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2 Der mediale Habitus als Analysekategorie für medienpädagogisches Handeln in der

Erwachsenenbildung

In einer Welt, die durch digitale Medien geprägt ist, benötigen die Menschen Medien-kompetenzen, um in allen Lebensbereichen partizipieren zu können (u. a. Alexander et al., 2016; Wolf & Koppel, 2017; Rohs 2020a). Nur so kann gegen eine medienbe-dingte Spaltung (digital divide) vorgegangen bzw. einer weiteren Spaltung vorgebeugt werden (vgl. Initiative D21, 2019; Rohs, 2020b). Eine Aufgabe der

Erwachsenenbil-dung sollte es von daher sein, Angebote so zu gestalten, dass ihre Teilnehmenden diese Kompetenzen ausbauen können. Lehrende in der Erwachsenenbildung stehen damit der Aufgabe gegenüber, entsprechende Aus- und Fortbildungsformate zu wickeln und durchzuführen (vgl. Rohs, 2020b). Aufseiten der Lehrenden sind ent-sprechende medienpädagogische Kompetenzen erforderlich. Wie eine Erhebung zu medienpädagogischen Kompetenzen gezeigt hat, sind die Lehrenden in der Erwach-senenbildung nicht durchgehend auf diese Aufgaben vorbereitet (vgl. Rohs et al., 2019; Schmidt-Hertha et al., 2020). Die Ergebnisse aus dem Projekt MEKWEP weisen darauf hin, dass die medienpädagogischen Kompetenzen bei den Lehrenden sehr un-terschiedlich verteilt sind. Im Zuge der Studie wurden Teiluntersuchungen zu me-dienbezogenen Einstellungen und Werthaltungen von Lehrenden durchgeführt. Die Ergebnisse zeigen, dass diese Einstellungen und Werthaltungen einen Einfluss auf das Medienhandeln der Lehrenden im Lehr-/Lernkontext haben (vgl. Rohs & Bolten, 2020; Rohs et al., 2020). Jörissen (2013) spricht davon, dass ein „medienkulturelles Umdenken der Lehrenden“ (ebd., S. 20) erforderlich ist. Um dieses Umdenken auch mit entsprechenden medienpädagogischen Professionalisierungsangeboten zu unter-stützen, stellt sich die Frage, von welchen Punkten aus dieses Umdenken angestoßen werden kann (vgl. Bolten-Bühler, 2021). Im hier vorgestellten Forschungsvorhaben geht es um den Zusammenhang zwischen dem medialen Habitus Lehrender in der Erwachsenenbildung und ihrer medienpädagogischen Professionalisierung. Leh-rende in der Erwachsenenbildung professionalisieren sich in der Regel individuell und bringen zum größten Teil kein pädagogisches Studium mit (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2020, S. 279; Martin et al., 2017, S. 114). Individuelle Profes-sionalisierung ist von den Entscheidungen geprägt, die der:die Lehrende individuell trifft. So kann es sein, dass Lehrende sich aus einem eigenen Interesse heraus me-dienpädagogisch professionalisieren oder auch, weil das Feld, in dem sie tätig sind, dies erfordert. Wie die Lehrenden auf diese externen Anforderungen reagieren, ist aber ebenso individuell geprägt, da in der Erwachsenenbildung nicht von einem ge-teilten beruflichen Habitus gesprochen werden kann (vgl. Bremer et al., 2020). Es zeigt sich, dass Lehrende in ihrem Handeln in Habitusstrukturen verhaftet bleiben, die sie in früheren Sozialisationserfahrungen entwickelt haben (ebd.). Folgend soll beleuchtet werden, ob dies auch für medienbezogenes, berufliches Handeln und den medialen Habitus als Teil des Gesamthabitus gilt.

Der Habitus nach dem Habituskonzept von Pierre Bourdieu (u. a. 1981, 1983, 1987) wird häufig als Analysekategorie in sozialwissenschaftlichen Betrachtungen so-zialer Ungleichheiten herangezogen – so auch in pädagogischen Kontexten. Der Ha-bitus wird von jeder Akteurin bzw. jedem Akteur in einem Wechselspiel zwischen Umwelt und Individuum erworben. So werden die gesellschaftlichen Gegebenheiten in den Individuen reproduziert und die Individuen selbst reproduzieren durch ihr Handeln wiederum die Gesellschaft:

„Das Konzept des Habitus will den herkömmlichen Dualismus von Individuum und Ge-sellschaft überwinden, der Habitus enthält eine doppelte soziale Realität. Der sozialisierte Körper ist eine gesellschaftliche Existenzform, d. h. Individuum und Gesellschaft werden

nicht als Gegensatz gesehen, sondern als eine gewordene Realität.“ (Schlüter & Faulstich-Wieland, 2009, S. 213, Hervorhebungen durch die Autorinnen)

