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2 Ausgangspunkte aus bestehender Forschung

Forschung zu digitaler Ungleichheit hat eine längere Tradition. In der Diskussion ging es zunächst primär um die Frage des Zugangs zu digitaler Technologie bzw. zum In-ternet (vgl. Norris 2001). Der bloße Zugang stellte jedoch bei gleichsam ubiquitärer Nutzung des Internets zumindest in den Industrienationen schon bald keine rele-vante Bezugsgröße mehr dar. Vielmehr trat die Art der Internetnutzung als

Analyse-1 Die Studie wurde durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung unter dem Förderkennzeichen W142900 finanziert. Der Datensatz wird im Laufe des Jahres 2021 unter https://www.forschungsdaten-bildung.de/ für Sekundär-analysen zur Verfügung stehen.

kategorie hinzu (vgl. Hargittai 2002), die sich anhand soziodemografischer Faktoren differenziert analysieren lässt (vgl. Millard 2015). Van Dijk stellte jüngst die Analyse-kategorie der outcomes der Internetnutzung heraus – hierunter sowohl die positiven Erträge der Nutzung als auch mögliche negative Folgen (vgl. 2020, S. 96). Diese Per-spektive wurde zwar bereits zu Beginn der Diskussion um digitale Ungleichheit he-rausgearbeitet (vgl. DiMaggio & Hargittai 2001), hat aber in den letzten Jahren durch Fragen der Datensicherheit, Glaubwürdigkeit von Informationen und Big Data Analy-tics deutlich an Bedeutung gewonnen. In Anlehnung an Reichl lässt sich die Bedeu-tung der zuvor referierten Perspektiven relativieren gegenüber einer noch grundsätz-licheren „Spaltung in die elitäre Gruppe derer, die IT gestalten, und dem Gros der reinen Anwender“ (Reichl 2020, S. 20).

In der Kompetenzforschung durch Large-Scale Assessments kommt auch die Untersuchung von Computerkompetenz zum Tragen. Bezogen auf Jugendliche lie-ferte die ICILS (International Computer and Information Literacy Study) 2019 aktuali-sierte Befunde, nach denen auch unter Jugendlichen sehr ungleich verteilte Kompe-tenzen vorliegen (vgl. Fraillon et al. 2019, S. 242). Von einer weitgehend homogenen Kohorte von digital natives kann demnach nicht gesprochen werden. Das Programme for the International Assessment of Adult Competencies (PIAAC) hat bezogen auf Erwach-sene die technologiebasierte Problemlösekompetenz untersucht. Demnach haben hö-her gebildete und jüngere Erwachsene ausgeprägtere Kenntnisse über Informations-und Kommunikationstechnologie, während die Unterschiede zwischen Frauen Informations-und Männern gering sind (vgl. OECD 2019, S. 69, 76–77 und 79–80).

Die intransparente Datensammlung durch Internetunternehmen ist ein potenziell kritischer Aspekt (negative outcome) der Digitalisierung, der gegenwärtig unter ver-schiedenen begrifflichen Zugängen diskutiert wird. Der Prozess der Sammlung von Nutzerdaten ermöglicht es, Daten in wirtschaftliches Kapital zu überführen. Kritik wird etwa an der Nutzung und Speicherung sensibler finanzieller Angaben und an der fehlenden Transparenz dieser Vorgänge geübt ( vgl. O’Neil 2017, S. 144; Staab 2019, S. 229). Diese Diskussion bezieht sich im Kern auf Wirkungszusammenhänge eines Daten- (Staab 2019) oder Überwachungskapitalismus (vgl. Zuboff 2019). Der für die-sen Prozess grundlegende Einsatz algorithmischer Verfahren zur Analyse großer Da-tenmengen (Big Data Analytics, vgl. Aßmann et al. 2017) wirkt sich auf die Bereitstel-lung personalisierter Werbung aus, aber auch auf das Personalrecruitment (vgl.

