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4. Deutsch-französische Beziehungen und europäische Integration

4.1 Die Anfänge der europäischen Wirtschaftsintegration

Kaum ein Faktor hat für die Herausbildung eines integrierten europäischen Wirtschaftsraumes so eine entscheidende Rolle gespielt wie die Entwicklung der deutsch-französischen bilateralen Beziehungen. Eine Einigung in diesem Verhältnis hat regelmäßig den Verlauf der europäischen Integration und die Ergebnisse entsprechender Initiativen bestimmt.

Dass es zu dieser Annäherung der beiden Staaten kommen würde und dass sie sich trotz divergenter Interessen immer wieder einigen und den Integrationsprozess damit in entscheiden-den Punkten vorantreiben würentscheiden-den, war unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg noch keines-wegs abzusehen. Die Vorstellung einer quasi-„natürlichen“ Erbfeindschaft der beiden Völker war seit Jahrzehnten verwurzelt, vor allem in Deutschland. Eine realhistorische Grundlage hatte diese Erzählung indes zumindest vor dem 19. Jahrhundert nicht, schon allein weil es jahrhun-dertelang Deutschland nur als geografischen Begriff, nicht aber als wirksame politische Entität gegeben hatte. Der von der Französischen Revolution geprägte Nationenbegriff war zudem kei-neswegs inhärent gegen Deutschland gerichtet gewesen (Ziebura 1997, 17ff).

Die Erfahrung der beiden Weltkriege und besonders die als nationale Demütigung empfun-dene blutige Besatzung Frankreichs durch die deutsche Wehrmacht hatten jedoch ein tiefes deutschfeindliches Empfinden in der französischen Bevölkerung hinterlassen und auch Präsi-dent Charles de Gaulle teilte diese Haltung zunächst. De Gaulles Außenpolitik war deshalb alles andere als auf ein enges Bündnis mit Westdeutschland ausgerichtet, sondern setzte in den ersten Jahren darauf, durch eine Verständigung mit der UdSSR das europäische Staatensystem wiederaufzubauen, Frankreichs Bedeutung darin wiederherzustellen und Deutschland am Wie-deraufstieg zu hindern (ebd., 52). Letztlich schwenkte Frankreich jedoch auf das Bündnis mit den USA ein. Zum einen geschah dies, um Zugang zu amerikanischer Wirtschaftsunterstützung im Rahmen des Marshall-Plans zu erhalten; Zum anderen spielte auch der Druck der Sozialde-mokraten eine Rolle, die die konservativen Gaullisten in ihrem Antikommunismus übertrafen und darauf drängten, die Sowjetunion und nicht die BRD als außenpolitischen Hauptgegner zu bekämpfen (ebd., 59).

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Um eine außenpolitische Isolierung zu vermeiden und angesichts des von den USA und Großbritannien ausgehenden Drucks für eine gleichberechtigte Einbindung der BRD in den westlichen Block wenigstens einen Teil der französischen Interessen retten zu können, ergriff der französische Außenminister Robert Schuman schließlich die Initiative. Mit der Europäi-schen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) wurde eine Wirtschaftsunion für die Bereiche Kohle- und Stahlproduktion etabliert, die außer Frankreich und der BRD auch die Benelux-Länder und Italien umfasste. In Frankreich war die Industrie mehrheitlich gegen diesen Integ-rationsschritt, ein wirksamer Widerstand wurde jedoch ausgehebelt, indem die Unternehmer-verbände erst sehr spät in Kenntnis gesetzt wurden. In der BRD waren die Unternehmerver-bände dem Projekt gegenüber wesentlich aufgeschlossener (Ziltener 1999, 94; Ziebura 1997, 97).

Anders als oft angenommen, war damit aber noch keineswegs ein Durchbruch in der deutsch-französischen Annäherung erreicht. Ein weiterer Streitpunkt war die Frage der west-deutschen Wiederbewaffnung, die die USA anstrebten, um die BRD als Baustein in ihre Stra-tegie gegen die Sowjetunion einzufügen. Aus der Sicht der französischen Regierung war eine deutsche Armee so kurze Zeit nach dem Krieg eine Horrorvorstellung. Um dieses Übel zu ver-hindern entwarf der französische Ministerpräsident René Pleven 1950 einen Plan für eine ge-meinsame europäische Armee mit eigenem Verteidigungsministerium. Die Bundesrepublik sollte demnach kein eigenes Verteidigungsministerium und auch keine schweren Waffen besit-zen. Zuerst waren die USA und Großbritannien gegen diesen stark den französischen Interessen entgegenkommenden Plan, 1951 akzeptierten sie ihn jedoch und machten somit im Prinzip den Weg frei für die Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG). Ein entspre-chender Vertrag wurde im Mai 1952 unterzeichnet, allerdings scheiterte er dann 1954 vor der französischen Nationalversammlung (ebd., 100ff).