Der mediale Habitus ist ein Teil des Gesamthabitus. Er bedingt das Medienhandeln der jeweiligen Habitusinhaberin bzw. des jeweiligen Habitusinhabers und äußert sich zudem im medienbezogenen Geschmack der- bzw. desjenigen. Im deutschsprachi-gen Raum wurde der mediale Habitus als Analysekategorie durch Kommer (2010) und Biermann (2009) geprägt (vgl. Kommer & Biermann, 2012). Die beiden unter-suchten den medialen Habitus im Kontext der Lehrer:innenbildung. Sie umschreiben den medialen Habitus wie folgt:

„Unter medialem Habitus verstehen wir ein System von dauerhaften medienbezogenen Dispositionen, die als Erzeugungs- und Ordnungsgrundlagen für mediale Praktiken und auf Medien und den Medienumgang bezogene Vorstellungen und Zuschreibungen fun-gieren und die im Verlauf der von der Verortung im sozialen Raum und der strukturellen Koppelung an die mediale und soziale Umwelt geprägten Ontogenese erworben werden.

Der mediale Habitus bezeichnet damit auch eine charakteristische Konfiguration inkor-porierter, strukturierter und zugleich strukturierender Klassifikationsschemata, die für ihre Träger in der Regel nicht reflexiv werden.“ (Kommer & Biermann, 2012, S. 90)

Auch in anderen Studien im Kontext der Lehrer:innenbildung sowie im Zusammen-hang von Medienhandeln in der Schule oder der frühkindlichen Bildung wurde der mediale Habitus als Analysekategorie eingesetzt (vgl. Friedrichs-Liesenkötter, 2016;

Henrichwark, 2009; Mutsch, 2012; Swertz et al., 2014). Bei Forschungsprojekten im Bereich der Schulforschung hat sich gezeigt, dass der mediale Habitus der Lehrer:in-nen und der Schüler:inLehrer:in-nen nicht immer zusammenpasst und es zu einem „clash of habitus“ (Kommer, 2010, S. 96) kommen kann. Aufgrund der unterschiedlichen Habi-tus von Lehrer:innen und Schüler:innen können soziale Ungleichheiten so reprodu-ziert werden (vgl. Mutsch, 2012, S. 30) . Wenn Medienhandeln und medienerzieheri-sche Maßnahmen der Lehrer:innen auf mediale Habitus bei Schüler:innen treffen, die dieses Handeln nicht annehmen können, dann können im Bildungsprozess auf-grund von Abgrenzungs(-Distinktion) und Verharrungstendenzen (Hysteresis) Wi-derstände auftreten.

Auch Lehrende in der Erwachsenenbildung bringen ihren individuellen media-len Habitus mit, wenn sie im Feld der Erwachsenenbildung tätig werden. Abbildung 1 zeigt, wie sich der mediale Habitus, der sich in seinen Grundzügen im Prozess der Primärsozialisation im Elternhaus bildet, im Zuge weiterer Sozialisationsprozesse weiter herausbildet. So wirken im Kindes- und Jugendalter neben dem Elternhaus auch die Schule und die Peers auf den medialen Habitus der Habitusinhaberin bzw.

des Habitusinhabers. Der mediale Habitus zeigt sich in allen klassifizierbaren media-len Praktiken und Werken (Erzeugungsschemata) sowie in medienbezogenen Wahr-nehmungs- und Bewertungsschemata wie dem medienbezogenen Geschmack der Akteure (vgl. Bolten-Bühler, 2021).

Bedingungsgefüge medienbezogener Professionalisierung in der Erwachsenenbildung (Quelle:

Bolten-Bühler, 2021, S. 95) Abbildung 1:

Der Habitus ist im Erwachsenenalter nicht fertig ausgebildet, sondern kann lebens-langen Veränderungen und Anpassungen ausgesetzt sein (vgl. Rosenberg, 2011).

Auch wenn der Habitus in seinen Grundstrukturen in der Kindheit der Inhaberin bzw. des Inhabers verhaftet bleibt, ist er dennoch kein unveränderbares System:

„Der Habitus ist nicht das Schicksal, als das er manchmal hingestellt wurde. Als ein Pro-dukt der Geschichte ist er ein offenes Dispositionssystem, das ständig mit neuen Erfah-rungen konfrontiert und damit unentwegt von ihnen beeinflußt wird. Er ist dauerhaft, aber nicht unveränderlich.“ (Bourdieu & Wacquant, 1996, S. 167 f.)

Dies kann auch für den medialen Habitus als Teil des Gesamthabitus angenommen werden.