Smythe 2018), auf die Kriminalitätsprävention oder die Kreditvergabe (vgl. Zweig 2019). O’Neil (vgl. 2017, S. 116 ff.) betont unter anderem, dass in vielen Fällen margina-lisierte Gruppen diejenigen sind, die am stärksten von der Macht algorithmisierter Systeme bedroht sind.

Bezogen auf die Glaubwürdigkeit von Online-Informationen in Zeiten globaler In-formationsströme stellen McGrew et al. die Notwendigkeit kritischer Überprüfung fest: „If citizens are not prepared to critically evaluate the information that bombards them online, they are apt to be duped by false claims and misleading arguments“

(McGrew et al. 2018, S. 165). Information und Werbung können zudem nicht immer bzw. nicht von allen Internetnutzerinnen und -nutzern präzise und zuverlässig

unter-schieden werden. Nygren und Guath berichten basierend auf einer schwedischen Stu-die unter Jugendlichen über unerwartet geringe Kompetenzen bei der Überprüfung von Informationen und der Unterscheidung zwischen Information und Werbung (vgl. 2019).

In Deutschland nutzt eine Minderheit von 34 Prozent Social-Media-Plattformen als Informationsquelle (vgl. Hölig et al. 2019). Ein Blick auf die USA, wo der Anteil mehr als doppelt so hoch liegt, lässt eine steigende Anzahl vermuten (vgl. Shearer &

Gottfried 2017, S. 2). Dabei ist – ebenfalls bezogen auf die USA – das Vertrauen in Informationen aus sozialen Netzwerken verglichen mit nationalen oder lokalen Nach-richtenorganisationen eher gering (vgl. Allcott & Gentzkow 2017, S. 223). Dieser Be-fund wird durch die Mainzer Langzeitstudie Medienvertrauen bestätigt und auch als Reaktion auf Datenskandale, Fake News und Hate Speech im Internet interpretiert (vgl. Jackob et al. 2019, S. 211).

Glaubwürdigkeit von Informationen hängt partiell mit dem Phänomen der soge-nannten Fake News zusammen (vgl. Humprecht 2018). Ein Bericht der Europäischen Kommission hebt vor allem auf die durch Fake News transportierten Desinformatio-nen ab (vgl. European Commission 2018). Die IntentioDesinformatio-nen und Auswirkungen von Fake News reichen von der Verwirrung der Rezipientinnen und Rezipienten bis zur gezielten Beeinflussung von Wahlergebnissen (vgl. Tandoc et al. 2018, S. 138). Web-sites, die Desinformationen enthalten, werden häufig über Social-Media-Websites auf-gerufen (vgl. Allcott & Gentzkow 2017, S. 222) und Social-Media-Plattformen scheinen aufgrund eines confirmation bias ein besonders wirksames Vehikel für Fehlinforma-tionen zu sein (vgl. Tandoc 2019, S. 4). Grundsätzlich kann die Unsicherheit im Um-gang mit Informationen „zu Einordnungsschwierigkeiten führen und die eigene Medienkompetenz überfordern“ (Grimm et al. 2019, S. 114). Obwohl hierzulande die Information über soziale Netzwerke im internationalen Vergleich noch eine nachge-ordnete Rolle spielt, dürften die skizzierten Problemlagen dennoch einen emerging topic beschreiben.

Durch die beschriebenen Herausforderungen lässt sich ein erwachsenenpädago-gischer Bezug mit Blick auf kritische Medienkompetenz ableiten. Laut Peissl „ist es drin-gend an der Zeit, kritische Medienkompetenz in der Erwachsenenbildung als Schlüs-selkompetenz zu begreifen und die Basis für eine grundlegende Auseinandersetzung mit den Auswirkungen und Herausforderungen der Mediatisierung in der Erwachse-nenbildung zu legen“ (Peissl 2018, S. 3). Als Voraussetzung dafür lässt sich auf den Aspekt kritischer Reflexion Bezug nehmen, häufig in Verbindung mit Baackes Kon-zept der Medienkompetenz (vgl. Baacke 1998), der Medienkritik als fundamentalen Teil von Medienkompetenz definierte, die in der Folge im medienpädagogischen Dis-kurs ausführlich diskutiert wurde (vgl. Ganguin & Sander 2018; Ganguin, Gemkow &

