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Master-Erzählung und Vorstellung des Code-Systems

Quadrant III Logistik, Transport

4.6 Master-Erzählung und Vorstellung des Code-Systems

Wie in Abschnitt 4.5 erläutert, bildeten formulierende und reflektierende Kategorien aus den Interpretationen nach dokumentarischer Methode den Grundstock des Code-Systems. Zu jedem dieser Codes sowie zu den offenen oder „in-vivo-Codes“

nach der Grounded Theory Methodology (GTM), die den Grundstock punktuell er-gänzten, sind zwei unterschiedliche Arten von Memos erstellt worden - zum einen definitorische Memos, in denen Codieranweisungen niedergelegt sind, die einzelne Codes von anderen abgrenzen, zum anderen theoretische Memos, die (mögliche) Zusammenhänge zwischen Fällen, Codes oder inhaltlichen Merkmalen aufgezeigt und damit zur Theoriebildung beigetragen haben. Unabhängig von ihrer ursprüngli-chen Herkunft aus Interpretationen nach dokumentarischer Methode oder aus dem

Prozess des offenen Codierens wurden alle Codes, die sich dafür eigneten, mit Hilfe v. a. des axialen Codierens im Rahmen der GTM (Strauss und Corbin, 1996, Halatcheva-Trapp, 2016) dimensionalisiert und integriert. Am Ende entstand rund um die Kernkategorie „Beschäftigte sicher und gesund durch den Arbeitsprozess schleu-sen“ die folgende in den Daten verankerte „Master-Erzählung“, die die gefundenen systematischen Zusammenhänge zwischen den Codes wie in der GTM üblich als ein

„Memo zum roten Faden der Geschichte“ (Master-Erzählung) wiedergibt. Die theore-tischen Einzel-Memos sind in diese Master-Erzählung eingeflossen:

Beschäftigte sicher und gesund durch den Arbeitsprozess schleusen

Der rote Faden der Geschichte handelt davon, wie die Verantwortlichen und Zustän-digen in Betrieben versuchen, ihre Beschäftigten sicher und gesund durch den Ar-beitsprozess zu schleusen. Das heißt erstens, wie sie Gefährdungen für Sicherheit und Gesundheit ihrer Beschäftigten erkennen und begegnen. Dabei wird vorausge-setzt, dass alle betrieblich für den Arbeitsschutz Verantwortlichen und Zuständigen den Arbeitsprozess als ein Stück weit mit Sicherheits- und Gesundheitsrisiken ver-bunden wahrnehmen und mit ihren Beschäftigten darüber kommunizieren. Unter den Veränderungs-Impulsen, die das Arbeitsschutz-Engagement verstärken oder hem-men bzw. es in andere bisher unbearbeitete Richtungen lenken, finden sich von Im-pulsen durch andere Organisationen oder Wettbewerber über die Anregungen der Beschäftigten bis hin zu Kundenwünschen oder Wirtschaftlichkeitserwägungen eine breite Palette von Faktoren, die in jedem Betrieb anders gewichtet werden. Nicht alle Faktoren sind für alle Betriebe relevant. Sobald ein Betrieb in Bezug auf bestimmte Gefährdungen aktiv geworden ist, stellt sich die Frage, mit welcher Strategie er die-sen Gefährdungen begegnet. Die Variation unter den möglichen Strategien ergibt sich durch die Herangehensweise bzw. die Mittel, denen in der üblichen betrieblichen Wahrnehmungsweise kollektiv die größtmögliche Wirkung bzw. ein angemessener Umgang mit Gefährdungen zugetraut wird. Im Textmaterial zur Sprache kommen hier a) ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess, der die eigenen Routinen ständig hinterfragt, b) die Aufteilung von möglichen Schadensfällen in vermeidbare und un-vermeidbare und c) das vollständige Setzen auf die Eignung der Beschäftigten, die aufgrund ihrer Kreativität oder ihrer Ausbildung für fähig und in der Lage gehalten werden, jederzeit selbst für ein angemessenes Maß an Sicherheit und Gesundheits-schutz zu sorgen.

Doch klärt die Klarheit über die in einem Betrieb favorisierte Strategie, Gefährdungen zu begegnen, die Varianz der Typologie noch nicht abschließend auf. Nicht nur auf die Mittel, auf die gesetzt wird, sondern auch die Frage, mit wem in erster Linie inter-agiert wird, um Ergebnisse im Arbeitsschutz zu erzielen, sollte deshalb in die Be-trachtung einbezogen werden. Gefragt werden muss nach dem „Interaktionsfokus“

des einzelnen Betriebes, der entweder bei der internen Integration oder bei der ex-ternen Adaption an relevante Umwelten liegen kann, wobei klar festzuhalten ist, dass jeder Betrieb immer in beiden Feldern aktiv ist: sowohl in der internen Integration, als auch in der externen Adaption.

