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Mein Großvater war in der Widerstandsbewegung und auch im  Konzentrationslager Sachsenhausen. Ich kannte ihn nicht mehr,

weil er zwei Jahre vor meiner Geburt gestorben ist. Aber mir  ist diese Geschichte trotzdem sehr nah, weil wir Polen sie mit der Muttermilch aufsaugen, wir gehen da sehr emotional ran.

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K.S.: Geht es auch um eine Verbindung zur Gegenwart?

A.M.: Natürlich! Es ist für mich wichtig, eigene sowie gesamtgesellschaftlich akzeptierte ste-reotype und oft negative Bilder von »den Polen« zu hinterfragen und zu überwinden. Diese Bilder sind ja nach wie vor vorhanden, auch wenn sich langsam etwas verändert. Die negative Wahrnehmung von Polen wurde nach dem Zweiten Weltkrieg auch von anderen Ländern, durch das bestehende Kräfteverhältnis der Nachkriegszeit, mitgeprägt. Ich möchte bei den deutschen Teilnehmern erreichen, dass sie den gesamten Kontext sehen. Ohne diese Kontextualisierung kann man Auschwitz und das Ausmaß dieser Tragödie nicht verstehen.

T.M.: Ich finde es absolut legitim, dass Jugendliche nach Polen kommen, weil sie an Ausch-witz interessiert sind. Das ist keine schlechte Motivation. Wichtig ist, was wir vor Ort mit ihrer Einstellung machen. Wir müssen Wege finden, ihnen einen ignoranten Zugang zu manchen Themen zu verbauen.

Wenn du forderst, dass die Deutschen während der Seminare etwas über die polnische Ok-kupation und die Vernichtung der Intelligenz erfahren sollen, macht mich das nachdenklich.

Manche Polen sind immer noch überzeugt, dass nur unser Volk gelitten hat. Deshalb möchte ich bei den polnischen Jugendlichen etwas ganz anderes erreichen und für die Problematik des Holocaust sensibilisieren. Sehr interessant, was du bei den Deutschen erreichen willst und ich bei den Polen.

»Einen immer wieder ‚ersten’ und  wachsamen Moment der Begegnung«

Ein Briefwechsel zwischen Birgit Kammerlohr und  Teresa Miłoń-Czepiec 

Teresa Miłoń-Czepiec, Pädagogin der IJBS Oświęcim, und Birgit Kammerlohr, Bildende Künstlerin und Kunstlehrerin, leiteten gemeinsam den fotografischen Workshop »2 ma-chen 1 Bild« in der IJBS Oświęcim. Im folgenden Briefwechsel tausma-chen sie sich über ihre Erfahrungen mit der deutsch-polnischen Begegnung im Leitungsteam und zwischen den Jugendlichen aus.

Liebe Teresa,

wichtig für die positive Atmosphäre in den Arbeitsgruppen und im gesamten Projekt war

si-cherlich der gegenseitig bekundete Respekt im Leitungsteam, die täglichen Absprachen und die klare Trennung der beiden Schwerpunkte – die Künstlerin (Birgit) und die Fachfrau für das, was Jugendliche in Auschwitz lernen und erfahren können (Teresa).

Die beiden Gruppen schienen sehr unterschiedlich. Die Schüler/innen des Oberstufenzentrums in Brandenburg traten offen und ungezwungen auf. Die jeweiligen Tageslaunen und Emoti-onen prägten die kooperativen Abläufe. Die polnischen Jugendlichen zeigten sich dagegen eher vorsichtig, angenehm wohlerzogen und sicher im Umgang mit gesellschaftlichen Regeln.

So standen sie selbstverständlich auf, als der Zeitzeuge den Raum betrat, was die deutschen Schüler/innen leicht irritierte.

