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Mit Masken auf den (Jahr-)Markt

die Personae der Radikalisierung

1.7 Mit Masken auf den (Jahr-)Markt

Zeige, o zeige dein Gesicht nicht Sondern

Verwisch die Spuren!

[…]

Wer seine Unterschrift nicht gegeben hat, wer kein Bild hinterließ

Wer nicht dabei war, wer nichts gesagt hat Wie soll der zu fassen sein!

Verwisch die Spuren!170

Bertolt Brecht

Auch nickende Masken nützen uns nicht.

Ich will beim richtigen Namen dich nennen.

Und darum zeig mir dein wahres Gesicht!171 Oktoberklub (1967) Die oben angeführten Zitate stehen für zwei Formen von sozialistischem Pathos, die mit entgegengesetzten Maskenbegriff en operieren. Das Aufrichtigkeitspathos der Musikgruppe Oktoberklub vertritt ein Ideal, das sich zu jenem von Brechts

»Verwisch die Spuren« konträr verhält. Während der neusachliche Habitus bei Brecht mit der Notwendigkeit verschmilzt, im illegalen Untergrund das eigene Ge-sicht zu verbergen, nimmt das Oktoberklub-Lied ausschließlich pejorativ auf Mas-ken Bezug: MasMas-ken sind zur Entlarvung da, das ›wahre Gesicht‹ soll zum Vorschein kommen. Im Sinne der rückblickenden Selbstzuschreibung »Hundertprozentig rot, überzeugt, ehrlich« besang der Oktoberklub den sozialistischen Alltag.

Errichtet man eine Skala vom neusachlichen Untergrundpathos bis hin zum Aufrichtigkeitspathos der Gruppe Oktoberklub, so lässt sich der Gestus von Peter Weiss darauf schlichtweg nicht einordnen. Wenn Weiss explizit auf Aufrichtigkeit beharrt, erzeugt er Distanz und Befremden, denn er setzt dabei stets ein unzuver-lässiges bis feindseliges Gegenüber voraus. Umgekehrt verhält er sich gerade mit seinem Pathos der Distanz aufdringlich: Off ensiv bietet er sich als Außenseiter dar.

170 Bertolt Brecht, »Aus dem Lesebuch für Städtebewohner«, in: ders., Gedichte I. Sammlungen 1918–

1938, Frankfurt a. M., Berlin, Weimar: Suhrkamp u. Aufbau-Verlag 1988 (= Bertolt Brecht, Wer-ke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, hg. v. Werner Hecht u. a., Bd. 11), 155–

176, hier 157.

171 Hartmut König (Text), »Sag mir wo du stehst«, Vinyl, 7, Single, Mono, 45 RPM. Label: Amiga.

Deutsche Demokratische Republik, August 1967. Th omas Natschinski mit seiner Gruppe; Mit-glieder des Oktoberclubs.

Entsprechend mündet der Versuch, seine öff entliche Persona festzulegen, in ver-schiedenen widersprüchlichen Bildern. Man weiß weder, welche Maske er gerade trägt, noch, was er eigentlich von Maskeraden hält.

Die Vervollständigung des komischen Bewusstseins nennt Hegel das unglückli-che Bewusstsein, das vom Verlust der verlorenen Substanz weiß und darunter lei-det.172 Werner Hamacher hat diese Phase als »Ende des Spiels mit der Maske« be-zeichnet und als Vorgang beschrieben, bei dem die Maske von selbst weiterspielt und das Individuum diesem Spiel nur noch melancholisch zusehen kann:

Das Selbst hat über die Substanz triumphiert und erhält als Trophäe die Maske […].

Aber mit seinem Triumph über die Substanz hat das Selbst einen Pyrrhussieg errun-gen, denn es […] trägt die persona als Markierung und Maskierung seiner eigenen Leere davon.173

Das vollendet komische, unglückliche Bewusstsein weiß darum, dass seine Persona nur die eigene Leere maskiert, es sieht sich selbst bei der Maskerade zu. Zu Peter Weiss’ wenigen expliziten Bezugnahmen auf den Maskenbegriff zählt eine durch-aus ähnliche, durch-ausgesprochen melancholische Betrachtung durch-aus dem Sommer 1964.