Das Scheitern der EVG und das Scheitern des britisch-französischen Alleingangs in der Suez-Krise 1956 führten dann jedoch in Paris zu einer Umorientierung auf eine privilegierte Partnerschaft mit Westdeutschland, um einer drohenden weltpolitischen Isolation zu entgehen.

In der Folge wurden im März 1957 in Rom die Römischen Verträge unterzeichnet, mit denen die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und die Europäische Atomgemeinschaft (EURATOM) gegründet wurden. Aus französischer Sicht lag die Priorität auf der EURATOM, während man den übermächtigen Konkurrenzdruck der westdeutschen Industrie in der EWG fürchtete. Die BRD machte dafür neben der EURATOM das Zugeständnis, den Agrarmarkt in

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die EWG einzubeziehen, wie vom immer noch stark landwirtschaftlich geprägten Frankreich gefordert worden war. Die Gemeinsame Agrarpolitik sollte in den kommenden Jahrzehnten ein häufiger Konfliktgegenstand bleiben – aus französischer Sicht war er aber eins der wesentlichen Argumente für die Mitgliedschaft Frankreichs in der EWG, zumal die von der BRD und Nie-derlande angestrebte Marktliberalisierung an sich als wenig vorteilhaft für französische Wirt-schaftsinteressen gesehen wurde (Szasz 1999, 5ff). In dieser Phase änderte sich nun auch in Frankreich die Haltung der einflussreichsten Teile des Kapitals hin zu einer Unterstützung der europäischen Einigung (Ziebura 1997, 129f). In dieser Phase folgten die Integrationsinitiativen aber vor allem politischen Erwägungen, da die französische Regierung von der Notwendigkeit einer politischen Einbindung und „Zähmung“ der Deutschen überzeugt war, während Bonn sich durch eben diese Einbindung eine Wiederaufnahme in die westliche Staatengemeinschaft und einen Rückgewinn seiner Souveränität erhoffte. Wirtschaftliche Erwägungen spielten auch eine Rolle, allerdings eher in kleineren Staaten wie den Niederlanden, die sich vom verbesserten Zugang zum westdeutschen Absatzmarkt Vorteile versprachen (Ambrosius 1996, 77). Die Wirtschaftsintegration war jedoch nicht nur politischen Zielvorstellungen untergeordnet, son-dern auch in den Kontext des Klassenkompromisses zwischen Kapital und Arbeit einerseits und zwischen finanziellem und industriellem Kapital andererseits, sowie in den des korporatistisch-liberalen Herrschaftskonzepts der Nachkriegszeit eingebettet (van der Pijl 2012, 161ff; vgl.

auch Bieling 2006, 433). Die in dieser Phase praktizierte Integrationsweise sicherte die überaus diversen nationalstaatlichen kapitalistischen Entwicklungswege ab oder behinderte sie jeden-falls nicht entscheidend.

Frankreich und Westdeutschland, die zu jener Zeit stark unterschiedliche Kapitalismusmo-delle repräsentierten, bildeten auch damals schon den Kern des europäischen Integrationspro-jekts. Obwohl in Frankreich die stark staatlich gelenkte Wirtschaft gute Wachstumsraten ver-zeichnete und auch erfolgreich eine Reihe von Großunternehmen etabliert wurde, gelang es nicht, eine exportorientierte Produktionsstruktur aufzubauen, die der westdeutschen Industrie auf Augenhöhe hätte begegnen können. So stieg die BRD in den 1950er und 60er Jahren schnell wieder zur dominanten Wirtschaftsmacht Westeuropas auf und die ökonomischen Beziehungen zu Frankreich gestalteten sich zunehmend asymmetrisch (Ambrosius 1996, 97).

