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Es gibt eine Nachreife auch der festgelegten Worte.

Was zur Zeit eines Autors Tendenz seiner dichteri-schen Sprache gewesen sein mag, kann später erle-digt sein, immanente Tendenzen vermögen neu aus dem Geformten sich zu erheben.1

Walter Benjamin Die Studie Wortgewalt. Peter Weiss und die deutsche Sprache befasst sich mit Dimensi-onen des literarischen Schaff ens von Weiss, die viel zu lange unbemerkt blieben, zu-erst im Eifer des Gefechts um seine Person und später bedingt durch den auff älligen Bruch in seiner Rezeption. Ausgehend von der genauen Lektüre von Prosatexten und Nachlassmaterialien von Weiss werden Phänomene sprachlicher Gewalt und Gegen-gewalt sowie sprachlicher Verletzbarkeit und Immunisierung analysiert. Der erste Teil der Arbeit, »Sprachliche Gewalt und Rhetorik der Immunisierung«, rekonstru-iert den doppelten Blick, den sich Weiss als erfolgreicher Schriftsteller und als Rück-kehrer ins Land der Verfolgung aneignet. Angesichts der ungehaltenen Reden von Weiss verändert sich der Blick auf diejenigen, die er gehalten hat, die überliefert und zum Teil breit rezipiert wurden. Dies zeigt sich insbesondere bei der Relektüre seiner berühmtesten Preisrede »Laokoon oder Über die Grenzen der Sprache«, ergänzt um die Analyse parallel entstandener Texte. Weiss schrieb seine Lessingpreisrede nach der Abgabe des Inferno-Fragments, parallel zur Ermittlung und »Meine Ortschaft«;

sie entstand genau zwischen Weiss’ Studienreise zur Gedenkstätte Auschwitz und sei-nen ersten Positionierungen als sozialistischer Schriftsteller. Das Spannungsverhält-nis zwischen den unterschiedlichen Sprachbildern ist nirgendwo ausgeprägter: Die Lessingpreisrede beschreibt die Gewalt der Tätersprache, das Gewalttätigwerden der Sprache des Ausgeschlossenen aus der Defensive heraus, die Verhärtung der Sprache zum Werkzeug sowie eine Dialektik, bei der genau diese sprachliche Immunisie-rungsstrategie dadurch untergraben wird, dass der Schrecken, der mit sprachlichen Mitteln abgewehrt werden soll, den Worten selbst anhaftet.

Mit der Lessingpreisrede entwickelt Weiss eine spezifi sche Rhetorik der Sprachbe-schreibung, die für sein späteres Schaff en maßgeblich ist. Die Verfahren, mit denen er den Fokus auf die sprachliche Dynamik legt, werden durch vergleichende Lektü-ren literaturhistorisch wie sprachphilosophisch kontextualisiert: Bereits Victor Klem-perer wählte mit seinem Erfahrungsbericht Lingua Tertii Imperii (LTI) eine Perspek-tive, in der die Gewalt der Sprache als Gegenstand der Erfahrung fi gurierte. Insgesamt zieht Weiss wesentlich radikalere Schlüsse als Klemperer, bei dem die Rettung und

1 Walter Benjamin, »Die Aufgabe des Übersetzers«, in: ders., Gesammelte Werke Bd. IV/1, Frank-furt a. M.: Suhrkamp 1972, 9–21, hier 12 f.

Restitution einer positiv konnotierten deutschen Sprache im Vordergrund steht.

Weiss stellt der beschädigten Sprache keine friedliche oder gar gereinigte gegenüber, insofern sind seine Schilderungen eher mit den Überlegungen vergleichbar, die Jac-ques Derrida Jahrzehnte später in seinem Essay Le Monolinguisme de l’autre (M, E) unter Rückgriff auf seine Erfahrung mit antisemitischem Ausschluss entfaltete. Der-rida verbindet Stationen seiner Biografi e mit der allgemeinen Th ese, dass die Sprache niemals erobert, beherrscht oder als Eigentum betrachtet werden kann. Weitere phi-losophische Implikationen von Weiss’ Darstellungsweise werden anhand von Judith Butlers Th esen über das Verhältnis von Körper, Sprache und Gewalt herausgearbei-tet, mit dem Ergebnis, dass die Frage nach dem Verhältnis von sprachlicher und phy-sischer Gewalt analog zur Frage nach dem Verhältnis von metaphorischer und wört-licher Rede diskutiert werden muss: Das Th ema sprachliche Gewalt führt ins Grenzgebiet zwischen literarischem und philosophischem Diskurs.