Es handelt sich um einen kulturpessimistischen Kommentar über Quizsendungen im Fernsehen:

Die Entfremdung – der Verlust der Identität. Jahrmarkt: hier bekommen Sie Ihre Identität. Rummel. Persönlichkeiten zu kaufen. – Alles Identitätssuche – völlig bana-lisiert – Filmstars – leere Gesichter – Masken über der eigenen Leere – (KGA 1.319 f.)174 Die Identitäten sind nicht substanziell, sondern käufl ich; die Gesichter tragen »Mas-ken über der eigenen Leere«. Bitter ist der Tonfall, und unerläutert bleibt die Frage, ob es eine Identität ohne Maskerade geben kann. Bei Weiss spricht nichts dafür, und gleichzeitig ist die Sehnsucht nach Substanz in seinem Kommentar unüberhörbar.

Dabei steht der pejorative Bezug auf den Jahrmarkt in auff älligem Kontrast zu sei-ner jahrelangen Auseinandersetzung mit dem Jahrmarktsmotiv. Vor allem sein bild-künstlerisches Werk ist von vogelfreien Jahrmarktfi guren bevölkert. Auch auf dem Ölgemälde Gårdfarihandlarn (dt. Der Hausierer) aus dem Jahr 1940 ist ein Jahr-markt zu sehen, mit Karren, Buden und einem kleinen, hellen Zirkuszelt. (vgl.

Abb. 8) Im Hintergrund weitet sich eine graue Industrielandschaft unter schwerem, bedecktem Herbsthimmel aus, im Vordergrund links stehen Bäume mit schwärzli-chen Stämmen und blattlosen dünnen Zweigen. Rechts daneben, weit vorn in der

172 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Phänomenologie des Geistes, Frankfurt  a.  M.: Suhrkamp 1986 (= Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Werke in 20 Bänden, hg. v. Eva Moldenhauer, Bd. 3), 163 f.

173 Hamacher, »(Das Ende des Spiels mit der Maske)«, 148.

174 Notizbuch 6 (27.4.1964–12.7.1964), 90 f.

Bildmitte, steht der Hausierer mit seinem Wanderstab. Seine Waren stellt er in ei-nem mit bunten Wimpeln dekorierten, um den Hals gehängten Bauchladen zur Schau. Sein Körper ist dem Jahrmarkt zugewandt, aber sein ausdrucksloses Gesicht schaut zurück zum Bildbetrachter. Er sieht aus wie Peter Weiss, ein Selbstporträt als Hausierer mit akkurat geschnittenem schwarzen Haar, Seitenscheitel links, grauem Anzug und weißem Hemd.

W. G. Sebald beschreibt die von Weiss gemalten Jahrmarktfi guren als »völlig autistische, gesichtslose Seelen«, die »ihr kaum mehr lebendiges Wesen« inmitten von Verwüstungsszenarien treiben.175 »Wanderer Harlekin Flüchtling«, hält Weiss ohne weitere Erläuterung in seinem Notizbuch fest. (KGA 4.894)176 Als Polemiker steht Weiss jedoch eher eine andere, weitaus aggressivere Jahrmarktfi gur als Vor-bild zur Verfügung. Zwei Tage vor der Rostocker Urauff ührung von Marat/Sade 1964 notiert er einen bereits zitierten Satz für seine bevorstehende Lessingpreisre-de: »Ich bedanke mich für das Vertrauen, dass Sie dieser gebrechlichen Sprach«x»

entgegen gebracht haben«. Dieser Satz wird gestrichen, dafür wird – zwei Zeilen weiter unten – die Haltung artikuliert, zugunsten derer sowohl das Ideal der Dankbarkeit als auch das Ideal der Diskretion über Bord geworfen wird. Weiss schreibt: »Eine gute Sache: Meine Absichten wie ein Marktschreier an den Mann zu bringen«. (KGA 1.666)177

Von der pathetischen Redeweise abgesehen, dürfte kaum eine Sprechart in bür-gerlich-hochkulturellen Kreisen negativer konnotiert sein als die marktschreieri-sche. In dem Literaturbetrieb, dem Weiss seinen Erfolg verdankt, kann die Wahl eines entsprechend aufdringlichen, reißerischen Sprachstils sicherlich nicht der Werbung oder gar der Überzeugung des Publikums dienen. Was könnte daran »[e]

ine gute Sache« sein, wenn nicht die Möglichkeit, gegen die Normen der Kultur-elite zu verstoßen? Ein marktschreierischer Gestus ließe sich als Angriff auf die Fe-tischisierung ›hoher‹ Kunst interpretieren, denn ein Marktschreier im Elfenbein-turm würde den peinlich verschwiegenen Umstand off enlegen, dass auch die hohe Kunst den Marktgesetzten unterworfen ist. Während der Hausierer von Tür zu Tür geht, befi ndet sich der Marktschreier mitten auf dem Jahrmarkt, er ist den Besu-chern ausgesetzt wie der Jüngling im Schaufenster: Analog werden in Abschied von den Eltern die dort angesammelten Waren gemäß einer Poetik des Marktschreiens aufgezählt: »mit Schirmen und Birnen, Stäben und Fäden, Scheren und Gewehren, Kämmen und Schwämmen, Bürsten und Würsten, Nägeln und Kegeln, Pfeifen und Seifen, Hüten und Tüten, Beilen und Pfeilen«. (A 118)