1962/63 kam es erstmalig zu einer gewissen Entfremdung zwischen der Bundesrepublik und den USA, weil die USA mit ihrem Übergang zur „Flexible Response“-Strategie nun erstmalig die Möglichkeit einräumten, einen militärischen Konflikt mit dem Warschauer Vertrag nicht

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sofort mit einem totalen Atomkrieg zu beantworten. Darin sah Bonn eine Relativierung des nuklearen Schilds über Westeuropa und suchte daher kompensatorisch eine verstärkte Zusam-menarbeit mit Frankreich. Das mündete im Elysée-Vertrag von 1963, durch den ein enges Netz von Konsultationen zwischen den verschiedenen Ebenen der staatlichen Politik beider Länder beschlossen wurde (Ziebura 1997, 165f). Doch der neue Integrationsschub geriet schon bald erneut in die Krise. Als die EWG-Kommission im März 1965 vorgeschlagen hatte, dem Euro-paparlament weitere Befugnisse zu verleihen und im Ministerrat Mehrheitsabstimmungen zu ermöglichen (und damit das Vetorecht der einzelnen Staaten auszuhebeln), brach ein neuer Konflikt zwischen Frankreich und der BRD aus. Auch die Finanzierung der Gemeinsamen Ag-rarpolitik war nun umstritten. Am 30. Juni 1965 zog Frankreich sich schließlich aus der EWG-Kommission zurück und brach damit die Verhandlungen ab. In dieser Phase wurden auch Vor-bereitungen für einen NATO-Austritt getroffen. Diese „Politik des leeren Stuhls“ – da der fran-zösische Sitz in der Kommission unbesetzt blieb – hielt bis zum Januar 1966 an, als mit dem Luxemburger Kompromiss eine Lösung gefunden werden konnte: Damit wurden die wichtigs-ten Forderungen Frankreichs berücksichtigt, vor allem indem die Einstimmigkeit der Entschei-dungen in der Kommission beibehalten wurde (Ambrosius 1996, 108ff; Ziebura 1997, 187).

Der tieferliegende Grund der Krise war allerdings nicht gelöst: Die BRD wollte im Interesse ihrer starken Industrie möglichst weitgehend die Handelshemmnisse abschaffen und die Rechts- und Regelsysteme angleichen, was durch stärker supranationale Entscheidungspro-zesse in der Kommission erleichtert worden wäre. Genau darin sah Frankreich aber nur west-deutsche Interessen aufgehoben. Die meisten anderen EWG-Staaten stimmten dieser Einschät-zung tendenziell zu und präferierten daher wie Frankreich eine intergouvernementale Union (Ambrosius 1996, 109).

Hierin bestand schon in den ersten Jahren der europäischen Wirtschaftsintegration der Grundwiderspruch der deutsch-französischen Beziehungen und damit auch des ganzen Integ-rationsprojektes: Man versuchte, Länder zu einem einheitlichen Wirtschaftsraum zusammen-zuschließen, die von ihrem wirtschaftlichen Entwicklungsgrad und der Stärke ihres jeweiligen Kapitals her real nicht auf Augenhöhe standen. Offensichtlich hatten die beteiligten Länder und auch die BRD und Frankreich Überschneidungen in ihren Interessen, da es ansonsten auch zu keiner Einigung über den Integrationsprozess gekommen wäre. Aber das Verhältnis innerhalb der EWG bzw. später der EU konnte nur ein asymmetrisches sein, was die nationalen Gegens-ätze verschärfte und sich immer wieder in entgegengesetzten politischen Projekten und

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Präferenzen ausdrückte. Daran sollte sich auch mit dem Beginn der europäischen Währungsin-tegration nichts ändern.