Es wird angenommen, dass das Einräumen erweiterter Partizipationsmöglichkeiten für Beschäftigte darauf verweist, dass der Interaktionsfokus auf der internen Integra-tion liegt, während basale PartizipaIntegra-tionsmöglichkeiten dies eher nicht anzeigen. Von erweiterten Partizipationsmöglichkeiten wurde ausgegangen, wenn die Beschäftigen gezielt zu Fragen der wahrgenommenen Belastungen, als auch zu Fragen der Aus-gestaltung von Sicherheit und Gesundheitsschutz im Betrieb konsultiert und nicht nur

– wie bei der basalen Partizipation - über Maßnahmen informiert und/oder zur Teil-nahme an ihnen sowie zur Einhaltung von Regeln aufgefordert werden.

Ein ausgeprägtes Streben nach Rechtskonformität wird als Indikator für den Interak-tionsfokus bei der externen Adaption gewertet, hier an die staatlichen Vorgaben und/oder die Hinweise der Aufsichtsdienste. Der Interaktionsfokus kann aber auch bei der externen Adaption liegen, wenn eine starke Orientierung an den sogenannten

„Mittlern“, d. h. an Kammern, Verbände, externe Sifas oder Betriebsärzte sowie Krankenkassen etc. besteht oder wenn die externe Adaption an „Dritte“ im Vorder-grund steht, d. h. die Anpassung an wichtige Kunden oder andere Unternehmen, die direkt oder indirekt Vorgaben bzw. Anregungen zur Ausgestaltung des Arbeitsschut-zes machen. Die Betonung unternehmerischer Souveränität schließlich wird als ein Indikator dafür betrachtet, dass der Interaktionsfokus eher nicht auf der externen Adaption liegt. In diesem Fall geht der Betrieb relativ unbeeinflusst von äußeren An-sprüchen seinen eigenen Weg.

Auch in Bezug auf das – häufig selektive – Arbeitsschutzverständnis lässt sich eine Bandbreite an Ausprägungen erkennen. Hier ist die Frage entscheidend, ob Arbeits-schutz überwiegend als eine Frage der Technik oder überwiegend als eine Frage des Verhaltens begriffen wird, ob auch organisatorische Aspekte und psychische Belastungen sowie die Möglichkeiten der betrieblichen Gesundheitsförderung in den Blick genommen werden oder nicht. Die Ausprägungen können axial, das heißt hier sogar ordinal angeordnet werden. Die entsprechende Sinndimension bezeichnet so das Maß, in dem Arbeitsschutz umfassend verstanden wird.

Durch diese Master-Erzählung sollte deutlich geworden sein, dass eine Fülle an Va-riations- und Kombinationsmöglichkeiten verschiedener Ausprägungen des Denkens und Handelns im betrieblichen Arbeitsschutz existiert und die konkrete Ausgestaltung des Arbeitsschutzes dementsprechend sehr unterschiedlich ausfallen kann, auch wenn alle Betriebe gleichermaßen gewillt sind, die Beschäftigten tagtäglich sicher und gesund durch den Arbeitsprozess zu schleusen.

Bei Durchsicht des nachfolgend präsentierten Code-Systems dürften die vielfältigen Bezüge zur Master-Erzählung ins Auge springen. Dabei sollte nicht in Vergessenheit geraten, dass sowohl die Master-Erzählung, als auch das Code-System das Ender-gebnis eines induktiven Prozesses abbilden – induktiv insofern, als die Kategorien und Codes zunächst auf Interpretationen und Codierarbeit an ersten Einzelfällen zu-rückgehen. Sie wurden erst allmählich durch den Vergleich mit anderen Fällen mit Variationsmöglichkeiten und Bedeutungsnuancen angereichert. Diese Differenzie-rungen machten dann häufig die Subsumption unter eine übergeordnete Kategorie notwendig, so dass sich die Ausarbeitung des Code-Systems kontinuierlich vom Konkreten zum Allgemeinen vollzog.

Nachdem beispielsweise die Kategorie „Professionalität“ als relevante Größe im Ori-entierungsrahmen zum Arbeitsschutz kleiner Handwerksbetriebe entdeckt war, wur-de mit Hilfe von korrespondierenwur-den Codings in wur-den Interview-Transkripten von Start-ups nach ähnlichen Sequenzen bzw. Textpassagen gesucht. Tatsächlich konn-te so eruiert werden, dass sich die Kakonn-tegorie „Professionalität“ in Start-ups in der Va-riante „Kreativität“ darstellt. Als dies entdeckt war, konnte mit der Kategorie „persönli-che Eignung“ eine Klammer bzw. die Überschrift zu diesen beiden Ausprägungen gefunden werden.

Auf den folgenden Seiten wird das Code-System in einem tabellarischen Überblick wiedergegeben. Formulierende Codes, die mit der gleichen Farbe hinterlegt sind, korrespondieren miteinander.

Tab. 4.4 Übersicht über das Codesystem

Formulierende Codes

Impulse, intervenierende Bedingungen oder Kontexte, durch die Sicherheit und Ge-sundheitsschutz in den Arbeitsalltag hineingetragen, gefördert oder behindert wer-den. Formulierende Codes bezeichnen den immanenten Sinngehalt bzw. das explizit Gemeinte, das „Wer? oder Was?“ (zumeist kommunikatives Wissen).

