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4. Diskussion

4.2. Hauptbefunde

Unsere Studie konnte zeigen, dass der LCIG-Titrationsprozess sowie der damit assoziierte Krankenhausaufenthalt von diversen sowohl mit der Parkinson-Erkrankung verbundenen als auch davon unabhängigen Faktoren negativ, aber auch positiv beeinflusst werden kann. Hauptbefunde waren, dass eine prästationäre Umstellung der vorbestehenden Polypharmakotherapie auf eine orale Levodopa/DDH-Monotherapie die Dauer von Titration und den Krankenhausaufenthalt signifikant verkürzt, und dass ein Start mit einer 24h-LCIG-Infusion sowie ein Krankheitsstadium Hoehn und Yahr ≥ 4 die Titration verlängerte.

Die prästationäre Umstellung der vorbestehenden Polypharmakotherapie, die in den meisten Fällen aus 3 oder sogar 4 Substanzgruppen bestand, auf eine orale Levodopa/DDH-Monotherapie vor Beginn der LCIG-Therapie senkte die Titrationsdauer um ca. 48% (im Durchschnitt von 10,75 auf 5,65 Tage) und die Dauer der Krankenhausbehandlung um 22% (durchschnittlich von 19 auf 14,8 Tage) signifikant. Die naheliegendste Erklärung ist, dass sich der klinische Effekt der zuvor eingesetzten Präparate mit langer Halbwertszeit (im wesentlichen Dopaminagonisten) schon vor dem Klinikaufenthalt verloren hat und zum Zeitpunkt der Titration auf den Prozess keinen Einfluss mehr hatte. In der Tat waren die Patienten schon im Vorfeld mit der den Dopaminagonisten (DA) entsprechenden LEDD substituiert und sie selbst

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und ihre Angehörigen wurden angehalten, mögliche Off-Effekte nach Absetzen der DA mit oralem Levodopa zu kupieren. Die so ermittelte Levodopa-Tagesdosis war damit recht nah an dem späteren Bedarf an LCIG. Dazu passte auch, dass die Menge der eingenommenen Substanzgruppen mit der Titrationsdauer korrelierte. Bemerkenswerterweise hatte die Dauer dieser prästationären oralen Levodopa/DDH-Monotherapiephase selber keine Auswirkung auf die Titrationsdauer.

Eine 24h-LCIG Therapie musste bei einem Teil der Patienten aufgrund von nächtlichen Symptomen (vornehmlich Akinese mit der Unfähigkeit, sich selbst aus dem Bett zu mobilisieren, und nächtliche Muskelkrämpfe als Off-Symptom) fortgeführt werden. Dies führte zu einer signifikanten Verlängerung der Titrationsdauer (von 6,2 auf 14,2 Tage). Eine mögliche Erklärung dafür wäre, dass diese Patienten stärker betroffen waren und mehrere andere, die Titration beeinflussende Faktoren aufwiesen. Eine weitere Erklärung wäre, dass die klinische Erfahrung zeigt, dass bei 24-h-LCIG-Therapie höhere LCIG Dosen erforderlich sind.78;79 Für die höheren Dosen einer 24-h-LCIG-Therapie werden Toleranz-ähnliche Phänomene verantwortlich gemacht, die möglicherweise ein längeres Nachtitrieren erforderlich gemacht haben, zumal eine nächtliche Flussrate nicht wie die Tagesdosis während der Titration stündlich monitoriert werden kann. Dies ist nicht zuletzt, weil die Patienten nachts auch schlafen, so dass eine optimale Nachtdosis nur anamnestisch am Folgetag abgeschätzt werden kann.

Die Patienten mit einem H&Y-Stadium ≥ 4 (58% in unserer Kohorte) wiesen im Vergleich zu Patienten mit H&Y-Stadium ≤3 eine signifikant längere Titrationsdauer auf (durchschnittlich 8,8 Tage bei Stadium 5; 6,9 Tage bei Stadium 4; 5,8 Tage bei Stadium 3 und 1,5 Tage bei Stadium 2). Die Patienten mit H&Y ≥ 4 benötigen beim Gehen Hilfe sind postural instabil und neigen zu Stürzen. In der Regel sind das auch die älteren Patienten, deren nicht-motorische Symptome deutlicher sind. Die nicht-motorischen Symptome hingegen selbst hatten keinen signifikanten Einfluss auf die Dauer der Titration, sodass letztlich angenommen werden muss, dass sich das dopaminerge System bei Patienten mit H&Y ≥ 4 langsamer glätten lässt. Die Dauer der Krankenhausbehandlung war jedoch von der Schwere des Parkinson-Syndroms nicht beeinflusst, was wahrscheinlich an der Komplextherapie über 10 Arbeitstage liegt, die viele Patienten erhielten.