Ökonomisch gesehen waren die 1950er und 1960er Jahre eine Phase des ökonomischen Auf-holens Westeuropas gegenüber den USA. Wickelten die westeuropäischen Länder 1945 nur noch etwa 30% des Welthandels ab, stieg ihr Anteil in den 1960er Jahren wieder auf etwa 40%

an. Allerdings war Westeuropa alles andere als ein homogener Block. Als die BRD in den Jah-ren der Nachkriegszeit sukzessive wieder zur dominieJah-renden Wirtschaftsmacht in Westeuropa und der EWG wurde, vertrat die deutsche Industrie auch offensiver als zuvor ihr Freihandels-konzept. Frankreich war hingegen darauf bedacht, seine Industrie vor dem Druck der deutschen Konkurrenz zu schützen (ebd., 96f). Auch Frankreich durchlebte in dieser Zeit eine Phase des beschleunigten Wachstums und der Industrialisierung, allerdings im Vergleich zur BRD von einem niedrigeren Ausgangspunkt aus. Die unterschiedlichen Entwicklungswege der beiden Länder im 19. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wirkten hier weiter nach. Während es in Deutschland seit den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts eine Phase rasanter Industrialisierung gegeben hatte, durch die das Land zur dominierenden Industriemacht auf dem europäischen Kontinent aufgestiegen war, hatte sich zwar auch in Frankreich eine In-dustrie herausgebildet, eine sprunghafte Entwicklung wie in Deutschland war jedoch weitge-hend ausgeblieben. Im Ergebnis dominierten in der französischen Volkswirtschaft weiterhin kleine und mittlere Betriebe sowie die landwirtschaftliche Produktion.

Ein Indikator dafür war die deutlich stärker agrarisch geprägte Sozialstruktur Frankreichs:

Waren in Deutschland 1946 (also noch vor der Teilung in zwei Staaten) noch 22% der Erwerb-stätigen in der Landwirtschaft aktiv und 45% in der Industrie, waren es in Frankreich 36% in der Landwirtschaft und 32% in der Industrie. 1960 waren es dann in Westdeutschland nur noch 14% in der Landwirtschaft und 48% in der Industrie und in Frankreich 21% bzw. 35%

(Schild/Uterwedde 2006, 141).

Stärker als es diese Daten ausdrücken können war aber die Überlegenheit der westdeutschen Exportindustrie, die ihre Konkurrenzvorteile auf bald ein Jahrhundert erfolgreicher Industriali-sierungsgeschichte gerade in den modernen strukturbestimmenden Sektoren (Chemie, Elektro-industrie, Automobilbau) stützen konnte. In Frankreich begann im Wesentlichen erst Mitte der 1950er Jahre mit Unterstützung der staatlichen Planung der Aufbau moderner Großindustrien, die gezielt in den Spitzenbranchen entwickelt wurden. Während für die französische Industrie der Bedarf nach Absatzmärkten zunahm, verloren die kolonialen Märkte mit ihrem ohnehin

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begrenzten Volumen an Bedeutung. 1952 gingen noch 42% der französischen Exporte in die Franc-Zone, also in die kolonialen Märkte, und nur 15% in die Länder der späteren EWG. 1970 hatte dieses Verhältnis sich mehr als umgekehrt: Während die (ehemaligen) Kolonien nur noch 10% der französischen Exporte aufnahmen, gingen ungefähr 50% in den EWG-Binnenmarkt (Deubner et al. 1992, 147). Daraus ergab sich für das französische Kapital zwangsläufig ein wachsendes Interesse an der europäischen Wirtschaftsintegration und vor allem auch der Er-schließung Westdeutschlands als Exportmarkt. Die BRD wurde nun zwar immer wichtiger für den französischen Außenhandel und nahm einen großen Teil der französischen Produkte auf, aber die Struktur dieses Handels war nicht symmetrisch. Frankreich führte aus der BRD in ho-hem Maße hochwertige Industrieprodukte ein, war für seine Industrialisierung nicht nur von deutschen Maschinen, sondern auch viel stärker von der westdeutschen Konjunkturentwicklung abhängig als umgekehrt (Ziebura 1997, 204ff). Gleichzeitig rückte aber auch für die BRD Frankreich zur Nummer Eins bei den Importen auf und wurde 1960 auch zum wichtigsten Ex-portziel der westdeutschen Industrie, was bis dahin die Niederlande gewesen war. Trotz der Asymmetrie zulasten Frankreichs war das Verhältnis damit eines der Interdependenz.

Frankreich sah sich durch diese asymmetrische Interdependenz vor ein Dilemma gestellt:

Einerseits war man zunehmend vom westdeutschen Markt abhängig und strebte daher im Inte-resse der eigenen Industrie eine fortschreitende Marktintegration an. Auf der anderen Seite ver-stärkte diese aber tendenziell die Dominanz der BRD, die zu verhindern seit der ersten Amtszeit de Gaulles ein zentrales Ziel der französischen Außenpolitik gewesen war.

