zwischen Großunternehmen und Ban-ken) dem deutschen Kapitalismusmodell angenähert, durch die Liberalisierung und Bedeutung der Finanzmärkte aber schließlich mehr dem britischen liberalen Kapitalismus. Dabei wird die Rolle der EU betont. Die Europäischen Verträge legten Frankreich auf Liberalisierung, Priva-tisierung und restriktive Haushaltspolitik fest und die EU-Institutionen drängten auf Öffnung der Märkte für das private Kapital, ohne jedoch substanzielle neue regulatorische Fähigkeiten zu ihrer Einhegung bereitzustellen. Somit übte die EU seit den 1980er Jahren einen konsistenten Druck in Richtung Stärkung der Rolle des Marktes in der Ressourcenallokation aus (Hall 2006, 21f). Besonders die Transformation des Finanzsystems in Richtung des angloamerikanischen Modells wird hervorgehoben. Im Bereich der corporate governance ist das französische Modell in keiner Hinsicht mehr als etatistisch zu bezeichnen, die staatliche Kontrolle über die Ökono-mie wurde wie im Rest der OECD auf die Kerngebiete des öffentlichen Dienstes reduziert.

Allerdings habe der Rückzug des Staates auch kein anderes Ordnungsprinzip an seine Stelle gesetzt, sodass das Kapitalismusmodell seit der Jahrtausendwende fundamental von Unsicher-heiten der Akteure geprägt sei (Culpepper 2006). Andere Autoren (Amable et al. 2012) betonen dagegen die Ähnlichkeit zum kontinentaleuropäischen Kapitalismus, etwa das relativ gehobene Niveau des gesetzlichen Beschäftigungsschutzes, die eher zentralisierten Lohnverhandlungen, das beitragsfinanzierte Sozialschutzsystem oder die Rolle des Staates in den Tarifbeziehungen.

Andere Aspekte des französischen Kapitalismusmodells werden von der Regulationstheorie zusammengefasst. Julia Lux beschreibt den französischen Kapitalismus (in Anlehnung an die Klassifizierung bei Becker/Jäger 2012) als intensives, binnenorientiertes Akkumulationsre-gime: Der Exportsektor spielt eine eher untergeordnete Rolle, der Binnenmarkt hat hingegen

Andere Aspekte des französischen Kapitalismusmodells werden von der Regulationstheorie zusammengefasst. Julia Lux beschreibt den französischen Kapitalismus (in Anlehnung an die Klassifizierung bei Becker/Jäger 2012) als intensives, binnenorientiertes Akkumulationsre-gime: Der Exportsektor spielt eine eher untergeordnete Rolle, der Binnenmarkt hat hingegen