Die bilingualen Paare wurden nach einem »Speed-Dating« gebildet. Die Idee, dass die Teilneh-mer/innen sich nur eine Minute lang einander vorstellen und dann zum Nächsten weiterrücken, baute auf die Erfahrungen Jugendlicher, die es gewohnt sind, in Internetforen Selbstprofilie-rungen zu verfassen. Die bewegten Kurzinterviews machten Spaß und führten tatsächlich zu zufriedenen polnisch-deutschen Zweiergruppen.

Innerhalb der Paare kam es in der Folge bisweilen zu erzieherischen Maßnahmen. So forderten vor allem die Mädchen von den Jungen in diversen Zusammenhängen diszipliniertes Vorgehen ein (eine polnische Teilnehmerin legte ihrem deutschen Partner mit Nachdruck die Schere vor, drückte ihm Kleber in die Hand und forderte ihn deutlich auf mitzuarbeiten). Grundsätzlich arbeiteten die Paare sehr engagiert zusammen und entwickelten eigene Kommunikations- und Kooperationsmethoden, wobei die individuellen Stärken deutlich wurden.

Hier bieten künstlerische Strategien ähnlich wie pädagogische die Möglichkeit jegliches Vor-gehen anzunehmen und in einen produktiven Prozess zu überführen. Du sahst den pädago-gisch wertvollen Anteil künstlerischer Prozesse und ich genoss deine tolerante Art, mit den Jugendlichen auch in problematischen Situationen umzugehen, womit wesentlich die Basis für eine stressfreie Herangehensweise z.B. durch gemeinsame Einstiegs- und Schlussrituale gelegt wurde.

Die Öffnung der Ausstellung für andere Gruppen war ein spannender und wichtiger Moment.

Beeindruckend war es, als eine Gruppe Pädagogikstudenten/innen die Jugendlichen zu ihren Arbeiten befragte. Dabei argumentierten diese in den bilingualen Zweiergruppen mithilfe der Dolmetscherin und in englischer Sprache.

Mit herzlichen Grüßen Birgit

Liebe Birgit,

dass wir die Gelegenheit hatten, uns vor dem Workshop zu treffen, um das Konzept gemein-sam zu besprechen und vorzubereiten, war für mich sehr wichtig und ich glaube, dass dies die Grundlage des gut umgesetzten Projektes war. Ein großes Risiko für Missverständnisse, Un-klarheiten und schließlich für negative Folgen für das Projekt wären mangelnde Vorbereitung und fehlendes Kennenlernen im Team gewesen.

Ich danke dir also, dass du Zeit gefunden hast, nach Oświęcim zu kommen, um das Konzept des Workshops zu besprechen. In einem Projekt wie diesem, in dem sich künstlerische Arbeit mit historischem Lernen verbindet, ist die Zusammenarbeit zwischen Künstlern/innen und Pä-dagogen/innen unentbehrlich und sie hat einen wesentlichen Einfluss darauf, was während des Workshops geschieht. Vor allem, weil der Kontext der deutsch-polnischen Begegnung nicht nur die Jugendlichen, sondern auch uns betraf.

Entscheidend für die Begegnung der Jugendlichen war das Konzept, in bilingualen Zweiergrup-pen zu arbeiten. Denn es verlangte von den Teilnehmern/innen eine Kooperation. Sicherlich wäre es für sie einfacher gewesen, das Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers mit je-mandem zu besuchen, den sie kennen und mit dem sie in derselben Sprache kommunizieren können. Dann hätten sie aber aus dieser Woche viel weniger mitgenommen, viel weniger er-fahren und es hätte nicht so viele Freundschaften und nicht so viele Erinnerungen gegeben. Die Präsentation der Arbeiten in deutsch-polnischen Paaren vor den eingeladenen Gästen führte sicherlich dazu, dass die Jugendlichen sich in einem deutsch-polnischen Team sehr besonders fühlten. Aber auch, dass sich ihre Arbeit auf eines der wichtigsten und schwierigsten Themen für die deutsch-polnischen Beziehungen bezog, machte einen Reiz aus. Sicherlich spürten sie, dass das, was sie gestaltet hatten, sowohl für sie selbst als auch für das Team und die Gruppen, die zur Präsentation kamen, wichtig ist.