4.2 „Währungsschlange“ und Europäisches Währungssystem

Anfang Dezember 1969 tagte in Den Haag ein Gipfel der sechs Staats- und Regierungschefs der Europäischen Gemeinschaften. Es wurde eine Vertiefung und Erweiterung der EG be-schlossen: Eine Vertiefung sollte durch den Ausbau der EG zu einer Wirtschafts- und Wäh-rungsunion, also eine monetäre Kooperation auf Grundlage einer Harmonisierung der Wirt-schaftspolitik stattfinden. Und erweitert sollte die EWG um Großbritannien werden, dessen Beitritt Frankreich bisher durch ein Veto blockiert hatte (Szasz 1999, 15). Nach dem Haager Gipfel wurde ein Komitee unter Führung des luxemburgischen Premierministers Pierre Werner gebildet, das einen Bericht über die schrittweise Einführung einer Währungsunion erstellen

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sollte. Auf eine genaue Definition des Begriffs Währungsunion hatte der Haager Gipfel jedoch verzichtet. Der Bericht des Komitees, für gewöhnlich Werner-Bericht genannt, sprach zwar von einer Union mit einer gemeinsamen Währung und zentralisierter Geldpolitik, ließ aber ebenfalls vieles offen. Das galt für den genauen Weg, wie diese Währungsunion zu erreichen wäre, aber auch für den Inhalt der geplanten gemeinsamen Geldpolitik und die Frage des Verhältnisses der gemeinsamen Zentralbank zu den politischen Autoritäten (ebd., 30f). Damit waren die meisten potenziellen Streitpunkte zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich noch un-geklärt.

Hier begann auch die Kontroverse zwischen „Monetaristen“ und „Ökonomisten“, die die Auseinandersetzungen um die europäische Währungsintegration über viele Jahre bestimmen sollte. Mit den ersteren waren nicht die Anhänger von Milton Friedmans geldtheoretischer und -politischer Schule des Monetarismus gemeint, sondern diejenigen Länder und politischen Kräfte, die zuerst eine Währungsintegration anstrebten, um darüber eine realwirtschaftliche und wirtschaftspolitische Konvergenz und Integration zu ermöglichen. Dazu zählten Frankreich, Belgien und Luxemburg. Die „Ökonomisten“ hielten im Gegensatz dazu eine Währungsin-tegration erst nach einer wirtschaftlichen und fiskalpolitischen Konvergenz für erstrebenswert, die sie durch den Wettbewerb der unterschiedlichen Kapitalismusmodelle und Anpassung aller an der Währungspolitik der Hartwährungsländer erreichen wollten. Diesem Lager waren die BRD und die Niederlande zuzurechnen. Der Werner-Plan versuchte einen Kompromiss zwi-schen beiden Positionen, indem man wirtschaftspolitische und wechselkurspolitische Konver-genz parallel anstrebte, um in der letzten Phase ein Europäisches Zentralbankensystem, eine gemeinsame Währung und ein wirtschaftspolitisches Entscheidungsgremium einzurichten (Schwarzer 2015, 13f).

Die Fixierung der Wechselkurse, wie sie im Werner-Bericht vorgeschlagen worden war, wurde im April 1972 mit einer Kursbandbreite von 2,25% in beide Richtungen beschlossen.

Wegen der festen Schwankungsbegrenzungen sprach man von einer „Schlange im Tunnel“. Die Schlange wurde jedoch in den folgenden Jahren, zuerst durch den Austritt Großbritanniens im Juni 1972, dann Italiens im Februar 1973 und im Januar 1974 auch Frankreichs immer mehr geschwächt. Frankreich war mit dem Arrangement unzufrieden, weil der Franc als relativ schwache Währung gegenüber der D-Mark immer wieder unter Druck geriet und die französi-sche Zentralbank dann intervenieren musste, um den Kurs des Franc zu stützen. Stattdessen wünschte man sich eine symmetrischere Lastenteilung, bei der auch die Zentralbanken der

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Starkwährungsländer (also der BRD und Niederlande) intervenieren müssten, um zu starke Kursschwankungen zu verhindern. Entsprechende Vorschläge machte Frankreich auch nach seinem Austritt aus der Schlange noch. Im Juli 1975 gab die französische Regierung schließlich bekannt, dem Arrangement wieder beizutreten – allerdings nur bis zum März 1976, als der Franc wiederum unter schweren Abwertungsdruck geriet, weil die Leistungsbilanz sich deutlich verschlechtert hatte. Frankreich verließ die Schlange nun erneut, dieses Mal für immer (Szasz 1999, 37ff).