Welche Implikationen birgt es, wenn ein Schriftsteller wie ein Marktschreier oder ein Jüngling im Schaufenster auf dem Markt steht, mit seinem Wort als Ware?

Wenn bei Weiss davon die Rede ist, als Schriftsteller auf dem Markt zu stehen,

han-175 Sebald, »Die Zerknirschung des Herzens«, 130.

176 Notizbuch ohne Nummer und Datum [1972], 83.

177 Notizbuch 8 (28.11.1964–5.4.1965), 130, vgl. NB 1960–71, 353.

Abb. 8: Peter Weiss, Gårdfarihandlarn [Der Hausierer].

delt es sich weniger um die Strukturen der Marktökonomie als um eine Selbst-wahrnehmung als Jahrmarktfi gur. Trotzdem verdient die Warenmetaphorik seiner Sprachbeschreibungen eine genauere Lektüre. Im folgenden Kapitel werden Weiss’

»10 Arbeitspunkte eines Autors in der geteilten Welt« neu interpretiert. Das Drama zwischen Individuum und Wort fi ndet hier eine Fortsetzung – ausgehend von der Frage, wie es dem Sprecher ergeht, wenn seine Worte wie Waren auf dem Markt ihres Weges gehen.

Tisch und der Apparat

Alles übergab ich dem Staunen Selbst das Vertrauteste.1

Bertolt Brecht

Allzu lange hat Hans Werner Richters Struwwelpeter-Parodie über den überenga-gierten Schriftsteller am Sandstrand die Weiss-Forschung davon abgehalten, der unterbrochenen Lektüre von Marx’ Das Kapital nachzugehen. Weiss schrieb seine

»10 Arbeitspunkte eines Autors in der geteilten Welt« nur wenige Wochen nach dem missratenen Urlaub in Bibione. Die folgende Analyse dieses Pamphlets ist ein Gedankenexperiment, sie nimmt probeweise an, dass Weiss doch über die zehnte Seite des ersten Bandes von Das Kapital hinausgekommen ist und dass er, die Rat-schläge Richters ignorierend, die Ausführungen über den »Fetischcharakter der Ware und sein Geheimnis«2 gelesen hat. Vielleicht war ihm kurz zuvor Salz in die Augen geraten. Zwischen der Begegnung mit dem stechenden Tier und dem Son-nenbrand schwebten womöglich tanzende und redende Möbelstücke vor dem in-neren Auge jenes Schriftstellers, der nur wenige Jahre zuvor von einem Sprachexpe-rimentator schrieb, der sich Salz in die Augen rieb, um seine Wahr nehmungs-veränderungen zu beobachten:

Die Aufgabe der Salzkörner ist es, meine Tränendrüsen zu reizen, und damit meinen Blick verschwommen zu machen; die entstehenden Tränenfäden, Lichtpünktchen und anschwellenden und zerfl ießenden Lichtkeile legen sich über das deutlich in mei-ne Netzhaut eingeätzte Abbild des Raumes; und selbst wenn dieser Raum nichts an-deres enthält als einen Tisch […], so stößt sich mein Blick doch noch an diesen Be-grenzungen und festen Formen; mit den Tränen löse ich sie auf. […]

In den Tiefen, die sich ständig verschoben […] tauchten einzelne, kleinere Kugeln auf, auch diese schimmernd in gläsernem Feuer, und Figuren, wie Türme aus einem Schachspiel, oder wie Tänzer aus einem Ballett […].3

1 Bertolt Brecht, »Lied des Stückeschreibers«, in: ders., Gedichte 4, Frankfurt a. M., Berlin, Weimar:

Suhrkamp u.  Aufbau-Verlag 1993 (= Bertolt Brecht, Werke. Große kommentierte Berliner und Frank furter Ausgabe, hg. v. Werner Hecht u. a., Bd. 14), 298–301, hier 301.

2 Karl Marx, »Der Fetischcharakter der Ware und sein Geheimnis«, in: ders., Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Erster Band, Berlin: Dietz 1970 (= Karl Marx, Friedrich Engels, Werke, Bd. 23), 85–98.

