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Mediale Berichterstattung über Gewaltdelikte

Im Dokument Gewalt in den Medien (Seite 100-105)

5 Diskussion

5.1 Mediale Berichterstattung über Gewaltdelikte

Insgesamt haben die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung gezeigt, dass in Abhän-gigkeit vom jeweiligen Printmedium zwischen rund neun Prozent und 17 Prozent der Arti-kel in der Sparte Chronik Berichte über Gewaltdelikte thematisieren. Fast 15 Prozent der Artikel befassten sich mit häuslichen Gewaltdelikten, mehr als die Hälfte mit öffentlichen Gewalttaten und rund ein Viertel der Artikel war über die Amokfahrt durch Graz. Der rest-liche Anteil berichtete über Suizide oder präventive Maßnahmen (wie Hilfsorganisationen, Tagungen oder Schulungen). In allen drei Tageszeitungen war als Reaktion auf die Amok-fahrt durch die Stadt Graz ein Anstieg der Berichte über Gewalttaten zu verzeichnen. Die-ser war jedoch hauptsächlich durch die Berichterstattung über die Amokfahrt begründet.

Da verschiedene Untersuchungen gezeigt haben, dass nach der Berichterstattung über Sui-zide, die Selbstmordrate ansteigt157, existieren für Österreich seit 1987 sehr strenge Richt-linien hinsichtlich der Medienberichterstattung über Suizide.158 Dies könnte die geringe Anzahl an Artikeln über Suizide im Analysezeitraum erklären. Auch für Morde und Amokfahrten wurde die Tendenz eines Imitationseffektes nachgewiesen.159 Diesbezüglich erstaunt die hohe Anzahl an Gewaltberichten, die im Analysezeitraum in der Kronen Zei-tung und der Kleinen ZeiZei-tung erschienen sind. Bereits frühere Studien haben jedoch

157 Vgl. Kunczik & Zipfel, Gewalt und Medien, S. 94–95.

158 Vgl. Tomandl u.a., Leitfaden zur Berichterstattung über Suizide.

159 Vgl. Kunczik & Zipfel, Gewalt und Medien, S. 108.

ben, dass der Anteil der Gewaltberichterstattung bei privaten Sendern beziehungsweise in Boulevardzeitungen höher ist als bei öffentlich-rechtlichen TV-Sendern oder Qualitätszei-tungen. 160

In der Kronen Zeitung wie auch der Kleinen Zeitung wurden am Beginn der Woche der höchste Anteil an Berichten über Gewalttaten registriert, der im Verlauf der Woche ab-nahm und am Sonntag wieder anstieg. Auch im Standard ab-nahm der Anteil der Gewaltbe-richte im Verlauf der Woche ab, stieg jedoch am Wochenende nicht an. Eine mögliche Ursache dafür könnte der Umstand sein, dass der Standard nur eine „Wochenendausgabe“

am Samstag herausbringt und am Sonntag nicht erscheint.

In der Kronen Zeitung wurden mehr Artikel über häusliche Gewaltdelikte abgedruckt als in der Kleinen Zeitung und im Standard. Dieses Ergebnis entspricht den Untersuchungen im Fernsehbereich, die zeigten, dass der Gewaltanteil bei privaten Anbietern wesentlich höher ist als bei öffentlich-rechtlichen 161162, da die privaten Sender eher emotionale Themen, die Betroffenheit auslösen, ausstrahlen.163

Die Anzahl der Gewaltberichte zu ein- und demselben Fall schwankte zwischen einem Kurzbericht und beispielsweise 17 Artikeln zum Absturz der Germanwings-Maschine in den französischen Alpen, 21 Berichten über den Mann, der in der Steiermark seine Nach-barsfamilie attackierte, bis hin zu 147 Artikeln über die Amokfahrt in Graz. Aufgrund des-sen war die Anzahl der Gewalttaten, die analysiert wurden, wedes-sentlich geringer als die Zahl der Berichte darüber (232 Gewalttaten über die in 602 Berichten informiert wurde).

Eine Analyse der Kriminalberichterstattung in österreichischen Tageszeitungen in den 1980er Jahren kam zu dem Schluss, dass in 68 Prozent der Fälle über ein Ereignis nur ein-malig berichtet wurde. 164 Den vorliegenden Analysen zufolge wurde in circa 85 Prozent der Fälle über ein Ereignis nur einmalig informiert und in 15 Prozent zwei oder mehrmals über ein- und dieselbe Gewalttat berichtet.