An die Ergebnisse des ersten Teils anknüpfend, ist der zweite Teil einer Analyse der Diskurspolitik von Weiss gewidmet: »Werkzeug, Wunde, Wurfgeschoss. ›Parti-sanen-Peter‹ im Kalten Krieg.« Mit seinen politischen Stellungnahmen geriet Weiss ins Kreuzfeuer der Kritik, wobei gerade jene Texte, die die heftigste Ablehnung aus-lösten, bislang am wenigsten analysiert worden sind, nämlich seine Weimarer Steg-reifrede2 sowie die »10 Arbeitspunkte eines Autors in der geteilten Welt« (AP), bei-de aus bei-dem Jahr 1965. Die Untersuchung geht jenen Dissonanzen in bei-der Rhetorik nach, die Weiss grundsätzlich von der Mehrheit der deutschsprachigen linken Lite-raten seiner Zeit unterscheidet. Gerade seine aktivistischen Stellungnahmen wer-den mit einem defensiven Gestus, einem Vokabular der Passivität und der Ohnmacht kombiniert. Dabei triff t eine Rhetorik, die die Tradition der frühen sowjetischen Avantgarde aufgreift und sich über Brecht bis hin zu den jüngeren Vertretern der 68er-Generation skizzieren lässt, auf zutiefst pessimistische Untertöne, die die Möglichkeit der Selbstbefreiung sowie der Bewältigung kollektiver wie individuel-ler Traumata radikal infrage stellen.

Aus der historischen Distanz entsteht der Eindruck, als spräche Weiss aus einer anderen Wirklichkeit als der tagespolitischen heraus. Seine Reden und öff entlichen Stellungnahmen rücken in ein anderes Licht, wenn man von der expliziten Aussage absieht und dafür die Wirkung jener Sprechakte analysiert, mit denen Weiss für Unbehagen unter seinen Zeitgenossen sorgte.3 Weiss provozierte nicht nur mit po-litischen Inhalten, sondern auch durch das Pathos, das mit seiner Selbstinszenie-rung als Opfer einhergeht. Quer zu seiner expliziten Blockrhetorik im Sinne des Kalten Krieges steht eine ganz andere Konfrontation: die Begegnung des im Exil Gebliebenen, dessen Lebenslauf von der nationalsozialistischen Rassenpolitik durch-kreuzt wurde, mit den Menschen im Sprachraum seiner Herkunft.

2 Peter Weiss, »Partisanen der Wahrheit« (Neues Deutschland, Berlin/Ost 21.5.1965), in: AGW 100.

3 Vgl. Katja Garloff , »Peter Weiss’ Entry into the German Public Sphere. On Diaspora, Language and the Uses of Distance«, in: Colloquia Germanica 30 (1997), 47–70.

Für Weiss’ ›Persona‹ als engagierter Schriftsteller ist das Selbstverständnis als Au-ßenseiter charakteristisch. Dadurch eröff net sich eine Dialektik von der Erfahrung des Ausgeschlossenseins und der faktischen Inklusion, zählte Weiss in den 1960er-Jahren doch zu den bekanntesten Intellektuellen in beiden Teilen Deutschlands.

Weiss macht sich selbst zum Gegenstand kollektiver Abwehr, die sich ihrerseits der Analyse darbietet. Zweifellos trug er selbst zu dieser Dynamik bei: Seine Auftritte lassen sich als heikler Identitätsentwurf und als Spiel mit der Maske lesen, bei der die Grenze zwischen Inszenierung und Wiederholungszwang, Bühne und Welt, Spiel und blutigem Ernst verwischt. Die sadomasochistischen Züge des Verhältnis-ses von Weiss und seinem Publikum werden im Rahmen einer vergleichenden Lek-türe mit Georges-Arthur Goldschmidt herausgearbeitet. Rückblickend betrachtet, gibt das Psychodrama vor allem Aufschluss über die nachkriegsdeutsche Öff ent-lichkeit: Das Ausmaß an Aggression in den öff entlichen Reaktionen auf Weiss’ Ver-lautbarungen bestätigt dessen grundsätzliches Misstrauen.