Im Prozess der beruflichen Sozialisation als Teil der Tertiärsozialisation treten die Lehrenden mit ihrem jeweiligen medialen Habitus in das Feld der Erwachsenen-bildung ein. Die hervorgebrachte mediale Praxis, im Falle der Lehrenden die medien-pädagogische Praxis, entsteht in einem Zusammenspiel des medialen Habitus, der vor-handenen medienbezogenen Kapitalien und dem Feld, in dem die Praxis hervorgebracht wird. Bourdieu (vgl. 1987, S. 175) umschreibt dies mit folgender Formel: [H x K] + F

= Praxis

Für die Betrachtung der medienpädagogischen Praxis und Professionalisierung der Lehrenden bedeutet dies, dass man den medialen Habitus immer auch in Zusam-menhang mit dem Feld, in dem dieser zum Ausdruck kommt, betrachten muss. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass der mediale Habitus zum einen Medienhandeln der Lehrenden ermöglicht und begrenzt, zum anderen stellt aber auch das Feld Anfor-derungen oder Grenzen für mediales Handeln dar. Die Auswirkungen des medialen Habitus auf medienpädagogische Professionalisierung wurde untersucht, da die Trägheit des Habitus und die damit verbundene Hysteresis die Gefahr birgt, dass Leh-rende, die sich aufgrund ihrer medialen Habitus nicht für digitale Medien im Lehr-/

Lernkontext interessieren, den Anschluss an digitale Prozesse in der Erwachsenenbil-dung verlieren können.

3 Methodisches Vorgehen

In einer qualitativen Interviewstudie im Rahmen eines Dissertationsprojektes wur-den zehn Lehrende mit episodischen Interviews (vgl. Flick, 2011a) zu ihren Medien-biografien sowie ihrem Mediennutzungsverhalten privat und beruflich befragt. Die interviewten Lehrenden sind alle in einer Weiterbildungsinstitution tätig und hatten an dieser Institution die Möglichkeit, an einer kostenlosen medienpädagogischen Fortbildung teilzunehmen, die im Rahmen des institutsinternen Weiterbildungspro-gramms angeboten wurde. Fünf der Lehrenden haben an dieser Fortbildung teilge-nommen, die andere Hälfte hat sich gegen eine Teilnahme entschieden. Die Inter-views wurden mit der dokumentarischen Methode ausgewertet (vgl. Bohnsack, 2000).

Für die Auswertung wurde der mediale Habitus als Analysekategorie ausgearbeitet.

Hierzu dienten vor allem die Vorarbeiten von Bourdieu zum Gesamthabitus (vgl. u. a.

1987) sowie die empirischen Herangehensweisen an die Analyse des medialen Habi-tus von Kommer und Biermann (Biermann, 2009; Kommer, 2010; Kommer & Bier-mann, 2012), Henrichwark (2009) sowie Mutsch (2012) als Zugang zur Struktur der Auswertung. Ergänzend wurden die analytischen Elementarkategorien zur Habitus-hermeneutik nach Bremer und Lange-Vester (vgl. Bremer & Lange-Vester, 2014, S. 70) hinzugezogen. Auch wenn die Interviews nicht mit einem hermeneutischen Vorge-hen analysiert wurden, so konnten diese dennoch als Kategorien genutzt werden, um die Grenzen der analysierten Habitus zu umschreiben. Ergänzend zu den Interviews wurden die Lehrenden gebeten, Medienpfade zu erstellen. Diese Medienpfade stellen einen kreativen Zugang zu atheoretischen Wissenselementen dar und dienten zusätz-lich als Mittel der Reflexion (vgl. Engelhardt, 2018, S. 476). Der Begriff der Medien-pfade orientiert sich am Konzept der „personengebundenen EnwicklungsMedien-pfade“ nach Nittel und Seltrecht (Nittel & Seltrecht, 2008, S. 141) im Kontext der individuellen Pro-fessionalisierung. Die Lehrenden wurden hierbei gebeten, ihre eigene Mediennut-zung von früher Kindheit bis heute grafisch darzustellen. Die Form war ihnen hierbei freigestellt. In Anlehnung an die Auswertung von Collagen wurden die Medienpfade mit einer Segmentanalyse ausgewertet (vgl. Umbach, 2016, S. 96). Die Segmentana-lyse wurde um den Schritt der Bildung von positiven und negativen Horizonten im Sinne der dokumentarischen Methode ergänzt, um die beiden Methoden in der Aus-wertung zusammenführen zu können. Durch diese Methodentriangulation wurden die Fälle mit verschiedenen methodisch Zugängen beleuchtet (vgl. Flick, 2011b, S. 12).

So konnten neben dem reflexiv zugänglichen Wissen der Lehrenden über das gespro-chene Wort auch atheoretische Wissensstrukturen durch die bildliche Form der Dar-stellung in der Auswertung berücksichtigt werden. Im Folgenden werden beispielhaft drei ausgewählte Fälle und anschließend zusammenfassende Ergebnisse der Erhe-bung dargelegt.

4 Über Ambivalenz, Hedonismus und die Rolle der