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2.1. Patienten

Die vorliegende Arbeit ist eine monozentrische retrospektive Analyse der Patientenakten von Patienten mit fortgeschrittenem idiopathischem Parkinson-Syndrom und relevanten Fluktuationen, die von Januar 2005 bis Dezember 2016 an der Neurologischen Klinik der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) on-label gemäß der Produktinformation von Duodopa® stationär auf LCIG erstmals eingestellt worden sind. Die Daten von Patienten, die mit Nachtitrationen einer entweder an der MHH oder in auswärtigen Einrichtungen begonnenen Behandlungen oder wegen Komplikationen unter bestehender LCIG-Therapie stationär behandelt worden sind, fanden keinen Eingang in diese Analyse. Alle Patienten haben schriftlich ihr Einverständnis in die anonyme Analyse ihrer Krankenakten erteilt, und die Studie wurde von der Ethikkommission der Medizinischen Hochschule Hannover mit dem Votum Nr.

8280_BO_K_2018 genehmigt.

Alle Patienten wurden individuell nach ihren Symptomen bzw. Bedürfnissen nach entsprechend guter klinischer Praxis behandelt.

2.2. Untersuchte Einflussfaktoren auf den Titrationsprozess und den Klinikaufenthalt

Als primärer Endpunkt der Analyse wurde die Dauer des Titrationsprozesses bei der Umstellung auf die LCIG-Therapie in Tagen untersucht. Als Beginn des Titrationsprozesses wurde der Tag der erstmaligen Infusion von LCIG unabhängig von der Art des Applikationszugangs (nasojejunal oder via PEG-JET) definiert. Das Ende des Titrationsprozesses wurde als der Tag definiert, ab dem die Morgendosis und die kontinuierliche Rate der LCIG-Therapie bis zur Entlassung aus dem Krankenhaus nicht mehr verändert wurden.

Als sekundärer Endpunkt wurde die Dauer des Krankenhausaufenthaltes für die Ersteinstellung auf LCIG untersucht, der als Zeitraum in Tagen vom Aufnahmetag bis einschließlich des Entlassungstages festgelegt wurde.

Als Grundhypothese wurde angenommen, dass die Dauer des Titrationsprozesses im Rahmen einer Ersteinstellung auf eine LCIG-Therapie und die Dauer des damit verbundenen Krankenhausaufenthaltes

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von diversen sozio-demographischen und krankheitsimmanenten, pharmakologischen sowie nicht-pharmakologischen Faktoren abhängig ist.

2.2.1. Sozio-demographische und krankheitsimmanente Faktoren

Man weiß, dass mit zunehmendem Alter und zunehmender Erkrankungsdauer die Behandlung der Parkinson-Krankheit komplexer wird und in der Spätphase insbesondere axiale Symptome (Haltungskontrollstörungen, Stürze, Freezing, Dysphagie), die in aller Regel schlecht bis gar nicht auf Levodopa ansprechen, sowie kognitiver Abbau die Behandlung und den Verlauf der Erkrankung verkomplizieren. Aus diesem Grunde wurden außer den üblichen demographischen Daten wie Alter, Geschlecht, Erkrankungsdauer sowie dem Hoehn & Yahr-Stadium als möglicher Einflussfaktor das Vorhandensein nicht-motorischer Symptome analysiert.

Als soziodemographische/krankheitsimmanente Faktoren wurden folgende Parameter untersucht:

• Alter des Patienten zum Titrationszeitpunkt

• Geschlecht des Patienten

• Wohnform (d.h. daheim in eigener Wohnung/Haus oder Heimunterbringung)

• Dauer der Parkinson-Erkrankung bei Beginn der LCIG-Therapie

• Alter bei Erstmanifestation/Erstdiagnose des idiopathischen Parkinson-Syndroms

• Hoehn & Yahr Stadium als Ausdruck der Schwere der Erkrankung69

• Vorhandene nicht-motorische Symptome

o Kognitive Dysfunktion (mildes kognitives Defizit, Demenz, definiert als Mini Mental State Test 26-16)

o Affektive Symptome (Depressivität, Affektlabilität, Angst)

o Dopaminerg-induzierte unerwünschte Arzneimittelwirkungen (Dopamindysregulations-syndrom, Psychose, Halluzinationen, Impulskontrollstörungen)

o Axiale Symptome (Freezing, Stürze, Kamptokormie)

o Dysautonomien (Obstipation, Inkontinenz, Hypersalivation, orthostatische Dysregulation)

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2.2.2. Pharmakologische Faktoren

Gleichwohl die Pharmakotherapie darauf abzielt, die motorischen Funktionen zu verbessern, kann sie sich auch nachteilig auswirken. Mögliche Gründe sind zum einen unerwünschte Arzneimittelwirkungen wie die psychotogene Wirkung von Dopaminergika, blutdrucksenkende und sedierende Effekte. Diese Wirkungen können weitere Komplikationen zur Folge haben. So ist beispielsweise bekannt, dass neben Alter, Erkrankungsschwere und posturaler Instabilität auch die Gesamtmenge und Anzahl von unterschiedlichen Dopaminergika Risikofaktoren für Stürze sind.70;71 Außerdem birgt die Polypharmako-therapie insbesondere bei der Parkinson-Erkrankung ein erhöhtes Risiko für Delirien.72

Von Studien der tiefen Hirnstimulation (THS) weiß man, dass eine dem Eingriff vorangegangene Behandlung mit langwirksamen Dopaminergika und Polypharmakotherapie die Einstellung der Stimulation nachteilig beeinflussen. Insbesondere Dopaminagonisten verlieren ihre Wirkung oft erst mehrere Tage nach Dosisreduktion bzw. abruptem Absetzen.