Der dritte Teil der Arbeit, »Rhetorik der Somatisierung. Schreiben vom Zusam-menbruch her«, ist Texten aus dem Zeitraum 1969–71 gewidmet, die posthum, zum Teil erst in den vergangenen Jahren, publiziert wurden und in denen das kon-fl iktträchtige Verhältnis zum deutschen Publikum von Weiss selbst ausdrücklich thematisiert wird. In der »Dante-Prosa«, einem abgebrochenen Fragment, soll eine aktualisierte Dante-Figur nach Aufhebung des über sie verhängten Todesurteils als gefeierter Schriftsteller eine Rede halten. Vor versammeltem Publikum kommt es zum körperlichen Kollaps, wobei das entgrenzende Motiv des Zusammenbruchs als Bindeglied zwischen literarisch-fi ktiven und tagebuchartig dokumentierten Schilderungen aus der Entstehungszeit fungiert.

Das Angstbild vom Publikum als Meute scheint sich zu bestätigen, als die Gene-ralprobe von Weiss’ Trotzki im Exil Anfang 1970 tatsächlich durch rebellische Stu-denten gestürmt wird: Auf das ödipale Moment einer jeden Avantgarde, in der die jüngere Generation von Rebellen den symbolischen Vatermord verübt, reagiert Weiss in seinen Notizbuchaufzeichnungen so, als stünde sein Leben in Gefahr. Zu-gleich führt seine Beschäftigung mit Trotzki zu einer Krise in seinem Verhältnis zu einer wahrhaft patriarchal-autoritären Instanz: den Kulturbehörden in der DDR.

Aus Protokollen des Ministeriums für Staatssicherheit geht der Aufwand hervor, mit dem Weiss auf eine Parteilinie gebracht werden sollte. Der Schriftsteller müsse gegen abweichende Einfl üsse »immun« gemacht werden.

In seinem nächsten Schreibprojekt reagiert Weiss indes auf die entsprechenden Forderungen mit einer fulminanten Poetologie der Krankheit und des Wahnsinns – mit erheblichen Folgen für seinen Sprachbegriff . Diese Rhetorik der Somatisierung lässt sich anhand seines literarisierten Tagebuchs Rekonvaleszenz herausarbeiten:

Hier deutet Weiss seinen Herzinfarkt im Jahr 1970 psychosomatisch und zieht sei-nen instrumentellen Sprachbegriff als Abwehrstrategie in Zweifel. Seine Sprache des Engagements, so lautet das Argument, habe als Abwehr gegen Erinnerung und Schmerz funktioniert, wobei das Verdrängte ihn als Krankheit wieder eingeholt

habe. Dabei ist das Psychosomatische zugleich das Politische schlechthin: Das Mo-tiv prekärer Körperlichkeit erhält eine feste Funktion im Rahmen einer Denkfi gur, die davon ausgeht, dass manche Körper stellvertretend als Schlachtfeld für das in-dividuell wie kollektiv Verdrängte fungieren.

Auch poetologisch vollzieht sich mit Rekonvaleszenz eine entscheidende Ent-wicklung: Mit dem körperlichen Zusammenbruch wird die Vorstellung von der immunisierenden Wirkung eines auf Eindeutigkeit ausgerichteten Sprachbegriff s obsolet. In Rekonvaleszenz wird ein Zusammenhang zwischen unbewältigter Ver-gangenheit und Formen des Schreibens hergestellt, die den Anspruch auf Ord-nung, Eindeutigkeit und einem souveränen Autor-Subjekt infrage stellen. Es wird das Verlangen nach einer Sprache artikuliert, die dort beginnt, wo das Subjekt phy-sisch und psychisch außer Gefecht gesetzt worden ist. Das literarische Tagebuch liest sich deshalb nicht zuletzt als poetologische Vorarbeit für das große Romanpro-jekt Ästhetik des Widerstands.