Haubold 2020) und die auch als existenzieller Teil der Ausbildung von Lehrkräften angesehen wird (vgl. Schiefner-Rohs 2012). Zur Ebene der Medienkritik lassen sich im Kontext der Digitalisierung bis dato nicht thematisierte Aspekte ergänzen, wie etwa Fragen der Privatsphäre, der Verfügungsgewalt über persönliche Daten und Fragen der Glaubwürdigkeit (vgl. Peissl 2018, S. 6–7). Robak schlägt eine anschauliche

Diffe-renzierung verschiedener Ebenen digitaler Kompetenz vor, die von den grundlegen-den Kompetenzen des Bedienens von Technik bis zu hohen Kompetenzen im Sinne einer kritischen „Einschätzung bezüglich der Nutzung von Daten und damit Folgen-abschätzungen“ reichen (2020, S. 45–46).

Die Kompetenzkonstrukte, auf denen Assessment-Studien basieren, rekurrieren zumeist auf funktional-pragmatische Ansätze (vgl. Klieme & Hartig 2008). Der Fokus liegt darauf, ob Praktiken kompetent ausgeübt werden. LEO 2018 ist in den Kompe-tenzkonstrukten nicht auf funktional-pragmatische Aspekte begrenzt, sondern um-fasst auch kritisch hinterfragende Kompetenzen (angelehnt an Negt 1990). Hier liegt der Fokus darauf, ob eine Person in der Lage ist, die jeweiligen Sachverhalte zu beur-teilen. Digitale Ungleichheit ist hier spezifisch als unterschiedliche Ausprägung kri-tisch-hinterfragender Kompetenzen operationalisiert (vgl. Grotlüschen et al. 2020, S. 18–19). Risiken, die sich im Umgang mit digitaler Technologie ergeben, wurden in LEO 2018 durch Fragen untersucht, die sich auf die Kompetenzen beziehen, die Mo-tive für Datensammlung von Internetunternehmen, die Glaubwürdigkeit von Infor-mationen im Internet bzw. die Unterscheidbarkeit von Information und Werbung be-urteilen zu können. Die publizierten Ergebnisse weisen darauf hin, dass sich gering literalisierte Erwachsene selbst signifikant geringere Kompetenzen zuschreiben (vgl.

Buddeberg & Grotlüschen 2020, S. 215).

Kritisch hinterfragende Grundkompetenzen von Erwachsenen sind in einen Ka-non von Grundkompetenzen eingebettet, die sich inhaltlich der Diskussion um Grundbildung (vgl. Mania & Tröster 2018) zuordnen lassen. Dabei ist die Literalitätsfor-schung seit Jahren besonders prominent. LEO 2018 erfasst die Literalität von Erwach-senen und legt Zusammenhänge zwischen Literalität und anderen Facetten der Grundbildung offen. Literalität weist dabei Korrelationen zu Alltagspraktiken und zu domänenspezifischen Grundkompetenzen auf, die tendenziell eine erhöhte Vulnera-bilität gering literalisierter Erwachsener gegenüber einem gesellschaftlichen Teilhabe-ausschluss nahelegen (vgl. Grotlüschen et al. 2020). Laut PIAAC korrelieren auch Lite-ralität und NumeLite-ralität sowie LiteLite-ralität und technologiebasierte Problemlösekompe-tenz (vgl. OECD 2013, S. 85).

Bisherige Untersuchungen belegen also unterschiedliche Nutzungsarten, Nut-zungshäufigkeiten und unterschiedliche positive und negative Auswirkungen der In-ternetnutzung. Daher ist davon auszugehen – dies entspricht der Hypothese unseres Beitrags –, dass unterschiedliche Bevölkerungsgruppen in unterschiedlichem Maße profitieren und vice versa auch in unterschiedlichem Maße von Risiken bedroht sind.