3 Peter Weiss, Der Schatten des Körpers des Kutschers, 18 f.

Der Erzähler in Der Schatten des Körpers des Kutschers beschreibt eine sonderbare Art, nicht zu weinen: Der Blick durch künstlich herbeigeführte Tränen dient der Verfremdung des Alltäglichen, denn die Tränen brechen das Licht und lösen die ge-wohnte Wahrnehmung auf. Auf einmal bewegen sich die Gegenstände, darunter auch der Tisch, »wie Tänzer aus einem Ballett». Der Jüngling experimentiert mit Salzkörnern, um die festen Formen zu entstellen, er erzeugt ein poetisches Bild um den Preis seiner Klarsicht: »Die Aufgabe der Salzkörner ist es, meine Tränendrüsen zu reizen, und damit meinen Blick verschwommen zu machen«.

Auf den ersten Blick besteht kein Zusammenhang zwischen diesen Zeilen und den »10 Arbeitspunkten eines Autors in der geteilten Welt«. Ging es dem Jüngling um Verfl üssigung, so geht es dem engagierten Autor um Verfestigung. Zudem for-muliert Weiss’ Pamphlet den Bruch mit genau jener Schaff ensphase, für die Der Schatten des Körpers des Kutschers exemplarisch steht, und bezichtigt somit auch den Jüngling mit den Salzkörnern, seine Zeit zu verschwenden: »Das formale Experi-ment, der innere Monolog, das poetische Bild bleiben wirkungslos, wenn sie der Arbeit an der Neuformung der Gesellschaft nicht von Nutzen sind«. (AP 17) Und weiter: »Die Aufgabe eines Autors ist hier: immer wieder die Wahrheit, für die er eintritt, darzustellen, immer wieder die Wahrheit hinter den Entstellungen aufzu-suchen.« (AP 22) Die bisherige Rezeption, oder: die gewohnte Wahrnehmung der

»10 Arbeitspunkte« steht weitgehend im Bann solch unerschütterlich wirkender Imperative. Es ist allerdings möglich, an ihnen zu rütteln, zum Beispiel, indem man sich Salz in die Augen streut und die postulierte »Aufgabe des Autors« von der

›Aufgabe der Salzkörner‹ her neu liest.

In den »10 Arbeitspunkten« parallelisiert Weiss seine Sprache, sein Arbeitspro-dukt, mit der Ware. Nichts deutet jedoch darauf hin, dass er sich näher mit Fragen ökonomischer Th eorie auseinandergesetzt hätte: Anders als viele seiner linksintel-lektuellen Zeitgenossen liefert er keinen ernstzunehmenden Beitrag etwa zu den Debatten über die Subsumption der Kulturwarenproduktion unter das Kapital.

Der Vergleich mit Marx lohnt sich allerdings, wenn man den Fokus allein auf die Rhetorik, die literarische Darstellungsweise der beiden legt. Nimmt man an, dass Weiss sich aus den gleichen Gründen für Marx interessieren müsste, aus denen er atonale Musik schätzte, sich zwei Psychoanalysen unterzog, sich für die Aufl ösung des Raum-Zeit-Kontinuums interessierte und sich mit visuellen Techniken der Mon-tage und der Zerstückelung beschäftigte, eröff net sich eine andere Perspektive. Marx’

Th eorie des Warenfetischismus operiert rhetorisch mit der Verfremdung des Alltäg-lichen, um die Entfremdung des Individuums aufzuzeigen. Anknüpfungspunkte mit Weiss’ Rhetorik der Sprachbeschreibung bilden dabei zum einen die dezentrie-renden Implikationen dieser Schreibweise für das Subjekt, zum anderen der unter-schwellige, von Elaine Scarry analysierte Schmerzensdiskurs in Marx’ Kapital: Bei Marx sei zu beobachten, wie von der gespenstischen Anwesenheit des verletzlichen Körpers in den Artefakten ausgegangen wird. Im Produkt der menschlichen Tätig-keit ist der Körper im Sinne einer Objektivierung von Empfi ndung und Schmerz

gegenwärtig. Im Verlauf dieses Kapitels wird sich zeigen, wie Weiss eine dinghafte Sprache beschreibt, die sich der Kontrolle ihres Urhebers entzieht und verselbst-ständigt. Er begreift das Wort zwar als Artefakt, allerdings wird die Historizität und der Körperbezug der Sprache gerade dadurch eher hervorgehoben als verringert.