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1. Einleitung:

1.1. Das fortgeschrittene idiopathische Parkinson-Syndrom und motorische Fluktuationen

Das idiopathische Parkinson-Syndrom ist eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen, die bevorzugt im höheren Lebensalter diagnostiziert wird. Durch die zunehmende Lebenserwartung der Bevölkerung und der Betroffenen darf mit einem weiteren Anstieg Erkrankter gerechnet werden. Ob die Inzidenz wirklich zunimmt, wird kontrovers diskutiert. Derzeit wird in Industrienationen eine Häufigkeit der Parkinson-Erkrankung von 2-3 Promille der Bevölkerung angenommen. Bei den über 60-jährigen liegt die Prävalenz bei circa 1 %. In Deutschland wird von circa 300.000 Betroffenen ausgegangen, wobei die Zahl der therapierten Patienten geringer ist

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Die Erkrankung ist klinisch definiert durch mindestens zwei der drei motorischen Kardinalsymptome Bradykinese, Rigor und Tremor und neuropathologisch auf Aggregationen von Lewy-Körperchen zurückzuführen. Ein großer Teil der motorischen Symptome ist die Folge eines Dopaminmangels auf dem Boden einer Degeneration dopaminerger Neuronen im nigrostriatalen System.1;2

Unstrittig ist, dass die Degeneration des dopaminergen nigrostriatalen Systems maßgeblich für die motorischen Symptome der Erkrankung verantwortlich ist. Daneben wird schon seit Jahrzehnten diskutiert, dass auch das idiopathische Parkinson-Syndrom eine Multisystemerkrankung ist, bei der der degenerative Prozess erst im mittleren Stadium der Erkrankung die Substantia nigra im Mittelhirn erfasst. Die möglichen Auslöser der Erkrankung sind vielgestaltig und umfassen unter anderem genetische Faktoren, Endo-/Exotoxine, gesteigerte Apoptose und eventuell auch Entzündungen und/oder immunologische Störungen. Es wird natürlich auch erwogen, ob dies ein rein altersbedingter, degenerativer Prozess ist.1

Weist der Mensch bei Geburt noch etwa 450.000 dopaminerge Neuronen pro Seite auf, werden klinisch relevante Befunde eines Parkinson-Syndroms bei einem dopaminergen Neuronenverlust um etwa 60 % festgestellt. Pro Jahr degenerieren bei einem Patienten mit einem idiopathischen Parkinson-Syndrom etwa 20.000-25.000 Neuronen, wobei große interindividuelle Unterschiede bestehen können. Etwas im Widerspruch hierzu steht, dass die Krankheitsprogression bei jüngeren Patienten geringer ist als bei älteren. Ein akzeptiertes allgemeingültiges Modell hierzu gibt es derzeit nicht.1

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Bei einer physiologischen Degeneration bleiben die Menschen unter Anbetracht der heutigen Lebenserwartung von Parkinson-Symptomen im Alter weitgehend verschont. Durch exogene Einflüsse sowie neurodegenerative Prozesse kann die kritische Schwelle bereits in früheren Jahren unterschritten werden, wobei sich hier kein linearer Verlauf ergibt. Daraus darf aber nicht geschlossen werden, dass das Parkinson-Syndrom lediglich eine beschleunigte physiologische Degeneration ist.1

Der Dopamin-Precursor Levodopa ist die effektivste und sicherste Therapie motorischer Symptome der Parkinson-Erkrankung und gilt somit als Goldstandard in der Behandlung des Parkinsons-Syndroms3;4; Levodopa wird in der Regel oral zugeführt, wird im distalen Duodenum und proximalem Jejunum resorbiert, durchläuft einem First-Pass-Mechanismus in der Leber, passiert nach ca. 20-40 Minuten die Blut-Hirn-Schranke und wird von Neuronen in der Substantia nigra und striatalen Gliazellen zu Dopamin decarboxyliert. Gleichwohl es die wirksamste und nebenwirkungsärmste Substanz zur Behandlung motorischer Symptome der Parkinson-Krankheit ist, birgt eine langjährige Therapie das Risiko der Entwicklung von störenden Komplikationen, und zwar insbesondere von motorischen Fluktuationen.

1;2;5-7 Die motorischen Fluktuationen äußern sich durch einen mehrfachen Wechsel von sog. On- und Off-Phasen am Tag, wobei in On-Off-Phasen die Wirkung dopaminerger Medikation sich klinisch durch Linderung motorischer Symptome auswirkt, wohingegen in Off-Phasen die Wirkung nicht mehr spür- oder sichtbar ist und die Symptome wieder zunehmen. Das Risiko der Entwicklung von motorischen Fluktuationen steigt mit der Krankheits- und Behandlungsdauer und zwar mit einer Wahrscheinlichkeit von ca. 10% pro Behandlungsjahr. Die Fluktuationen beginnen mit einem vorzeitigen Wirkverlust einer Einzeldosis eines eingenommenen dopaminergen Medikamentes, so dass gegen Ende eines Einnahmeintervalls die Symptome wieder zunehmen („wearing-Off Phänomen“ oder „End -of-dose-Phänomen“). Pharmakologisch ist dies auf ein Unterschreiten der Wirkungsschwelle des Medikamentes zurückzuführen. Im weiteren Verlauf der Erkrankung können sich auch Hyper- oder Dyskinesien, also überschießende, choreatische Bewegungen ausbilden, die auf Spiegelspitzen dopaminerger Medikamente im Plasma beruhen (Abbildung 1).8

Die Pathophysiologie motorischer Fluktuationen ist komplex: verzögerte Medikamentenaufnahme durch krankheitsbedingte Störungen der Magen-Darm-Motilität, der Verlust der Speicherfähigkeit des aus Levodopa synthetisierten Dopamins und durch pulsatiles Anfluten dopaminerger Medikamente bedingte Übersensitivisierung striataler Neuronen zählen zu den angenommenen Mechanismen.