Wie die von Weiss betriebene Diskurspolitik lassen sich auch seine Romane im Hinblick auf die Dynamik widersprüchlicher Sprachbilder lesen. Der vierte und umfassendste Teil der Arbeit trägt die Überschrift »Bauphantasien und Sprach-phantasien. Die Ästhetik des Widerstands, mit Kafka gelesen«. Das Verhältnis von Kafka und Weiss wird darin aus drei verschiedenen Richtungen analysiert. Zu-nächst wird nachvollzogen, wie Weiss’ Umgang mit Kafka seit den Exiljahren zwi-schen kühler Distanzierung und hysterischer Mimesis schwankt, und wie dieses Wechselbad sich zur Entstehungszeit der Ästhetik des Widerstands in den 1970er Jahren aktualisiert: Weiss dramatisiert Kafkas Roman Der Prozeß als Lehrstück. In seinen Notizbüchern fi guriert dieses Projekt vor allem als aufwühlende Störung im Arbeitsprozess mit dem eigenen Roman. Deutlich wird ein umfassender Kafka-Komplex, eine ästhetische, historisch-politische wie biographische Konstellation, die bei Weiss eng mit dem Th ema der antisemitischen Verfolgung und des Exils verbunden ist.

In einem zweiten Schritt folgt die Lektüre jener Passagen in der Ästhetik des Wi-derstands, die Kafkas Das Schloß gewidmet sind. Es zeigt sich, wie das Motiv des si-chernden Blickes sowie die Betonung des Visuellen im Umfeld von Weiss’ Schloß-Passagen mit einem Gefl echt aus Namen, Ortsbezeichnungen und Daten einhergeht, deren Nennung jenen Kafka-Komplex wieder auf den Plan ruft, der bei der explizit verhandelten Schloß-Lektüre der Romanprotagonisten keine Rolle spielt. Dieser Komplex hängt mit historischem Wissen zusammen, das über die erzählte Zeit und den Bewusstseinshorizont von Weiss’ Protagonisten im Jahr 1937 hinausgeht. Einen Ausgangspunkt bei der Textanalyse bildet Weiss’ Begriff der künstlerischen Anästhe-sie, den er bereits in den 1960er-Jahren unter Rekurs sowohl auf Dante als auch auf Kafka entwickelte. Anhand der Ästhetik des Widerstands lässt sich dieser Anästhesie-begriff mit Freuds Begriff des Reizschutzes, seiner Rezeption bei Walter Benjamin sowie mit literaturwissenschaftlichen Ansätzen zum Th ema Traumanarrativ theore-tisch kontextualisieren.

Im letzten Kapitel des vierten Teils steht die vergleichende Analyse von Weiss’

Roman mit Kafkas Erzählfragment »Der Bau« im Zentrum. Weiss’ Roman ist der Bau, der sich einerseits hermetisch abzuschließen scheint, der andererseits aber von Beginn an unterhöhlt ist. Die Aporien des Sicherheitsdenkens, die bei Kafka in ver-dichteter Form vorgeführt werden, klingen in Weiss’ Rhetorik der Sprachbeschrei-bung immer wieder an. Weiss’ antifaschistische Untergrundkämpfer gleichen dem unterirdischen Bau-Erzähler, denn auch sie nehmen die Welt aus Verstecken heraus wahr. Im Zustand akuter Gefahr horchen sie nach tatsächlichen wie vermuteten Gegnern, treff en komplexe Vorsichtsmaßnahmen, betreiben eine Hermeneutik au-ßer Rand und Band und verausgaben sich dabei geistig wie körperlich. Derweil wirken der eigene Bau, das eigene Werk und die eigenen Worte immer fremder und bedrohlicher auf ihre Urheber zurück.

In der Ästhetik des Widerstands werden die Grenzen und Gefahren sprachlicher Sicherungsbemühungen schonungsloser als je zuvor vor Augen geführt, wobei Mo-tive wie Tiergeräusche, physiologische Sprechhindernisse und Phänomene der Stimme die Aufmerksamkeit auf hermeneutisch nicht domestizierbare Erschei-nungsformen der Sprache lenken und damit eine zusätzliche Ebene der Vergleich-barkeit mit Kafka herstellen. Gewiss bildet der kommunistische Widerstandskampf den augenfälligen Gegenstand der Ästhetik des Widerstands. Durch eine konsequen-te Dezentrierung des Romans lässt er sich allerdings auch als ästhetischer Rahmen betrachten. Die Lagebestimmungen und Strategien der Romanfi guren, die Schil-derungen ihrer Kämpfe und Niederlagen, Solidarisierungen und Zerwürfnisse er-scheinen dann als Hintergrundrauschen, als Choreografi e oder als Chor. Als roter Faden wird dafür das individuell wie kollektiv zu begreifende Sprachproblem er-kennbar, mit all seinen psychologischen, ästhetischen, historischen und politischen Implikationen.