Ich freue mich, dass ich die Gelegenheit hatte, mit dir zusammenzuarbeiten, denn du hast deine Kompetenz als Künstlerin in die Gruppe eingebracht, aber auch als Person, die offen und aufmerksam dafür ist, was in der Gruppe passiert. An solch einem Ort wie Auschwitz ist das sehr wichtig. In den von den Teilnehmern/innen erstellten Dioramen wird deutlich, dass der Ort sie berührt hat und sie sein Gewicht gespürt haben und dass sie mit großer Sensibilität ihre damit verbundenen Gedanken und Gefühle zeigten. Durch die künstlerische Arbeit berührten sie auch sich gegenseitig und entdeckten die Besonderheiten einer deutsch-polnischen Be-gegnung an der KZ-Gedenkstätte. Und sicherlich werden sie dank dieser BeBe-gegnung einander nicht mehr auf dieselbe Art betrachten, wie das vor dem Workshop der Fall war.

Ich denke auch, dass wir begründete Hoffnung haben können, dass die Jugendlichen keine Gedenkstätte mehr gleichgültig betrachten werden. Dieser Perspektivwechsel hat sich

voll- Ich habe mich noch nie in Polen mit Gleichaltrigen unterhal-ten. Es ist natürlich eine spannende und schwierige Sache, wie gehen die denn damit um, dass sie jetzt den Angehörigen der Täter, oder Täternation gegenüber stehen. Aber auch: wie 

gehen die denn mit dem Thema um? Das ist eine sehr spannende  Dimension. Ich hoffe, dass ich mich traue, das Gespräch zu  suchen.

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zogen durch die Art, wie ihr Blick, zum Beispiel beim Fotografieren gelenkt wurde. Ich denke auch, dass das, was sie über Fotografie erfahren haben, sie bei jeder Aufnahme in der Zukunft begleiten wird.

Ich denke, die Teilnehmer unseres Projekts hatten das Gefühl, dass sie sich an etwas Beson-derem beteiligen, weil sie etwas mehr als die meisten jungen Menschen, die in IJBS Oświęcim/

Auschwitz nur die Gedenkstätte besuchen, erfahren konnten. Und sie lernten ja über Ausch-witz, zum Beispiel während des Workshops über die historischen Fotos aus dem Konzentrati-onslager, gemeinsam in einer polnisch-deutschen Gruppe. Das war eine »exklusive« Erfahrung, die so wenigen jungen Menschen zugänglich ist, was wir hier, in der IJBS, sehr schade finden.

Mit herzlichen Grüßen Teresa

Liebe Teresa,

ich finde in deiner Antwort eigentlich die wichtigen Antworten auf Katinkas Anfrage, welchen Wert das speziell Künstlerische nun hat.

Speziell künstlerisch sind möglicherweise der spielerische Moment und die immer wieder kon-struierte Absichtslosigkeit dieses Spiels. So hatte das Speed-Dating wenig bis nichts zu tun mit dem Lernen über Auschwitz oder das einander Wahrnehmen mit unterschiedlichen Einstel-lungsgrößen und einander bewusst beobachtende Begleiten, wenig bis nichts mit zielgerich-tetem Dokumentieren.

Ich denke, es sind tatsächlich diese »künstlerischen« Ansätze, durch welche ich mich und die mit mir Arbeitenden befreien möchte von den großen, von außen an mich und sie herangetra-genen Erwartungen ihres Tuns, wobei es vor allem darum geht, einen immer wieder »ersten«

und wachsamen Moment der Begegnung herbeizuführen.

Birgit

Gestern Abend, bei unserem Ausflug nach Berlin, habe ich schon