Gleichwohl der Goldstandard Levodopa das am besten wirksame und verträgliche Medikament in der Behandlung ist, ist es auch dasjenige, was die motorischen Fluktuationen am ehesten triggert.

Kernproblem ist seine kurze Halbwertzeit, die bei ca. 90 min liegt. In der Frühphase (stabile Phase) der Erkrankung fällt die kurze Halbwertszeit nicht sonderlich ins Gewicht, weil das Gehirn noch

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Speicherkapazitäten in den verbleibenden dopaminergen Neuronen besitzt. Mit zunehmender Degeneration der nigrostriatalen Neuronen jedoch verliert sich diese Speicherfähigkeit, und die Wirkdauer von Levodopa ist mit zunehmender Krankheitsdauer immer mehr von der Halbwertszeit des Medikaments abhängig. Die dadurch entstehenden Schwankungen der Plasmakonzentration von Levodopa führen daher häufig zu relevanten Fluktuationen.9-15 Ca. 50% der Patienten erreichen nach Ablauf von 5 Jahren die Wearing-Off Phase der Erkrankung, in welcher die Wirkdauer der Levodopa-Einzeldosis sukzessive kürzer wird, sodass die Patienten zwischen den Einzeldosen eine Zunahme der motorischen und nicht-motorischen Symptomatik verspüren.16;17 Mit zunehmender Krankheitsdauer wird das therapeutische Fenster immer enger, die Patienten entwickeln häufig choreatiforme Dyskinesien als peak-of-dose Phänomen bei pulsatilen Schwankungen der Levodopa-Konzentration. Die Schwelle der Symptomlinderung steigt an, was häufig höhere Levodopa-Dosen erforderlich macht.

Zudem bildet sich eine obere Schwelle, an der Dyskinesien auftreten.18;19

Abbildung 1 (Aus Senek, M., Nyholm, D. Continuous Drug Delivery in Parkinson’s Disease. CNS Drugs 28, 1927 (2014). https://doi.org/10.1007/s40263-013-0127-1)8. Schematische Darstellung der pharmakokinetisch-pharmakodynamischen Beziehung von Levodopa in verschiedenen Stadien der Parkinson-Krankheit. Zu beachten ist, dass die Pharmakokinetik unverändert bleibt. 1 - In der stabilen Phase (stable Phase) ist die Motorik nahezu normal, sobald der Schwellenwert für die Symptomlinderung (On-Schwelle) überschritten ist. Die Plasmakonzentrationen schwanken zwar, machen sich aber klinisch nicht bemerkbar. 2 - Nach Monaten bis Jahren ist die Wirkungsdauer auf wenige Stunden begrenzt. Mit Sinken der Plasmakonzentration unter die On-Schwelle lässt die Medikamentenwirkung nach, und die Symptome treten gegen Ende eines Einnahmeintervalls wieder auf (wearing-off). 3 - Die On-Schwelle steigt an, und höhere Plasmaspiegel sind für eine Besserung motorischer Symptome erforderlich; gleichzeitig sinkt eine Schwelle, oberhalb derer es zu choreatischen Dyskinesien kommt (Peak-dose-Dyskinesien). 4 Das therapeutische Fenster wird enger; die On-Schwelle steigt, die Dyskinesie-Schwelle sinkt. Infolgedessen entwickeln sich On-Off-Schwankungen, die zufällig erscheinen, aber häufig mit Schwankungen der Levodopa-Konzentrationen zusammenhängen. Das therapeutische Fenster ist im fortgeschrittenen Stadium sehr eng und mit oraler Medikation schwer einzuhalten.

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Die optimale Behandlungsstrategie für motorische Fluktuationen ist eine möglichst stabile und gleichmäßige dopaminerge Stimulation.1;6 Dabei kommen Wirkstoffe mit langer Halbwertszeit wie Dopaminagonisten oder retardierte Form von Levodopa in Frage; ferner kann der Abbau des aus Levodopa synthetisierten Dopamins mit Inhibitoren der Catecholamin-O-Methyltransferase (COMT) oder der Monoaminoaxidase-B (MAO-B) verzögert werden. Dyskinesien können in manchen Fällen durch den NMDA-Antagonisten Amantadin oder durch den kombinierten NMDA-Antagonisten und MAO-B-Inhibitor Safinamid gemildert werden, und schließlich kann man durch geschicktes Umverteilen der Medikation auf enge Einnahmeintervalle mit kleinen Levodopadosen versuchen, die Wirkspiegel zwischen Off- und Dyskinesieschwelle zu halten.20;21

Irgendwann im Verlauf der Erkrankung kommt bei vielen Patienten der Zeitpunkt, an dem diese Maßnahmen nicht mehr ausreichen, um einen stabilen motorischen Effekt zu erzielen, und invasive Verfahren wie tiefe Hirnstimulation oder Pumpentherapien mit subkutanem Apomorphin oder intrajejunalem Levodopa-Gel in Betracht gezogen werden sollten.22-27 Ein internationales Expertengremium hat kürzlich versucht, diesen Zeitpunkt zu definieren: Das Ergebnis dieses in einem Delphi-Verfahren erzielten Konsensus war die Empfehlung, bei 5 Einnahmezeitpunkten am Tag, 2 Stunden Off-Zeit am Tag und 1 Stunde Dyskinesien am Tag, die Möglichkeit eines invasiven Verfahrens zu bedenken.28