In der Schlange hatte jede Währung einen Leitkurs gegen jede andere Mitgliedswährung, jeweils mit einer Ober- und Untergrenze, bei der die Zentralbank verpflichtend intervenieren musste. Die zur Intervention verpflichtete Zentralbank musste sich bei der Zentralbank des Hartwährungslandes Devisen ausleihen, um ihren Kurs abzustützen. Da dieser Mechanismus dazu führte, dass die Schwachwährungsländer ständig Devisenreserven verloren und ab einem bestimmten Punkt deflationäre Maßnahmen ergreifen mussten, während die Länder mit Leis-tungsbilanzüberschüssen dauerhaft Devisenreserven akkumulieren konnten, ohne ihre Über-schüsse verringern zu müssen, machte Frankreich bei seinem zweiten Beitritt einen Reform-vorschlag. Demnach sollte die Rate der einzelnen Währungen nicht mehr im Verhältnis zu den anderen Währungen festgelegt werden, sondern im Verhältnis zu einer gemeinsamen Rech-nungseinheit, dem ECU, der aber selbst nicht gehandelt werden sollte. Wenn dann eine Wäh-rung die Interventionsgrenze erreicht hätte, wäre es offen gewesen, welche Zentralbank darauf reagieren müsste, da die Währung ja im Verhältnis zu allen anderen stand und nicht klar gewe-sen wäre, wer welche Währung kaufen müsste. Daraus erhoffte die französische Regierung sich größere Verhandlungsspielräume bei der Lastenteilung. Der Vorschlag wurde aber abgelehnt, u.a. weil aus deutscher und niederländischer Sicht der geltende Mechanismus gerade eine er-wünschte disziplinierende Wirkung auf die Geldpolitik der Schwachwährungsländer hatte, die man nicht aufgeben wollte (ebd., 43, 53f).

Mit dem zweiten Austritt Frankreichs war der erste Versuch einer westeuropäischen Wäh-rungsintegration, der maßgeblich von Frankreich und der Bundesrepublik hätte getragen wer-den müssen, gescheitert. Die Ursache dafür war, dass die Widersprüche zwischen der Stärke der deutschen Exportindustrie und den Interessen der nachholenden Industrialisierungsstrategie Frankreichs sich auch auf währungspolitischem Gebiet ausdrückten, da die Bindung des ver-gleichsweise weichen Franc an die harte DM zu einer regelmäßigen Belastung der Banque de France führte und eine expansivere Geldpolitik, die man aus wachstumspolitischen Gründen

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bevorzugt hätte, unmöglich machte. Die Hoffnung, diese Lasten gleicher aufteilen zu können, wurde nicht erfüllt und das Interesse an einer größeren Unabhängigkeit gegenüber dem Dollar mit der Perspektive einer Gemeinschaftswährung, das Frankreich zweimal in die Währungs-schlange geführt hatte, reichte letztlich nicht aus, um die handfesten Nachteile des Arrange-ments in Kauf zu nehmen.

Nach dem Scheitern der Währungsschlange war in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre der Schwung der europäischen Integration stark abgeflaut. Die Währungsunion sollte ursprünglich Ende des Jahrzehnts vollendet werden, wovon aber nun niemand mehr ernsthaft ausging.

Diese Phase der allgemeinen Stagnation der europäischen Integration, oder auch „Euroskle-rose“, versuchten die Regierungen schließlich aufzubrechen, indem sie im Dezember 1978 die Gründung des Europäischen Währungssystems (EWS) beschlossen. Das EWS umfasste den

Diese Phase der allgemeinen Stagnation der europäischen Integration, oder auch „Euroskle-rose“, versuchten die Regierungen schließlich aufzubrechen, indem sie im Dezember 1978 die Gründung des Europäischen Währungssystems (EWS) beschlossen. Das EWS umfasste den