160 Vgl. Kunczik & Zipfel, Gewalt und Medien, S. 345.

161 Vgl. Kunczik & Zipfel, Gewalt und Medien, S. 345–346.

162 Vgl. Kunczik & Zipfel, Gewalt und Medien, S. 346.

163 Vgl. Krüger, InfoMonitor 2009, S. 55.

164 Vgl. Funk & Schmitt, Teil VII, S. 530.

Diskussion Für das Jahr 2002 wurde im Mittel ein Gewaltanteil von 21 Prozent bei privaten Fernseh-sendern und 15 Prozent bei Öffentlich-Rechtlichen festgestellt. 165 In der vorliegenden Stu-die umfasste der Anteil der Gewaltdelikte 9,2 Prozent im Standard – den man als Quali-tätszeitung definieren kann – und 16,7 Prozent beziehungsweise 17,3 Prozent in der Kro-nen Zeitung respektive KleiKro-nen Zeitung, die man möglicherweise mit privaten Fernsehsen-dern vergleichen kann. Dies deutet darauf hin, dass in Printmedien, der Gewaltanteil offen-sichtlich generell niedriger zu sein scheint als im Fernsehen.

Die Ergebnisse einer österreichischen Studie in den 90er Jahren zeigten, dass in der Kro-nen Zeitung pro Jahr 100 Fallberichte und im Standard circa 40 Artikel über Gewalt an Kindern erschienen. 166 Den Ergebnissen der vorliegenden Untersuchung zufolge erschie-nen in sechs Wochen in der Kroerschie-nen Zeitung 266 Berichte über zwischenmenschliche Ge-walt insgesamt und 24 über Kindesmisshandlung und im Standard 82 Artikel über zwi-schenmenschliche Gewalt insgesamt und vier über Kindesmisshandlung. Rechnet man das hoch auf ein Jahr scheint es, dass in der Kronen Zeitung der Anteil der Berichte über Ge-walt an Kindern und Jugendlichen eventuell gestiegen ist, während dieser im Standard konstant blieb. Dies müsste jedoch in weiteren Studien, die über einen längeren Zeitraum die mediale Berichterstattung über Gewalt analysieren, verifiziert werden. Die Ergebnisse der vorliegenden Analysen zeigten jedoch insgesamt, dass in der Kronen Zeitung und der Kleinen Zeitung signifikant mehr Berichte über Gewaltdelikte publiziert werden als im Standard.

Den Ergebnissen der vorliegenden Untersuchung zufolge informierten in Abhängigkeit vom Printmedium zwischen neun Prozent und 17 Prozent aller Berichte über Gewaltdelik-te. Dies sind weitaus weniger Artikel als in einer amerikanischen Untersuchung. Dort zeig-te sich, dass 32 Prozent aller Artikel in der L.A. Times Gewalt thematisieren. 167 Eine mög-liche Ursache für diese Diskrepanz könnte der Umstand sein, dass die amerikanische Stu-die alle Artikel über verschiedenste Gewalttaten das heißt auch Diebstähle oder Überfälle mit einschloss. Ungefähr ein Fünftel aller Berichte in dieser amerikanischen Studie berich-tete über Morde.168 In der vorliegenden Untersuchung waren in Abhängigkeit vom

165 Vgl. Kunczik & Zipfel, Gewalt und Medien, S. 346.

166 Vgl. Funk & Schmitt, Teil VII, S. 517.

167 Vgl. Rodgers & Thorson, The reporting of crime and violence, S. 176.

168 Vgl. Rodgers & Thorson, The reporting of crime and violence, S. 178.

medium zwischen 20 Prozent (Kronen Zeitung) und 30 Prozent (Standard) aller Gewaltbe-richte über Morde.

Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung zeigten, dass zwischen 7,3 Prozent und 19,5 Prozent aller Gewaltberichte zum Thema häusliche Gewalt erschienen sind. Die ge-ringste Anzahl an Berichten zu der Thematik wurde im Standard publiziert, die höchste in der Kronen Zeitung, wobei der Unterschied zwischen den Printmedien signifikant war.

Eine amerikanische Studie berichtet, dass bei Medienberichten über häusliche Gewalt oft-mals nur dann über diese Form der Gewaltanwendung berichtet wird, wenn das Opfer um-gebracht wird.169 Dies könnte ein möglicher Grund für die wesentlich geringere Anzahl an Medienberichten über häusliche Gewalt im Vergleich zu anderen Gewaltverbrechen in der vorliegenden Untersuchung sein. Die Dunkelziffer bezüglich der häuslichen Gewaltan-wendung dürfte außerdem wesentlich höher liegen, da die Opfer den/die Täter/-in oftmals nicht oder erst nach langer Gewaltanwendung anzeigen.