Ältere Patienten mit einem fortgeschrittenen Parkinson-Syndrom hatten eine deutlich längere Titrationsdauer (rs +0,307) sowie eine längere Dauer des Krankenhausaufenthaltes (rs +0,348). Weitere Faktoren wie Geschlecht, Wohnform, Alter bei der Erstdiagnose der Parkinson-Erkrankung sowie die Dauer des Parkinson-Syndroms zum Beginn der LCIG-Therapie hatten keinen relevanten Einfluss sowohl auf die Titrationsdauer als auch auf die Dauer der Krankenhausbehandlung.

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Den deutlichsten Einfluss auf die Dauer der Krankenhausbehandlung hatten erwartungsgemäß eine Parkinson-Komplextherapie und Komplikationen. Das Konzept der Parkinson-Komplextherapie, welches klassischerweise 10 Arbeitstage bzw. 900 Minuten multimodaler Therapieansätze beinhaltet, führte im Vergleich zur konventionellen Physiotherapie zur signifikanten Verlängerung der Krankenhaus-behandlung durchschnittlich um 4 Tage, logischerweise ohne dass der LCIG-Titrationsprozess dadurch positiv oder negativ beeinflusst worden war.

Alle aufgetretenen unerwünschten Ereignisse zeigten einen signifikant negativen Effekt auf die Dauer des Krankenhausaufenthalts, dabei waren die unerwünschten Ereignisse technischer Art bei 21%

Patienten am häufigsten zu beobachten. Diese technischen Komplikationen führten zur signifikanten Verlängerung sowohl der Titrationsdauer (um ca. 5 Tage) als auch der Dauer der Krankenhaus-behandlung (um ca. 6 Tage), das heißt, sie traten offenbar früh im Verlauf des Aufenthaltes auf. Die internistischen Komplikationen verlängerten die Klinikverweildauer am stärksten (um knapp eine Woche).

Zu beachten sind auch die Faktoren, die keinen signifikanten Einfluss nahmen: Nahezu die Hälfte der Patienten litt vor dem Beginn der LCIG-Therapie unter relevanten dopaminerg-induzierten unerwünschten Arzneimittelwirkungen, 58% der Patienten hatten zudem deutliche axiale Symptome.

Nichtdestotrotz ergab sich kein signifikanter Einfluss der untersuchten nicht-motorischen Symptome auf die LCIG-Titrationsdauer. Die vorbestehenden leicht bis mittelschweren kognitiven Defizite führten zu einer signifikanten Verlängerung der Krankenhausbehandlung (im Durchschnitt von 15 auf 19 Tage), was jedoch mit dem Titrationsprozess nicht assoziiert war und als Folge der aufgetretenen unerwünschten Ereignisse erklärt werden kann. Weitere nicht-motorische Symptome hatten keinen Einfluss auf die Dauer des Krankenhausaufenthaltes gezeigt.

Die Anwendung invasiver Therapieverfahren (Apomorphin-Pumpe bzw. tiefe Hirnstimulation) vor Beginn der LCIG-Therapie hatte keinen wesentlichen Einfluss sowohl auf die Titrationsdauer als auch auf die Dauer der Krankenhausbehandlung. Für die THS verwundert das nicht. Sie wurde entweder unverändert fortgeführt, oder wegen UAW abgeschaltet. Weil eine Abschaltung unmittelbar eine Verschlechterung zur Folge hat, sollte das Abschalten auf die Titration keinen Einfluss nehmen. Für Apomorphin hätten wir andere Ergebnisse erwartet, weil die Umrechnung von Apomorphin auf LEDD trotz publizierter Studien58 sich in der klinischen Praxis komplizierter zeigt. In der Tat war die Streubreite der Titrationsdauer (3-25) und der Dauer des Krankenhausaufenthaltes groß (12-30 Tage) für Patienten mit einer Apomorphin-Pumpe, allerdings ist die Gruppe mit n = 5 so klein, das eine belastbare Aussage nicht möglich ist.

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Auffallend ist auch, dass es keine Rolle spielte, ob die Titration zunächst über eine nasojejunale Sonde oder primär über eine PEG-JET-Anlage begann. Die Dauer der Titration und der Krankenhausbehandlung war in beiden Gruppen vergleichbar. Aus Gründen der Patientenführung kann eine NJ-Phase sinnvoll sein; wie in der Einführung besprochen wird allerdings kontrovers diskutiert, ob eine nasojejunale Phase bei der Initiierung der LCIG-Therapie eine obligate Maßnahme darstellt. Diese Frage wurde bereits in einigen Analysen kritisch diskutiert (z.B. Vijiaratnam N. et al. 2018, Lew M. et al. 2015)57;68, zumal es möglich wäre, dass ein stabiles Titrationsschema beim Wechsel auf ein PEG-J-System noch einmal angepasst werden muss, weil das Ende der PEG-J Sonde endoskopisch nicht zwingenderweise beim Zweiteingriff an derselben Stelle im Jejunum zu liegen kommt. Unsere Daten legen nahe, dass die Befürchtung nicht zutreffen muss, wenn das Endoskopie-Team erfahren ist.