Moderatoren der Aufmerksamkeit / der Aktivität im Arbeitsschutz

Verantwortliche und Zuständige in Unternehmen werden durch unterschiedliche Be-dingungen auf Probleme oder Themen im Arbeits- und Gesundheitsschutz aufmerk-sam. Sie reagieren auf ihre "Quellen des Wissens" unterschiedlich, gegebenenfalls sogar ablehnend. Die folgenden Codes bezeichnen Impulse, die die Aufmerksamkeit

und/oder die Aktivität für Sicherheit und Gesundheit in einem Betrieb als intervenie-rende Bedingungen lenken oder beeinflussen.

(Veränderungs-)Impulse (intervenierende Bedingungen)

Peer groups / (Betriebs-) Netzwerk Konzern-/Branchen-Standards

Keine / kaum Risiken gesehen

Wirtschaftlichkeit/ Kosten

Formulierende Codes

Impulse, intervenierende Bedingungen oder Kontexte, durch die Sicherheit und Ge-sundheitsschutz in den Arbeitsalltag hineingetragen, gefördert oder behindert wer-den. Formulierende Codes bezeichnen den immanenten Sinngehalt bzw. das explizit

Gemeinte, das „Wer? oder Was?“ (zumeist kommunikatives Wissen).

AS-Zuständigkeiten Schritte der

AS-Entscheidungsprozesse Organisation des Arbeitsalltags Konsolidieren

„Strategie des Kümmerers“ / Interne Lobby-Arbeit der Sifa

Formulierende Codes

Impulse, intervenierende Bedingungen oder Kontexte, durch die Sicherheit und Ge-sundheitsschutz in den Arbeitsalltag hineingetragen, gefördert oder behindert wer-den. Formulierende Codes bezeichnen den immanenten Sinngehalt bzw. das explizit

Gemeinte, das „Wer? oder Was?“ (zumeist kommunikatives Wissen).

Maßnahmen für Sicherheit und Gesundheitsschutz Verhältnisprävention

a) technische

b) organisatorische Substitution von Stoffen

Verhältnisprävention c) personenbezogen

Betriebliche Gesundheits-förderung (BGF)

Persönliche Schutz-ausrüstung (PSA) Sensibilisierung / Schulung

Impfung / arb.med. Vor-sorge

Selbstmanagement Sportgruppen / Fitness Ernährung

Keine Maßnahmen Massage

Ärztliches Check-Up Gesundheitstag Hauptkategorie „Arbeitsschutz-Verständnis“

Technik

(Element) Analytische

Prognosen Psyche

(Element) BGF

(Element) Personal-management Motive für Teilnahmebereitschaft

Gatekeeper zuliebe /

Hilfsbereitschaft Interesse an Benchmark /

Feedback Wunsch, gehört zu werden

Kontaktwunsch zur BAuA Interesse am Thema

Reflektierende Codes

…bezeichnen Orientierungen bzw. Regeln (zumeist implizites Wissen), die im Be-trieb als angemessen gelten. Die Codes sind Ergebnisse reflexiven Verstehens und

beschreiben das „Wie?“.

Hauptkategorie „Gefährdungsrahmung“

…meint die im jeweiligen Betrieb als angemessen geltende Strategie, wie, d. h. mit welchen Mitteln und welchem Vorgehen Gefährdungen sinnvoll zu begegnen ist. Co-diert werden nicht nur diese Strategien, sondern auch die angegebene Begründung für die Wahl dieser Strategie sowie von welchen Problemlöse-Strategien anderer

sich die befragten Betriebe abgrenzen (Negativ-Folien).

Negativ-Folien Strategien Begründung

Formalismus

Welche Interaktionsschwerpunkte mit relevanten internen und externen Akteursgruppen prägen die Ausgestaltung des Arbeitsschutzes?

Externe Adaption

Reflektierende Codes

…bezeichnen Orientierungen bzw. Regeln (zumeist implizites Wissen), die im Be-trieb als angemessen gelten. Die Codes sind Ergebnisse reflexiven Verstehens und

beschreiben das „Wie?“.

Corporate Identity (nicht bezogen auf Arbeitsschutz)

Verweise auf Besonderheiten der Unternehmenskultur (zunächst) allgemein, unab-hängig vom Thema Arbeitsschutz und/oder auf einen besonderen Beschäftigtentypus (z. B. hohe Intrinsische Motivation; "Tiefstecher und Weitschmeißer"=Malocher; usw.)

AS-Metapher/ Bild

Einschätzung und Beschreibung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes im Unter-nehmen in Form einer Metapher bzw. eines Bildes oder Slogans.Nach Möglichkeit an

dieser Stelle auch eine Selbst-Positionierung codieren.

Beziehungs-Bilder/

Slogans Aufgaben-Bilder/ Slogans Gegenstands-/Technik-Bilder/ Slogans

5 Relevante Dimensionen kollektiver Orientierung