Eine niederländische Studie beschäftigte sich mit der Medienberichterstattung über Suizi-de, bei denen im Anschluss an die Tat der/die Täter/-in Suizid beging. Die AutorInnen be-richten, dass circa sieben Berichte pro Jahr über Mord mit anschließendem Suizid in Hol-land publiziert werden. 170 Auf Basis der vorliegenden Ergebnisse erscheint im Vergleich dazu die Rate in Österreich weitaus höher zu sein. In der vorliegenden Untersuchung wa-ren zwei Berichte über ein häusliches Gewaltdelikt mit anschließendem Suizid des Täters.

Einer, wo ein Vater seine 9- und 11-jährigen Töchter tötete und im Anschluss Suizid ver-übte, sowie ein zweiter, wo ein Großvater seine Frau, Tochter und seinen Enkel erschoss und im Anschluss daran sich selbst. Ein weiterer Bericht war über eine 25-jährige Mutter, die ihren 5-jährigen Sohn ermordete und danach einen Suizidversuch unternahm.

Eine deutsche Untersuchung berichtete, dass sich Boulevard- von Qualitätszeitungen nicht in der Anzahl der Berichte über Gewaltverbrechen unterscheiden, sondern in der Art der Berichterstattung. Laut ihren Ergebnissen informieren Qualitätszeitungen kurz und sach-lich, während Boulevardblätter eher sensationsorientiert berichten. 171 Auch die Ergebnisse

169 Vgl. Lindsay-Brisbin u.a., Missed opportunities, S. 385.

170 Vgl. Liem & Koenraadt, Homicide-suicide in the Netherlands, S. 484.

171 Vgl. Reuband, Kriminalität in den Medien, S. 131.

Diskussion der vorliegenden Studie zeigten, dass im Standard (der eine Qualitätszeitung ist) über Ge-walttaten fast ausschließlich in Form von kurzen Meldungen berichtet wurde und weniger häufig Folgeartikel zu ein- und demselben Thema erschienen. Die Kronen Zeitung und die Kleine Zeitung dagegen druckten zumeist längere, ausführlichere Berichte und mehrere Artikel zu einem Gewaltdelikt, die inhaltlich mehr Informationen über den Hintergrund von TäterInnen und Opfern, abseits von deren demographischen Merkmalen enthielten.

Das Tatmotiv wurde jedoch zumeist in allen drei Medien – sofern es bekannt war – veröf-fentlicht. Ebenfalls zeigten die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung einen statistisch signifikanten Unterschied zwischen den Tageszeitungen im Hinblick auf den Ort der Ge-waltverbrechen. Die Kleine Zeitung berichtete am häufigsten über Gewalttaten aus der Steiermark und aus Österreich. Auch die Tatwaffe wurde in der Kleinen Zeitung häufiger genannt als im Standard. Die vorliegenden Ergebnisse zeigten jedoch auch einen signifi-kanten Unterschied in der Anzahl der Berichte insgesamt und nach Gewaltart. Des Weite-ren ergaben die Ergebnisse dieser Masterarbeit in Übereinstimmung mit vorherigen Stu-dien, dass über psychische Gewalt so gut wie nie berichtet wurde. 172

Zusammenfassend wurde in fast 90 Prozent aller Fälle Informationen über den/die Täter/-in und das Opfer und Täter/-in circa 95 Prozent der Delikte die Verletzungen des/der Opfer ge-nannt. Die Ergebnisse früherer Studien, die berichten, dass insgesamt mehr Informationen über den/die Täter/Täterin in den Medienberichten erwähnt werden als von den Opfern 173, bestätigten die vorliegenden Ergebnisse nicht. Rund Dreiviertel der Gewaltberichte nannte die Tatwaffe, circa 85 Prozent die Gewaltfolgen, aber nur ungefähr ein Drittel das Tatmo-tiv, was darauf hindeutet, dass dieses den Medien meist nicht bekannt ist. Dies entspricht auch vorherigen Analysen österreichischer Printmedien, die berichten, dass Ursachen sel-ten genannt und Lösungsmöglichkeisel-ten und Gewaltfolgen nur reduziert dargestellt wer-den.174 In der vorliegenden Untersuchung wurden – in Übereinstimmung mit der Literatur – als Gewaltfolgen zwar strafrechtliche Konsequenzen für den/die Täter/-in genannt, je-doch kaum langfristige, nicht physische Folgen für das/die Opfer. 175

172 Vgl. Funk & Schmitt, Teil VII, S. 521.

173 Vgl. Funk & Schmitt, Teil VII, S. 526–527.

174 Vgl. Funk & Schmitt, Teil VII, S. 538.

175 Vgl. Funk & Schmitt, Teil VII, S. 517.

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