Grundsätzlich ist LCIG eine Monotherapie, bei der allenfalls zu Nacht, wenn die Pumpe nicht läuft, orale Medikation gegeben wird. Verwendet werden hier i.d.R. orale retardierte Levodopa-Präparate, die in aller Regel aber nur in der ersten Nachthälfte wirksam sind. In solchen Fällen wird mitunter der transkutane Dopaminagonist Rotigotin in Pflasterform als wirksamere Alternative gewählt. Bei weit fortgeschritten Erkrankten mit schweren nächtlichen Symptomen wie dystonen Krämpfen sind diese Maßnahmen eventuell nicht ausreichend; in diesem Fall kann man von Beginn an die nicht allgemein empfohlene 24-Stunden-LCIG-Therapie in Erwägung ziehen.

Ein guter Teil von Patienten, die sich einer LCIG Therapie stellen, wurde schon mit anderen invasiven Verfahren, nämlich THS bzw. Apomorphin-Pumpen behandelt. Im Rahmen des Beginns von LCIG wird Apomorphin auf jeden Fall beendet, und die THS kann entweder beendet oder bei noch bestehender (Teil-)Wirksamkeit fortgeführt werden. Alle diese Größen könnten potentiell einen Einfluss auf die Titrationsphase haben.

Als pharmakologische Faktoren wurden folgende Parameter untersucht:

• Anzahl eingenommener Substanzgruppen (von Parkinson-Medikamenten)

• Anzahl der Einnahmezeitpunkte der Parkinson-Medikamenten

• Gesamte Levodopa-Äquivalenzdosis pro Tag (LEDD)

• Umstellung auf orale Levodopa/DDH-Monotherapie vor dem Beginn des LCIG-Titrationsprozesses

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o Bei erfolgter Umstellung auf orale Levodopa/DDH-Monotherapie im Vorfeld Zeitintervall

der Umstellung vor Beginn des Titrationsprozesses (in Tagen)

• Notwendigkeit einer „Monotherapie-Plus“ (LCIG + Rotigotin)

• Notwendigkeit einer 24/7-LCIG-Therapie seit Beginn der Therapie

• Vorhandensein der Tiefen Hirnstimulation oder Apomorphin-Pumpentherapie im Vorfeld

2.2.3. Nicht-pharmakologische Faktoren

Wie bereits in der Einleitung beschrieben, dauert die NJ-Phase laut Literatur 2-14 Tage. Insofern könnte eine NJ-Phase eine nachteilige Auswirkung auf die Titrationsdauer haben. Komplikationen, die sich entweder prozedural oder krankheitsimmanent bzw. unabhängig von der Parkinson-Krankheit ereignen, könnten sich negativ auf die Titrationsdauer auswirken, genauso wie die Durchführung einer Parkinson-Komplexbehandlung, in deren Rahmen eine auf Parkinson-Patienten speziell ausgerichtete kombinierte stationäre Behandlung bestehend aus Physio- und Ergotherapie, physikalischen Anwendungen und Logopädie für eine vorgegebene Anzahl von Therapieeinheiten erfolgt.

Als nicht-pharmakologische Faktoren wurden folgende Parameter erhoben:

• Dauer der NJ-Phase (definiert als Zeitraum von Insertion der NJ-Sonde bis zur Implantation der PEG-J)

• Dauer der PEG-J-Phase (definiert als Zeitraum von der Implantation der PEG-J bis zur Entlassung)

• Unerwünschte Ereignisse

o Psychiatrische Komplikationen (z.B. Delir, Incompliance)

o Technische und prozedurbedingte Komplikationen (z.B. Dysfunktion des PEG-Systems, Sondendislokation, Fehlplatzierung der Sonde, Pneumoperitoneum)

o Medizinische, Parkinson-unabhängige unerwünschte Ereignisse

• Durchführung einer Parkinson-Komplextherapie

2.3. Statistik

Alle erhobenen Daten wurden retrospektiv gesammelt, in Microsoft® Office Excel® Version 2010 überarbeitet und der entsprechenden statistischen Analyse mittels IBM® SPSS® Statistics Software Version 25 unterzogen.

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Bei der statistischen Analyse wurden Mann-Whitney-Wilcoxon-Test für dichotome Variablen sowie Korrelation nach Spearman für stetige Variablen genutzt. Ein p-Wert ≤ 0,05 wurde als statistisch signifikant angenommen.

Korrelationen zwischen analysierten Parametern wurden gemäß dem Korrelationskoeffizient rs mit Werten von -1 bis +1 interpretiert: rs-Werte von -0,2 bis +0,2 entsprachen keiner bzw. geringer Korrelation, bei 0,2 < rs≤ 0,5 wurde von mäßiger, bei 0,5 < rs≤ 0,8 - von deutlicher und bei 0,8 < rs≤ 1,0 von einer hohen Korrelation ausgegangen.

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